Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich des Besuchs der Premiere des Films "Die Unbeugsamen" am 16. August 2021 in Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte mich herzlich für die Einladung zu dieser Premiere bedanken. Ich bedanke mich auch bei den Organisatoren. Denn die Organisation in der pandemischen Lage ist ja immer noch mit besonderen Herausforderungen verbunden. Umso mehr freue ich mich, heute hier dabei zu sein. „Die Unbeugsamen“ – das ist ein Dokumentarfilm. Es geht um Frauen in Deutschland, die sich in der Politik engagierten und bis heute engagieren.

Aber ich denke, dass ich in Ihrer aller Namen spreche, wenn ich sage, dass unsere Gedanken an einem Tag wie heute bei den vielen Frauen in Afghanistan sind, die in diesen Tagen und Stunden um ihr Leben fürchten müssen, weil sie sich politisch engagiert haben. Im Gegensatz dazu leben wir hierzulande in einer gefestigten Demokratie und mit einem Grundgesetz, das die Gleichberechtigung von Frau und Mann nicht nur festschreibt, sondern – nach langen Diskussionen – den Staat dazu verpflichtet, die Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.

Dennoch ist ein Engagement in der Bundespolitik wie auch in allen anderen politischen Bereichen für Frauen auch heute nicht immer einfach. Aber was Politikerinnen in früheren Jahrzehnten erlebt haben, das ist doch ein ganz spezielles Kapitel bundesdeutscher Geschichte. Dieses spezielle Kapitel bundesdeutscher Geschichte wird durch diesen Dokumentarfilm ins Zentrum gerückt und besonders beleuchtet. Ich denke, dass es Zeit war, das zu tun.

Ich habe den Eindruck, dass heute, 30 Jahre nach dem Bonn-Berlin-Beschluss, dem Begriff der sogenannten Bonner Republik ein gewisser Charme der Beschaulichkeit anhängt. Aber ich glaube, dass uns der Film zeigen wird, dass dieser Schein trügt. Gerade Politikerinnen hatten harte Auseinandersetzungen zu bestehen. Der Gegenwind in der scheinbar so beschaulichen Bonner Republik war gewaltig. Mit ihrer Beharrlichkeit und ihrem Mut sind all jene, die standgehalten haben, auch heute noch echte Vorbilder für Frauen – nicht nur in der Politik, sondern, wie ich glaube, in allen Lebensbereichen.

Frauen hatten lange für das aktive und passive Wahlrecht gekämpft. 1919 konnte Marie Juchacz in der Weimarer Nationalversammlung endlich sagen: „Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als freie und gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf.“ Doch Frauen wurden über die Jahre hinweg nur selten gewählt. Erst 1987 kletterte der Frauenanteil im Bundestag erstmals über die Zehn-Prozent-Marke. Dass im aktuellen Bundestag Frauen nun 31 Prozent der Abgeordneten stellen, ist leider auch noch nicht wirklich zufriedenstellend. Wirkliche Parität muss unser Ziel sein.

Früher war der Weg in die Politik für Frauen noch wesentlich steiniger; und er wurde, im Bundestag angekommen, keineswegs leichter, selbst wenn es scheinbar um Selbstverständlichkeiten ging. Wenn Frauen etwa den Verzicht auf sexistische Kommentare im Parlament forderten, wurden sie von männlichen Kollegen ausgelacht. Das waren keine harmlosen Witzeleien, sondern offen zur Schau getragene Machtgesten, einzig und allein, um Frauen in ihre Schranken zu weisen.

Ich spreche deshalb so deutlich diese Respektlosigkeit und diese Herabwürdigung an, weil viele Politikerinnen auch heute immer noch verbalen Angriffen, Drohungen und auch unverhohlenem Hass ausgesetzt sind, insbesondere im Internet und in den sozialen Medien. Das ist – ich will es ganz klar sagen – einer demokratischen Gesellschaft absolut unwürdig.

Um es beim Namen zu nennen: Tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern haben wir in Deutschland noch nicht erreicht. Es bleibt noch viel zu tun. Aber dank der Entschlossenheit vieler Frauen haben wir bereits viel erreicht. Denken wir dabei auch noch einmal zurück an die Mütter des Grundgesetzes. Es waren nur vier an der Zahl. Aber sie haben damals in zähen Verhandlungen durchgesetzt, dass der Gleichheitsgrundsatz ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Auch denen, die diesen Pionierinnen nachfolgten, verdanken wir viel. In diesem Film begegnen wir einigen dieser „Unbeugsamen“ – darunter Rita Süssmuth, Herta Däubler-Gmelin, Ingrid Matthäus-Maier, Renate Schmidt und Petra Kelly. Diejenigen der Genannten, die heute anwesend sind, möchte ich natürlich ganz besonders begrüßen, und auch alle anderen, die heute anwesend sind und im Film vorkommen.

Interessant ist, dass diese Frauen politisch sicherlich nicht immer einer Meinung waren. Aber ein Punkt einte sie doch über Parteigrenzen hinweg: Die Erfahrung, es als Frau in der Politik ungleich schwerer zu haben und trotzdem etwas bewegen zu wollen und auch zu können. Bei allen politischen Unterschieden einte sie alle eines: Allen Widerständen zum Trotz übernahmen sie politische Verantwortung, ließen sich nicht mundtot machen, sagten ihre Meinung. Dafür verdienen sie unser aller Respekt.

Ich möchte allen, vor allem natürlich dem Regisseur Torsten Körner und den Machern des Films, ganz herzlich dafür danken, dass dieses geschichtliche Dokument sozusagen das Licht der Welt erblickt hat, natürlich auch allen, die ihren Beitrag dazu geleistet haben. Klar ist: Tatsächliche Gleichstellung und Gleichbehandlung sind nur gemeinsam mit Männern zu erreichen. Deshalb wünsche ich diesem Film nicht nur viele Zuschauerinnen, sondern auch viele Zuschauer. In diesem Sinne freue ich mich jetzt schon auf das, was wir zu sehen bekommen.

Herzlichen Dank.