Dialogkonferenz am 19.01.2016 in Bonn

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Nachhaltigkeitsdialog Bonn 19.01.2016

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen

Foto: Tobias Tanzyna

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Sridharan,
sehr geehrte Kollegin Priska Hinz,
sehr geehrter Herr Staatssekretär,
meine sehr verehrten Damen und Herren, 

ich freue mich heute Morgen bei Ihnen zu sein. Und -  in der Tat Herr Oberbürgermeister - Bonn ist ein guter Ort für Nachhaltigkeit und Klimaschutz.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir zeitweise dabei waren, als hier in Bonn die Klimakonferenz in Paris vorbereitet wurde. Das hat gut geklappt und insofern ist das auch ein gutes Omen dafür, mit Hilfe einer Konferenz in Bonn zu einer gelungenen Neuauflage der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zu kommen. 

Nicht nur Bonn, sondern auch Nordrhein-Westfalen ist ein guter Ort für Nachhaltigkeits-diskussionen und mir als NRW-Minister und Vertreter der Landesregierung sei es gestattet, an dieser Stelle auch auf die Erfolge, die wir in NRW haben, hinzuweisen. Nicht wir selber haben uns Zeugnisse ausgestellt, sondern uns sind Zeugnisse ausgestellt worden. Die Rating-Agentur oekom research hat untersucht, welches Bundesland auf dem Weg zur Nachhaltigkeit am weitesten vorangekommen ist. Und ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass  NRW an erster Stelle liegt. Und auch die Agentur Moody’s hat uns in NRW gut bewertet. Wir seien sehr kreditwürdig, weil wir eine industriepolitische Strategie sowohl im Bereich der Nachhaltigkeit als auch des Klimaschutzes, aber auch als Gesellschafts-Aktivierungsstrategie mit allen Beteiligten auf den Weg gebracht haben. Einen solchen Beteiligungsprozess wie beim Klimaschutzplan hat es in der Tat vorher in NRW noch nicht gegeben - über 400 Menschen haben über eine lange Zeit an der Erarbeitung des Klimaschutzplans mitgewirkt. Hinzukommen 250 Institutionen sowie eine breite Bürgerbeteiligung. Im Dezember 2015 hat der Landtag dann den Klimaschutzplan NRW beschlossen. 

Ich möchte aber an dieser Stelle betonen: Der Klimaschutzplan ist nicht irgendetwas, was wir als Land NRW neu erfunden haben. Wir haben das nachvollzogen, Herr Oberbürgermeister, was viele Kommunen oder auch viele Unternehmen schon vor uns gemacht haben: nämlich sich Gedanken zu machen, wo sind strategische Ziele, wie können wir diese strategischen Ziele mit konkreten Maßnahmen hinterlegen und wie verabreden wir, diese Ziele auch regelmäßig zu überprüfen. Ich denke, das ist genau das, was wir miteinander machen sollten - sowohl bei der Nachhaltigkeit als auch beim Klimaschutz. 

Der Oberbürgermeister hat es bereits herausgestellt – wir reden über die 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung, die auf dem UN-Gipfel im letzten September verabschiedet wurde. Ein Quantensprung wie ich finde. 17 internationale Nachhaltigkeitsziele - die „Sustainable Development Goals/SDGs“, die sowohl für die Entwicklungs- als auch die Schwellenländer und Industriestaaten gelten: Das ist schon ein neuer Charakter und bindet uns in der Welt. 

Die internationale Verantwortung auch Deutschlands, seiner Länder, seiner Kommunen und seiner Wirtschaft wird durch dieses Dokument sehr deutlich. Wir alle in Deutschland, aber auch in NRW, sind aufgefordert, diese Verantwortung anzunehmen und uns ihrer bewusst zu werden. Aufgrund der historisch bedingten, ressourcen- und energieintensiven Wirtschaftsstruktur hat ein Land wie NRW eine besondere Verantwortung. 30 Prozent des nationalen CO2-Ausstoßes kommt nach wie vor aus NRW. Wir haben nach wie vor pro Kopf die höchsten Belastungen. Von 16 Tonnen CO2 aktuell müssen herunter auf 3 - 4 Tonnen. Wir werden nicht in NRW das Weltklima retten. Klar ist aber auch: Ohne Zielerreichung hier in NRW wird es weder national noch europäisch gelingen, die gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen. 

