Deutschland ist keine "Abstiegsgesellschaft"

6. Armuts- und Reichtumsbericht im Kabinett Deutschland ist keine "Abstiegsgesellschaft"

Der überwiegende Teil der Menschen in Deutschland lebt in stabilen sozialen Lagen. Das ist einer der zentralen Befunde des 6. Armuts- und Reichtumsbericht, den das Kabinett verabschiedet hat. Die Einkommensverteilung ist stabil, die Vermögensungleichheit sinkt leicht. Finden Sie hier die wesentlichen Befunde im Überblick.

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Fußgängerzone in München mit Menschen mit Gesichtsmasken.

Erste Daten weisen darauf hin, dass die Sozialschutzpakete bislang negative Verteilungseffekte durch die Pandemie weitgehend vermieden haben.

Foto: imago images/Ralph Peters

Warum gibt es einen Armuts- und Reichtumsbericht?

In jeder Legislaturperiode berichtet die Bundesregierung über Armut und Reichtum in Deutschland. Das wurde vom Bundestag am 27. Januar 2000 und 19. Oktober 2001 beschlossen. Der Bericht dient dazu, die Lebenslagen der Bürgerinnen und Bürger zu analysieren, die Wirksamkeit der bisherigen Politikansätze zu überprüfen und neue Maßnahmen anzuregen.

Wie in den Vorgängerberichten wurden auch für den 6. Armuts- und Reichtumsbericht Lebenslage-Dimensionen wie Einkommen und Vermögen, Bildung, Erwerbstätigkeit, Gesundheit und Wohnen differenziert betrachtet und mit Blick auf die damit verbundenen sozialen Aufstiegschancen und Abstiegsrisiken bewertet.

Welche Daten liegen dem Bericht zugrunde?

Für den Bericht wurden erstmals Einzelinformationen aus verschiedenen Dimensionen (Einkommen, Vermögen, Erwerbsintegration und Wohnungsausstattung) miteinander verknüpft. Somit können soziale Lagen auch in der Gesamtschau bewertet und im Zeitablauf verglichen werden.

Ebenfalls erstmals durchgeführt wurde eine Untersuchung zur Verfügbarkeit und Inanspruchnahme der sozialen Infrastruktur und von Angeboten der Daseinsvorsorge. Damit nimmt der Bericht ergänzend die Bedeutung nicht-monetärer Leistungen für soziale und gesellschaftliche Teilhabe in den Blick.

Analysiert wurde auch, wie Verteilungsergebnisse und soziale Mobilität individuell erfahren und bewertet werden. Dazu fand eine repräsentative Bevölkerungsbefragung statt. Zudem wurden Personen aus benachteiligten sozialen Lagen zu ihren Biografien, ihrer Lebenssituation und ihren Zukunftsaussichten persönlich interviewt.

Was sind die wesentlichen Befunde des 6. Armuts- und Reichtumsbericht?

  • Bis zum Jahr 2019 – vor der Corona-Pandemie – haben alle Einkommensbereiche von der günstigen Wirtschaftsentwicklung profitiert. Die mittleren Einkommen sind mindestens ebenso stark gestiegen wie die Einkommen im unteren Bereich der Einkommensverteilung. Die Erwerbstätigkeit hat zugenommen.
  • Die Vermögensungleichheit ist im letzten Jahrzehnt leicht gesunken, doch gibt es hier noch Verbesserungspotentiale.
  • Änderungen der nominalen Einkommen, also desjenigen Entgelts, das ein Arbeitnehmer für seine Arbeitsleistungen erhält, haben fast über die gesamte Vermögensverteilung zu höheren Vermögen geführt, wobei insbesondere die Mitte von der Verteilung profitiert hat.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: „Der gesetzliche Mindestlohn hat gewirkt: Die Stundenlöhne bei den Beschäftigten im untersten Zehntel der Einkommensverteilung sind in den letzten Jahren am stärksten gestiegen. Allerdings müssen wir feststellen, dass sich in den letzten Jahrzehnten eine Verfestigung von Armutslagen ergeben hat.“

  • Der überwiegende Teil der Menschen lebt in stabilen sozialen Lagen: „Deutschland ist keine ‚Abstiegsgesellschaft‘“, betont daher Bundesarbeitsminister Heil. Es bestehen gute Aufstiegschancen aus der Mitte nach Oben.
  • Im Zeitablauf ist es weniger Langzeitarbeitslosen oder auch Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen gelungen, aufzusteigen.
  • Bildungsniveau und Erwerbsintensität sind die Schlüssel zur Verbesserung der Einkommenspositionen.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Verteilung der Einkommen aus?

