Dialogkonferenz am 19.01.2016 in Bonn

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Nachhaltigkeitsdialog Dialogkonferenz am 19.01.2016 in Bonn

Anregungen für die Diskussion gab Ulrich Kelber, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz in seinem Beitrag zum Thema "Weiterentwicklung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie" (Transkribierte Rede).

8 Min. Lesedauer

Nachhaltigkeitsdialog Bonn 19.01.2016 Fotoreihe Fotograf: Tobias Tanzyna, MR vorhanden, bei Frau Behrendt Nachhaltigkeit Dialog

Nachhaltigkeitsdialog Bonn

Foto: Tobias Tanzyna

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Sridharan,
sehr geehrte Frau Ministerin Hinz,
sehr geehrter Herr Minister Remmel,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich als Vertreter der Bundesregierung, Sie auf der Regionalkonferenz in Bonn begrüßen zu können. Ich tue dies natürlich besonders gerne in meiner Heimatstadt. Ihr Oberbürgermeister hat es richtig beschrieben: Die ganzen für Nachhaltigkeit zuständigen Organisationen der Vereinten Nationen, die nach Rio entstanden sind, haben in Bonn ihren Sitz gefunden. Sie haben damit hier einen wunderbaren Cluster, wie man das auf neudeutsch sagt, um mit vielen internationalen und nationalen Regierungs- und Nichtregierungs-organisationen die Debatte über nachhaltige Politik führen zu können.

Nachhaltigkeit ist Leitprinzip und Ziel aller Politik. Ich finde es gut, dass wir den Begriff beibehalten, nicht nachgeben gegenüber Versuchen, den Begriff der Nachhaltigkeit zu verwässern oder ihn in der Bedeutung zu verändern. Die Frage nach der Gleichrangigkeit von Zielen zu stellen, darf nicht dazu führen, Ziele in Wirklichkeit abzumildern.

Die Bundesregierung hat sich in dieser Legislaturperiode vorgenommen, die nationale Nachhaltigkeitsstrategie weiterzuentwickeln. Die Dialogkonferenzen sollen diesen Weg begleiten, um über die Ziele der Bundesregierung zu informieren, aber eben auch um Impulse und Anregungen aus den Regionen aufzunehmen. Ich freue mich über die rege Teilnahme aus allen Bereichen - Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und vor allem natürlich auch der Zivilgesellschaft. Und ich wünsche mir, dass wir in der Podiumsdiskussion und nachher in den Arbeitskreisen auch tatsächlich sehr zielgerichtet an dem arbeiten, was uns mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie bevorsteht.

In der Vergangenheit ist oft eine Diskussion über Nachhaltigkeit alleine im Hinblick auf Umweltfragen und dann in einem gewissen Widerspruch zu ökonomischen Zielen geführt worden. Ich war früher acht Jahre verantwortlich für die Umweltpolitik meiner Fraktion und habe das oft erlebt. Dann wurde versucht, die ökonomische Dimension sozusagen als Verwässerung der ökologischen aufzunehmen. So haben wir längst gelernt, dass wir diese Debatte, wenn wir sie vor allem mit den Vertretern des globalen Südens führen müssen, als eine allgemeine Nachhaltigkeitsdebatte führen müssen. Die Flüchtlingsbewegung, die natürlich Gesellschaft und Politik im Augenblick in Atem hält und die sehr entscheidend sein wird in der Ausprägung, wie wir in den nächsten Jahren gesellschaftliche Weiterentwicklung vorantreiben können, zeigt natürlich auch, was nicht-nachhaltige Politik ist und zwar auf allen Ebenen des Staates. Aber wir haben ja auch in anderen Bereichen durchaus ökologische Gründe für die Flüchtlingsbewegung, nicht nur Krieg oder politische Verwerfungen. Welche Folgen hat das für die Welt, wenn eine nicht-nachhaltige Politik Folgekosten verursacht? Deutlich wird die direkte Betroffenheit der Menschen, die unter diesen Entwicklungen leiden und sie dann so zum Ausdruck bringen.

