Merkel appelliert an Putin

Krise in der Ukraine Merkel appelliert an Putin

Bundeskanzlerin Merkel hat Präsident Putin in einem Telefonat dazu aufgefordert, sich in der Ostukraine für Deeskalation einzusetzen und auf einen beiderseitigen Waffenstillstand hinzuwirken. Unterdessen reagierte Russland auf die Sanktionen der EU und verhängte selbst Importverbote.

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Auf das Maßnahmenpaket der EU, das zum 1. August in Kraft getreten ist, reagierte Russland mit einem Einfuhrverbot für Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Obst und Gemüse aus allen EU-Staaten und den USA. "Welche Auswirkungen dies im Einzelnen auf die deutsche Ernährungswirtschaft hat, ist noch nicht abzusehen. Klar ist aber: Sie werden spürbar sein," erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt.

Russische Verbraucher betroffen

Der Bundeslandwirtschaftsminister wies darauf hin, dass Russland sich mit dem Importstopp vor allem selbst schade: Die Boykott-Entscheidung Russlands habe nicht nur tiefgreifende Auswirkungen auf die deutsche und europäische Wirtschaft. Sie treffe auch unmittelbar die russischen Verbraucherinnen und Verbraucher.

Schmidt bedauerte, dass Putin "diesen eindeutig politisch motivierten Schritt" unternommen habe. "Dieses Vorgehen Russlands stellt die bisher konstruktive Zusammenarbeit zwischen der russischen und der deutschen Regierung in Fragen des Exports von Agrargütern zweifellos auf eine harte Probe."

Merkel: Ziel bleibt Stabilisierung der Ukraine

In einem Telefonat hatte Merkel am Mittwochabend an Putin appelliert, seinen Einfluss auf die pro-russischen Separatisten geltend zu machen, um einen beiderseitigen Waffenstillstand zu erreichen.

Sie betonte, dass das übergeordnete Ziel die Stabilisierung der Ukraine bleibe. Zugleich zeigte sie sich besorgt, dass von Russland aus Nachschub für die Separatisten in den Donbass geliefert werde.

Truppenrückzug notwendig

Die Bundesregierung habe mehrfach darauf hingewiesen, "dass natürlich die große Truppenpräsenz an der Grenze nicht zur Deeskalation der Lage beiträgt", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Mittwoch. "Natürlich würde es die Bundesregierung insofern begrüßen, wenn es dort auch zu einem Rückzug der russischen Truppen an der Grenze käme."

Es gehe jetzt darum, die politischen Gespräche weiterzuführen und über die Kontaktgruppe dazu zu kommen, "dass man die Lage stabilisiert beziehungsweise weiter deeskaliert", ergänzte Wirtz. "Insofern ist die Präsenz der Truppen dort nicht ein Schritt, um die Lage friedlicher zu machen."

Humanitäre Lage kritisch

Mit Blick auf die Zahl von angeblich 730.000 Flüchtlingen stellte Regierungssprecherin Wirtz klar, dass diese Angaben des UNHCR nicht eigene Zahlen seien, sondern Zahlen, die die Organisation von den russischen Behörden übernommen habe. "Das UNHCR hat keine eigenen Erkenntnisse über die Zahl der Flüchtlinge, die sich von der Ukraine nach Russland bewegt haben." Für eine humanitäre UN-Mission, wie von Russland gefordert, gebe es "derzeit keine rechtliche Grundlage", sagte Wirtz. Das habe Außenminister Frank-Walter Steinmeier bereits am Wochenende in einem Interview festgestellt.

Nach UN-Angaben verschlechtert sich die humanitäre Situation in der umkämpften Ostukraine täglich. "Wir sprechen von 3,9 Millionen Menschen, die in einer von der Gewalt heimgesuchten Region leben", sagte John Ging vom Nothilfebüro der Vereinten Nationen am 5. August in einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. "Die Infrastruktur ist zerstört, Strom gibt es kaum und Wasser nur ein paar Stunden am Tag." Seit Beginn des Konflikts seien 1.376 Menschen getötet worden, mehr als 4.000 seien verletzt.