Die Folgen der Pandemie auf die Einkommensverteilung sind derzeit noch nicht vorhersehbar. Doch Befragungs- bzw. erste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Maßnahmen der Bundesregierung zur Stützung der Einkommen wie Kinderbonus und Kurzarbeit negative Effekte deutlich gemindert haben.

Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um die Folgen der Corona-Pandemie zu mindern?

Sozialschutzpakete und weitere Unterstützungsmaßnahmen haben verhindert, dass es zu sozialen Verwerfungen gekommen ist. Arbeitslosigkeit konnte mittels Kurzarbeit weitgehend verhindert werden. Langfristig gilt es, die Bereiche Bildung und Betreuung besonders im Blick zu behalten, da sich hier in den Belastungen sozioökonomische Unterschiede gezeigt haben.

… und abseits der Pandemie?

Bereits in den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung wichtige sozialpolitische Weichen gestellt. Stichworte sind hier Reformen etwa bei der Rente, bei Gesundheit und Pflege, im Bereich des Arbeitsmarktes oder auch bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen .

Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Kinderzuschlag, Pflegegeld und Unterhaltsvorschuss tragen erheblich dazu bei, das Armutsrisiko zu reduzieren.

Was ist weiterhin zu tun? Wo gibt es Handlungsbedarf?

Zu diesen Fragen enthält der Bericht einige Reihe von Vorschlängen. Handlungsbedarf wird unter anderem in folgenden Bereichen formuliert:

  • Anreize für Investitionen in nachhaltige und klimafreundliche Produkte und Innovationen sollen geschaffen werden.
  • Tragfähige Konzepte im Bereich der Sozialversicherung werden angestrebt.
  • Das Mindestlohngesetz soll weiterentwickelt werden.
  • Zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben sollen die Möglichkeiten zum orts- und zeitflexiblen Arbeiten gestärkt werden.
  • Die geförderte private Altersvorsorge gilt es weiterzuentwickeln und gerechter zu gestalten.
  • Es wird geprüft, wie die Grundsicherung für Arbeitsuchende weiterentwickelt werden kann.
  • Schutz von Eigentümern und Mietern vor dem Verlust ihres Wohnraumes beim Übergang in die Grundsicherung.
  • Obwohl Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in den vergangen 10 Jahren bundesweit mehr als 400.000 neue Kitaplätze allein für die unter Dreijährigen geschaffen haben, ist der Betreuungsbedarf noch nicht gedeckt. Ein weiterer Ausbau ist erforderlich, um die gestiegene Nachfrage aufgrund von gestiegener Erwerbsbeteiligung und Präferenzen für frühe Bildung, Betreuung und Erziehung, gestiegener Geburtenzahlen und fluchtbedingter Zuwanderung ganzer Familien zu decken.
  • Es bedarf aber auch weiterer Anstrengungen zum Ausbau der Ganztagsangebote für Grundschulkinder.
  • Damit in mehr Familien die Zeit für Erwerbstätigkeit und Familienaufgaben gleichmäßiger zwischen den Eltern aufgeteilt und damit die wirtschaftliche Stabilität von Müttern und Familien erhöht wird, bedarf es einer Stärkung der partnerschaftlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Bundesregierung hat sich zur Aufgabe gemacht, Modelle zu entwickeln, mit denen mehr Spielraum für Familienzeit geschaffen werden kann.

Viele Zahlen und Daten sowie alle Studien, die diesem Bericht zugrunde liegen, sind auf der Internetseite www.armuts-und-reichtumsbericht.de abrufbar. Er wird nun dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet