„Wir müssen die Widerstandsfähigkeit gegen Desinformation stärken“ 

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Aussiedlerbeauftragte Pawlik „Wir müssen die Widerstandsfähigkeit gegen Desinformation stärken“ 

Die Wirkung von russischer Desinformation verhindern – das ist ein Ziel von Natalie Pawlik, der Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung. Für sie ist klar: Putin will mit seiner Desinformation auch die deutsche Gesellschaft erreichen. Im Interview erklärt Natalie Pawlik, was aus ihrer Sicht gegen Desinformation getan werden muss. 

4 Min. Lesedauer

Porträtfoto der Aussiedlerbeauftragen der Bundesregierung Natalie Pawlik

Natalie Pawlik, Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten.

Foto: Henning Schacht

Frau Pawlik, Sie sind seit dem 14. April im Amt – mit welchen Herausforderungen beschäftigen Sie sich zurzeit? 

Natalie Pawlik: Als Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten bin ich unter anderem die zentrale Ansprechpartnerin für die Angehörigen der deutschen Minderheit in den Siedlungsgebieten, also auch in Russland und in der Ukraine. Außerdem bin ich zuständig für die Anliegen von (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedlern in Deutschland. All diese Gruppen sind unmittelbar von Auswirkungen des schrecklichen Angriffskrieges auf die Ukraine betroffen. Sei es durch die direkte Zerstörung ihrer Lebensräume, Bedrohungen, Einschränkungen ihrer Arbeit oder durch die gezielten Desinformationskampagnen und Propaganda. Die russische Regierung nutzt schon seit Jahren die gezielte Verbreitung von Desinformation und Propaganda, um unsere Gesellschaft zu spalten und bestimmte Narrative zu stärken. Die russischsprachige Bevölkerung und Deutsche aus Russland sind davon besonders betroffen. 

Welche Ziele verfolgt Russland, verfolgt Putin mit der Verbreitung von falschen Informationen?  

Pawlik: Die russische Regierung will durch Desinformation und Propaganda die eigene Politik, das eigene Handeln und den Angriffskrieg auf die Ukraine legitimieren und Unterstützung dafür gewinnen. Damit sich Europa und unsere internationalen Partner nicht gegen Russland verbünden, wird versucht, unsere Gesellschaften zu spalten sowie unsere Werte und unsere demokratische Gesellschaftsform ad absurdum zu führen. Es werden Zweifel an unserer Handlungsfähigkeit als Regierung und als Gesellschaft gesät. Durch die gezielte Verbreitung von irreführenden und falschen Informationen sollen der öffentliche Diskurs eingenommen sowie Ängste geschürt, Verunsicherung gestärkt und soziale Konflikte befeuert werden. Die russischsprachige Bevölkerung steht dabei besonders im Visier. Gleichzeitig richtet sich die vom Kreml ausgehende Desinformation und Propaganda auch nach innen, um den Rückhalt in der eigenen Bevölkerung zu sichern.

Wie steuert Russland die Desinformation, wie kommt sie nach Deutschland? 

Pawlik: Wesentlich für die Wirkung sind vier Instrumente: Das Abstreiten von Vorwürfen und das Abwerten von Kritikerinnen und Kritikern, das Verdrehen von Fakten, die Ablenkung vom eigentlichen Thema und die Verunsicherung der Bevölkerung. Zur Verbreitung nutzt Russland ein komplexes Netz aus verschiedenen Kanälen. Eine zentrale Funktion kommt den russischen Staatsmedien zu. Diese stehen in einer engen Verbindung mit der Regierung und verbreiten Informationen in ihrem Interesse beziehungsweise gezielt falsche und irreführende Informationen. Hinzu kommt die Verbreitung im Internet. In den sozialen Medien dienen beispielsweise Influencer als verlängerter Arm für russische Desinformationskampagnen. Sie verbreiten beispielsweise gezielt das Narrativ eines „russlandfeindlichen Europas“. Die notwendige Reichweite wird künstlich durch sogenannte Troll-Fabriken erzeugt. Hierbei werden im Schichtdienst Desinformationen über verschiedene Netzwerke geteilt oder sogenannte „Shitstorms“ gegen Kritikerinnen und Kritiker inszeniert. Außerdem sind die russischen Auslandsvertretungen und Botschaften Teil der Strategie und verbreiten Desinformation und Propaganda über ihre offiziellen Auftritte.

Und bei wem zeigt Putins Propaganda Wirkung?

Pawlik: Bei den meisten Menschen in der Bundesrepublik verfängt russische Propaganda und Desinformationen nicht. Dennoch sind Menschen anfällig dafür, wenn es in der eigenen Lebenswelt Anknüpfungspunkte für bestimmte Informationen gibt oder sie die persönlichen Erfahrungen und innere Überzeugung bestätigen. Außerdem wirkt Putins Propaganda besonders bei denen, die regelmäßig nur einseitige Informationen konsumieren und sich gegenüber anderen Meinungen verschließen. Es gibt auch viele Menschen, die einfach nicht wissen, wie sie die Masse an Informationen einordnen sollen und woran man Desinformationen erkennt. Gerade in Zeiten von Krisen und Unsicherheit wirken Desinformationen und Propaganda besonders gut.

Sicherlich haben russischsprachige Menschen – allein schon wegen der Vertrautheit bei der Sprache – einen anderen Zugang zu den russischen Staatsmedien und kommen in einem viel größeren Ausmaß mit russischen Desinformationen in Berührung. Mir ist es aber wichtig zu betonen, dass die Gruppe der Deutschen aus Russland und die russischsprachige Community in Deutschland sehr heterogen ist. Die große Mehrheit verurteilt den schrecklichen Angriffskrieg auf die Ukraine und stellt sich den gezielten Spaltungsversuchen entgegen. Mir ist es wichtig, dass diese Mehrheit auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Was muss gegen Desinformation getan werden? 

Pawlik: Beim Umgang mit Desinformation setzt die Bundesregierung auf Zusammenarbeit. Daher wurde eine ressortübergreifende Arbeitsgemeinschaft gegründet, um Desinformation schneller zu erkennen und besser darauf reagieren zu können. Es gibt einen regelmäßigen Austausch zwischen Ministerien und Behörden. Ein wichtiger Aspekt ist zudem die Aufklärung über Wirkung und Funktionsweise von Desinformation. Das Bundesministerium des Innern hat Informationsmaterialien  zum Thema erstellt. Wir müssen die Kompetenz bei den Menschen so stärken, dass sie mit Falschmeldungen umgehen können. Mit Blick auf die russischsprachige Community fördert der Bund zum Beispiel zahlreiche Projekte im Rahmen der politischen Bildung und Aufklärung. Hier ist es vor allem wichtig, mit den betroffenen Menschen zu arbeiten und zu sprechen – statt nur über sie. 

Was kann die Gesellschaft und jede und jeder Einzelne tun?

Pawlik: Desinformation sorgt in unserer Gesellschaft für Verunsicherung. Wir müssen die Widerstandsfähigkeit gegen Desinformation stärken und für sozialen Zusammenhalt werben. Das fängt damit an, dass jede und jeder Einzelne dazu befähigt wird, dagegenzuhalten. Wir dürfen uns keiner Diskussion verschließen – im Gegenteil, wir müssen weiter auf Desinformation aufmerksam machen sowie falsche und irreführende Informationen widerlegen und richtigstellen. Eine Demokratie lebt letztendlich von überzeugten Demokratinnen und Demokraten, die sie mit Leben füllen und auch zuhause am Esstisch verteidigen. Hier ist jede und jeder Einzelne gefragt.