Mutiger werden, Neues wagen

Bundesforschungsministerin Karliczek im Interview Mutiger werden, Neues wagen

Mit der Hightech-Strategie hat die Bundesregierung wichtige Weichen für die Zukunft Deutschlands gestellt, betont die Bundesforschungsministerin zur Veröffentlichung des Fortschrittsberichts zur HTS. Im Interview erläutert Karliczek, welche Wegmarken in den vergangenen zwölf Monaten bereits erreicht wurden.

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Leicht seitliches Porträt von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek.

Seit März 2018 im Amt als Bundesforschungsministerin: Anja Karliczek.

Foto: imago/photothek

Vor einem Jahr hat das Bundeskabinett die neue Hightech-Strategie 2025 beschlossen. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie nach den ersten zwölf Monaten?

Anja Karliczek: Eine positive! Die Hightech-Strategie 2025 knüpft an eine echte Erfolgsgeschichte unserer Innovationspolitik an. Gerade angesichts einer unsicheren globalen Wirtschaftslage sind Bildung, Forschung und Innovationen von zentraler Bedeutung. Wir haben mit der neuen Hightech-Strategie auf aktuelle Herausforderungen reagiert und mit den zwölf Missionen wichtige neue Elemente eingeführt. Wir wollen so noch stärker dazu beitragen, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und den sozialen Ausgleich zu wahren. Die Menschen engagieren sich für Fragen der Nachhaltigkeit, für Klimaschutz und für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland. Das zeigt deutlich, dass diese Themen in unserem Land im Mittelpunkt stehen.

Was bedeutet das im Einzelnen?

Karliczek: In den vergangenen zwölf Monaten haben wir einiges erreicht. Um Ihnen drei konkrete Beispiele im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit zu nennen: Im Juni 2019 haben wir den Startschuss für die Wissenschaftsplattform zum Klimaschutzplan 2050 gegeben. Die neue Plattform wird das wissenschaftliche Fundament und das technische Know-how für den Übergang zur CO2-freien Wirtschaft und Gesellschaft liefern.

Mit zentralen Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft haben wir in den vergangenen Monaten auch die Fortschreibung unseres Rahmenprogramms Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA) vorbereitet. Digitalisierung soll dabei noch stärker als Motor für Nachhaltigkeit genutzt werden. Und im Februar haben wir die "Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt" als vierte Leitinitiative des Rahmenprogramms FONA gestartet. Mit 200 Millionen Euro bringen wir die Biodiversitätsforschung in den nächsten fünf Jahren maßgeblich voran.

Sie haben gerade schon darauf hingewiesen, dass wir uns weltweit in schwierigen Zeiten befinden. Ist Deutschland Ihrer Meinung nach für die Zukunft hinreichend gerüstet?

Karliczek: Alle Experten bestätigen uns, dass wir in Deutschland über ein sehr leistungsfähiges Innovationssystem verfügen. Noch nie wurde in Deutschland so viel geforscht und entwickelt wie heute. Darauf ruhen wir uns nicht aus. Wir müssen weiterhin alles dafür tun, eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Das fängt bei unseren Investitionen in die Zukunft an.

Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, spätestens ab dem Jahr 2025 gemeinsam mit den Ländern und der Wirtschaft jährlich 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren. Mit der Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung werden wir außerdem Investitionen in Forschung und Innovation in der Breite der deutschen Unternehmenslandschaft noch attraktiver machen.

Ich glaube aber auch, dass allein mehr Ausgaben nicht ausreichen. Wir müssen auch mutiger werden und Neues wagen. Genau dafür steht die Agentur für Sprunginnovationen , für die wir mit Herrn Laguna einen exzellenten Gründungsdirektor ausgewählt haben. Sie wird radikale technologische und marktverändernde Neuerungen fördern und ihnen zum Durchbruch verhelfen und so das deutsche Innovationssystem um eine entscheidende Komponente erweitern.

Sie haben die Missionen der Hightech-Strategie 2025 bereits angesprochen. Wie weit ist die Bundesregierung hier mit der Umsetzung?

Karliczek: Wir haben uns für jede Mission ehrgeizige Ziele gesetzt, die deutlich über das Ende der Legislaturperiode hinaus reichen. Natürlich haben wir nach einem Jahr diese Missionen noch nicht vollendet. Unser Fortschrittsbericht zeigt aber, dass wir sie erfolgreich auf die Spur gesetzt und wichtige Meilensteine bereits erreicht haben.

In der Mission "Krebs bekämpfen" wollen wir zum Beispiel den Transfer von Ergebnissen aus der Spitzenforschung fördern, damit jede Patientin und jeder Patient in Deutschland vom medizinischen Fortschritt profitieren kann. So können wir den Anteil früh erkannter, heilbarer Krebserkrankungen messbar erhöhen. Wir wollen möglichst viele Krebsneuerkrankungen verhindern und Krebspatientinnen und -patienten ein besseres Leben ermöglichen.

