Für mehr Frauen in der Gerichtsbarkeit 

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Internationaler Tag der Richterinnen Für mehr Frauen in der Gerichtsbarkeit 

Anlässlich des Internationalen Tags der Richterinnen am 10. März spricht Bundesverfassungsrichterin Prof. Dr. Christine Langenfeld über Frauen im Rechtswesen und die Bedeutung des Grundgesetzes.

6 Min. Lesedauer

Das Bild zeigt die acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts.

Seit 2016 ist Christine Langenfeld (4.v.l.) Richterin im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts.

Foto: Bundesverfassungsgericht │ lorenz.fotodesign, Karlsruhe

Am 10. März ist der Internationale Tag der Richterinnen. In höheren Hierarchien der Gerichtsbarkeit sind bis heute weniger Frauen zu finden als Männer. Was braucht es, um mehr Richterinnen zu ermutigen, führende Positionen in der Gerichtsbarkeit zu ergreifen?

Prof. Dr. Christine Langenfeld: Das ist in der Tat noch so. Allerdings sind wir hier meines Erachtens auf einem guten Weg. In der Breite der Fachgerichtsbarkeit ist der Frauenanteil mittlerweile sehr hoch und dies wird sich auch weiter fortsetzen in die höheren Hierarchien hinein. Das setzt allerdings voraus, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch dort gewährleistet wird und Frauen bei sich bietender Gelegenheit den Aufstieg mit entsprechendem Selbstbewusstsein anstreben und auch für sich einfordern.

Prof. Dr. Christine Langenfeld wurde 1962 in Luxemburg geboren. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften in Trier, Mainz und Dijon promovierte sie zum Thema „Die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Europäischen Gemeinschaftsrecht“. An der Universität Göttingen hat Langenfeld seit Oktober 2000 einen Lehrstuhl für öffentliches Recht inne. Seit Juli 2016 ist sie Richterin im Zweiten Senat am Bundesverfassungsgericht.

Erna Scheffler war 1951 die erste Richterin und das erste weibliche Mitglied des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach war von 1994 bis 2002 die erste und einzige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Was können wir von diesen Frauen lernen?

Langenfeld: Was diese beiden bedeutenden Frauen geleistet haben, fachlich und persönlich, ist großartig und gerade in ihrer Zeit eine große Ermutigung gewesen. Den Frauen, die nach ihnen kommen, haben sie damit den Weg geebnet. Jutta Limbach und Erna Scheffler waren Frauen, die sich durchgesetzt haben, auch gegen Widerstände und sich nicht haben beirren lassen auf dem Weg nach oben. Und sie haben auch sehr viel für die rechtliche Gleichstellung getan. So hat etwa Erna Scheffler maßgeblich dazu beigetragen, dass die Gleichstellung der Frau im gesellschaftlichen Zusammenleben tatsächlich durchgesetzt worden ist. Sie erreichte Mehrheiten für Leitentscheidungen des Gerichts, die die Gleichstellung der Frau entscheidend voranbrachten. So wurden im Familienrecht Mann und Frau ab dem 1. April 1953 für gleichberechtigt erklärt und entgegenstehendes Recht wurde außer Kraft gesetzt. Das sind wahre Meilensteine der Rechtsprechung, die die gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt und vorangebracht haben.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit als Bundesverfassungsrichterin?

Langenfeld: Als Richterin des Bundesverfassungsgerichts wirken zu können, ist der Höhepunkt meiner Karriere als Rechtswissenschaftlerin. Ich kann schon sagen, dass damit ein beruflicher Traum in Erfüllung gegangen ist. Die Möglichkeit mitzutun an Entscheidungen, die eine erhebliche Tragweite für die Menschen haben, sich oft ganz unmittelbar auf das Leben der Menschen, auf die Gesellschaft insgesamt auswirken, ist eine große Aufgabe und Herausforderung. Dessen muss man sich stets bewusst sein. Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, die Demokratie, den Rechtsstaat und die Freiheit zu schützen. Eine schönere und sinnhaftere, aber zugleich herausforderndere Aufgabe kann ich mir für mich nicht vorstellen.

Welche Herausforderungen sehen Sie in der nahen Zukunft für das Bundesverfassungsgericht?

Langenfeld: Die zahlreichen Verfahren, die vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig sind, spiegeln sämtliche großen gesellschaftlichen und politischen Fragen, die Deutschland und Europa zurzeit bewegen. Es ist die Aufgabe des Gerichts, hier die richtige Balance zu finden zwischen den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die den Gesetzgeber binden und der Sicherung des demokratischen Prozesses im Gefüge der Gewaltenteilung und des Prozesses der europäischen Integration. Das ist bislang aus meiner Sicht sehr gut gelungen. Zentral ist auch die Befriedungsfunktion der Rechtsprechung des Gerichts, die dann erfüllt wird, wenn es überzeugende Entscheidungen fällt, die auch für diejenigen, die das Ergebnis nicht teilen mögen, jedenfalls nachvollziehbar sind. Es geht einerseits darum, die Verfassung zu hüten als Ordnung des Schutzes und der Bewahrung. Andererseits gilt es, notwendige Veränderungen und Entwicklungen aufzunehmen, um die Verfassung lebendig zu erhalten. Das ist eine große Aufgabe.

