„Beim Bürgergeld setzen wir auf Motivation“

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Jobcenter „Beim Bürgergeld setzen wir auf Motivation“

Bürgernah, zielgerichtet, weniger bürokratisch: Mit dem Bürgergeld hat sich einiges geändert. Das Ziel: Menschen besser qualifizieren, um sie dauerhaft in Arbeit zu bringen. Im Interview erzählt Jens Krüger vom Berliner Jobcenter, warum es wichtig ist, die Erfolge der Betroffenen sichtbar zu machen. Und dass auch eine Beratung auf der Parkbank zum Ziel führen kann.

5 Min. Lesedauer

Eine Person geht in einem Jobcenter am Schriftzug „Job finden“ vorbei.

Aus- und Weiterbildung statt Vermittlung des erstbesten Jobs: Verantwortlich für das Bürgergeld sind die Jobcenter.

Foto: picture alliance/dpa

Herr Krüger, seit etwas über einem Jahr gibt es das Bürgergeld. Viele Menschen verbinden damit nur den Regelsatz, der sich deutlich erhöht hat. Doch das Bürgergeld ist viel mehr. Was ist für Sie als leitender Pressesprecher der Berliner Jobcenter die größte Veränderung?

Jens Krüger: Für mich ist die größte Veränderung der Blickwinkel, mit dem unsere Kundinnen und Kundinnen, die Jobcenter und unsere Zusammenarbeit betrachtet werden. Wir als Berliner Jobcenter hatten schon immer den Anspruch, auf Augenhöhe mit unseren Kundinnen und Kunden zusammenzuarbeiten – sie zu unterstützen und da neue Türen zu öffnen, wo vielleicht ein Umbruch im Leben stattgefunden hat. Das Bild der Jobcenter in der Gesellschaft hat diese Arbeit leider zu häufig überdeckt.

Mit der Einführung des Bürgergelds haben wir nun stärker die Möglichkeit, auf die Geschichten hinter den Menschen zu blicken. Und in der Praxis neue Wege einfach mal auszuprobieren. Wer sagt denn, dass unsere Beratung immer im Bürogebäude der Jobcenter stattfinden muss? Wir beraten nun stärker dort, wo die Menschen sind, wo wir auch das soziale Umfeld mitbekommen – in den Berliner Kiezen, auf Nachbarschaftsfesten oder im Einkaufscenter.

Wie sieht die neue Zusammenarbeit zwischen Arbeitssuchenden und Jobcenter-Mitarbeitern aus? 

Krüger: Rückblickend und auch selbstkritisch würde ich sagen, dass vieles in den Jobcentern einfacher geworden ist. Mit der Einführung des Bürgergelds wurde zum Beispiel die alte Eingliederungsvereinbarung durch den viel einfacheren Kooperationsplan ersetzt. Statt langer Belehrungen über mögliche Rechtsfolgen und unzählige Paragrafen, können wir uns nun noch stärker auf den einzelnen Menschen konzentrieren.

Das Bürgergeld , die „Grundsicherung für Arbeitssuchende“, hat im Januar 2023 das Arbeitslosengeld II – auch „Hartz IV“ genannt – abgelöst. Es war eine große Sozialreform: Menschen, die in existenzielle Not geraten sind, werden finanziell abgesichert und gleichzeitig dabei unterstützt, aus dieser Situation so schnell wie möglich wieder herauszufinden. Kern des Bürgergeldes ist es dabei, die Menschen besser zu qualifizieren und dauerhaft in Arbeit zu bringen. Verantwortlich dafür sind die Jobcenter.

Was ist mit dem Kooperationsplan anders?

Krüger: Der Kooperationsplan ist jetzt vielmehr der logische Fahrplan in der gemeinsamen Zusammenarbeit. Wir schauen zusammen, was das nächste Ziel unserer Kundinnen und Kunden ist und gehen dann Schritt für Schritt voran. So schaffen wir es, in der schwierigen Zeit der Arbeitslosigkeit Erfolge sichtbar zu machen. Das kann ungemein motivieren. Das ist meiner Meinung nach der Kern der Bürgergeldreform – auf Motivation zu setzen. 

Was hat sich in der Betreuung Ihrer Kundinnen und Kunden konkret verändert?

Krüger: Die Gründe für eine lange Arbeitslosigkeit sind meist komplex. Persönliche Rückschläge und auch Themen wie Sucht, psychische Erkrankung, Pflege von Angehörigen oder Kinderbetreuung spielen eine Rolle. Auch hier haben wir nun mit dem Bürgergeld die Möglichkeit, Menschen viel umfänglicher zu unterstützen – mit dem Fallmanagement in den Jobcentern und dem neu eingeführten Instrument der ganzheitlichen Betreuung. Das Bürgergeld greift damit viel stärker die Lebenswirklichkeit unserer Kundinnen und Kunden auf.

Jens Krüger, leitender Pressesprecher der Jobcenter Berlin.

Jens Krüger verantwortet seit Januar 2023 als leitender Pressesprecher die Presse- und Marketingarbeit aller zwölf Jobcenter in Berlin.

