Modellstadt Essen
Essen ist eine von fünf Modellstädten für saubere Luft in Deutschland. Die Stadt bekommt Bundesmittel für einen besseren Nahverkehr. Busse und Bahnen fahren jetzt noch häufiger. Fahrrad- und Car-Sharing werden gratis angeboten. Am Thema saubere Mobilität arbeitet auch die Auszubildende Leonie Blazejczak mit.
5 Min. Lesedauer
Wenn sich Leonie Blazejczak morgens kurz nach halb sechs auf den Weg zur Arbeit macht, geht sie meist achtlos am Autoschlüssel auf der Kommode ihres Zimmers vorbei. Stattdessen ein Griff in das Seitenfach ihrer Handtasche. Alles o.k., das Azubi-Ticket steckt. Bis zur Bushaltestelle Kraienbruch in Essen-Dellwig sind es knapp 300 Meter. Dann heißt es für Leonie Blazejczak rein in den Bus 116 für zehn Stationen und einmal umsteigen in die U 11. "Morgens brauche ich 35 Minuten bis zur Arbeit, für den Rückweg am Nachmittag sind es ein paar Minuten länger", sagt die 21-Jährige. Zeit, die sie zum Musikhören nutzt oder für den neuesten Krimi von Fitzek in ihrer Tasche.
Leonie Blazejczak lernt Industriekauffrau bei der Ruhrbahn und lebt vor, wie man mobil sein und zugleich die Luft sauber halten kann: Sie nutzt täglich den öffentlichen Nahverkehr, manchmal auch das eigene oder ein geliehenes Fahrrad.
21 Millionen Euro für Verkehrsprojekte
Essen hat das Angebot für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erheblich ausgebaut. Das Ziel: Die Qualität der Luft soll verbessert, Fahrverbote sollen vermieden werden. An nur noch vier von zehn Straßen überschritten die Stickoxide den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im vergangenen Jahr. Eine Straße weniger als 2017. Besser werden, Schritt für Schritt, ist das Ziel. Die besonders belastete Alfredstraße bekommt zusätzlich bald eine neue umweltsensitive Ampelschaltung. Zwei Millionen aus dem "Sofortprogramm Saubere Luft" gibt der Bund dafür. Der Essener Verkehrsrechner wird dann so hochgerüstet, dass er Verkehrs- und Umweltdaten nutzen kann für eine umweltfreundliche Ampelschaltung – etwa die "grüne Welle" oder eine bessere Verkehrslenkung. Für den Nahverkehr stellt die Bundesregierung rund 21 Millionen Euro zur Verfügung. Damit bringt die viertgrößte Stadt in Nordrhein-Westfalen neue Verkehrsprojekte auf den Weg.
Raus auf dem Auto - rein in Bus und Bahn
Busse und Bahnen fahren in Essen jetzt häufiger. Abonnenten können Car- und Bike-Sharing gratis nutzen und bekommen Fahrtguthaben. 30-Tage-Tickets sind deutlich günstiger geworden, Firmen-Fahrscheine für Berufstätige wurden attraktiver. Für möglichst viele Autofahrerinnen und Autofahrer soll der Umstieg auf öffentliche Verkehrsangebote einfach attraktiv werden.
Die Modellphase startete Ende 2018 und schon die ersten Angebote hatten großen Erfolg. Spezielle Modellstadt-Essen-Abo-Tickets gab es zum halben Preis. Das erste Kontingent war schnell erschöpft. "Es geht darum, das Mobilitätsverhalten insgesamt zu ändern", erläutert Georg Grindau, Leiter Mobilitätsmanagement und Leiter des Projekts Modellstadt bei der Ruhrbahn. Dazu gehört auch, mit passgenauen und wohnortnahen Informationen die Essener mit dem besseren Angebot vertraut zu machen, um möglichst viele Menschen vom Nahverkehr zu überzeugen.