Am 24. Mai 1949 ist das Grundgesetz in Kraft getreten. Dieses Jahr im Mai wird es 75 Jahre. Ist das ein Grund zum Feiern?

Langenfeld: In der Tat ist dies ein Grund zum Feiern und zur Dankbarkeit. Das Grundgesetz ist für die Deutschen ein Glücksfall. Es hat die Grundlage dafür geschaffen und tut dies bis heute, dass unser freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat sich entwickeln und gedeihen konnte. Das Grundgesetz ist der Bezugspunkt, auf den sich die übergroße Mehrheit der Menschen in diesem Land verständigen kann. Das Grundgesetz ist eine Verfassung, die unsere gemeinsamen Grundlagen, auf denen unser Staat aufsetzt, bewahrt und damit maßgeblich dazu beiträgt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Dazu gehören insbesondere die Grundrechte, die allerdings vor dem Hintergrund der Veränderung der gesellschaftlichen und technischen sowie naturwissenschaftlichen Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden. Das Grundgesetz ist eine lebendige Verfassung. Für all das setzt das Grundgesetz einen – wie ich finde, überaus gelungenen und integrativen – Rahmen. Dafür sollten wir alle, die mit diesem Grundgesetz leben dürfen, sehr dankbar sein. Es besteht also viel Anlass für Verfassungsoptimismus.

Sind wir mit dem Grundgesetz gegen Populismus und Extremismus gewappnet?

Langenfeld: Diese Frage schließt an meine Antwort auf die vorige Frage an. Das Grundgesetz hat sich in den letzten Jahren immer wieder als stabiler, verlässlicher und zugleich zukunftsfähiger Ordnungsrahmen bewährt. Zudem sieht es eine Reihe von Mechanismen vor, die es vor Angriffen auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung schützen sollen, das Parteiverbot, die Grundrechtsverwirkung etwa. Und natürlich sind es auch die Grundrechte, die zu schützen die Aufgabe aller staatlichen Gewalt ist. Der Schutz von Freiheit und Gleichheit ist ohne den Rahmen einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht möglich. Umgekehrt ist der Schutz der Grundrechte die Grundlage einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie. Aber jede Verfassungsordnung ist auch auf die Akzeptanz der Menschen angewiesen und ihr aktives Eintreten für die Demokratie und gegen jede Art von Extremismus. Gerade in diesen Tagen wird dies vielen Bürgern und Bürgerinnen bewusst. Rechtsstaat und Demokratie im Alltag zu verwirklichen, ist mitunter schwierig. In einer Demokratie müssen Kompromisse und gemeinsame Lösungen gefunden werden. Einfache Lösungen gibt es in der Regel nicht und auch nicht die absolute Freiheit. Einfache Lösungen sind es aber, die sich viele Menschen wünschen in einer sich stark und rasant verändernden Welt. Insofern ist es von großer Bedeutung, dass möglichst viele Menschen sich für diese Demokratie und diesen Rechtsstaat engagieren und denjenigen widersprechen, die ihn in seinen Grundfesten in Frage stellen und bekämpfen. Demokratie ist nichts, was irgendwo „von denen da oben in der Politik“ gemacht wird, sondern eine Gemeinschaftsaufgabe aller. Auch das Bundesverfassungsgericht ist dabei ein wichtiger Akteur, kraft seiner Aufgaben, aber auch im Rahmen der notwendigen Kommunikation über den demokratischen Rechtsstaat mit der Öffentlichkeit. Es spricht zwar im Wesentlichen durch seine Entscheidungen, aber eben nicht nur. Gerade in der letzten Zeit ist es durch neue Formate dazu übergegangen, die eigenen Entscheidungen besser zu erklären und zwar in einer Sprache, die nicht nur Juristen und Juristinnen zugänglich ist.

Haben Sie so etwas wie einen Lieblingsartikel im Grundgesetz – und warum?

Langenfeld: Das ist Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz, der die Menschenwürde schützt und damit den Ausgangspunkt unserer freiheitlichen Ordnung bildet, Artikel 1 Absatz 2 Grundgesetz mit seinem Bekenntnis zu den unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechten, das heißt auch den internationalen Menschenrechten und dem Bekenntnis zur Einordnung Deutschlands in eine internationale Gemeinschaft des Friedens und der Gerechtigkeit und schließlich Artikel 1 Absatz 3 Grundgesetz, der alle staatliche Gewalt einschließlich des Gesetzgebers unmittelbar an die Grundrechte bindet. In Artikel 1 Grundgesetz liegt der Kern der Programmatik des Grundgesetzes als Verfassung der Freiheit und des Rechtsstaats. Kurz, pointiert und verständlich. So soll die Sprache einer Verfassung sein!

Am 10. März wird der Internationale Tag der Richterinnen gefeiert. Dieser Tag wurde 2021 von den Vereinten Nationen ausgerufen und 2022 das erste Mal begangen. Zwar ist die Anzahl von Frauen im Rechtssystem in den vergangenen Jahren gestiegen – ihr Anteil nimmt auf den hochrangigen richterlichen Positionen sowie in leitenden Funktionen der Anwaltschaft jedoch rapide ab.