Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Sánchez am 14. Juli 2020

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass heute Abend der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hier in Berlin zu Besuch ist. Es gibt ja jetzt, in diesen Tagen, eine rege Reisetätigkeit im Rahmen der Vorbereitung des Europäischen Rats. Ich möchte natürlich heute Abend das Gespräch fortsetzen, das wir in den letzten Monaten und bis jetzt immer über Videokonferenzen geführt haben. Das zeigt, dass wir uns jetzt glücklicherweise auch wieder physisch ‑ natürlich mit Abstand ‑ treffen können.

 Wir stehen vor einer wichtigen Ratssitzung des Europäischen Rats. Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rats, bereitet die Diskussion, die wir Freitag und Sonnabend führen werden, intensiv vor. Auch wir als rotierende Ratspräsidentschaft versuchen natürlich hilfreich zu sein. Aus der Vielzahl der Gespräche ergibt sich, dass es noch recht unterschiedliche Vorstellungen gibt. Aber das Gemeinsame, und das wird natürlich auch von Deutschland geteilt, ist, dass wir in einer ungewöhnlichen, bisher nicht dagewesenen Situation handeln müssen, um Europa wieder auf Wachstumskurs zu bringen, um die schweren ökonomischen Schäden zu überbrücken und gleichzeitig natürlich auch die Lehren aus der Coronapandemie zu ziehen, die ja leider noch nicht vorbei ist, wie wir jeden Tag in unseren Ländern auch wieder schmerzlich erfahren müssen.

Das heißt also, es wäre wünschenswert, sehr schnell ein Ergebnis zu erreichen. Ob das Freitag oder Sonnabend gelingen wird, weiß ich nicht. Aber die Zeit drängt; denn wir müssen natürlich noch sehr viele Programme ausarbeiten. Es ist auch wichtig, Gewissheit zu haben und planen zu können.

Wir sind uns auch einig, und Deutschland vertritt diese Meinung auch ganz intensiv, dass wir gleichzeitig in die Zukunft investieren müssen, nämlich in Digitalisierung und in den Kampf gegen den Klimawandel. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen und die in den nächsten Jahren natürlich auch darüber entscheiden werden, ob wir wirtschaftlich erfolgreich sein werden oder ob wir es nicht sein werden.

Wir werden heute etwas in die Details gehen; denn Charles Michel hat uns jetzt eine Verhandlungsbox vorgelegt. Wir wissen also, worüber wir sprechen. Wichtig ist, dass die mittelfristige finanzielle Vorausschau und der Aufbaufonds eine Einheit bilden. Wir müssen also auch alles gemeinsam lösen.

Es sind, wie gesagt, noch Meinungsunterschiede zu überwinden, aber wir werden natürlich auch von deutscher Seite aus mit einem gewissen Vorrat an Kompromissbereitschaft nach Brüssel fahren. Wünschenswert wäre also eine Einigung, aber es ist nichts sicher; das habe ich ja schon an verschiedenen Stellen gesagt.

Ganz herzlichen Dank! Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien sind sehr, sehr gut; darauf brauchen wir nicht sehr viel Zeit zu verwenden. Aber wir wissen, dass Spanien auch in ganz besonderer Weise von der Coronapandemie betroffen war, und wir werden alles dafür tun, dann zu schauen, wie wir auch im Gesundheitsbereich enger zusammenarbeiten sowie eine europäische Souveränität bezüglich bestimmter Produkte wiederherstellen können. Auch das wird eine der Aufgaben der Zukunft sein. Herzlich willkommen, Pedro!

MP Sánchez: Ganz herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin, für Ihre Worte, und auch für die Möglichkeit, dass wir hier Eindrücke hinsichtlich des Ratstreffens am 17. und 18. Juli austauschen.

Als Erstes möchte ich gerne noch einmal an die Coronaopfer in Deutschland erinnern und auch Ehrung für sie bezeugen. Ich glaube, es ist sehr wichtig zu sehen, dass wir in den vergangenen Monaten sehr viel Solidarität erlebt haben ‑ nicht nur mit den Landsleuten im eigenen Land, sondern auch mit den Landsleuten in der ganzen Europäischen Union und natürlich auf der ganzen Welt. Deswegen fange ich immer gerne damit an, dass ich erst einmal die Solidarität der spanischen Bevölkerung und der spanischen Regierung und unser Mitgefühl ausdrücke.

Das sage ich auch, weil wir sehr schwierige Monate hatten und in dieser Zeit eine wichtige Unterstützung und Solidarität auch seitens der Bundeskanzlerin und ihrer Regierung sowie natürlich der deutschen Bevölkerung insgesamt erfahren haben, was wir sehr wertgeschätzt haben und auch nicht vergessen werden.

Als Drittes möchte ich Bundeskanzlerin Merkel für den gerade begonnenen EU-Ratsvorsitz gerne alles Gute und viel Glück wünschen. Denn wir müssen jetzt eine Antwort auf diese Covidkrise finden, und das hat auch viel mit dem zu tun, was in dieser Zeit des Ratsvorsitzes geschehen kann. Ich glaube, wir haben sehr viel Glück, dass wir gerade jetzt, in einem so schwierigen Moment für die gemeinsame Union, die Bundeskanzlerin an der Spitze der Europäischen Union haben.