Rund 130 Millionen Euro investiert die Bundesregierung in saubere Luft in fünf Modellstädten. Dieses Geld steht Essen, Bonn, Herrenberg, Mannheim und Reutlingen zusätzlich zum "Sofortprogramm Saubere Luft" zur Verfügung. Der Bund finanziert damit bis 2020 Verkehrsprojekte und trägt so zur Verbesserung der Luftqualität bei. Investiert wird zum Beispiel in den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Dabei geht es um häufigere Fahrten, günstigere Tickets, bessere Verkehrslenkung oder neue Radwege.
Das Gesicht der Ruhrbahn
Leonie Blazejczak kennt das Angebot der Ruhrbahn gut: Sie durchläuft in ihrer Ausbildung zahlreiche Stationen – von der Werkstatt über den Einkauf, die Fahrplangestaltung bis zum Marketing. "Ich finde, dass es ein großes Ding ist, jeden Tag mit für die Mobilität so vieler Menschen zu sorgen", sagt sie. Keine große Sache war es für die 21-Jährige hingegen, Fotos von sich für die Kampagne zur Verfügung zu stellen, mit der die Ruhrbahn um Aufmerksamkeit für den Essener ÖPNV wirbt. Dass sie ihr eigenes Gesicht auf Plakaten an der Bushaltestelle sieht – daran hat sich Leonie Blazejczak mittlerweile gewöhnt, auch wenn es am Anfang komisch gewesen sei.
Eigenes Auto steht fast nur rum
"Ich will den Wandel", heißt es auf den Plakaten. Und dazu steht Leonie Blazejczak. Sie beobachtet, dass die Umwelt immer stärker ins Bewusstsein rückt, auch bei ihren Freunden. Für viele junge Leute gebe es den "Traum vom eigenen Auto" ja schon gar nicht mehr, auch ihr eigenes Auto stehe "eigentlich fast nur rum".
In Essen ergänzen Car- oder Bike-Sharing-Angebote Bus und Bahn. Leonie Blazejczak sagt: "Ich glaube, junge Leute sind demgegenüber viel offener. Sie probieren einfach öfter mal etwas Neues aus." Mit dem Bike-Sharing, dem schnellen Umstieg auf das Leihfahrrad, hat sie selbst schon gute Erfahrungen gemacht: auf ihrer Tour von Radbox zu Radbox. Solche Radboxen können Radler in Essen an den großen Haltestellen mieten, um beim Umstieg die Räder sicher unterzustellen. So können sie flexibel zwischen den Verkehrsmitteln wechseln. Wie man auch im Notfall an sein Rad kommt, wenn das Smartphone mal offline geht, darüber informiert nun ein Aufkleber auf jeder Box. Leonie Blazejczak hat sie persönlich aufgeklebt. Einen Teil ihres Wegs hat sie dabei mit einem Bike-Sharing-Rad erledigt. "Das ging supereinfach", sagt sie. Über eine App kann man sich die Räder unkompliziert ausleihen.
Mehr Busse, mehr Fahrten, mehr Fahrer
Die Ruhrbahn lässt nun sechs Buslinien und eine Straßenbahn häufiger fahren. Der Takt wurde in der Hauptverkehrszeit von zehn auf fünf Minuten verdichtet und es gibt eine neue Haltestelle. Der verbesserte Fahrplan gilt seit Juni 2019. Mit Fördermitteln des Bundes stellte die Ruhrbahn für das erweiterte Angebot Fahrerinnen und Fahrer ein. Sie schaffte zusätzliche Busse an. So viele, dass auf dem Betriebshof zunächst sogar die Parkplätze knapp wurden.
"Der ÖPNV wird immer wichtiger"
Georg Grindau glaubt, dass der Wandel hin zu sauberer Mobilität in Essen gelingen kann. Auch Leonie Blazejczak ist davon überzeugt, dass der ÖPNV immer wichtiger wird. Vor allem in Zeiten von "Fridays for Future", in denen sich so viele Menschen für den Klimaschutz engagieren.
Diese Reportage ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe von SCHWARZROTGOLD - dem Magazin der Bundesregierung. Das E-Paper der Ausgabe 4/2019 finden Sie hier.