"Wir müssen mit der Präventionsarbeit vor Ort sein" 

Interview mit Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus "Wir müssen mit der Präventionsarbeit vor Ort sein" 

Menschenfeindliche Angriffe und Handlungen gefährden die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. Die Bundesregierung fördert deshalb Präventionsprogramme wie "Demokratie leben!". Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung Berlin, berichtet im Gespräch über das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus.

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Foto zeigt Timo Reinfrank

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung Berlin.

Foto: Peter van Heesen

Sie sind als Stiftung Teil des Kompetenznetzwerks Rechtsextremismus: Wie reagiert das Netzwerk auf die aktuellen Ereignisse in Hanau?

Timo Reinfrank: Der Anschlag in Hanau hat uns tief getroffen. Zuallererst braucht es gesellschaftliche Solidarität mit den Opfern und allen von Rassismus Betroffenen und Bedrohten. Sie müssen alle Demokratinnen und Demokraten fest an ihrer Seite wissen, ihren Berichten und Bedürfnissen muss Gehör geschenkt werden. Für unsere fachliche Arbeit heißt das, ihre Perspektive muss systematisch Eingang in Präventions- und Demokratieprogramme und darüber hinaus finden. Außerdem müssen wir uns auch die Frage stellen: Wie können Anzeichen für eine rechtsextreme Radikalisierung bis hin zur Ausführung von Anschlägen besser erkannt werden? Der Anschlag hat auch noch einmal deutlich gemacht, welche Gefahr von verschwörungsideologischen Wahnbildern ausgeht, die im Rechtsextremismus präsent sind. Das werden wir auch weiterhin in unsere Arbeit einbeziehen.

Mit 14 Kompetenznetzwerken   soll das Engagement für Demokratie und Vielfalt, gegen Extremismus und Antisemitismus vor Ort verbessert und gebündelt werden. 40 Träger beziehungsweise Trägerverbünde sollen die Zusammenarbeit stärken, inhaltliche Expertise im jeweiligen Themenfeld weiterentwickeln und diese Expertise bundesweit zur Verfügung stellen.

Was steckt hinter der Idee eines Kompetenznetzwerks?

Reinfrank: In den im Bundesprogram "Demokratie leben!" geförderten Kompetenznetzwerken finden sich seit Januar dieses Jahres, nach Handlungs- und Themenfeldern geordnet, Träger zusammen, die ihre bisherige Arbeit und Erfahrungen nun im Feld bündeln und die losen Enden der Rechtsextremismusprävention verbinden können. Das Kompetenznetzwerk versteht sich als Erstanlauf-, Beratungs-, Qualifizierungs-, Weitervermittlungs- und Servicestelle von zielgruppengerechten Angeboten. Jeder Träger bringt dabei unterschiedliche Kompetenzen und Perspektiven ein und befruchtet so die Zusammenarbeit.

Das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus ist ein Zusammenschluss aus den Trägern: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V. , Amadeu Antonio Stiftung ,  LidiceHaus Jugendbildungsstätte Bremen , cultures interactive e. V.   und Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e. V.

Warum ist Vernetzung so wichtig?

Reinfrank: Rechtsextremismus ist ein komplexes Problem: Rechte Milieus radikalisieren sich und strahlen in weite Teile der Gesellschaft. Eine Grenzziehung zum offenen Rechtsextremismus ist zunehmend schwierig. Rechtsextreme haben sich modernisiert, sie nutzen aktionsorientierte Formate und nehmen verbreitete gesellschaftliche Ressentiments auf. Sie bedienen demokratiefeindliche Haltungen und treten massiver in der Öffentlichkeit auf. Die Präventionsarbeit ist also vielseitig herausgefordert: Zwar gab es auch bisher schon Zusammenarbeit, Austausch und Kooperationen. Dennoch freuen wir uns, dass dies nun systematisch geschieht und auch in der Förderlogik abgebildet wird. Gemeinsam schauen wir noch genauer darauf, wie unsere Arbeit und Perspektiven sich ergänzen können, wo wir voneinander lernen und Kräfte bündeln können. In Zeiten, in denen Initiativen und engagierte Menschen immer wieder Bedrohung und Anfeindungen ausgesetzt sind, können wir als Kompetenznetzwerk noch besser unterstützen und beraten.

Die neue Förderphase hat erst im Januar dieses Jahres begonnen. Welche Ziele haben sie sich denn gesetzt?

Reinfrank: Wir müssen mit dem Thema und der Präventionsarbeit in die Breite kommen - vor Ort sein, präsent sein, und bundesweit mit der Initiativenlandschaft Austausch entwickeln. Das heißt auch, nicht nur Fachleute zu erreichen, sondern in Regelstrukturen der Kinder- und Jugendarbeit, in Vereine und Verbände, Religionsgemeinschaften, aber auch in Verwaltung sowie Polizei und Justiz hineinwirken. Aber auch unsere eigene Arbeit, die der jeweiligen Träger mit ihren unterschiedlichen Gründungsanlässen, die bis heute aktuell sind, müssen sichtbarer gemacht werden, so dass wir gegenseitig voneinander zu lernen können.

Das Bundesprogramm "Demokratie leben!" wird seit 2015 vom Bundesfamilienministerium gefördert. Unterstützt werden Projekte, die sich für ein vielfältiges und demokratisches Miteinander vor Ort einsetzen. Auch im Jahr 2020 ist das Programm wieder mit 115,5 Millionen Euro ausgestattet.