„Es besteht ein enormer Aufholbedarf“

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Interview zu Ostdeutschen in Führungspositionen „Es besteht ein enormer Aufholbedarf“

Noch immer gibt es zu wenige Ostdeutsche in Führungspositionen. Die Bundesregierung will das in der Bundesverwaltung ändern – und hat dafür erstmals ein Konzept vorgelegt. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, ist ein Behördenchef, der aus dem Osten stammt. Im Interview spricht er darüber, was sich ändern muss.

4 Min. Lesedauer

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, hat für einen Anteil von mehr 30 Prozent Ostdeutscher in Führungspositionen in seiner Behörde gesorgt.

Foto: Gordon Welters/laif/bpb

Einer Erhebung der Bundesregierung zufolge gibt es zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen der Bundesverwaltung. Was sagen Sie dazu?

Thomas Krüger: Mich hat das nicht sonderlich überrascht. Schon seit Jahren kommen eigentlich alle Studien zu ähnlichen Ergebnissen. Und das ist nicht nur in der Bundesverwaltung so, sondern in allen Lebensbereichen: An Gerichten, an Universitäten, in den Medien und natürlich auch in Unternehmen. Auch in Bundesinstitutionen besteht natürlich ein enormer Aufholbedarf. Laut einer Studie im Auftrag des MDR müssten fünfmal so viele Ostdeutsche in Führungspositionen sein, um in etwa dem Anteil an der Gesamtbevölkerung zu entsprechen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

Krüger: Die Gründe dafür liegen einerseits in der deutschen Geschichte – bereits im letzten Jahr der DDR, 1990, wurden die allermeisten Eliten ausgetauscht. Die Wirkungen dieses Elitenaustauschs – nicht nur in staatlichen Institutionen, sondern auch in Wirtschaft, Medien und Wissenschaft – halten bis heute an. Dadurch greifen auch durchaus vorhandene Netzwerke von Ostdeutschen weniger. Und die sind wichtig für die Karriere. Ähnlichkeit ist auch ein wichtiger Faktor. Führungskräfte in Organisationen, ob privat oder staatlich, ticken meist so, dass sie eher Menschen mit einem ähnlichen Background und ähnlichen Erfahrungen zu sich holen. „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ heißt es nicht umsonst im Volksmund. Und last but not least: 80 Prozent der Ostdeutschen haben in den 90ern ihren Job verloren. Das sind Erfahrungen, die ganze Biografien prägen. Dieser Rückstand ist noch längst nicht aufgeholt.

Die Bundesregierung will den Anteil Ostdeutscher in Führungspositionen der Bundesverwaltung erhöhen. Grundlage des Konzepts ist eine fundierte Datenerhebung in der Bundesverwaltung. Danach liegt der Anteil ostdeutscher Führungskräfte in obersten und oberen Bundesbehörden etwa bei 13,5 Prozent mit Berlin (ohne Berlin: 7,4). Der Anteil Ostdeutscher an der Gesamtbevölkerung beträgt etwa 20 Prozent. Das Konzept sieht unter anderem die Ansiedlung neuer Bundesbehörden in Ostdeutschland, den Ausbau der Zusammenarbeit mit den ostdeutschen Landesregierungen und eine jährliche Datenerhebung vor. Mehr dazu lesen Sie hier: Mehr Ostdeutsche in Führungspositionen

Als Ostdeutscher haben Sie Karriere gemacht. Wie haben Sie das geschafft? Erlebten Sie dabei Widerstände oder gar Vorteile?

Krüger: Als ich im Jahr 2000 zur Bundeszentrale für politische Bildung kam, habe ich die Anzahl der Ostdeutschen dort verdoppelt: Aus einem Ostdeutschen wurden zwei. Insgesamt waren es 200 Mitarbeitende. Das war durchaus gewöhnungsbedürftig – für beide Seiten. Unterschiedliche Kulturen und Erfahrungen prallten da aufeinander. Das war nicht immer leicht. Über Vorteile muss ich jetzt erstmal nachdenken. Das Erwachsenwerden in der DDR hat rückblickend einen großen Einfluss auf mein Leben und war eine Art Trainingslager für die Herausforderungen der Freiheit und Demokratie. Das hat mich durchaus geprägt und mir viele Kompetenzen mit auf den Weg gegeben.

Wie ist das Verhältnis von West- und Ostdeutschen in Ihrer Behörde in Führungspositionen und insgesamt?  

Krüger: Miserabel. Wenn ich in Rente gehe in zwei Jahren, dann wird es nur noch zwei ostdeutsche Behördenleiter innerhalb aller Bundesbehörden geben. Das ist doch wirklich kein gutes Zeichen, mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung! Zum Glück hat sich das innerhalb der bpb gewandelt, das macht mich stolz. Von den 14 Leiterinnen und Leitern innerhalb der Fachabteilung in meiner Behörde sind sechs östlich der früheren Mauer geboren (fünf auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, eine Leiterin kommt aus der Ukraine), also immerhin rund 42 Prozent Führungskräfte mit „Osthintergrund“.

Wie wollen Sie das Vorhaben der Bundesregierung, mehr Ostdeutsche in Führungspositionen zu bringen, umsetzen?

Krüger: Zwei Ebenen müssen wir dabei beachten: die Diskriminierung einerseits und soziokulturelle Effekte – also eben Themen wie Netzwerke und Biografien. Hier müssen wir sensibilisieren, aber auch mit politischer Bildung ansetzen und die Transformation vom geteilten zum vereinten Deutschland thematisieren. Vielleicht ist es an der Zeit, mehr von „deutscher Vielfalt“ zu sprechen statt von einer kaum erreichbaren „inneren Einheit“.

Das „Konzept zur Steigerung Ostdeutscher in Führungspositionen" sieht eine Selbstverpflichtung der Behördenleitungen vor. Wäre auch eine Quote ein Weg?

Krüger: Das Thema Quote in Führungspositionen polarisiert stets, wie wir bei der jahrelangen Debatte um eine Frauenquote erleben. Dabei lenkt diese Debatte für und wider einer Quote von der eigentlichen Arbeit ab, die geleistet werden muss: der Abbau von Diskriminierung, von Hindernissen für qualifizierte Personen – und ein Schaffen einer Kultur, die auch Leute akzeptiert, die vom bisherigen Standard abweichen. Wie sonst sollen wir als sich immer weiter diversifizierende, moderne Gesellschaft fit werden für die dynamischen Zeiten, in denen wir leben?

Mit einem Anteil von mehr als 30 Prozent Ostdeutscher in Führungspositionen hebt sich die Bundeszentrale für politische Bildung  (bpb) deutlich vom Durchschnitt der anderen Behörden ab. Im Zentrum ihrer Arbeit steht die Förderung des Bewusstseins für Demokratie und politische Partizipation. Aktuelle und historische Themen greift sie mit Veranstaltungen, Printprodukten, audiovisuellen und Online-Produkten auf. Seit 1952 engagieren sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der bpb für die Stärkung der Demokratie und der Zivilgesellschaft – zunächst in der alten Bundesrepublik und seit 1989 in ganz Deutschland.