Selbstbestimmungsgesetz tritt in Kraft
Seit dem 1. November 2024 können das Geschlecht und der Name einfacher an die eigene Lebenswirklichkeit angepasst werden. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wird das nicht mehr zeitgemäße Transsexuellengesetz abgelöst.
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Den Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern – das ist mit dem Selbstbestimmungsgesetz von nun an einfacher: Die Anpassung kann durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt vorgenommen werden. Insbesondere trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Personen profitieren davon, das Recht auf Achtung der geschlechtlichen Identität wird gestärkt.
Eine gerichtliche Entscheidung über die Antragstellung – wie nach dem bisher geltenden Transsexuellengesetz – ist künftig nicht mehr erforderlich. Auch die Notwendigkeit, zwei Sachverständigengutachten einzuholen, entfällt. Damit wird eine gesetzliche Vorgabe außer Kraft gesetzt, die von den Betroffenen häufig als entwürdigend empfunden wurde. Stattdessen reicht eine Selbstauskunft mit Eigenversicherung aus.
„Deutschland ist vielfältig. Deshalb passen wir unsere Gesetze den verschiedenen Lebensrealitäten an. Ob bei der Frage des Geschlechts, des Namens oder der Staatsangehörigkeit – im Kabinett haben wir wichtige Beschlüsse gefasst, die unsere Gesellschaft weiter modernisieren.“
Bundeskanzler Olaf Scholz
Wichtiger Tag für offene und demokratische Gesellschaft
„Ein ganz besonderer Tag für alle transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen: Ab dem 1. November wird ihr Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung maßgeblich gestärkt. Mit dem Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes wird die einfache Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen jetzt endlich Realität. Und das in Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz ist Geschichte“, sagt Bundesfamilienministerin Lisa Paus.
Sven Lehmann, Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt erklärt hierzu: „Der 1. November ist ein wichtiger Tag für die Grund- und Menschenrechte von trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen und auch für eine offene und demokratische Gesellschaft, in der Menschen vom Staat so anerkannt werden, wie sie sind.“
Transgeschlechtliche Menschen identifizieren sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Intergeschlechtliche Menschen haben angeborene körperliche Merkmale, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen. Das betrifft zum Beispiel die Geschlechtsorgane, den Chromosomensatz oder die Hormonproduktion. „Nichtbinär“ ist eine Selbstbezeichnung für Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren.
Das Selbstbestimmungsgesetz sichert den Grundrechtsschutz auf geschlechtliche Selbstbestimmung für Betroffene. Denn das Grundgesetz schützt auch das Recht auf Achtung der geschlechtlichen Identität, wenn diese vom Geschlechtseintrag abweicht. Gleichzeitig behält das Gesetz auch die Interessen der gesamten Gesellschaft im Blick.
Viele Betroffene empfanden die Vorgaben des jetzt abgelösten Transsexuellengesetzes als entwürdigend, insbesondere die Notwendigkeit, sich vor Änderung des Geschlechtseintrags einer Begutachtung zu unterziehen. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht das Transsexuellengesetz in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt. Schon deshalb war eine Reform geboten.
Drei Monate vor der Erklärung über die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen muss eine schriftliche oder mündliche Anmeldung beim Standesamt erfolgen.
Der Zeitraum zwischen Anmeldung und Erklärung dient als Überlegungs- und Reflexionsfrist und soll nicht ernsthaft gemeinte Erklärungen verhindern sowie die Bedeutung der Änderungserklärung verdeutlichen.
Wird nach der Anmeldung die Erklärung nicht abgegeben, werden im Personenstandsregister keine Angaben zum Geschlecht und zu den Vornamen geändert. Nach Ablauf von sechs Monaten nach der Anmeldung ist davon auszugehen, dass die angemeldete Änderungserklärung nicht abgegeben werden soll, und die Anmeldung wird gegenstandslos.
Zudem gibt es eine einjährige Sperrfrist nach der Erklärung: Erst nach deren Ablauf kann eine neuerliche Erklärung abgegeben werden.
Dies soll dazu führen, dass insbesondere volljährige Personen sich der Tragweite ihrer Erklärung bewusst sind, weil klar ist, dass sie an die Erklärung mit den entsprechenden Einträgen mindestens ein Jahr gebunden sind. Die Sperrfrist soll zudem dazu beitragen, Personen, die in Erwägung ziehen, die Regelung aus anderen Gründen nutzen zu wollen, als aus dem Bedürfnis Geschlechtseintrag und Geschlechtsidentität in Einklang zu bringen, davon abzuhalten.
Hinsichtlich des Geschlechtseintrags sowie des Vornamens gilt grundsätzlich ein Offenbarungsverbot, das heißt, dass die bis zur Änderung eingetragene Geschlechtsangabe und die Vornamen ohne Zustimmung dieser Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden dürfen. Bei Missachtung kann dies mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro geahndet werden, sofern es absichtlich missachtet wurde, um der Person zu schaden. Ausnahmen gibt es insbesondere für Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden.
Geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen sind in dem Gesetz nicht geregelt.
Minderjährige bis 14 Jahre können die Erklärung über die Änderung des Geschlechtseintrags nicht selbst abgeben. Für sie können die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt übernehmen. Die Minderjährigen müssen aber bei der Erklärung im Standesamt anwesend sein.
Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können die Erklärung selbst mit Zustimmung der Sorgeberechtigten abgeben. In den Fällen, in denen die Sorgeberechtigten nicht zustimmen, kann das Familiengericht die Entscheidung der Eltern auf Antrag der minderjährigen Person ersetzen. Dabei soll sich stets am Kindeswohl orientiert werden. Bei allen Minderjährigen muss die Erklärung auch die Versicherung enthalten, dass eine Beratung erfolgt ist.
Die Vertragsfreiheit und das Hausrecht gelten wie bisher weiter. Durch das Selbstbestimmungsgesetz ändert sich daran nichts.
Wie bislang sind gesetzliche Grenzen der Vertragsfreiheit und des Hausrechts zu beachten – zum Beispiel der Diskriminierungsschutz durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Danach ist eine Zurückweisung speziell von transgeschlechtlichen Personen allein aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität unzulässig.
Unterschiedliche Behandlungen wegen des Geschlechts sind aber zulässig, wenn es dafür einen sachlichen Grund gibt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt, so zum Beispiel beim Zugang zu geschlechtsspezifischen Toiletten, Umkleideräumen oder Saunen oder auch zu Frauenhäusern.