Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich der Veranstaltung "Die Familienunternehmer-Tage 2021" am 22. April 2021 (Videokonferenz)

Sehr geehrter Herr von Eben-Worlée, sehr geehrte Damen und Herren,

gerne wäre ich bei Ihren Familienunternehmer-Tagen wieder mit dabei. Aber das ist leider aufgrund einer kurzfristigen Terminänderung nicht möglich. Aber meine Grüße an Sie fallen auch per Video nicht minder herzlich aus.

Aus Ihrem diesjährigen Motto „Leinen los! Auf welchem Kurs aus der Krise?“ spricht, wie ich glaube, auch etwas Ungeduld. Das ist auch sehr verständlich. Sie wollen wirtschaftlich endlich wieder richtig loslegen.

Über ein Jahr lang kämpfen wir schon gegen ein heimtückisches Virus – in Deutschland und weltweit. Seit über einem Jahr trifft die Pandemie alle Bereiche unserer Gesellschaft. Ob Ärzte, Schüler, Eltern, Künstler, Unternehmer – wir alle müssen mit einer schwierigen Situation umgehen.

Und wie Sie selbst am besten wissen, hat die Pandemie die Wirtschaft insgesamt hart getroffen.

Allerdings unterscheiden sich die Folgen je nach Branche und Geschäftsmodell. Für einige hat die Entwicklung enorme Mehrarbeit mit sich gebracht. Andere hingegen sehen ihre Existenzgrundlage gefährdet oder gar zerstört.

Ob auf die eine oder andere Weise – viele Menschen, viele Unternehmerinnen und Unternehmer sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Nach über einem Jahr der Pandemie erscheint der Ausnahmezustand wie ein Dauerzustand, in dem die Einschränkungen immer schwerer zu ertragen sind.

Einschränkungen haben wir aber nicht nur gegenüber der Wirtschaft zu verantworten, sondern auch gegenüber jedem Einzelnen, der sich infizieren und der schlimmstenfalls an einer Infektion sterben könnte. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein.

Doch ohne Zweifel gibt es Licht am Ende des Tunnels. Und es wird vor allem in den Sommermonaten immer heller werden. Noch aber stecken wir im Tunnel. Denn wir haben es nun leider mit Virus-Mutationen zu tun, die ansteckender sind und sich schneller verbreiten als das Ursprungsvirus.

Daher sind – trotz aller Anstrengungen und Einschränkungen – die Infektionszahlen wieder in die Höhe gegangen. Wir befinden uns mitten in der dritten Welle der Pandemie.

Die Intensivstationen kommen an ihre Belastungsgrenzen. Die Zahl der Covid-19-Patienten steigt. Betroffen sind zunehmend auch jüngere Menschen.

Intensivmediziner weisen darauf hin, wie bitterernst die Lage ist. Ihre Warnungen dürfen wir nicht in den Wind schlagen. Wir dürfen nicht in eine Situation kommen, in der die Krankenhäuser nicht mehr jedem Kranken helfen können.

Und dafür gilt es, weiterhin Einschränkungen in Kauf zu nehmen, um Kontakte und Infektionsrisiken zu reduzieren. So schwer das auch fällt, aber mit gutem Willen können wir das als eine Investition in die Zukunft verstehen. Denn je konsequenter wir die Pandemie eindämmen, desto schneller können wir wieder mehr Normalität im Alltag gewinnen.

Dabei haben wir – anders als noch vor einem Jahr – Anlass zu berechtigter Hoffnung. Denn neben dem zusätzlichen Wissen über das Virus haben wir zwei wichtige Bausteine in der Pandemiebewältigung: umfassendes Testen und Impfen.

Dass wir ein Jahr nach Pandemie-Beginn über mehrere wirksame Impfstoffe verfügen, ist eine unglaubliche wissenschaftliche Leistung. Natürlich waren die Produktionskapazitäten anfangs noch sehr begrenzt. Auch Logistik und Organisation bei Verteilung und Verimpfung liefen noch nicht optimal.

Nun aber hat die Impfkampagne Fahrt aufgenommen – gerade auch weil seit Anfang April die Hausarztpraxen miteinbezogen sind. Sobald genügend Impfstoff zur Verfügung steht, werden auch weitere Arztgruppen hinzukommen – auch die Betriebsärzte.

Zudem helfen vermehrte Testmöglichkeiten – sei es in Kitas und Schulen oder im Betrieb – Infektionen schnell zu erkennen bzw. sichere Kontakte zu erleichtern.

Impfung und Tests helfen uns zurück in die Normalität. Aber das braucht seine Zeit. Daher gilt es in dieser kritischen Phase auch mit anderen Mitteln das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu halten.

Dazu soll auch die bundeseinheitliche sogenannte Notbremse dienen. Mit dem entsprechenden Gesetz schaffen wir einheitliche, klare Regeln. Denn das Problem war ja, dass die bisherige Notbremse zu zögerlich umgesetzt bzw. in einzelnen Regionen unterschiedlich ausgelegt wurde. Das machte es Bürgerinnen und Bürgern unnötig schwer, nachzuvollziehen, wo wann welche Regelungen gelten.

