Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich der Übergabe des Abschlussberichts der Zukunftskommission Landwirtschaft am 6. Juli 2021

Lieber Herr Professor Strohschneider,
meine Damen und Herren,

ich richte einen großen Dank an Sie alle. Ich bin vollkommen baff, dass Sie in 365 Tagen 100 oder mehr Sitzungen durchgeführt haben. Sie müssen ja fast permanent getagt haben. Das ist eine unglaubliche Leistung.

Ich halte diesen Tag für einen bedeutsamen Tag in der Geschichte der Landwirtschaft in Deutschland – bedeutsam, weil mit dem heute vorgelegten Abschlussbericht mögliche Wege für die Landwirtschaft der Zukunft aufgezeigt werden.

Es wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert; und sicherlich sind die Diskussionen jetzt noch nicht abgeschlossen. Oft wurde aber auch gar nicht miteinander gesprochen. Das hat sich mit der Einsetzung der Zukunftskommission Landwirtschaft geändert. Das an sich ist schon ein Erfolg gewesen. Die Kommission hat dann im September letzten Jahres damit begonnen, Handlungsempfehlungen auszuarbeiten. Es ist Ihnen gelungen, die verschiedensten Anliegen und Interessen in den Blick zu nehmen.

Sie haben es eben gesagt, Herr Professor Strohschneider: Die Landwirtschaft soll sich wirtschaftlich rentieren. Sie soll in ländlichen Räumen hinreichend Ein- und Auskommen garantieren. Dieser betriebswirtschaftliche Aspekt ist ganz wichtig, denn Landwirte wollen keine Almosenempfänger sein, sondern brauchen einen betriebswirtschaftlichen Rahmen, in dem sie wirtschaften können. Andererseits soll die Landwirtschaft hohen gesellschaftlichen Ansprüchen genügen – mit Blick auf das Tierwohl, auf Klima-, Natur- und Umweltschutz und nicht zuletzt mit Blick auf die Produktion hochwertiger und trotzdem erschwinglicher oder kostengünstiger Nahrungsmittel.

Das gleicht der Quadratur des Kreises. Viele Positionen schienen auf den ersten Blick unvereinbar zu sein. Daraus erklären sich auch die Kontroversen, die es gibt. Es war also jedermann und jederfrau in dieser Kommission bewusst, was auf sie zukommt. Sie haben sich in einem vielschichtigen, emotions- und konfliktgeladenen Spannungsfeld von Agrar-, Umwelt- und Gesellschaftspolitik bewegt. Wahrscheinlich mussten Sie auch deshalb so oft tagen, damit Sie nie den Spannungsbogen verlieren.

Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen allen, die Sie sich in diese Arbeit eingebracht haben, ganz ausdrücklich dafür danken, dass Sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen haben. Der Dank gilt natürlich auch dem Vorsitzenden, Herrn Professor Strohschneider, der mit seiner langjährigen Erfahrung als Wissenschaftsmanager sicherlich auch den Blick auf die Geschichte, in der es schon viele scheinbar unlösbare Konflikte gab, eingebracht hat. Ich bedanke mich auch bei jedem anderen – natürlich auch bei der Geschäftsstelle.

Sie haben es geschafft, einen gemeinsamen Bericht vorzulegen. Dass dieser Bericht einstimmig verabschiedet werden konnte, ist schon eine Riesensache. Als wir uns zwischenzeitlich einmal trafen, war ich mir nicht so sicher, wie das Ganze ausgehen wird. Wenn wir da ein Halbe-halbe-Votum gehabt hätten – die einen so, die anderen so –, dann wären wir auch nicht weitergekommen. Es ist Ihnen aber gelungen voranzukommen und die Erwartungen zu erfüllen – oder mich sogar positiv zu überraschen, denn ich war mir eben nicht ganz sicher, dass das gelingen würde. Das heißt, Sie haben es geschafft, dass niemals eine Position absolut gesetzt wurde, sondern dass der Einigungsdruck doch kreativ und konstruktiv seine Wirkung entfaltet hat, obwohl jeder seinen Standpunkt einbringen konnte.

Ein Hoffnungsschimmer, als wir damals miteinander diskutiert haben, war schon, dass Frau Muus von der Landjugend und Frau Rapior von der Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz so wunderbar ihre Rollen getauscht hatten und die Anliegen des jeweils anderen sehr nachvollziehbar darstellen konnten. Die Welt auch einmal mit den Augen eines anderen zu sehen und zu verstehen – das hat vielleicht auch Sie alle ein bisschen bereichert und damit den Grund für eine mögliche Einigung gelegt. Jede Perspektive hat ja ihre Berechtigung und ist nicht frei erfunden.

