Starke Dörfer – mit Hilfe der EU

EU vor Ort: "Krachtige Kernen" Starke Dörfer – mit Hilfe der EU

Junge Leute ziehen weg, Geschäfte schließen und ältere Menschen bleiben unter sich – wie lässt sich dieser Trend in Dörfern und Gemeinden stoppen? Und welche Rolle können dabei Bürgerinnen und Bürger spielen? Darum geht es bei dem von der EU geförderten deutsch-niederländischen Projekt "Krachtige Kernen/Starke Dörfer".

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Eine Kopfsteinpflasterstraße führt um die Ecke eines weißen Hauses mit grünen Holzfensterläden. Vor den Fenstern hängen mit roten Blumen dicht bepflanzte Blumenkästen. Auf der anderen Straßenseite weht eine Deutschland-Flagge an einem Holzpfahl.

Starkes Dorf am Rhein: Den Bewohnern in Grieth ist es gelungen, die Landflucht zu stoppen und die Lebensqualität im Ort zu steigern.

Foto: picture alliance / dpa

"Auf beiden Seiten der Grenze bestehen ähnliche Herausforderungen", sagt Projektmanager Rolf Laakmann. "Aber Deutsche und Niederländer gehen sie oft unterschiedlich an. Genau hier liegt die große Chance, voneinander zu lernen." Zum Beispiel bei sogenannten "Dörfertreffen".

Sich gegenseitig unterstützen

Im Dorf America in den Niederlanden kümmert sich etwa ein "Dorpsondersteuner"- also ein Dorfunterstützer – um die Menschen. Er achtet darauf, dass die älteren Gemeindemitglieder ihre Medikamente nehmen, kümmert sich aber auch um gemeinsame Zusammenkünfte oder schlicht um die Frage, wie jemand zum Arzt kommt.

Die Idee zündete auch in dem deutschen Dorf Kapellen an der Fleuth. Bei der Planung neuer Wohneinheiten für mehrere Generationen kam dem Dorf der Kontakt zu einem sozialen Träger zugute: Beide Seiten, der Träger und der Investor für den Wohnungsneubau, wollen nun eine halbe Stelle für einen "community worker" (Gemeindearbeiter) einrichten. 

Menschen, die vorangehen

Aber was braucht es, damit Initiativen entstehen, damit das Leben auf dem Land attraktiv bleibt? Klaus Hegemann, der sich im Rahmen des Projekts "Krachtige Kernen/Starke Dörfer" (KRAKE) mit der Identität von Dörfern beschäftigt, weiß Antwort: "Menschen, die vorne wegmarschieren, und eine Begeisterungsfähigkeit, die andere ansteckt". Wenn das Umfeld attraktiv werde, komme es zu einem "spiraling up", einer positiven Wechselwirkung.

So wie in Grieth am Rhein. Wie viele andere Dörfer auch war Grieth von der Landflucht betroffen: Die Kneipen stellten den Betrieb ein, bald gab es auch keinen Bäcker mehr. Damit wollten sich die Daheimgebliebenen nicht abfinden. Sie wurden aktiv und errichteten ein kleines "Hanselädchen" auf dem Marktplatz. Dieses ist längst zum sozialen Treffpunkt geworden: Hier trinkt man seinen Kaffee, trifft sich auf ein Stück Kuchen, tauscht sich mit den anderen Leuten aus dem Dorf aus. Getragen wird das Geschäft von einer Genossenschaft, ein Großteil der 800 Einwohnerinnen und Einwohner Grieths beteiligt sich. "Man muss eine Umsetzung finden, die auch wirtschaftlich ist", weiß Hegemann, "sonst kommt es zum ehrenamtlichen Burnout".

Auf dem Weg zu einer "Healthy Lifestyle Community"

Auch Heike Englert hat sich sofort für das europäische Projekt zur Stärkung der Dörfer und Kommunen interessiert. Seit über 30 Jahren beschäftigt sich die Professorin der FH Münster mit der Frage: "Wie schafft man es, Menschen dazu zu bringen, gesund zu leben?" Das Wissen über einen gesunden Lebensstil sei zwar vorhanden, "aber oft scheitert es an der Umsetzung", berichtet Englert. Daraus entstand die Idee einer "Healthy Lifestyle Community" in der Kommune Billerbeck und den angrenzenden Dörfern. 

In einem ersten Schritt wurde ein Gesundheitsmarkt mit übergroßen Organmodellen auf die Beine gestellt. Ärzte, Vereine, Physiotherapeuten und viele Ehrenamtliche machten mit. Der Markt stieß auf großes Interesse: 220 Interessierte fanden sich im Anschluss für einen zehnwöchigen Workshop zum Thema gesunder Lebensstil zusammen. Mit dabei: Hannelore und Hans-Jakob Reuters. Ihre Ernährung umstellen mussten sie aus gesundheitlichen Gründen ohnehin. Und da sie erst vor drei Jahren in das Dorf gezogen waren, war der Workshop genau das Richtige, um Gleichgesinnte zu treffen.

Hannolore und Hans-Jakob Reuters mit Küchenschürze und Schneidebrett in der Küche.

Gemeinsames Kochen in der alten Landwirtschaftsschule in Billerbeck bei Münster.

Foto: Heike Englert

Ein neuer Lebensstil im Dorf

Der Workshop ist zwar längst ausgelaufen. Eine kleine Gruppe trifft sich aber immer noch. Die Alumnis kommen monatlich zusammen, um gemeinsam ihren neuen Lebensstil zu pflegen. Auf dem Programm stehen Bogenschießen, Tanzen, Walking und Brot backen. "Wir fühlen uns hier richtig gut aufgehoben", sagt Hannelore Reuters .

Auch Nicht-Alumnis sind willkommen: Immer wieder lädt die Gruppe andere Leute ein, gemeinsam mit ihnen zu kochen und zu essen, auch Geflüchtete. Gesundes Essen bringt Menschen zusammen.

Eine Anregung für andere Dörfer

Diese Beispiele zeigen: Wenn Menschen vorangehen und aktiv werden, wird auch das Leben auf dem Land wieder attraktiver. "Man muss das soziale Kapital aktivieren", meint Hegemann. Das sei identitätsstiftend. Dann kann es klappen, die Landflucht zu stoppen.

Insgesamt beteiligen sich 55 Dörfer diesseits und jenseits der deutsch-niederländischen Grenze an dem Projekt. Sogenannte Projektteams, die verschiedenen "Arbeitspaketen" zugeteilt sind, moderieren und vernetzen, halten Ideen fest. Die Themen dabei sind vielfältig: von Wohnen über Identität bis hin zu Pflege und Gesundheit. Im Mai soll zu jedem Thema ein Handbuch mit konkreten Ergebnissen und Tipps erscheinen, das auch anderen Dörfern zur Verfügung gestellt wird. Ganz nach dem Motto: voneinander lernen.

Das Projekt "Krachtige Kernen/Starke Dörfer" (KRAKE) wird im Rahmen des INTERREG Programms Deutschland-Niederlande mit Mitteln der Europäischen Union, des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Provinz Gelderland finanziert. Bis zu 3,8 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Weitere Informationen, auch zu den Projektpartnern, finden Sie hier.