Flüchtlingsausbildung bei der Bahn
Vor drei Jahren kam der 18-jährige Bubbacarr Sanneh als Flüchtling aus Gambia nach Deutschland. Ohne Eltern und ohne Perspektive. Doch damit abfinden wollte er sich nicht. Also paukte er Deutsch und bewarb sich bei der Bahn für eine Qualifizierung – mit Erfolg. Nun lernt er alles über Zugtechnik und die Werte seiner neuen Heimat.
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Züge spielen im Leben von Bubbacarr Sanneh eine große Rolle. Hochkonzentriert sitzt er an einer Werkbank und kontrolliert den ausgebauten Stromabnehmer eines Triebwagens. Bubbacarrs Arbeitsplatz ist das S-Bahn-Werk in Berlin-Schöneweide. Dort nimmt er am Programm "Chance plus für Flüchtlinge" teil – als Vorbereitung auf eine Berufsausbildung bei der Deutschen Bahn. "Ich bin glücklich, dass ich diese Chance bekommen habe", sagt der junge Gambier und strahlt über das ganze Gesicht.
Auf der Suche nach einer Perspektive
Bubbacarr hatte in seinem bisherigen Leben nicht immer Glück. Seine Eltern hat er nie kennengelernt, aufgewachsen ist er bei seinen Großeltern. Eine Schule konnte er in seinem Heimatland nicht besuchen, die Großeltern schickten ihn zur Arbeit auf eine Farm. "Ich wollte mehr aus meinem Leben machen", sagt Bubbacarr. Er flüchtete Richtung Europa und begab sich auf eine mehrmonatige Odyssee über Libyen nach Italien. Von dort kam er nach Deutschland – in einem Zug. Hier 2015 angekommen, besuchte er eine Willkommensklasse. Die Schule vermittelte den Kontakt zur Bahn.
Integration gelingt über die Arbeit
Der Beginn der Flüchtlingswelle 2015 war für die Deutsche Bahn Anlass, ihr Programm zur Berufseinstiegsqualifizierung "Chance plus" zu erweitern. Es sollte nicht mehr allein junge Einheimische ansprechen, die auf dem Ausbildungsmarkt schlechte Chancen haben, sondern ebenfalls Flüchtlingen eine Möglichkeit geben, sich für eine Berufsausbildung zu qualifizieren. "Es war ein gutes Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun", sagt Nachwuchskräftekoordinator Michael Hallmann. "Unser Angebot hilft den Flüchtlingen Fuß zu fassen. Und wie soll Integration funktionieren, wenn nicht über die Arbeit?"
Seit 2016 hat die Deutsche Bahn etwa 200 Plätze zur Qualifizierung von Flüchtlingen angeboten. Bis Ende 2018 kommen noch einmal rund 100 Plätze dazu. Flüchtlingen in Deutschland eine Starthilfe zu geben, ist auch für die Bundesregierung eine zentrale Aufgabe. Ziel ist, ihnen Zugang zu Bildung und Ausbildung zu ermöglichen.
Außer Bubbacarr sind in Schöneweide derzeit drei junge Männer aus Syrien, Ägypten und Somalia. Nicht zuletzt wegen der Vielzahl der Herkunftsländer hält Hallmann eines für besonders wichtig: Deutschkenntnisse. Sie sind Voraussetzung für eine Teilnahme an dem Qualifizierungsprogramm. Bubbacarr hat in der Willkommensklasse Deutsch gelernt.
"Es ist schon wichtig, dass jeder in der Berufsschule die Aufgabenstellung versteht. Wer da nicht mitkommt, hat es sehr schwer", betont Nachwuchskräftekoordinator Hallmann. Um die jungen Flüchtlinge weiter zu fördern, gehört zum Programm auch der Besuch einer Sprachschule.
Flüchtlinge sind hochmotiviert
Beeindruckt zeigt sich Hallmann von der Motivation der Geflüchteten. "Ein Flüchtling hat parallel zu unserer Sprachschule privat noch drei andere Sprachschulen besucht, um sein Deutsch zu verbessern", berichtet Hallmann. "Dieser Einsatz zeigt auch allen anderen Azubis: Man kann etwas erreichen, wenn man sich anstrengt."
Die Bereitschaft sich einzubringen, wirkt sich positiv auf den Werkstattalltag aus. "Alle unterstützen sich gegenseitig bei Problemen", bestätigt auch der deutsche Azubi Marian Malzer. Michael Hallmann ist bewusst, dass dieses gute Miteinander beim Zusammentreffen verschiedener Kulturen nicht selbstverständlich ist. Umso mehr legt er Wert auf Workshops zu interkultureller Kompetenz, die die Bahn für Flüchtlinge und Azubis anbietet.
Auch Werte werden vermittelt
Zusätzlich vermittelt ein Sozialpädagoge den Flüchtlingen das deutsche Gesellschafts- und Wertesystem, auch durch Besuche des Bundestages oder des Museums für deutsche Geschichte. "Es ist unser Ziel, dass sich die Flüchtlinge aktiv an der Gesellschaft beteiligen", erklärt Hallmann.
In der "Junior-Werkstatt" in Schöneweide greift Bubbacarr zu seiner Wasserflasche. Kraft tanken für die letzte Stunde seiner heutigen Schicht. Vermisst er manchmal nicht doch sein Heimatland Gambia? „Ab und zu schon“, sagt Bubbacarr und sein Blick schweift kurz gedankenverloren in die Ferne. „Aber ich habe ja ein Ziel“, fügt er stolz hinzu. In wenigen Jahren will Bubbacarr Sanneh mit einer S-Bahn durch Berlin fahren – als Lokführer.