Herzstück der neuen Energieinfrastruktur

"Stromautobahnen" Herzstück der neuen Energieinfrastruktur

Deutschland braucht leistungsfähigere Stromnetze für den Ausbau von erneuerbaren Energien um Wind, Sonne und Co. Um die Netze fit für die Energiewende zu machen, wurden in den letzen Jahren viele Netzausbauvorhaben beschlossen. So ist die Inbetriebnahme des sogenannten Interkonnektor „NordLink“ zwischen Deutschland und Norwegen ein weiterer wichtiger Baustein der Energiewende. Darüber hinaus hat die Bundesnetzagentur den „Netzentwicklungsplan Strom 2021-2035“ (NEP 2035) zur Konsultation gestellt. Ein „Praxisleitfaden Netzausbau“ enthält Handlungsempfehlungen zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren von Netzausbauvorhaben.

8 Min. Lesedauer

Ein Freileitungsmonteur arbeitet auf einen Starkstrommast.

Verantwortlich für Anträge, Bau und Betrieb der Leitungen sind die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber.

Foto: picture-alliance/dpa/Büttner

Der Bau neuer Übertragungsnetze in Deutschland ist nötig, da Strom mit dem Umbau unserer Energieversorgung (schrittweise Aschaltung der verbleibenden Kernkraft- und Kohlkraftwerke)und dem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien zukünftig oft über weite Strecken von den Stromerzeugern zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern gelangen muss. Dafür müssen "Engpässe" im Stromüberleitungsgesetz beseitigt werden.

Denn der erneuerbare Strom aus Windenergie wird vorrangig im Norden und Osten sowie auf See erzeugt. Also dort, wo der Wind besonders stark weht. Da aber die größten Stromverbraucher - allen voran große Industriebetriebe - sich im Süden und Westen Deutschlands befinden, muss der Windstrom aus dem Norden  dort hin transportiert werden. Gleichzeitig schwankt aber die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien stark: Strom fließt nur, solange der Wind weht oder die Sonne scheint.

Früher waren "Einbahnstraßen" – Übertragungs- und Verteilnetze – ausreichend, die den Strom von zentralen Kraftwerken zum Verbraucher brachten. Heute geht eine Vielzahl an kleinen Erzeugungsanlagen zusätzlich ans Netz, wie zum Beispiel Photovoltaik-Anlagen auf Dächern. Das sorgt für "Gegenverkehr" beim Stromtransport.

„Grüne“ Stromverbindung zwischen Deutschland und Norwegen

Nach dreijähriger Bauzeit ist der sogenannte Interkonnektor „NordLink“  in Betrieb gegangen. Die 623 km lange Gleichstromautobahn von Tonstad in Norwegen nach Wilster in Deutschland ist die längste Seekabel-Stromverbindung der Welt – und ein wichtiger Baustein der europäischen Energiewende. Mit ihr werden der norwegische und deutsche Strommarkt erstmalig direkt miteinander verbunden. Die Übertragung erfolgt über die Hochspannungsgleichstromtechnologie mit bis zu 1400 Megawatt.

Ziel von NordLink ist es, zur Versorgungssicherheit in beiden Strommärkten beizutragen: In Zeiten geringerer Stromerzeugug in Deutschland kann zur Deckung der Stromnachfrage norwegischer Strom aus Wasserkraft bezogen werden. Umgekehrt verschafft die direkte Verbindung nach Norwegen die Möglichkeit, bei hoher Nachfrage Strom aus Windkraft aus Deutschland zu beziehen und damit Wasserkraft einzusparen.

Neue Netze für die Energiewende

Deutschland stellt sich diesen Herausforderungen: Ausbau und Modernisierung großer Überlandleitungen mit Höchstspannung, der so genannten Übertragungsnetze, stehen dabei im Mittelpunkt.

