Faszinierende Lichtshow in der Tiefsee

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Forschung zu Biolumineszenz Faszinierende Lichtshow in der Tiefsee

Viele Lebewesen in der Tiefsee verfügen über Leuchtorgane und hochspezialisierte Augen, um in der absoluten Dunkelheit existieren zu können. Einen Einblick in dieses Phänomen gibt der Experte Professor Hans-Joachim Wagner im Interview.

4 Min. Lesedauer

ein rund 30 Zentimeter langer Sloanes Viperfisch

Der rund 30 Zentimeter lange Sloanes Viperfisch lebt in einer Wassertiefe von bis zu 1.000 Metern und lockt seine Beute durch seine Lichtorgane an. 

Foto: Wensung Chun, University Queensland, Brisbane

Herr Professor Wagner, wir sprechen in diesem Interview über das Phänomen Biolumineszenz. Was ist darunter zu verstehen?

Das ist die Fähigkeit von Tieren, Licht durch chemische Reaktionen zu erzeugen. Diese Fähigkeit besitzen auch einige Pilze. Und wir kennen das in unseren Breiten von den Glühwürmchen. Biolumineszenz entfaltet ihre Wirkung vor allem in dunkler Umgebung, etwa in der Tiefsee. Dort unten, unterhalb von 1.000 Metern Tiefe, fehlt jegliches Sonnenlicht. Aber dort lebende Tiere haben die Fähigkeit entwickelt, eigenes Licht für verschiedene Zwecke einzusetzen.

Professor Hans-Joachim Wagner ist Gruppenleiter „Tiefsee“ am Institut für Neuroanatomie und Entwicklungsbiologie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Sein Forschungsschwerpunkt sind Tiefseefische und deren Sensorik.

Für welche Zwecke wird das Leuchten denn eingesetzt?

Zum Beutefang, zur Kommunikation oder zur Tarnung. Da gibt es Krebse, die lumineszierende Wolken ausspucken, um dadurch Fressfeinde zu verwirren und sich aus dem Staub zu machen. Oder der Tiefsee-Anglerfisch: Er trägt ein Leuchtorgan an einem langen Flossenstrahl vor beziehungsweise über dem Maul. Das sieht aus wie ein leuchtender Wurm und lockt Beutetiere an. Andere Fische praktizieren eine Art Gegenlichttarnung. Allgemein gesprochen: In der Tiefsee gibt es einen andauernden Wettkampf - einer versucht die Strategie des anderen zu übertrumpfen, um bessere Überlebenschancen zu haben.

Wie kann dieses Phänomen von Wissenschaftlern wie Ihnen erforscht werden, wenn es oft nur ein Glimmen in der großen dunklen Weite des Ozeans ist?  

Nein, da spielt sich mitunter eine faszinierende Lichtshow ab. Das ist wie ein Feuerwerk, wirklich atemberaubend. Biolumineszenz können wir unter anderem mit Tiefseerobotern und Mini-U-Booten nachweisen. Oder wir versuchen diese leuchtenden Tiere während einer Expedition mit Forschungsschiffen zu fangen und können sie an Bord in dunklen Klimakammern beobachten. 

In der Tiefsee sollen laut Studien rund 90 Prozent aller Tiere mit Leuchtorganen ausgestattet sein. Ohne diese Fähigkeit ist es also schwierig zu überleben?

Die Tiere haben sich an diese unwirtlichen, schwierigen Lebensbedingungen angepasst. Nach unseren Beobachtungen haben die Tiefsee-Bewohner bis auf wenige Ausnahmen sehr große und spezialisierte Augen. Zudem ist der Sehbereich in ihren Gehirnen stark ausgeprägt und nimmt eine wichtigere Rolle ein als andere sensorische Bereiche. Mit ihren Augen versuchen diese Tiere, noch die letzten Lichtquanten einzufangen. Wer besser sieht als andere, hat bessere Chancen zu überleben. Besonders raffiniert gehen Tiefsee-Drachenfische vor: Sie können neben blauer Biolumineszenz zum Anlocken der Beute – meist sind das kleine Krebse – in einem separaten Leuchtorgan auch rotes Licht erzeugen, welches kaum ein Tiefseebewohner außer ihnen selbst sehen kann. Im Lichtkegel dieser fast infraroten Biolumineszenz können sie ihre Beute beobachten und sich annähern, bleiben selbst aber unsichtbar. Das funktioniert wie ein biologisches Nachtsichtgerät!  