Mir ist bewusst, dass sich die Beliebtheit der Notbremse in Grenzen hält. Aber wir brauchen sie als Wellenbrecher für die dritte Welle.

Erst muss es uns gelingen, diese Welle zu brechen. Dann kann es – in Anlehnung an Ihr Motto – heißen: „Leinen los!“ Dann können wir auch auf einen „Kurs aus der Krise“ wieder hin zu neuem Wachstum einschwenken.

Aber bis dahin braucht es noch Durchhaltevermögen. Und dabei sind gerade auch Sie in den Familienunternehmen gefragt und gefordert.

Daher bin ich Ihnen sehr dankbar – unter anderem auch dafür, dass Sie vielen Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Arbeiten im Homeoffice ermöglichen. Und dort, wo Homeoffice nicht möglich ist: Danke, dass Sie notwendige Hygiene-Maßnahmen ergreifen, für die Einhaltung der Schutzregeln am Arbeitsplatz und auch für Testangebote sorgen.

Unsere Wirtschaft ist – im Vergleich zu vielen anderen Ländern – bislang relativ glimpflich durch die Krise gekommen. Das liegt nicht zuletzt an der starken Industrie. Dagegen leiden Gastgewerbe, viele Einzelhändler und körpernahe Dienstleister sehr unter den Einschränkungen.

Wir haben viele Milliarden Euro bereitgestellt und Regelungen angepasst, um Unternehmen und ihre Beschäftigten durch diese schwierige Zeit zu begleiten:

Zum Beispiel mit einem Konjunkturpaket, dem Kurzarbeitergeld und der Aussetzung der Insolvenz-Antragspflicht – nicht zuletzt auch mit umfassenden Hilfsprogrammen für Unternehmen und Selbständige. Bislang wurden rund 30 Milliarden Euro an Zuschüssen ausgezahlt.

Mit dem KfW-Sonderprogramm und dem Schnellkredit erleichtern wir den Zugang zu günstiger Liquidität. Seit März letzten Jahres wurden Kredite im Umfang von insgesamt rund 50 Milliarden Euro bewilligt. Für große Unternehmen kamen über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds noch 8,5 Milliarden Euro hinzu.

Und wenn sich besondere Situationen außerhalb der Förderprogramme ergeben, dann können die Länder jetzt auch Härtefallhilfen einsetzen, die wir seitens des Bundes mitfinanzieren.

Bei all dem geht es um beträchtliche Summen. Schon allein daran zeigt sich, welch historische Dimension diese Pandemie hat. Sie hat uns in die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt.

So wichtig erhebliche Staatshilfen in dieser Ausnahmesituation auch sind, sprechen viele gute Gründe dafür, dass die Schuldenbremse auch weiter ihren Platz im Grundgesetz haben muss.

Zum einen hat es sich gezeigt, dass die Schuldenbremse flexibel genug ist, um auf eine solche Krise angemessen zu reagieren. Zum anderen ist sie auch strikt genug, um in wirtschaftlich besseren Zeiten für Haushaltsdisziplin zu sorgen – nicht, weil Sparen Selbstzweck wäre, sondern weil solide Staatsfinanzen Handlungsspielräume schaffen, um auch künftige Krisen, die nie ganz auszuschließen sind, bewältigen zu können.

Wir sehen ja, dass sich der Konsolidierungskurs der vergangenen Jahre bezahlt gemacht hat. Denn so fiel es deutlich leichter, krisengerechte Unterstützungsprogramme für die Wirtschaft aufzulegen.

Diese Programme gilt es natürlich fortlaufend zu überprüfen und an die Konjunkturentwicklung bzw. an die jeweilige Lage der Unternehmen anzupassen.

Erfahrungen und Anregungen, die uns auch aus Ihren Reihen erreichen, erweisen sich hierbei als hilfreich – nicht zuletzt auch in unseren Gesprächen mit der Europäischen Kommission.

Wir haben auch mehrere steuerliche Maßnahmen umgesetzt. So konnten wir etwa mit der Ausweitung des steuerlichen Verlust-Rücktrags vielen Unternehmen zusätzlich Entlastung verschaffen.

All diese Maßnahmen haben auch dazu beigetragen, dass sich der Arbeitsmarkt in dieser schwierigen Lage als robust erweist. Das hat aber auch viel mit dem massiven Einsatz von Kurzarbeit zu tun. Für die Bundesagentur für Arbeit bedeutet das milliardenschwere Lasten.

Nach meiner Einschätzung war und ist das sehr gut investiertes Geld – zumal durch die Sicherung der Arbeitsplätze die Arbeit nach der Krise hoffentlich nahtlos wieder hochgefahren werden kann.

Im Vergleich zum Arbeitsmarkt macht mir der Ausbildungsmarkt mehr Sorgen. Im Ausbildungsjahr 2019/2020 wurden deutlich weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen als im Vorjahreszeitraum. Mit Blick auf die so dringende Sicherung des Fachkräftenachwuchses ist das keine gute Nachricht.