Wir haben einen weiteren Hintergrund: im September wurden von den Vereinten Nationen die neuen Nachhaltigkeitsziele, die SDG, verabschiedet. Ich halte das in der Tat für ein gutes, ein großes Ergebnis, wenn so verschiedene Staaten mit so unterschiedlichen Zielsetzungen in ihrem ökonomischen oder gesellschaftlichen Bild sich auf diese 17 Ziele mit ihren Unterzielen einigen können. Deswegen hat sich die Bundesregierung vorgenommen, diese Struktur auch als Grundlage der Überarbeitung des nationalen Nachhaltigkeitsplanes heranzuziehen. Ich halte die SDG in dieser Form für einen wichtigen Beitrag zur Richtungsbestimmung gegen die Verwässerung der Begriffe (Green Washing) und vor allem auch für ein gemeinsames Verständnis von Nord-Süd. Das habe ich in all den Jahren gelernt, wie schwierig das für politische Vertreter ist. Und ich glaube auch die eine oder andere NGO hat das über die Jahre gelernt, wie unterschiedlich die Herangehensweise im Norden und im Süden, aber auch innerhalb der jeweiligen Gesellschaften, an das Thema war.

Wir brauchen Antworten und Lösungsvorschläge, auch von denen, die sich bisher vornehm, feige, bequem zurückgehalten haben. Das ist nichts, was man an andere delegieren kann. Die SDG gehen an einigen Stellen auch über das hinaus, was damals die Millennium Development Goals vorgegeben haben, die z. B. von der Halbierung der Armut gesprochen haben. Die SDG sprechen davon, die Armut zu beseitigen. Manche fürchten ja, wenn man sich große Ziele vornimmt, dass man dann auf jeden Fall scheitert. Ich glaube große Ziele können auch richtungsbestimmend für Politik sein; und wenn man sich die Erfolge in einem Land wie China, in einigen Ländern Lateinamerikas und auch in den stabilen Ländern Afrikas bei der Beseitigung von Armut ansieht, dann ist dieses Ziel, wenn man die richtigen Prinzipien, die richtige Politik, die richtige gesellschaftliche Entwicklung vorantreibt, nicht außerhalb der Reichweite.

Die Anforderungen richten sich an die Industrieländer in ganz besonderer Weise. Es wird notwendig sein, unsere Wirtschafts-, Konsum- und Lebensweise in einer Form zu verändern, dass sie weltverträglich wird; dass sie so ausgelegt ist, dass alle Menschen diese Form zu leben wahrnehmen können und trotzdem die Welt dauerhaft bewohnbar bleibt, auch für zukünftige Generationen. Und deswegen wird es eben notwendig sein, dass wir eine sehr wirklichkeitsnahe Beschreibung von dem Transformationsprozess vornehmen, der in Industrieländern stattfinden wird, damit wir ein wirkliches Vorbild auch für die Lebensstile anderer Länder werden können; nicht nur von dem Ergebnis, sondern auch in der Art und Weise wie man Wohlstand und Stabilität erreicht.

Demografische Entwicklung, die globale Technikdurchdringung – und dort vor allem auch die Digitalisierung – sind natürlich große Treiber in den nächsten 15 Jahren, in denen die SDG angelegt sind. Ich glaube, dass wir in einigen dieser Bereiche heute die Anfänge eines Epochenumbruchs, einer Zeitenwende sehen, die uns helfen kann die Nachhaltigkeitsentwicklung voranzutreiben; die sie aber eben durchaus auch schwieriger machen kann.

Die Weltbevölkerung wird bis 2030 um weitere ein- bis anderthalb Milliarden Menschen ansteigen. Wir werden erleben, dass einige Technologien sehr schnell zum Durchbruch kommen. Und wenn man sich an die Debatte über die Kosten der Entwicklung der Photovoltaik in Deutschland erinnert, muss man heute trotzdem sagen, wir haben einen wichtigen Beitrag als Deutschland geliefert, dass eine Technologie zum Durchbruch gekommen ist, die wahrscheinlich mit reiner Wissenschaftsuntersuchung noch 20 oder 30 Jahre gedauert hätte. Sie kann heute helfen, allen Menschen den Zugang zu sauberer Energie zu geben und die bisherige nichtverträgliche Energieversorgung umzustellen auf erneuerbare Energien. Im Bereich der Digitalisierung werden wir erleben, dass die nächsten 15 Jahre mehr technologische Veränderungen bringen als die letzten 50 Jahre. Davon bin ich als Informatiker natürlich fest überzeugt.