Das deutsche Stromnetz wird unterteilt in Verteilnetze (Hochspannung, Mittelspannung und Niederspannung) und Übertragungsnetze (Höchstspannung). Diese Übertragungsnetze mit Höchstspannung von 220 oder 380 Kilovolt haben in Deutschland insgesamt eine Länge von circa 37.000 Kilometern. Das Höchstspannungsnetz dient dem landesweiten Transport von Strom zu Verbrauchsschwerpunkten. Es ist mit so genannten Kuppelleitungen auch an das europäische Verbundnetz angeschlossen.

Bundeseinheitliches Planungs- und Genehmigungsverfahren

Netzbetrieb und Netzausbau sind in Deutschland privatwirtschaftlich organisiert. Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen für langfristige Investitionen der Netzbetreiber zu verbessern. Die Bundesregierung hat deshalb das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) vollständig überarbeitet. Es gewährleistet eine transparente und koordinierte jährliche Netzausbauplanung für das gesamte deutsche Höchstspannungsnetz. Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) führt ein bundeseinheitliches Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Bau neuer Höchstspannungsleitungen ein: jedes Netzausbauprojekt durchläuft drei Phasen bis es schließlich in Betrieb geht: das Raumordnungs- und Bundesfachplanungsverfahren, das Planfeststellungsverfahren und die Bauphase. Das gilt für alle Leitungen über Ländergrenzen hinweg.  

Zahlen & Fakten
Innerhalb der erneuerbaren Energien ist Windkraft im Strombereich die mit Abstand wichtigste regenerative Stromquelle. Um den Windstrom landesweit verfügbar zu machen, benötigt Deutschland - je nach Übertragungstechnik - bis zu 3.600 Kilometer zusätzliche Höchstspannungsleitungen.

Das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) regelt seit 2009 den schnelleren Ausbau von 22 sogenannten 380-kV-Drehstrom-Höchstspannungsleitungen im Übertragungsnetz. Sechs der 22 Vorhaben sind als Erdkabel-Pilotprojekte gekennzeichnet. Bei diesen Vorhaben besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit zur Teil­erdverkabelung. Die Gesamtlänge der EnLAG-Vorhaben liegt bei etwa 1.800 Kilometern.

Ende 2019 waren rund die Hälfte aller Projekte nach dem Energieleitungsausbaugesetz in Betrieb, ein weiteres Drittel ist im Bau. Bis Ende 2020 sollen dann rund 90 Prozent dieser Vorhaben im Bau oder bereits in Betrieb sein, so die Prognose.

Weitere Informationen finden Sie bei der Bundesnetzagentur .

„Praxisleitfaden Netzausbau“

Jedes einzelne Netzausbauvorhaben muss geplant, genehmigt und realisiert werden. Ein komplexer Prozess, der Zeit und personelle Ressourcen in Anspruch nimmt. Ein vom Bundeswirtschaftsministerium erarbeiteter „Praxisleitfaden Netzausbau“ soll die jeweiligen Netzausbauverfahren optimieren und beschleunigen. Der Leitfaden enthält mehr als 100 Handlungsempfehlungen unter anderem zu den Stichworten Projektmanagement, Ressourcenmanagement, Öffentlichkeitsbeteilung, Zulassung und Realisierung. Auch greift er dabei auf Erfahrungen der Genehmigungsbehörden früherer und aktueller Vorhaben zurück und bringt bekannte Lösungsansätze und neue Empfehlungen für eine effektive und effiziente Nutzung zusammen.

Netze stabilisieren, Stromversorgung sichern

Für eine sichere Energieversorgung und einen stabilen Netzbetrieb müssen Stromangebot und Nachfrage stets ausgeglichen sein. Die inzwischen großen Energielieferanten Wind und Sonne produzieren jedoch je nach Wetterlage und Tageszeit unterschiedliche Strommengen. Um die Netze dennoch stabil zu halten, arbeitet das Energiemanagement mit Industrieanlagen zusammen, die aufgrund ihres Produktionsprozesses in der Lage sind, ihren Stromverbrauch spontan zu drosseln. Die Verordnung zu abschaltbaren Lasten regeln der Adressatenkreis sowie die Vergütung.

