Digitale Lern-Tandems trotzen der Pandemie

Interview mit Plattform-Gründer Digitale Lern-Tandems trotzen der Pandemie

Der zweite Pandemie-Herbst macht auch Studentinnen und Studenten zu schaffen. Dennoch engagieren sich viele, etwa bei der „Corona-School“. Hier helfen sie Kindern und Jugendlichen, die als Folge der Pandemie Schulstoff nachholen müssen. Gründer Christopher Reiners berichtet zum Weltstudierendentag von der Motivation der Freiwilligen, etwas zurückzugeben.

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Die "Corona-School" von Christopher Reimers bietet digitale Nachhilfe durch Studierende.

Die „Corona-School“ von Christopher Reimers unterstützt Schülerinnen und Schüler, die sich von Zuhause aus keine Nachhilfe leisten können

Foto: Christopher Reiners

Herr Reiners, wie stellt sich im erneuten Pandemie-Herbst nach Ihrem Eindruck die aktuelle Situation für junge Leute in Universitäten und Schulen da?     

Christopher Reiners: Bei vielen Studierenden ist jetzt gerade mit Beginn des Wintersemesters Erleichterung und auch etwas Begeisterung zu spüren. Und zwar darüber, dass jetzt wieder wesentlich mehr Vorlesungen oder andere Lernangebote in Präsenz stattfinden. Für viele Studierenden ist gerade der persönliche Austausch mit Kommilitoninnen und Kommilitonen sehr wichtig. Unabhängig vom Uni-Betrieb freuen sich natürlich alle darüber, dass es auch privat zuletzt wieder mehr Möglichkeiten gab, sich zu treffen. Allerdings dämpfen aktuell natürlich die steigenden Infektionszahlen die Stimmung. Manche sind verunsichert und fragen sich, ob es doch wieder zu Schließungen oder zu einer reinen digitalen Lehre kommt.

Bei den Schülerinnen und Schülern merken wir, dass die Anmeldezahlen für unsere Lern-Plattform gerade wieder hochgehen. Offensichtlich wird jetzt klar, dass bei vielen im vergangenen Schuljahr Lücken entstanden sind, die nun wieder geschlossen werden müssen.   

Worum geht es konkret bei dem Angebot Ihrer Lern-Plattform?

Reiners: Unser Konzept ist im Kern relativ simpel. Es geht darum, insbesondere die Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, die sich von Zuhause aus keine Nachhilfe leisten können. Unsere Zielgruppe sind die Familien, die hierfür keine finanziellen Ressourcen haben. Wichtig ist aber, dass es bei der Anmeldung für unsere digitale Nachhilfe keinerlei Nachweis über die jeweilige finanzielle Situation braucht. Es geht um eine realistische Selbsteinschätzung.

Auf der anderen Seite sind die Studierenden, die sich unter der Woche für ein oder zwei Stunden ehrenamtlich engagieren wollen. Und die persönlich etwas für mehr Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern unternehmen möchten. Nach einem Kennenlern-Gespräch bringen wir Studierende und Schülerinnen und Schüler zusammen, basierend auf den Fächern und Jahrgangsstufen, die uns die Studierenden nennen. Und dann steht der Bildung dieser Lern-Tandems nichts mehr im Wege.

Während seines Mathe-Studiums hat Christopher Reiners im Frühjahr 2020 gemeinsam mit einem Freund die „Corona-School“ (heute: „lern-fair“) gegründet: Studierende geben Schülerinnen und Schüler ehrenamtlich Nachhilfe – und zwar digital. Im damaligen Lockdown kam die Idee sofort gut an. Bis heute haben sich auf der Plattform 23.000 Schülerinnen und Schüler und mehr als 15.000 Studierende registriert. Im vergangenen April nahm der 23-jährige Reiners an einem Online-Dialog mit Bundeskanzlerin Merkel zur digitalen Bildung teil.

Wie groß schätzen Sie denn aktuell den Bedarf für digitale Nachhilfe ein?

Reiners: Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass durch die Schul-Schließungen in den vergangenen Monaten und die Corona-Bedingungen rund ein Viertel der Schülerinnen und Schüler Probleme mit dem aktuellen Lernstoff haben. Und die Lücken konnten natürlich oft nicht in kurzer Zeit beispielsweise den Ferien aufgeholt werden.

Zudem muss man wissen, dass unabhängig von der Pandemie ganz generell etwa 14 Prozent aller Schülerinnen und Schüler Nachhilfe in Anspruch nehmen. Das zeigt deutlich, welch großer Bedarf besteht. Aktuell suchen wir sogar dringend nach Studierenden, die sich bei uns engagieren.      

Was motiviert die Studierenden, sich ehrenamtlich bei Ihnen zu engagieren?

Reiners: Der größte Motivationsfaktor ist sicherlich der Wunsch, etwas zurückzugeben. Viele der bei uns engagierten Studierenden sehen Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ihnen ist es wichtig, einen Beitrag dafür zu leisten, dass gerade Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien bessere Bildungschancen bekommen. Den Studierenden ist bewusst, dass sie im Vergleich zu manch anderen jungen Leuten in der Gesellschaft privilegiert sind. Umso größer ist das Bedürfnis, auch anderen diese Chance zu geben.

Ein weiterer Grund ist die Möglichkeit, sich mit anderen Studierenden zu vernetzen und auszutauschen. Hier sind wir gerade dabei, entsprechende Angebote zu schaffen und auszubauen. Bei manchen spielt auch eine Rolle, dass sich ihr Engagement bei uns für den eigenen Bildungsweg und Lebenslauf gut macht. Schließlich stellen wir eine Bescheinigung über die ehrenamtliche Tätigkeit aus.

Nicht vergessen darf man auch den Aspekt, dass der Einsatz bei uns zeitlich und örtlich absolut flexibel ist. Anders als zum Beispiel bei einer ehrenamtlichen Aufgabe im Seniorenheim ist man bei unserem digitalen Angebot nicht an einen festen Ort gebunden. Und es reicht mitunter auch schon eine Stunde in der Woche, die man sich als Studentin oder Student Zeit nimmt, um ein Kind zu unterstützen. Ich kann interessierte Studierende nur ermuntern, sich für ein ehrenamtliches Engagement bei uns zu melden.  

Ist Ihr Angebot auf die Zeit der Pandemie begrenzt?

Reiners: Nein, ganz und gar nicht. Wir sehen für uns eine längerfristige Zukunft auch nach der Pandemie. Daher haben wir unsere Plattform ja auch schon von „Corona-School“ in „Lern-Fair“ umbenannt. Das Thema, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien schlechtere Bildungschancen haben, ist ja auch unabhängig von der Pandemie zu sehen. Wir sind uns sicher, dass die ehrenamtliche digitale Lernunterstützung auch langfristig einen wertvollen Mehrwert für Schülerinnen und Schüler in Deutschland hat.

Die Bundesregierung hilft Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie. Um sie auf dem Weg zurück in ein unbeschwertes Aufwachsen zu begleiten und sie beim Aufholen von Lernrückständen zu unterstützen, investiert die Bundesregierung zwei Milliarden Euro. Im vergangenen Mai hat das Kabinett Eckpunkte für das Bundesprogramm „Aufholen nach Corona“  beschlossen.