Wir sind uns, denke ich, einig: Landwirtschaft ist unverzichtbar, um unsere Ernährung zu gewährleisten, natürlich gerade auch mit Blick auf die wachsende Weltbevölkerung. Eine intakte Umwelt mit funktionierenden Ökosystemen ist Voraussetzung für das Überleben auf unserem Planeten. Wirtschaftliches Handeln, Konsum und Ressourcenverbrauch müssen sich in diesem Rahmen bewegen. Landwirtschaft gerade auch als größter Flächennutzer ist ohne Auswirkungen auf die Umwelt nicht denkbar. Aber Ernährungssicherung ist ohne leistungsfähige Landwirtschaft auch nicht denkbar.

Was ist ökonomisch angemessen, was ist ökologisch erforderlich und was ist für jede Seite zumutbar? Wie lässt sich also der gordische Knoten durchschlagen, sodass landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland eine Zukunft haben und wir zugleich den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen verbessern können? – Ihr Kommissionsbericht liefert Antworten darauf. Er zeigt auch zeitliche Perspektiven auf. Wir haben ja immer wieder gefragt, ob uns die GAP daran hindere, diese Perspektiven zu entwickeln. Indem Sie das jetzt zu einer Übergangsphase deklarieren und sagen, wir müssten die Direktzahlungen umwandeln, ist das natürlich auch eine zeitliche Perspektive, die schon weit in die Zukunft reicht.

Im Sinne von Nachhaltigkeit brauchen wir einen umfassenden Transformationsprozess. Er hat begonnen und muss energisch weitergeführt werden. Sie haben auch klar benannt, dass das nicht ohne weitere finanzielle Unterstützung gehen wird. Wenn dieser Transformationsprozess aber auch im Sinne der Umwelt ehrlich und redlich ist, dann wird auch das Jammern weniger und sich mit Blick auf den europäischen Haushalt die Meinung ändern, die Landwirtschaftspolitik fresse unser ganzes Geld auf. Stattdessen wird man sagen: Wir haben ein großes Nachhaltigkeitsprojekt, das Ernährungssicherung und Umweltschonung miteinander verbindet.

Nun darf ich schon voraussagen: Dieser Kommissionsbericht ist prima, aber er gibt meinen Nachfolgern auch noch ein bisschen Arbeit mit, auch denen von Julia Klöckner und Svenja Schulze; wer auch immer dann an der jeweiligen Stelle sitzen wird. Denn es müssen verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen werden, sonst wird sich niemand auf diesen Transformationsprozess einlassen. Allerdings sage ich ganz offen: Wir haben es, liebe Svenja Schulze, auch beim Kohleausstieg gesehen; auch dort wäre die Einigung auf einen Transformationsprozess ohne finanzielle Zusagen in großer Höhe nicht gelungen. Es muss der Gesellschaft also auch etwas wert sein.

Natürlich – auch das sagt die Kommission – geht es nicht nur um politische Rahmenbedingungen, sondern auch um Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn es darum geht, die Arbeit von Bäuerinnen und Bauern zu schätzen. Diese Wertschätzung muss man dann eben auch in gewisser Weise finanziell abbilden. Das entbindet uns natürlich nicht davon, auch das Konsumverhalten und die Ernährungsgewohnheiten zu hinterfragen. Ich denke, dass es durch die Einigkeit in der Kommission gelungen ist, die Möglichkeit zu schaffen, dass darüber auch eine gesamtgesellschaftliche Debatte geführt werden kann, die nicht von vornherein gleich wieder kontrovers ist. Natürlich muss die Politik Verantwortung übernehmen, um diesen geeigneten Rahmen zu schaffen.

Die Arbeit insgesamt hat also kein Ende gefunden, aber erst einmal die Arbeit der Kommission. Es sind wegweisende und hilfreiche Impulse. Wir werden versuchen, sie auch in Europa bekannt zu machen. Ich bitte alle, die in europäischen Gremien arbeiten, das zu tun. Denn die Lösungsoptionen sind skizziert und müssen langfristig in die Tat umgesetzt werden.

Natürlich wird es Aufgabe der Politik sein, Maßnahmen zu ergreifen. Jetzt haben wir eine fundierte Entscheidungsgrundlage dafür. Deshalb noch einmal einen ganz herzlichen Dank an alle, die sich in die Kommissionsarbeit eingebracht haben. – Wir werden ja gleich noch einige Mitglieder der Kommission hören. – Aus meiner Perspektive war es jedenfalls der Mühe wert. Ich hoffe, Sie sehen es auch so. Danke für Ihren Einsatz.