Etwa 300.000 Patienten aus Heil- oder Pflegeanstalten fielen den sogenannten Euthanasie-Morden der Nationalsozialisten zum Opfer. In Berlin erinnert ein Gedenkort an sie. Er sollte uns eine "immerwährende Warnung" sein, erklärte Kulturstaatsministerin Grütters bei seiner Einweihung.
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Errichtet wurde der Gedenkort dort, wo der Massenmord geplant, organisiert und verwaltet wurde: an der Tiergartenstraße 4 in Berlin, früher Sitz der "Zentraldienststelle T4". Mehr als 60 Mitarbeiter waren dort für das "Euthanasie"-Mordprogramm zuständig.
Opfer der "Aktion T4" waren wehrlose Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen. Zwischen Januar 1940 und August 1941 töteten Ärzte mehr als 70.000 Menschen in sechs eigens dafür eingerichteten Anstalten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches. Auch nach dem Ende dieser "Aktion" ging das Morden weiter, nun dezentral in den Pflege- und Heilanstalten durch Medikamente, systematischen Nahrungsentzug oder Vernachlässigung. Die Täter waren Wissenschaftler, Ärzte, Pfleger, Angehörige der Justiz, der Polizei, der Gesundheits- und Arbeitsverwaltung.
"An die Opfer der Aktion 'T4' zu erinnern heißt auch, der menschenverachtenden Unterscheidung zwischen 'lebenswertem' und 'lebensunwertem' Leben die Überzeugung entgegenzusetzen, das jedes menschliche Leben es wert ist, gelebt zu werden", sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters.
Gemeinsam mit Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit weihte die Kulturstaatsministerin den neuen Gedenkort ein. Er konfrontiere uns mit der grauenvollen NS-Ideologie, die sich anmaßte, das einzelne Leben nach "Nützlichkeit" und "Brauchbarkeit" zu beurteilen, fuhr Grütters fort und betonte: "T4 sollte uns eine immerwährende Warnung sein: "Eine Warnung davor, Ausnahmen zuzulassen in der grundlegenden staatlichen Pflicht, das Recht jedes Menschen auf Leben zu schützen."
Es sei, so Grütters, die immerwährende Aufgabe und moralische Verpflichtung Deutschlands, die Verbrechen der Nationalsozialisten aufzuarbeiten, ihrer Opfer zu gedenken und die Erinnerung auch in nachfolgenden Generationen wach zu halten.
"Der Anspruch an uns selbst, moralisch angemessen mit den Abgründen der eigenen Geschichte umzugehen und nicht zuletzt dadurch ein identitätsstiftendes Fundament für die Gegenwart und Zukunft zu legen, gehört zum Selbstverständnis unserer Nation", betonte die Kulturstaatsministerin.
Es habe lang gedauert, fuhr Grütters fort, bis Deutschland auch dem Gedenken an die Opfer der "Euthanasie"-Morde und der Zwangssterilisationen öffentlich Raum gegeben habe. Erst im November 2011 beschloss der Deutsche Bundestag seine Realisierung am historischen Ort der Planungszentrale.
Für seine Errichtung stellte die Kulturstaatsministerin 620.000 Euro zu Verfügung. Das Grundstück an der Tiergartenstraße 4 wurde vom Land Berlin bereit gestellt. Verantwortlich für die Umsetzung war die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas zusammen mit der Stiftung Topographie des Terrors, die den neuen Gedenkort auch betreuen werden.
Realisiert wurde der Gedenkort nach einem Entwurf der Arbeitsgemeinschaft Ursula Wilms, Nikolaus Koliusis und Heinz W. Hallmann: Das Denkmal besteht aus einer 24 Meter langen blauen Glaswand, die auf einer geneigten Ebene steht. Auf einem Pult sind nicht nur Biographien von "Euthanasie"-Opfern dokumentiert, sondern auch Informationen über die Geschichte der "Euthanasie"-Morde mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart zu finden.