Web.de-Interview mit Staatsministerin Christiane Schenderlein
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Web.de: Frau Schenderlein, in der Vergangenheit sind Olympia-Bewerbungen am Widerstand der Bevölkerung gescheitert – oder sie wurden zu halbherzig verfolgt. Die Bundesregierung will es erneut versuchen. Wie ernst meinen Sie es damit?
Christiane Schenderlein: Die Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Spiele ist das übergeordnete sportpolitische Ziel der Bundesregierung. Wir verfolgen das mit sehr großem Enthusiasmus, auch wenn der Prozess federführend beim Deutschen Olympischen Sportbund liegt. Die Bundesregierung gibt Rückendeckung: Wir wollen die Olympischen und Paralympischen Spiele in Deutschland ausrichten und eine Olympia-Bewegung schaffen.
Web.de: Der große Enthusiasmus hat sich bei den vergangenen Versuchen nicht eingestellt. Die Bedenken waren jedes Mal groß.
Schenderlein: Wir haben uns genau angeschaut, weshalb es zuvor an Zustimmung in der Bevölkerung gemangelt hat. Viele Menschen hatten die Sorge, dass neue Sportstätten nach den Spielen nicht genutzt werden. Das Thema Nachhaltigkeit spielt jetzt eine größere Rolle. Auch die Spiele in Paris haben bei uns eine große Begeisterung ausgelöst. Jetzt sagen viel mehr Menschen: So etwas können wir uns auch in Deutschland vorstellen. Die Bevölkerung muss aber auch spüren, dass vor Ort etwas ankommt – zum Beispiel im Kinder-, Jugend- und Breitensport. Deshalb investieren wir bis zu eine Milliarde Euro in die Sport-Infrastruktur im ganzen Land.
Web.de: Das ist die sogenannte Sportmilliarde. Handelt es sich wirklich um zusätzliches Geld oder schichten Sie da nur Mittel um?
Schenderlein: Das wird zusätzlich sein. Der Sanierungsstau in dem Bereich ist groß. Wir unterstützen damit die Länder und Kommunen, die sich zum Teil in einer schwierigen finanziellen Lage befinden. Funktionierende Sportstätten haben vor Ort eine wahnsinnige Relevanz. Damit leisten wir einen Beitrag, um das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen.
Web.de: Profitiert der Breitensport tatsächlich von einer Veranstaltung des weltweiten Spitzensports?
Schenderlein: Das eine bedingt das andere. Der Erfolg von starken Athletinnen und Athleten ist ein Vorbild für nachwachsende Generationen, sich auch in dieser Sportart zu probieren oder dabei zu bleiben. Andersherum erwächst aus motivierten jungen Menschen eine neue Spitze für den Leistungssport. Bund und Länder nehmen für die Sportförderung insgesamt viel mehr Geld in die Hand – sowohl für die Spitzen- als auch für den Breitensport. Auch die Förderung des Ehrenamts ist mir sehr wichtig.
Web.de: Inwiefern?
Schenderlein: Sportvereine erleben eine unglaublich große Nachfrage. Viele Menschen und vor allem Kinder und Jugendliche wollen sich sportlich betätigen. Dann muss aber auch die Zahl der Menschen wachsen, die sich ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel als Trainer. Da haben wir noch Nachholbedarf. Deswegen haben wir im Kabinett den Zukunftspakt Ehrenamt beschlossen – um Steuererleichterungen zu schaffen, Bürokratie zu verringen, Digitalisierung voranzutreiben.
Web.de: Allerdings klafft für 2027 schon jetzt ein Riesenloch im Haushalt. Können wir uns Olympia wirklich leisten?
Schenderlein: Die Bundesregierung hat sich das klar vorgenommen, so steht es im Koalitionsvertrag. Olympische und Paralympische Spiele sind aus unserer Sicht ein Anreiz für Investitionen. Entsprechende Signale erhalten wir auch aus der Wirtschaft. Wir dürfen auch nicht unterschätzen: Die Spiele sind ein starkes Instrument für den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land. Sport hat eine enorme Kraft, er befördert Integration und Inklusion. Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen zusammen – egal ob sie zusammen Sport treiben oder zuschauen und mitfiebern.
Web.de: Reicht es dann, vor allem mit der Nützlichkeit zu argumentieren? Große Sportveranstaltungen können auch ein Wert an sich sein. Nach dem Sommermärchen der Fußball-WM 2006 dürfte sich kaum jemand gefragt haben: Was hat uns das jetzt für die Infrastruktur gebracht?