Ich wende mich daher auch an Sie, die Familienunternehmen, mit der Bitte: Schauen Sie, ob sich – trotz Pandemie – nicht doch noch weitere Möglichkeiten auftun, junge Menschen in Ihren Betrieben auszubilden.

Als Bundesregierung wollen wir die Entscheidung erleichtern, indem wir die duale Berufsausbildung während der Pandemie in besonderer Weise fördern.

Wir unterstützen kleine und mittlere Betriebe finanziell, wenn sie weiter ausbilden, obwohl sie pandemiebedingt mit Umsatzeinbrüchen zu kämpfen haben. Das heißt, die Bundesagentur für Arbeit zahlt Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung oder Prämien. Wir haben das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ nochmals um ein Jahr verlängert, die Prämien verdoppelt und die Zuschüsse erweitert.

Bitte nutzen Sie dieses Programm und werben Sie auch in Ihrem Umkreis dafür! Die Corona-Krise darf nicht zu einer Ausbildungs- und Fachkräftekrise werden. Daher kann ich es nur begrüßen, dass sich auch die Partner der „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ hier stark machen.

Ohnehin müssen unsere Antworten auf die Pandemie mehr sein als bloße Krisenbekämpfung. Wir müssen über die Krise hinaus an die Zukunft denken – ob es um Fachkräftesicherung geht oder um technologischen Fortschritt.

Gerade in Krisenzeiten entscheidet es sich, wie die internationalen Wettbewerbsverhältnisse in den Folgejahren aussehen werden.

Corona hat in besonderer Weise verdeutlicht, wie sehr die Digitalisierung alle Bereiche unseres Lebens durchdringt und verändert. Die Pandemie hat aber auch die Lücken und Defizite des digitalen Standortes Deutschland aufgezeigt.

Die Kernfrage ist: Wie erheben und wie nutzen wir Daten?

Innovation und Wirtschaftswachstum, Bildung, effektiver Klimaschutz und auch ein modernes Gesundheitswesen – hier und in vielen anderen Bereichen finden sich auch Aufgaben für eine vorausschauende Datenpolitik. Wir reden viel zu wenig darüber, wie wir innovative Potenziale heben können, die in der Datennutzung stecken.

Gerade unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft besitzt richtige Datenschätze, wie Sensor- und Maschinendaten, die oft noch besser genutzt werden könnten.

Daher wollen wir mit der Datenstrategie der Bundesregierung auch Anreize setzen, Daten zu teilen, damit sich daraus noch mehr innovative Geschäftsmodelle entwickeln lassen.

Digitalisierung ist auch für eine moderne öffentliche Verwaltung ein Schlüssel­thema. Thematisieren allein reicht nicht. Wir arbeiten auch daran.

Daher bin ich zuversichtlich, dass bis 2022 die wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen online sind und sich einfach und sicher nutzen lassen.

Meine Damen und Herren,

ich habe einige Beispiele erwähnt, wie wir die Folgen der Pandemie abfedern – und wie wir zugleich günstige Ausgangsbedingungen schaffen, um nach der Pandemie in allen Branchen schnell wieder auf Wachstumskurs einzuschwenken.

Ich weiß sehr wohl, dass sich viele von Ihnen anstelle von staatlicher Unterstützung eher den Abbau von Einschränkungen wünschen.

Aber angesichts der aktuellen Infektionslage können wir noch nicht darauf verzichten, wenn wir das Gesundheitswesen nicht überfordern, sondern Gesundheit und Menschenleben möglichst schützen wollen.

Deswegen dürfen wir uns auch nichts vormachen: Es wird uns noch viel Kraft und Durchhaltevermögen kosten, bis wir das Virus endlich in den Griff bekommen und bis es gesamtwirtschaftlich wieder aufwärts geht.

Umso dankbarer bin ich Ihnen, dass Sie in und für Ihre Unternehmen alles dafür tun, um durch diese schwierige Zeit zu kommen.

Aus Ihrem Motto „Leinen los! Auf welchem Kurs aus der Krise?“ sprechen nicht nur Ungeduld und Umtriebigkeit, sondern auch viel Zuversicht, die, wie ich finde, wirklich berechtigt ist.

Denn mit den Familienunternehmen haben wir traditionell starke Wachstums- und Beschäftigungsmotoren. Der Antrieb für diese Motoren ist ein produktiver Mix aus unternehmerischer Risikofreude, Know-how und Innovationskraft.

So ausgestattet sind wir schon vor über zehn Jahren schneller als viele andere Länder aus der internationalen Finanzkrise herausgekommen. Und das werden wir auch aus der globalen Corona-Krise.

In diesen Zeiten persönlicher Kontaktbeschränkung machen wir die Erfahrung, dass sich auch auf digitalem Wege Kontakte knüpfen und neue Anregungen gewinnen lassen – so wie eben auch an diesen Familienunternehmer-Tagen.

Ich wünsche Ihnen eine gelungene Veranstaltung! Kommen Sie mit Ihren Unternehmen möglichst unbeschadet durch die Pandemie – und natürlich: bleiben Sie gesund!

Vielen Dank!