Wieder laufen und greifen können

Hightech-Strategie Wieder laufen und greifen können

Bessere Lebensqualität für Menschen, die eine Hand oder ein Bein verloren haben – das will das Forschungsprojekt INOPRO schaffen. Hightech-Prothesen sollten künftig mehr Unterstützung sowie verbesserten Komfort bieten und sogar fühlen können.

3 Min. Lesedauer

Geländeläufer mit Beinprothese

Mehr Lebensqualität trotz Handicap: Auch sportliche Aktivitäten sind dank Prothese wieder möglich.

Foto: Otto Bock HealthCare GmbH

Menschen, die bei einem Unfall ein Bein verloren haben, einen Arm oder eine Hand oder aufgrund einer neurologischen Erkrankung nicht mehr laufen oder greifen können, haben heute Möglichkeiten, sich wieder weitestgehend normal zu bewegen. Modernste Prothesen gestatten es relativ jungen und aktiven Menschen, selbst nach einer Amputation beider Beine wieder zu laufen.

Lebensqualität durch Hightech

Inzwischen gibt es Hightech-Mechaniken, die auch natürliches Gehen ermöglichen. Früher mussten Patienten mit partieller Lähmung aufgrund einer herkömmlichen, am Knie steifen Orthese jede Treppe rückwärts hinuntergehen. Dank moderner Technik können sie heute eine Treppe heruntergehen wie gesunde Menschen. Selbst viele sportliche Aktivitäten sind mit modernen Orthesen oder Prothesen möglich.

Auch viele Funktionen der Hand lassen sich heute durch Prothesen wieder herstellen, wobei das Greifen eines Gegenstandes durch myoelektrische Aktivität gesteuert wird: Durch biochemische Prozesse in den Muskelzellen wird elektrische Spannung im Mikrovoltbereich erzeugt. Diese wird durch die Prothese wahrgenommen und in Bewegung umgesetzt. So kann der Träger die künstlichen Finger mit angemessener Kraft schließen. Allerdings spürt der Träger der Prothese nicht den Gegenstand und die aufgewandte Kraft.

Bisher nicht für jeden

Genium Prothesenkniegelenk bionik C-Leg

Kniegelenk-Prothese

Foto: Otto Bock HealthCare GmbH

Diese Möglichkeiten gibt es heute schon – jedoch leider nicht für jeden Patienten: Gerade ältere Menschen bringen vielmals nicht die Kraft und Beweglichkeit auf, um mit diesen modernen Prothesen umzugehen. Dafür müssten diese technischen Hilfsmittel deutlich "intelligenter" sein. Sie müssten über Sensoren genauer und vor allem sehr schnell erkennen können, was ihr Träger machen will. Auch bedarf es Motoren oder Hydrauliken, die Bewegungen aktiv unterstützen.

Darum geht es im Projekt INOPRO (Intelligente Orthetik und Prothetik für eine verbesserte Mensch-Technik-Interaktion). Es wird vom Bundesforschungsministerium gefördert und und besteht aus einem Konsortium von wissenschaftlichen Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen – unter der Federführung der Otto Bock HealthCare.

Gesamtsystem

Sind Fuß und Knie heute noch separate Komponenten, so sollen sie in neuen Prothesen ein Gesamtsystem darstellen und zusammenwirken, um eine möglichst natürliche Bewegung zu ermöglichen. Sollte dies gelingen, könnten viele Menschen durch diese Hilfsmittel mehr Mobilität und damit eine bessere Lebensqualität bekommen.

Handprothesen sehen bislang deutlich anders aus als eine echte Hand. Mit Hilfe modernster additiver Fertigung (3D-Druck) wollen die Forscher individuell gestaltete mechanische Hände entwickeln, die optisch von der echten Hand kaum zu unterscheiden sind. Für viele Menschen ist nicht nur die Funktion der Ersatzhand wichtig, sondern auch die Tatsache, dass man die Prothese nicht auf den ersten Blick erkennt.

Schnittstelle Mensch-Maschine

zwei Frauen gehen, eine davon mit Orthesen

Moderne Technik macht's möglich: wieder normal laufen können.

Foto: Otto Bock HealthCare GmbH

Schon die Umsetzung der genannten Forschung in zwei Teilprojekten wird die Lebensqualität betroffener Menschen deutlich erhöhen. Die Forscher wollen aber noch einen Schritt weiter gehen und eine bewusste Wahrnehmung von Sensoren der Prothesen im Gehirn entwickeln. Experimente haben gezeigt, dass es möglich ist, sogenannte Mensch-Maschine-Schnittstellen zum peripheren Nervensystem zu schaffen.

Eine Anwendung bestünde darin, Muskeln wieder zu aktivieren, die aufgrund einer neurologischen Erkrankung ihre Funktion verloren haben. Es wäre denkbar, durch das Einpflanzen einer Elektrode in einen Oberschenkel die Nerven bewusst zu stimulieren und ihn dadurch wieder funktionsfähig zu machen. Langfristig sind noch viel weitergehende Entwicklungen denkbar. So könnten Impulse von in die Prothesen eingebauten Sensoren im Gehirn ankommen, so dass die Person tatsächlich den Untergrund spürt, auf dem er läuft oder den Gegenstand, den er berührt.

Lebensqualität bald verbessern

Aber das ist weit in die Zukunft gedacht. Dem Konsortium geht es zunächst darum, recht bald zu Lösungen zu kommen, die vielen Menschen nach einem Unfall oder einer schweren Erkrankung wieder zu neuer Lebensqualität verhelfen.

Dabei gilt es auch ganz praktische Probleme zu lösen, wie etwa die Kosten. Die Hightech-Produkte, individuell hergestellt und angepasst, werden nicht billig sein. Es muss also schon jetzt geprüft werden, ob und unter welchen Bedingungen Krankenkassen und Versicherungen die Kosten übernehmen. Auch die Gestaltung der Prothesen, ihr Gewicht und der Energieverbrauch sind Themen, die zum Projekt gehören. Akzeptanz setzt Tragekomfort voraus.

Mitglieder des Konsortiums: Otto Bock HealthCare, die Universität Freiburg und Göttingen sowie die Fachhochschule Lübeck, das Karlsruhe Institut für Technologie, Makea Industries, Eckerle Industrie-Elektronik, Plettenberg Elektromotoren, Sanitätshaus Bielefeld, CorTec.