Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich des Global Solutions Summit 2021 am 28. Mai 2021 (Videokonferenz)

Sehr geehrter Herr Professor Snower,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Mario Draghi,
meine Damen und Herren überall an den Bildschirmen!

„Jeder ist seines Glückes Schmied.“ – Viel Wahres liegt in dieser Volksweisheit. Das gilt auch für ganze Nationen. Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Das gilt für die ganze Welt, denn wie sehr Wohl und Wehe der einzelnen Länder über Grenzen und Kontinente hinweg auch von anderen abhängen, das hat uns die Pandemie einmal mehr vor Augen geführt.

Die Welt ist eine Schicksalsgemeinschaft. Ob globale Gesundheit, ob Klima- und Umweltschutz, ob nachhaltige Entwicklung – es mangelt nicht an großen Herausforderungen, vor denen wir eben weltweit gemeinsam stehen und die wir letztlich auch nur gemeinsam bewältigen können.

Aber wir haben auch erlebt: Multilateralismus ist kein Selbstläufer. Um Multilateralismus als Mittel für gemeinsamen Fortschritt zu verstehen, zu akzeptieren und schließlich mit Leben zu erfüllen, bedarf es auch geeigneter Formate. Der Global Solutions Summit gehört dazu. Der Name ist hier Programm. Während der deutschen G20-Präsidentschaft 2017 fand das Treffen erstmals statt. Inzwischen hat sich die jährliche Konferenz im G20-Prozess etabliert. Ich freue mich sehr, heute gemeinsam mit Ministerpräsident Draghi teilzunehmen.

Lieber Mario, mit der Ausrichtung des G20-Gesundheitsgipfels am vergangenen Freitag hast du ja gezeigt: Die G20 ist bereit, bei drängenden globalen Themen zusammenzuarbeiten. Ich sage dir gerne meine Unterstützung auch für eine insgesamt erfolgreiche G20-Präsidentschaft von Italien zu.

Gewiss, auch die G20 kann nicht jedes Problem aus der Welt schaffen. Aber wenn die 20 führenden Wirtschaftsnationen eng zusammenarbeiten, können sie sehr viel für das globale Gemeinwohl bewirken. Das gilt nicht zuletzt mit Blick auf die COVID-19-Pandemie als eine besondere Bewährungsprobe für die internationale Zusammenarbeit. Ob es etwa um die Entwicklung, Produktion oder Verteilung von Impfstoffen geht – je mehr Kräfte wir bündeln, desto aussichtsreicher ist der Kampf gegen COVID-19. Dies gilt auch für künftige Infektionskrankheiten aller Art. Man muss davon ausgehen, dass es welche geben wird.

Deutschland hatte 2015 und 2017 die Themen „globale Gesundheit“ und „Pandemievorsorge“ auf die Agenda der G7 und der G20 gesetzt. Wir können jetzt an die Ergebnisse von damals anknüpfen. Allerdings wünschte ich, wir hätten uns noch konsequenter auf diese Pandemie vorbereitet, auch wenn damals niemand ahnte, wie brisant das Thema binnen weniger Jahre werden würde, auch für uns hier in Europa.

Die Pandemie zeigt jedenfalls, dass zu deren Bekämpfung nationale Ansätze bei weitem nicht ausreichen und natürlich auch nicht ausreichen können. Um die COVID-19-Krise zu überwinden, müssen wir allen, also auch den ärmsten Ländern, einen Zugang zu ausreichenden Impfstoffen, Medikamenten und Tests ermöglichen. Deshalb unterstützt die Bundesregierung die globale Initiative ACT-Accelerator und deren Impfstoffsäule COVAX. Deutschland ist hierbei mit einem Beitrag in Höhe von 2,2 Milliarden Euro einer der größten Geber. COVAX konnte bislang mehr als 71 Millionen Impfstoffdosen in 125 Ländern verteilen. Aber wir wissen, dass der Bedarf um ein Vielfaches höher ist. Daher hat Deutschland beim Global Health Summit zugesagt, bis Ende des Jahres 30 Millionen Impfdosen an Entwicklungsländer abzugeben.