Dafür haben wir unter dem Dach des neuen Rahmenprogramms Gesundheitsforschung die Nationale Dekade gegen Krebs ausgerufen. Ebenfalls im Januar haben wir eine Förderbekanntmachung "Förderung praxisverändernder klinischer Studien zur Prävention, Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen" veröffentlicht.

Das klingt nach großen Herausforderungen. Was ist denn eigentlich das Neue an den Missionen der Hightech-Strategie 2025?

Karliczek: Innovationen werden heute deutlich breiter verstanden als früher. Es geht um innovative Technologie, aber auch um soziale Innovationen. Sie sind Voraussetzung dafür, dass wir drängende Probleme unserer Zeit lösen können. Dazu müssen alle mitmachen: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Besonders wichtig für den Erfolg der Hightech-Strategie ist es, dass wir uns von Anfang an abstimmen und die Aktivitäten aller Ministerien der Bundesregierung zusammenführen. Das können Sie auch gut in den konkreten Missionen sehen, in denen wir im Ressortkreis je nach Thema und Zuständigkeit zusammenarbeiten.

Auch das möchte ich an einem Beispiel erläutern: In der Mission "Plastikeinträge in die Umwelt substanziell verringern" arbeiten fünf Bundesministerien gemeinsam an der Umsetzung der Mission. Hier haben wir zusammen ein vielfältiges Maßnahmenbündel zusammengeschnürt. Konkret nennen möchte ich hier nur drei Maßnahmen: Den bis 2021 laufenden Forschungsschwerpunkt "Plastik in der Umwelt – Quellen – Senken – Lösungsansätze", den im November 2018 vorgelegte Fünf-Punkte-Plan zur Vermeidung von Plastik und die Förderung von Forschung und Entwicklung zu biobasierten Kunststoffen in der Bioökonomie.

Kann mit Forschung und Technik denn wirklich jedes Problem gelöst werden?

Karliczek: Natürlich nicht. Innovative Technologien sind zwar eine notwendige Voraussetzung, zum Beispiel wenn wir erneuerbare Energien wirtschaftlich nutzen wollen. Ohne die Menschen, die Lösungen dann auch umsetzen, die ihr Verhalten ändern und die neue Ideen einbringen, wird es aber nicht gehen. Wir müssen die Menschen dazu allerdings auch befähigen. Dazu braucht es die richtige Fachkompetenz, es braucht eine moderne Aus- und Weiterbildung, die auf Zukunftstechnologien ausgerichtet ist, und natürlich braucht es auch die Gelegenheit für die Menschen in unserem Land, bei der Entwicklung neuer Lösungen mitzuwirken.

Zum Beispiel beim Thema Bildung haben wir in den vergangenen Monaten viel erreicht. Wir haben den DigitalPakt Schule auf den Weg gebracht, eine Fachkräftestrategie zur Erschließung der inländischen, europäischen und internationalen Fachkräftepotenziale beschlossen und im Juni 2019 eine nationale Weiterbildungsstrategie vorgestellt.

Gerade in den vergangenen Monaten ist der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland wieder stärker auf die Tagesordnung gekommen. Sehen Sie hier eine Rolle für die Innovationspolitik?

Karliczek: Aber sicher! Nehmen Sie zum Beispiel unsere Mission "Gut leben und arbeiten im ganzen Land". Hier wollen wir die Innovationspolitik nutzen, um Wohlstand und Lebensqualität im ganzen Land zu steigern, also auch in den Regionen, die heute nicht so gut dastehen. Und auch hier sind wir seit dem Start der Hightech-Strategie 2025 ein gutes Stück weiter gekommen. Im Konzept "Chancen.Regionen" bündeln wir jetzt zum Beispiel verschiedene Förderinstrumente für strukturschwache Regionen in Deutschland und integrieren dazu Perspektiven aus Bildung, Forschung und Innovation.

Mit unserem neuen Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) wollen wir die Strukturen von Teilhabe und Zusammenhalt in ländlichen und städtischen Lebensräumen untersuchen. Wir werden außerdem ein gesamtdeutsches Fördersystem für strukturschwache Regionen entwickeln, in dem wir zentrale Förderprogramme der Bundesregierung bündeln. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Zusammenhalt in Deutschland mit Forschung und Innovation entscheidend stärken können.

Wir sprechen heute viel darüber, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mehr mitbestimmen wollen. Sind Sie darauf vorbereitet?

Karliczek: Es stimmt, die Menschen wollen ernst genommen werden und unsere Politik aktiv mitgestalten. Ich sehe hier die Hightech-Strategie 2025 als echtes Vorbild, wie Politik gemeinsam mit den Menschen gestalten werden kann. Wir führen regelmäßig Dialoge mit Bürgerinnen und Bürgern zu aktuellen Themen durch, beispielsweise im Rahmen der "Bürgerdialoge zur Zukunft Europas" oder zur KI anlässlich der Zukunftskonferenz 2019. Wir haben den Bereich der Bürgerwissenschaften insgesamt weiter gestärkt und ausgebaut. Und auch die Förderung der Vernetzungsplattform "BürgerSchaffenWissen" wird fortgesetzt. Wir laden alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ein, die Zukunft gemeinsam zu gestalten!