Schenderlein: Wir wollen auch die Menschen im Herzen erreichen. Große Sportveranstaltungen wie die World University Games in Nordrhein-Westfalen und Berlin, die European Championships in München oder die Special Olympics in Berlin haben uns gezeigt: Es ist eine große Freude, Gastgeber zu sein.
Web.de: 2036 gilt weiterhin als mögliches Jahr für eine Bewerbung. Das wäre genau 100 Jahren nach den von den Nationalsozialisten geprägten Spielen in Berlin. Das klingt sehr fragwürdig.
Schenderlein: Darüber haben wir vielfach diskutiert. Aus Sicht des Internationalen Olympischen Komitees und des Deutschen Olympischen Sportbunds ist es sinnvoll, bei einem Datum möglichst offen zu sein. Noch ist nicht klar, wann sich wieder ein Fenster für eine europäische Bewerbung öffnet. Natürlich wäre es eine Herausforderung, Spiele in Deutschland im Jahr 2036 gut zu kommunizieren. Das Jahr ist aber weiterhin im Rennen.
Web.de: Ende Oktober stimmen die Münchnerinnen und Münchner darüber ab, ob sich die Stadt für die Olympischen und Paralympischen Spiele bewerben soll. Legen Sie sich als Bundesregierung ins Zeug, um für Zustimmung zu werben?
Schenderlein: Wir bringen uns bei allen vier möglichen Bewerbungen ein. Im Bundeshaushalt sind bis 2027 sieben Millionen Euro dafür eingeplant. Im Hintergrund laufen viele Gespräche. Bundeskanzler Friedrich Merz hat sich gerade mit der Präsidentin des Internationalen Olympischen Komitees ausgetauscht. München hat aber auch darauf hingewiesen, dass die Stadt diesen Prozess vor Ort gestalten will. Und das finde ich völlig richtig.
Web.de: Deutschland hat in der Vergangenheit bereits viel Geld in die Förderung des Spitzensports gesteckt. Wenn man sich nur die Olympia-Medaillen anschaut, war der Effekt gering: Deren Zahl ist kontinuierlich gesunken.
Schenderlein: Bei den Olympischen Winterspielen und bei den World Games für nicht-olympische Sportarten haben wir starke Ergebnisse erzielt. Was die Sommerspiele angeht: Da müssen wir uns verbessern. Ich bin optimistisch, dass das neue Sportfördergesetz sich positiv auf die Entwicklung des Spitzen- und Breitensports auswirken wird. Wir wollen die Sportförderung so aufstellen, dass wir mehr Goldmedaillen erreichen.
Web.de: Und wie soll das gelingen?
Schenderlein: Einerseits über eine stärkere Priorisierung. Möglicherweise müssen wir uns stärker auf bestimmte Sportarten konzentrieren, statt alles zu fördern. Dafür kann es andererseits sinnvoll sein, dass eine externe Stelle in Zukunft die Mittel verteilt. Die Unabhängigkeit sportfachlicher Entscheidungen ist sehr wichtig.
Web.de: An einem Sportfördergesetz hatte schon die Ampelkoalition gearbeitet, es aber nicht mehr umsetzen können. Wann wollen Sie so weit sein?
Schenderlein: Wir arbeiten an den letzten Details. Ich werde noch in diesem Herbst einen Gesetzentwurf präsentieren.
Web.de: In anderen Teilen der Welt hat man inzwischen ganz andere Vorstellungen vom Sport. In den USA sollen im folgenden Jahr die "Enhanced Games" stattfinden, bei denen auch gedopte Sportlerinnen und Sportler antreten. Wie blicken Sie darauf?
Schenderlein: Ich verfolge das mit großer Sorge. Das widerspricht den Werten, für die der Sport stehen sollte: Integrität, Sauberkeit, Fairness. Ich mache mir auch Sorgen um die Athletinnen und Athleten, die sich irgendwelche Mittel verabreichen lassen, ohne die Nebenwirkungen zu kennen. Die Präventionsarbeit der nationalen und internationalen Anti-Doping-Agenturen wird damit infrage gestellt. Auch die Signalwirkung für den Freizeitsport ist verheerend.
Web.de: Auch dort sind unerlaubte Substanzen bereits ein Problem.
Schenderlein: So ist es. Und es gibt noch einen Aspekt: Ich komme aus Ostdeutschland, und wir haben uns als Bundesregierung fest vorgenommen, in dieser Legislaturperiode das SED-Unrecht noch einmal auf die Agenda zu setzen. Wir wollen uns genauer anschauen, welche gravierenden gesundheitlichen Folgen aus dem Doping-System der DDR entstanden sind. Für mich ist jedenfalls klar: Werte sollten auch im Sport oberste Priorität haben.
Quelle: web.de; geführt von Fabian Busch