Ich rufe auch alle G20-Partner auf, ACT-A und COVAX nach Kräften zu unterstützen. Es fehlen nämlich nicht nur finanzielle Mittel für die Verteilung, sondern auch für die Ausweitung der Produktion von Impfstoffen. Auch hierbei sind die Partner in Europa, der G7 und der G20 gefragt, um den Aufbau globaler Produktionskapazitäten voranzubringen. Hierfür wurde unter dem Dach von COVAX eine neue Arbeitsgruppe eingerichtet. Südafrika und Deutschland übernehmen den gemeinsamen Vorsitz. Ich möchte hierzu sagen, dass ich diese Taskforce ausdrücklich unterstütze.

Schon die aktuelle Krisenbewältigung ist eine Riesenaufgabe. Doch auch künftig wird es Virusmutationen und neuartige Krankheitserreger geben. Insofern sollten wir uns auch auf weitere pandemische Bedrohungen möglichst gut vorbereiten. Dazu gehört, die Anreize für Forschung und Entwicklung nicht etwa zu schmälern, sondern hochzuhalten und gegebenenfalls weiterzuentwickeln. Der Patentschutz spielt hierbei eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund müssen wir alle Mittel und Wege dafür nutzen, dass die Ergebnisse der Entwicklung in Form neuer Impfstoffe und Medikamente auch wirklich allen Ländern zugutekommen. Zur Krisenvorsorge gehört daher auch, die WHO als zentrale Institution zur Förderung globaler Gesundheit zu stärken.

Globaler Handlungsbedarf zeigt sich nicht allein in Fragen der Pandemiebewältigung und -vorsorge, sondern wir müssen auch unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften insgesamt nachhaltiger gestalten. Aus gutem Grund stehen in diesem Jahr wichtige Konferenzen zur internationalen Klima- und Umweltpolitik an. Hierfür erwarte ich mir gerade auch von der G20 ein starkes Signal, zumal ihre Mitgliedstaaten für rund 80 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind.

Wir brauchen dringend Fortschritte, wenn auch künftige Generationen die Chance auf ein lebenswertes Umfeld haben sollen. Das gelingt am besten dann, wenn wir Klimaschutz zu einem wirtschaftlichen Erfolgsfaktor machen. Dazu bedarf es entsprechender Anreize. Von entscheidender Bedeutung wäre hierbei ein wirklich globaler CO2-Preis. Auch in dieser Frage sind G7 und G20 wichtige Formate, um einen globalen Konsens zu erreichen.

Mit Blick auf die Agenda 2030 muss man leider feststellen, dass wir uns zuletzt, auch pandemiebedingt, von einigen der Nachhaltigkeitsziele entfernt haben. Bei der Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung, bei der Bildung, bei der Bekämpfung von Ungleichheiten und insbesondere bei der Geschlechtergleichstellung sehen wir derzeit eher Rückschritte als Fortschritte. Gleiches gilt mit Blick auf den freien und fairen Handel – ein Thema, das ebenfalls viel mit nachhaltiger Entwicklung zu tun hat. Umso wichtiger sind Reformen zur Stärkung der Welthandelsorganisation, der WTO. Ich hoffe, dass wir hier insbesondere mit der neuen US-Administration die noch offenen Fragen bald klären können.

Anlass zu Hoffnung bietet zudem die afrikanische Freihandelszone. Auch der unter deutscher G20-Präsidentschaft 2017 gegründete „Compact with Africa“ zeigt Wirkung. Die Wirtschaft der afrikanischen Compact-Partnerländer hat sich in der Pandemie bislang bemerkenswert resilient gezeigt. Italien führt den Compact fort. Und dafür bin ich dir, lieber Mario, sehr dankbar!

Weltweit aber werden wir mit den wirtschaftlichen Verwerfungen infolge der Pandemie noch einige Zeit zu kämpfen haben. Insofern bleibt auch globale Verschuldung ein Thema auf der italienischen G20-Agenda.

Meine Damen und Herren, eigentlich liegt es auf der Hand, dass sich globale Fragen auch nur global lösen lassen. Doch dazu bedarf es erheblicher und steter Überzeugungsarbeit. Diese lebt auch und vor allem davon, dass tragfähige Lösungswege skizziert werden. Und genau dafür bietet der Global Solutions Summit die richtige Plattform. Ihnen allen, die Sie sich hier mit Ihrem Wissen, Ihren Ideen und Ihren Erfahrungen einbringen, bin ich sehr dankbar! Ich wünsche Ihnen anregende Diskussionen und bin schon gespannt auf Ihre Vorschläge! Herzlichen Dank und alles Gute!