Foto: Jobcenter Berlin Mitte

Mit dem Bürgergeld soll mehr Bürgernähe hergestellt werden. Wie erreichen Sie das? 

Krüger: Bürgernähe ist für uns nicht erst seit der Einführung des Bürgergeldes ein wichtiges Thema. Wir haben jedoch die Reform dafür genutzt, uns immer wieder aktiv zu hinterfragen: Ist das, was wir machen, verständlich für die Menschen? Schreiben und sprechen wir so, dass unsere Kundinnen und Kunden uns verstehen? Und verstehen wir auch ihre Anliegen?

Natürlich müssen wir unsere Entscheidungen so formulieren, dass diese rechtssicher sind und auch vor Gericht Bestand haben. Aber was bringt uns der rechtssicherste Bescheid, wenn der Mensch, für den wir die Entscheidung treffen, die Entscheidung nicht mehr versteht. Das wird immer ein Spagat für uns bleiben. In den Jobcentern gehen wir heute aber stärker in die Diskussion dazu. Am Ende treffen wir unsere Entscheidungen ja für unsere Kundinnen und Kunden und nicht für ein Gericht. Aus meiner Sicht fängt eine nahbare Kommunikation aber schon viel früher an.

Wie meinen Sie das?

Krüger: Wie so oft sind es die kleinen Details, die am Ende das Erlebnis mit dem Jobcenter ausmachen. Bisher zum Beispiel haben wir zur Mitwirkung „aufgefordert“, wenn wir weitere Unterlagen zu einem Antrag gebraucht haben. Nun bitte wir um „Mithilfe“. Wir achten mehr darauf, dass wir die Zusammenarbeit mit unseren Kundinnen und Kunden auch sprachlich umsetzen. Es macht eben einen Unterschied, ob wir sagen „Du bekommst einen Termin“ oder „Wir vereinbaren gemeinsam den nächsten Termin.“

Und wenn wir von Bürgernähe sprechen, dann meinen wir das wortwörtlich. Wie schon gesagt: Wir sind da, wo die Menschen sind. Wir sind in deiner Nähe. Wir beraten in deinem Kiez. Komm gern vorbei.

Haben Sie schon einen Eindruck gewinnen können, wie die Menschen im Bürgergeldbezug die Veränderungen annehmen? 

Krüger: Am schönsten sind für mich natürlich immer die Erfolgsgeschichten, von denen mir meine Kolleginnen und Kollegen aus der Arbeitsvermittlung oder aus dem Leistungsbereich begeistert berichten. Von den Menschen, die nun neuen Mut gefasst haben, mit uns zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel ein junger Mann, Anfang 30, der seit mehreren Jahren nicht mehr im Jobcenter war. Wohnungslos, und seit Corona hat er auch keine Zuflucht mehr bei Freunden gefunden. Meine Kolleginnen und Kollegen haben aber nicht lockergelassen. Und dann hat es plötzlich geklappt: Er kam zu einer Beratung auf einer Parkbank und ist jetzt wieder regelmäßig bei uns im Fallmanagement. Natürlich ist es jetzt noch ein weiter Weg in Arbeit. Aber der Anfang ist getan.

Jobcenter haben vielfältige Aufgaben: Sie ermitteln den Bedarf und zahlen monatlich einen bestimmten Pauschalbetrag an die Betroffenen aus. Außerdem betreuen und vermitteln sie die Menschen in Arbeit. Darüber hinaus fördern die Einrichtungen Eingliederungsmaßnahmen und berufliche Weiterbildungen. In Deutschland gibt es 406 Jobcenter. Mehr Informationen finden Sie beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales .

Besser qualifizieren – diese Maßnahmen sind neu
Zwei Drittel der Bürgergeld-Berechtigten haben keinen verwertbaren Berufsabschluss. Mit dem Bürgergeld-Gesetz wurde der Vermittlungsvorrang abgeschafft. Das heißt, die Menschen müssen nicht mehr den erstbesten Job annehmen. Stattdessen wird jetzt stärker auf Aus- und Weiterbildung gesetzt. Was ist neu?
- Es besteht Anspruch auf den nachträglichen Erwerb eines Berufsschulabschlusses
- Ein Weiterbildungsgeld von 150 Euro gibt es für eine abschlussorientierte Weiterbildung, zum Beispiel eine Umschulung.
- Die Weiterbildungsprämie erhält, wer erfolgreich an einer abschlussorientierten Weiterbildung teilgenommen hat.
- Der Kooperationsplan hat die formale Eingliederungsvereinbarung abgelöst. Er dient als „roter Faden“ für die Arbeitssuche und wird gemeinschaftlich von Jobcenter-Beschäftigten und Bürgergeld-Beziehenden erarbeitet. 
- Wer aufgrund vielfältiger individueller Probleme besondere Schwierigkeiten hat, Arbeit aufzunehmen, kann eine umfassende Betreuung – ein Coaching - in Anspruch nehmen.