Die Verordnung regelt, dass große Verbraucher wie Unternehmen, die ihren Strombezug auf Zuruf der Netzbetreiber reduzieren und damit das Netz stabilisieren, für diese Dienstleistung eine Vergütung erhalten. Gegenüber der Vorgängerregelung gibt es nun Änderungen im Adressatenkreis, sodass deutlich mehr Unternehmen an dem System teilnehmen können. Zudem wird die zukünftig wöchentliche statt monatlich stattfindende Ausschreibung den Wettbewerb stärken.

Finanziert wird die Vergütung über eine Umlage. Diese liegt für einen Durchschnittshaushalt im Jahr bei etwa 30 Cent.

Die Abschaltbare-Lasten-Verordnung trat 2013 in Kraft und wurde zum 1. Oktober 2016 novelliert. Die Verordnung tritt zum 1. Juli 2022 außer Kraft.

Bundesfachplanung

In der Bundesfachplanung geht es darum, einen Trassenkorridor von etwa 500 bis 1.000 Metern Breite zu bestimmen, durch den später einmal die Stromleitung verlaufen soll. Bei der Planung der Trassenkorridore müssen vor allem die Belange der Menschen in der Region, der Naturschutz und das Landschaftsbild sowie technische und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Zuständige Behörde für die Bundesfachplanung ist die Bundesnetzagentur. Durch diese bundeseinheitliche Zuständigkeit soll der nötige Stromnetzausbau beschleunigt werden.

Einen ersten Entwurf für einen sogenannten Netzentwicklungsplan (NEP) haben die Übertragungsnetzbetreiber Ende Mai 2012 vorgestellt. Aus dem NEP erarbeitete die Bundesnetzagentur den sogenannten Bundesbedarfsplan . Die entsprechende gesetzliche Regelung dazu, das Bundesbedarfsplangesetz , trat erstmals im Juli 2013 in Kraft. Es ist seitdem die Grundlage für den beschleunigten Ausbau von 43 Höchstspannungsleitungen im Übertragungsnetz, die aus energiewirtschaftlicher Sicht notwendig sind.

Reform des Bundesbedarfsplangesetzes

Damit die Energiewende gelingt, bedarf es nicht nur eines Ausbaus erneuerbarer Energien, sondern auch eines synchronen Ausbaus des Stromnetzes. Die Bundesregierung hat deshalb eine im März 2021 in Kraft getretene Anpassung des Bundesbedarfsplangesetzes auf den Weg gebracht. Durch die Neufassung werden 35 neue Netzausbauvorhaben im Gesetz aufgenommen und neun bisherige Netzausbauvorhaben geändert. Benannt werden die einzelnen Vorhaben im Bundesbedarfsplan mit Hilfe ihrer Netzverknüpfungspunkte als Ausgangs- oder Endpunkt einer Höchstspannungsleitung.

Der Novelle liegt das Ziel zugrunde, bis 2030 einen Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch von 65 Prozent zu erreichen. Die Übertragungsnetzbetreiber haben das im Vorfeld bei ihrer Ermittlung des Netzausbaubedarfs berücksichtigt und einen entsprechenden Netzentwicklungsplan 2019 bis 2030  vorgelegt. Dieser Plan wurde unter einer mehrwöchigen Beteiligung von Öffentlichkeit und Behörden schließlich am 20. Dezember 2019 durch die Bundesnetzagentur bestätigt.

Netzentwicklungsplan Strom 2021-2035

Um sowohl den neuen Klimaschutzzielen gerecht zu werden als auch den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen, sind zusätzliche Ausbaumaßnahmen zum Stromnetz erforderlich. Dafür haben die Übertragungsnetzbetreiber Ende Januar 2021 einen ersten Entwurf des „Netzentwicklungsplans Strom 2021-2035“ (NEP 2035) veröffentlicht.