Restriktive Rüstungspolitik 

Die Bundesregierung hatte im Zuge der EU-Sanktionen die Genehmigung zur Ausfuhr eines Gefechtsübungszentrums nach Russland zurückgezogen. Das bestätigte die Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums, Tanja Alemany, am Montag in Berlin.

Der formale Widerruf schafft eine rechtssichere Position für das betroffene Unternehmen. Die Bundesregierung setzt damit ihre konsequente restriktive Rüstungsexportpolitik fort und geht über die Sanktionsvorgaben der EU hinaus.

Maßnahmen der EU im Einzelnen:
- Die EU verhängt ein Waffenembargo.
- Russischen Staatsbanken wird der Zugang zum EU-Kapitalmarkt erheblich erschwert.
- Hochtechnologiegüter für die Ölförderung dürfen nicht mehr nach Russland exportiert werden.
- Dual-use-Güter dürfen nicht mehr an militärische Abnehmer in Russland geliefert werden.

Als Grundlage des Maßnahmenpakets dienten Verordnungstexte, die die Europäische Kommission zum 28. Juli erarbeitet hatte.

Auswirkungen der Sanktionen

Zu den Auswirkungen der Sanktionen auf die deutsche Wirtschaft hatte sich Außenminister Steinmeier am Sonntag in einem Zeitungsinterview geäußert. "Im Übrigen sollte niemanden überraschen, dass Sanktionen Kosten haben - insbesondere diejenigen nicht, die harte Sanktionen als Glaubwürdigkeitstest für europäische Politik seit Monaten postulieren. Die deutsche Bundesregierung, ich selbst seit März, sind mit der deutschen Wirtschaft im Gespräch, um die Konsequenzen wenigstens kalkulierbar zu halten", so der Minister. Außerdem sollten Anpassung und Abbau von Sanktionen möglich sein, wenn politisch wieder Bewegung in die Lösungssuche komme.

Steinmeier ist überzeugt, dass eine politische Lösung des Konflikts nur mit Unterstützung aus Moskau möglich sei. "Deshalb und trotz aller Schwierigkeiten halten wir die Kanäle nach Russland offen". Denn: "Alle Erfahrung zeigt: Wer den politischen Druck erhöht, um beim Gegenüber Verhandlungsbereitschaft zu erzeugen, muss auch selbst verhandlungsbereit bleiben."

Bisherige EU-Maßnahmen gegenüber Russland:
Am 17. März 2014 setzt der Europäische Rat insgesamt 21 Personen auf eine Sanktionsliste ("Schwarze Liste"). Ein Grundsatzbeschluss des EU-Gipfels vom 16. Juli dient den Außenministern als Rahmen für konkretere Entscheidungen.
Am 22. Juli beraten die EU-Außenminister in Brüssel über eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. Die Ausarbeitung übernimmt der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV). Das Gremium setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen, die ihre jeweiligen Länder im Rang von Botschaftern bei der EU repräsentieren.
Am 24. Juli beschließt der AStV, die bestehende "Schwarze Liste" auf hochrangige Mitarbeiter der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden auszuweiten. Am Folgetag wird im EU-Amtsblatt eine Sanktionsliste mit den Namen von 15 Einzelpersonen sowie 18 Unternehmen und Organisationen veröffentlicht. Die Maßnahmen treten hierdurch unverzüglich in Kraft.
Am 25. Juli einigen sich die Vertreter der 28 EU-Regierungen im AStV zudem auf weitere Wirtschaftssanktionen. Sie erteilten der Kommission den Auftrag, bis zum 28. Juli Verordnungstexte für die Maßnahmen vorzulegen.
Am 29. Juli verständigt sich der AStV auf ein Maßnahmenpaket. Dieses ist nun von den 28 EU-Mitgliedstaaten förmlich gebilligt worden.
Am 1. August sind die Sanktionen in Kraft getreten.