„Jeder kann vom Empfänger zum Sender werden“

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Forschung zu Desinformation „Jeder kann vom Empfänger zum Sender werden“

Seit Beginn der Pandemie und auch im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 werden immer mehr Menschen mit Desinformationen konfrontiert. Wie sie sich im digitalen Raum verbreiten und warum sich das Phänomen immer mehr in die Messenger-Dienste verlagert, erklärt Martin Steinebach, der mit seinem interdisziplinären Forschungsprojekt Lösungsansätze finden will, um Desinformation besser zu bekämpfen. 

3 Min. Lesedauer

Porträtfoto Prof. Dr. Martin Steinebach

Wie sich Desinformationen verbreiten und wie man ihnen am effektivsten begegnet, dazu forscht Martin Steinebach vom Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie.

Foto: Fraunhofer SIT

Desinformation verbreitet sich nicht nur auf den sozialen Plattformen oder politischen Blogs, sondern zunehmend in geschlossenen Messenger-Diensten. Woran liegt das?

Steinebach: Messenger-Dienste haben den Vorteil, dass man dank der Schlüsselkommunikation geschlossene Gruppen aufbauen und in diesem schwer zu beobachteten Raum Inhalte austauschen kann. Also auch Falschinformationen, gezielte Desinformation bis hin zu Verschwörungstheorien. Vieler dieser Gruppen haben sich einer gewissen Denkweise bereits völlig verschrieben und sind kaum vom Gegenteil zu überzeugen. 
Zu einem noch größeren Problem wird Desinformation aber dann, wenn sie noch weitere Verbreitung findet.

Eine Desinformation kann in den Messenger-Systemen ihren Ursprung haben und dann in andere Medien überschwappen. Jede einzelne Person, die die Inhalte konsumiert, kann vom Empfänger zum Sender oder die Brücke zu einem anderen Medium werden und der Falschmeldung zu noch mehr Sichtbarkeit verhelfen. Mit der Forschungsfrage, wie sich Desinformationen verbreiten, wollen wir uns auch im Projekt DYNAMO genauer beschäftigen.

Professor Dr. Martin Steinebach forscht im Bereich Media Security und IT Forensics am Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) und übernimmt im Rahmen des Forschungsprojekts DYNAMO die Verbundkoordination.
Das gemeinsame Forschungsprojekt „Interdisziplinäre Ansätze zur Erkennung und Bekämpfung von Desinformation unter Betrachtung unterschiedlicher technischer Verbreitungsformen inklusive Messengerdienste“ (DYNAMO ) des Fraunhofer SIT, der Universitäten Duisburg-Essen und Kassel sowie der Hochschule der Medien Stuttgart wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und läuft seit September 2021.

Ihr Forschungsprojekt DYNAMO nimmt gerade Formen an. Was haben Sie vor?

Steinebach: Wir sind ein Konsortium aus vier Forschungspartnern, die mit Teilprojekten an vier Arbeitspaketen mitwirken. Zuerst werden wir den aktuellen Kenntnisstand zur Verbreitung von Desinformationen erfassen. Im zweiten Schritt erarbeiten wir, wo Desinformationen verstärkt auftreten und mit welchen technischen Methoden wir Desinformationen aus einem Messenger oder sozialem Medium umwandeln können, sodass wir sie langfristig analysieren können. Im dritten Schritt untersuchen wir, wie wir auf die Desinformationen reagieren könnten, beispielsweise mit einer Filterstrategie, mit Warnhinweisen oder Gegendarstellungen. Zum Schluss prüfen wir gemeinsam, welche der plausiblen Lösungsansätze am effektivsten wäre.

Dabei wollen Sie Desinformation aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Was erhoffen Sie sich von dem interdisziplinären Ansatz?

Steinebach: Welche Maßnahmen sind hilfreich, technisch möglich und rechtlich gerechtfertigt? Um diese Frage zu beantworten, braucht es einen interdisziplinären Ansatz, der Impulse aus der Informatik, Psychologie, Jura und dem Journalismus aufnimmt. Aus journalistischer oder psychologischer Sicht ist es interessant zu verstehen, was eine Desinformation besonders erfolgreich macht, also zu einer weiten Verbreitung führt. Trifft sie eher inhaltlich einen Nerv oder holt sie emotional ab? Eine technische Frage könnte sein, ob es möglich ist, die Verbreitung von Inhalten über Kanalgrenzen hinweg nachzuvollziehen. Kann man den Weg einer Nachricht im Messenger verfolgen, die dann auf einem YouTube-Kanal auftaucht? Und eine juristische Perspektive ist wichtig, um zu entscheiden, welche Eingriffsmöglichkeiten zulässig wären.

Ziel des Projektes ist es auch, Bürgerinnen und Bürger, Medien und Politik konkrete Handlungsempfehlungen zu geben. Was können Sie jeder und jedem Einzelnen im persönlichen Umgang mit Desinformationen mit auf den Weg geben? 

Steinebach: Desinformationen kommen bei unterschiedlichen Menschen ganz unterschiedlich an. 
Deshalb sollten wir uns unserer Rolle nicht nur als Empfänger, sondern auch als potentieller Sender bewusst machen. Idealerweise teilen wir Desinformationen gar nicht erst. Allerdings erlebe ich es immer wieder, dass Menschen unkommentiert Falschmeldungen weiterleiten, auch weil sie sie unterhaltsam finden. So kann es passieren, dass jemand diesen Inhalt glaubt, weil er oder sie dem Sendenden vertraut. Es wäre wichtig, ihn beim Weiterleiten klar als falsch zu markieren, damit die nächsten Empfänger diese Bewertung nicht erst selbst vornehmen müssen.
Außerdem sollten wir bewusst unterscheiden, wie wir Inhalte konsumieren. Suchen wir Informationen oder Unterhaltung? Es ist in Ordnung, zur Zerstreuung Sachen im Internet zu lesen, an die wir vielleicht gar nicht glauben. Allerdings können diese uns eventuell unterbewusst beeinflussen und wir die durch die Desinformation bewegten Bedenken am Ende doch verinnerlichen.