Nach inhaltlicher Prüfung der im Rahmen der Konsultation eingegangenen Stellungnahmen haben die ÜNB den ersten Entwurf überarbeitet. Der daraus resultierende zweite Entwurf wurde am 26. April 2021 veröffentlicht und an die Bundesnetzagentur übergeben.

Bevor die Bundesnetzagentur den NEP 2035 bestätigt, haben Öffentlichkeit und Behörden bis zum 20. Oktober 2021 die Gelegenheit, zu den überarbeiteten Ausbauplänen Stellung zu nehmen . Die Konsultationen zum NEP 2035 sind am 9. August 2021 gestartet.

Netzentwicklungspläne
Um Veränderungen auf dem Strommarkt Rechnung zu tragen, wird mittlerweile jedes zweite Jahr ein neuer Netzentwicklungsplan mit Umweltbericht erarbeitet. Ergänzend gibt es den Netzentwicklungsplan Offshore , der die Netzentwicklung für die Windenergieanlagen im Meer prognostiziert. Bürger und Verbände können für beide Pläne Stellungnahmen abgeben und sich so an dem Verfahren beteiligen.

Mehr Erdkabel

Seitdem gibt es neue Regelungen für den Einsatz von Erdkabeln . Sie sollen bei Leitungen in Gleichstrom-Technik vorrangig zum Einsatz kommen und den Winstrom aus Nord- nach Süddeutschland transportieren. Das heißt, es wird weniger Strommasten geben. Natürlich braucht es für den zügigen Netzausbau die Akzeptanz vor Ort. Denn dort, wo Menschen wohnen, sind künftig Höchstspannungstrassen, die als Gleichstromleitungen geplant sind, verboten. Sie sollen als Erdkabel in den Boden verlegt werden. Wechselstromleitungen dagegen bleiben weiterhin zum größten Teil Freileitungen.

Der Bundesbedarfsplan legt die Trassenkorridore für wichtige Leitungen des Übertragungsnetzes fest. Die Zulassung der einzelnen Leistungsabschnitte und die Festlegung des genauen Trassenverlaufs geschieht wie in der Vergangenheit durch Planfeststellung – eine Aufgabe, die in der Verantwortung der Länder liegt. Für besonders wichtige, landes- und grenzüberschreitende Leitungen wird künftig die Bundesnetzagentur das Planfeststellungsverfahren durchführen. 

Energiewende ja – aber nicht in meinem Hinterhof

Ganz ohne Belastungen – auch das gehört zur Wahrheit – lassen sich solche Großprojekte nicht verwirklichen. Auf der Suche nach Kompromissen bleibt die Bundesregierung deshalb im Gespräch mit Verwaltung, Energiewirtschaft, Umweltorganisationen – und den Verbrauchern.

Ein wichtiger Baustein ist dabei die Plattform Energienetze . Hier sitzen nun regelmäßig alle wichtigen Akteure an einem Tisch. Vertreter aus Bund und Ländern genauso wie Netzbetreiber, Wirtschafts-, Verbraucher- und Umweltorganisationen. In acht Gruppen erarbeiten sie Empfehlungen zum Netzausbau und zur Netzmodernisierung.

Die Offshore-Anbindung von Windkraftanlagen kommt dabei genauso zur Sprache wie Fragen zur Regulierung und Systemsicherheit. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sich alle Beteiligten, auch vor Ort in den vom Stromleitungsbau betroffenen Regionen, darauf einlassen.

Mitreden beim Netzausbau

Deshalb setzt das Bundeswirtschaftsministerium beim Netzausbau auf die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und fördert den Bürgerdialog. Der 2015 gestartete "Bürgerdialog Stromnetz" ermöglicht Interessierten, Betroffenen und Beteiligten, sich offen und transparent zum Stromnetzausbau auszutauschen. Die Initiative bietet Gesprächsrunden Vor Ort und einen Online-Dialog.