Wir brauchen in den Regionen und in den Kommunen neue klimaschonende, nachhaltige, ressourcenarme Lösungen für die Zukunft und müssen unseren eigenen Fußabdruck deutlich verringern. Zugleich können solche Lösungen auch in anderen Regionen der Welt Impulse setzen, auch das ist verbunden mit der Klimaschutzstrategie NRWs. Wir setzen hier auch auf Wett-bewerb. Wer hat die beste Lösung? Und wir ringen auch um diese beste Lösung. Dass es diese Lösungen geben wird, davon bin ich überzeugt. Sonst wären die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht zu bewältigen. Die entscheidende Frage ist: „Wer hat die Lösung zuerst und wer kann Impulse im Wettbewerb setzen?“ Diesem Wettbewerb wollen wir uns gerne stellen. 

Nordrhein-Westfalen unterstützt daher eine zügige und ambitionierte Umsetzung der SDGs in Deutschland. Dies vor allem über die Fortschreibung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zu tun ist der richtige Ansatz. Wir selbst haben bereits wenige Tage nach dem UN-Gipfel – das war länger vorbereitet – den Entwurf einer NRW-Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Diese greift die SDGs fast vollständig auf. Nur ein Thema – Sie werden Verständnis dafür haben – „Ozeane, Meere und Meeresressourcen“ hat keinen Eingang in unsere Strategie gefunden. Da werden andere mehr Beiträge leiten können. 

Wir haben unseren Strategieentwurf im November 2015 in eine öffentliche Konsultation gegeben. Derzeit prüft die Landesregierung die eingegangenen Stellungnahmen und überarbeitet auf dieser Grundlage den Strategieentwurf. Im Frühjahr 2016 wollen wir die Strategie endgültig verabschieden. Danach wollen wir die Strategie umsetzen. Damit kommen wir unserer Verant-wortung nach und leisten unseren Beitrag auch im Rahmen der nationalen Anstrengungen. 

Wir bringen NRW auch gerne in die anstehenden Diskussionen auf Bundesebene ein. Ich denke, dass wir einige interessante Aspekte einpflegen können. Die Klima- und Energiepolitik ist sicherlich ein Punkt, aber auch das, was in den Kommunen in NRW an vielen Stellen, aber auch in der Wirtschaft und Zivilgesellschaft schon geleistet worden ist. 

Es wurde bereits in der Begrüßung auf ein Vorzeige-Projekt aus NRW hingewiesen: Es ist mit Investitionen von über 4,4 Milliarden Euro das bisher größte Nachhaltigkeitsprojekt in NRW: Die Emscher-Renaturierung, die die Emscher-Region - soweit es geht - wieder zur einer natürlichen Region machen soll. Die Emscher,die über Jahrzehnte als offener Abwasserkanal, zweckentfremdet wurde und damit auch eine ganze Region geprägt hat, soll wieder den Menschen und der Natur zur Verfügung zu stellen. Das ist eine gewaltige Anstrengung. In dieser Form, in der Wiedergewinnung auch ehemals industriell übergeprägter Landschaften ist das schon einzigartig und ein gutes Signal für unsere gemeinsame nachhaltige Entwicklung. 

Eines möchte ich aber auch klar sagen: Nachhaltigkeit ist aus meiner Sicht keine "Kuschelveranstaltung". Es kann nicht richtig sein, alle Interessen einmal schön zusammenzurühren und dann darauf zu hoffen, dass etwas Gutes dabei herauskommt. Wir müssen vielmehr Konflikte und Interessenslagen erkennen und offen legen und auf dieser Grundlage nach guten, nachhaltigen Lösungen suchen. Das heißt aber auch, dass es meist Gewinner und Verlierer geben wird. So muss es sein, das Alte muss dem Neuen weichen. 