Faszinierend. Sie sind als Anatom in BMBF-geförderten Projekten mit dem Forschungsschiff „Sonne“ über die Meere gefahren, um Biolumineszenz zu erforschen. Wie konnten sie die oftmals kleinen Tiere weit unter der Meeresoberfläche einfangen und an Bord bringen?

Wir fischen da oft im wahrsten Sinne des Wortes im Trüben, und fangen dann mit speziellen Netzen meist die „Lahmen und Blinden“, also die Tiere, die nicht schnell genug wegschwimmen können. Drachenfische zum Beispiel sind selten. Die zu fangen, ist absolutes Glück. Die Proben werden dann an Bord eingefroren, nach Hause verschifft und dann im Heimatlabor ausgewertet. Mich als Anatom interessiert vor allem der Aufbau der Augen der Tiefsee-Fische, das sind optische Wunderwerke.

Wie funktionieren diese Wunderwerke?

Im Gegensatz zum menschlichen Auge, das Zapfen zum Wahrnehmen von Farben bei Tage und Stäbchen zum Hell-Dunkel-Sehen bei Nacht enthält, verfügen die Fische in der Tiefsee nur über Stäbchen. Diese sind aber so dicht gestaffelt, dass damit noch das geringste Restlicht absorbiert werden kann. Der Aufbau ist faszinierend. Manche Tiefseefische haben zylinderförmige Röhrenaugen ausgebildet, die beim Schwimmen weniger Widerstand erzeugen. Sie engen allerdings das Gesichtsfeld stark ein. Meist können diese Tiere nur nach oben schauen. Bei bestimmten Arten von Gespensterfischen, die wir auf Expeditionen mit der „Sonne“ fangen konnten, haben wir entdeckt, dass es seitlich an diesen Röhrenaugen eine Aussackung gibt, mit eigener Netzhaut und einer Spiegeloptik. Mit den Seitenaugen können diese Gespensterfische ihr Gesichtsfeld erweitern und zusätzlich noch nach unten schauen.

ein durchsichtiger Beilfisch

Biologen haben bislang rund 70 Arten der 2 bis 14 Zentimeter langen Tiefsee-Beilfische entdeckt.

Foto: Wensung Chun, University Queensland, Brisbane

Oft werden Vorbilder aus der Natur für technologische Entwicklungen genutzt. Gilt dies auch für die Biolumineszenz?

Biolumineszenz brachte schon einen Nobelpreis für die Biomedizin hervor. Der japanische Chemiker Osamu Shimomura war in den 1960er Jahren bei Untersuchungen von leuchtenden Quallen aus dem Meer auf ein Molekül gestoßen, welches er als grün fluoreszierendes Protein beschrieben hatte. Heute ist dieses Protein aus der medizinischen und biochemischen Forschung nicht mehr wegzudenken. Aber auch die von uns beschriebenen Augen der Gespensterfische schafften es schon in die praktische Anwendung. Architekten entdeckten unsere Publikationen und nutzten die Beschreibungen zur Optik der Spiegelaugen als Grundlage für das Lichtkonzept in einem Kongresszentrum in Asien. Unsere Forschung wurde auch im gerade veröffentlichten und ziemlich erfolgreichen Buch „Sentient“ der Autorin Jackie Higgins ausführlich beschrieben. 

Was war ihr eindrucksvollstes Erlebnis im Zusammenhang mit Kreaturen aus der Tiefsee?

Jedes Mal, wenn das Netz hochkommt und der Fang gesichtet wird, sind alle sehr gespannt. Bevor die Tiere ins helle Labor kommen, wird der Fang in einer Dunkelkammer unter schwachem Rotlicht gesichtet, um zu verhindern, dass die Sehfarbstoffe gebleicht werden. Dabei kommt es bei gut erhaltenen Exemplaren immer wieder vor, dass sie beginnen zu leuchten. Die direkte Beobachtung dieser Biolumineszenzmuster gehört zu den eindrucksvollsten Erlebnissen. 

In mehreren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Expeditionen mit dem Forschungsschiff „Sonne“ wurden das Phänomen Biolumineszenz vom Anatomischen Institut der Universität Tübingen erforscht. Zuletzt ging es im Projekt „Biolumineszenz IV“ um die Anpassung der visuellen Systeme von Tiefsee-Fischen an die Biolumineszenz.