Wie nehmen wir diese Chancen wahr, wie gehen wir mit den Risiken um, wie kann man, wenn Aufgaben so komplex sind, sich in einer Form verhalten, nicht Angst vor Komplexität zu haben, sondern auch wenn man 169 Unterziele hat sie anzugehen? Wir werden nicht alle Probleme gleichzeitig lösen können. Ich halte die SDG übrigens auch nicht für eine Abkehr von Prioritäten, aber eben für eine Möglichkeit, Probleme so anzugehen, dass sie nicht ein anderes Problem in der gleichen Zeit vergrößern, wenn ich das erste Problem angehe.

Eine politisch anzustrebende nachhaltige Welt, in der muss die Menschenwürde geachtet werden, muss Rechtsstaatlichkeit herrschen. Allein schon deswegen, weil, wenn beides herrscht, Armut nicht zugelassen werden kann.

Die Wirtschaft muss in eine nahezu völlige Stoffkreislaufwirtschaft höchster Effizienz übergehen und sie muss sich ausschließlich über regenerative Energiequellen antreiben lassen. Wenn ich das aus der Perspektive des Staatssekretärs für Justiz und Verbraucherschutz ansprechen darf, wir unterhalten uns natürlich auch darüber, wie wir das definieren.

Wir haben aber ganz provokativ gesagt: „Nachhaltigkeit ist Rechtsstaatlichkeit plus Kreislaufwirtschaft.“ Ich weiß, dass es seit dem frühen 18. Jahrhundert auch andere Definitionen gibt, aber wir sagen das, um unsere Arbeit ein Stückchen zu bestimmen.

Die Achtung, der Schutz der Würde des Menschen ist absolute Grundlage und nicht einschränkbar, auch wenn wir viele Jahre in Deutschland eine Debatte hatten, in der immer von der Gleichrangigkeit der Ziele gesprochen wurde. Nur wenige wissen, dass diese Formulierung von einem Lobbyverband eingeführt wurde, der Industrie.

Nein, Menschenwürde lässt sich nicht einschränken! Auch nicht im Vergleich zu anderen Zielen und planetarischen Grenzen, die wir in der Ökologie haben müssen und die ebenfalls bei allen Lösungsversuchen eingehalten werden müssen. Sie können nicht überschritten werden, ohne nicht andere große Probleme mit sich zu bringen. Für uns heißt das natürlich auch Veränderungen in vielen einzelnen Politikfeldern.

Ich hab das gerade beschrieben, aber wenn wir zum Beispiel von der Kreislaufwirtschaft sprechen, verändert sich natürlich Verbraucherpolitik, um nur ein Teilfeld unseres Unternehmens zu sehen. Wenn wir versuchen, über Nutzerinnen und Nutzer anstatt über Verbraucher zu sprechen, über andere Herangehensweisen an Produkte und Dienstleistungen, dann müssen sich auch die Bedingungen, zu denen das passiert – von Vertragsrecht bis zu Verbraucherrechten – verändern. Wir müssen fragen, welche Aufgabe das Verbraucherinnen und Verbrauchern gibt. Wir machen eine Verbraucherpolitik und wir sagen, man muss auch, wenn man verantwortungsvoll sein will, die Informationen und die Wahlmöglichkeiten haben. Gleichzeitig muss man die Grenzen kennen: Zu glauben, dass Verbraucherinnen und Verbraucher alleine die Nachhaltigkeit herbeiführen können, stimmt nicht.

Die Rahmenbedingungen, unter denen produziert werden muss - weltweit und national-, müssen natürlich so sein, dass man, auch wenn man mal im Vorbeigehen einkauft, wenn man mal nicht bei jeder Sache alle Informationen über alle Zusammenhänge hat, trotzdem keine Entscheidungen trifft, die zum Nachteil anderer, sei es anderer auf der Welt oder zukünftiger Generationen sind. Das müssen sich alle Teile der Bundesregierung und auch der politischen Spitzen auf kommunaler und auf Landesebene jetzt vornehmen, im Prozess einer Weiterentwicklung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie.

Ich freue mich über viele Anregungen in diesem Prozess und wünsche der Veranstaltung einen guten Verlauf.

Vielen Dank!