In Bonn gibt es ein besonders prägnantes Beispiel für eine Flucht aus der Realität: Die Burg Drachenfels, eine auch heute noch sehr schöne Burg, entstand im 19. Jahrhundert oberhalb des romantischen Rheintals, als anderswo in der Region die Schlote wie verrückt qualmten. Man hat sich sozusagen ein romantisches Schloss gebaut, ist geflohen vor der Wirklichkeit. 

Mein klarer Appell: Nachhaltigkeit darf nicht die neue Romantik werden! 

Nachhaltigkeit heißt für mich klar zu machen, was wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben – z.B. die Energiewende. Es heißt auch: Aufbau von neuen Strukturen, im Energiebereich dezentrale, erneuerbare Strukturen. Aber es heißt auch gleichzeitig: „Abwicklung von alten Strukturen“. Und wenn der Gipfel in Paris mit Nachdruck die sogenannte Dekarbonisierung beschließt, dann heißt es ja auch Abschied nehmen von einer Jahrtausend alten Menschheitstradition: nämlich dass wir alles, was wir in die Finger bekommen haben, ins Feuer geschmissen haben., obwohl man das, was man da verbrennt, auch noch anders hätte gut verwenden können. Wir stehen an einer Zeitenwende. Und deshalb ist es notwendig, die Interessensauseinandersetzung  klar zu führen, Interessen offen zu legen und nicht zur vermengen, sonst wird das Ziel verwässert. Und es werden dann auch nicht die Kräfte mobilisiert, um genau dieses Ziel zu erreichen. Und nach meiner Ansicht müssen wir schnell handeln! 

Nachhaltigkeit in einer globalen Welt heißt auch zu realisieren - und wir erleben das zur Zeit sehr drastisch - dass global nicht weit weg ist. Deshalb gefällt mir das Wort „global“ immer weniger. Ich würde eher den Begriff Nachbarschaft nutzen wollen. Die Welt, wie wir sie heute erleben, ist eine Nachbarschaftswelt. Das, von dem wir vorher geglaubt haben, es sei tausende Kilometer weit weg von uns, kommt plötzlich zu uns - in unsere Dörfer, in unsere Städte – und ist ganz nah bei uns. Die Menschen kommen aus Regionen, die es jedenfalls teilweise nicht mehr erlauben, dass dort ordentliches Leben, Arbeiten und Wirtschaften stattfindet. Gleichzeitig gibt es die internationale Verbindung und Verknüpfung, die das Internet erlaubt, sowohl im Guten wie im Schlechten. Wir können mit allen kommunizieren - in Echtzeit sozusagen. Gleichzeitig können sich aber auch krude Ideologien, die vielleicht in früherer Zeit in irgendwelchen hinterwäldlerischen Tälern Regie geführt haben, weltweit Bann brechen. 

Wir leben in einer Nachbarschaftswelt, in der es offenkundig notwendig ist, sich auf Ziele der Entwicklung, auf nachhaltige Entwicklung zu verständigen und dies auch ständig einzufordern und zu überprüfen. Das ist Sinn und Zweck eben auch der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung auch die Regionen einlädt, an dieser Strategie mitzuwirken. Sie sind heute sehr zahlreich erschienen. Der Saal ist übervoll. Das macht deutlich, welch hohes Interesse Sie mitbringen aus Wirtschaft, aus den Kommunen, aus den Projekten, die es bereits gibt und die in diese nationale Nachhaltigkeitsstrategie eingepflegt werden sollen. Und ich bin der Überzeugung: Wir können viel international, national, auf der Ebene der Länder beschließen. Letztlich sind es aber die Menschen, die das konkret leben und ausfüllen. Sie sind es, die den Trampelpfad breiter machen müssen, damit noch mehr auf diesen Pfaden laufen können. Deshalb herzlichen Dank, dass sie gekommen sind, herzlichen Dank an die Bundesregierung! Ich wünsche gutes Gelingen der Veranstaltung!