Wie die Bundeskanzlerin schon gesagt hat, ist der Gipfel am 17. und 18. Juli. Da sind alle Führungskräfte Europas aufgerufen zu einem historischen Meilenstein. Ich habe vor Kurzem gehört, dass Bundeskanzlerin Merkel sagte, die Covidkrise sei ähnlich wie die Nachkriegszeit nach dem zweiten Weltkrieg. Für Spanien können wir dasselbe sagen: Wir hatten keine so schwierige Situation, wenn wir nicht an die Zeit nach dem Bürgerkrieg im vergangenen Jahrhundert zurückdenken. Das heißt, wir alle haben wirklich eine historische Aufgabe vor uns, und wir haben in den vergangenen Jahrzehnten in Europa sehr viel geschafft und sehr viel gebaut. Deswegen sind wir jetzt dazu aufgerufen, so früh wie möglich eine Einigung zu erreichen. Seitens von Spanien werden wir alles dafür tun, noch in Juli zu einer Einigung zu kommen. Der Juli muss der Monat der Einigung sein; denn es gibt keinen Wiederaufbau, wenn wir keine Einheit und keine Einigkeit haben, und andersherum.

Diese Pandemie hat sehr viele Fragen aufgeworfen, hat uns aber auch sehr viel gelehrt. Eine Lehre ist, dass wir im Westen geeint vorgehen müssen. Wir dachten, diese Pandemie beträfe vielleicht Asien oder Afrika, aber ein System wie unseres, ein Gesellschaftssystem wie unseres, würde irgendwie außen vor bleiben, also keine Pandemie erleiden, so wie das oft bzw. fast systematisch auf anderen Kontinenten passiert. Das war eine Lektion.

Gleichzeitig möchte ich aber auch sagen, dass diese Pandemie für die Europäische Union große Chancen bietet, wenn wir es schaffen, koordiniert, konzertiert und auch schnell zu handeln. Ohne Frage ist aus der multilateralen Perspektive heraus noch einmal klar geworden, wie wichtig und wie gut die universelle Gratisgesundheitsversorgung in Europa und auch unser Wirtschafts- und Sozialmodell sind. Ich glaube, das ist eine große Chance, jetzt noch einmal den anderen Ländern in der Welt zu zeigen, dass dieses Modell der sozialen Marktwirtschaft und dieses Modell der Umverteilung auch im Bereich des Gesundheitssystems etwas ganz Grundlegendes ist.

Zweitens müssen wir natürlich weit voraussehen und den Wandel, den Bundeskanzlerin Merkel angesprochen hat, nun auch angehen. Wir könnten es nun schaffen, dass unsere Wirtschaften zum Beispiel gegen den Klimawandel und in Bezug auf Digitalisierung sehr viel resilienter werden. Eine der wichtigsten Errungenschaften der Europäischen Union, die gerade infrage gestellt wird, ist es ja, dass wir gerade im Binnenmarkt so stark sein und so viele Dinge auffangen können. Das heißt letztlich, dass wir jetzt die Früchte dessen ernten, was wir in den vergangenen Jahren gebaut haben.

Eine der Fragen, die die Europäische Kommission aufgeworfen hat ‑ ich weiß, dass auch Bundeskanzlerin Merkel dem sehr große Wichtigkeit beimisst ‑, ist natürlich die Außendimension dieser Pandemie, der COVID-19-Krise und die Notwendigkeit, dass die Europäische Union nicht nur auf sich selbst sieht, sondern vor allem mit Blick auf Afrika ihrer Verantwortung gerecht wird. Denn die Menschen in Afrika werden unter dieser Krise sehr stark zu leiden haben.

Ich denke, dass die Europäische Union in diesen Monaten der Pandemie schon erste Antworten gefunden und aus ihr auch erste Lehren gezogen hat. Wenn wir vom Gesundheitssystem oder von der Stärkung der Wissenschaft sprechen, dann ist es, denke ich, ganz wichtig, dass wir europäisch über die Kommission zum Beispiel mit den großen Pharmazieunternehmen reden, dass wir darüber reden, dass ein Impfstoff an alle gleichermaßen verteilt werden soll. Wenn wir vom Binnenmarkt sprechen, dann sprechen wir auch über das SURE-Programm, das uns dabei helfen wird, viele Arbeitsplätze zu erhalten, Arbeitsplätze, die unter dem Lockdown natürlich gelitten haben. Mit den Bürgschaften für die Unternehmen werden wir auch in der Lage sein, die negativen Konsequenzen der Ausgangssperre für eine Reihe von Unternehmen abzufangen. Mit einem Wort: An unserer Resilienz, an der Resilienz unserer Wirtschaft müssen wir arbeiten, natürlich mit grüner Farbe und auch mit Digitalisierung.

Ich weiß, dass wir vor einer sehr schwierigen Verhandlung stehen. Es gibt verschiedene Meinungen und verschiedene Visionen darüber, was Europa sein soll, und jede einzelne ist legitim. Es gibt keine bessere oder schlechtere. Aber die Lehre, die wir aus den Jahrzehnten des europäischen Einigungswerks ziehen müssen, ist, dass die Europäische Union nie mit einem Veto gebaut wurde, sondern immer auf der Grundlage des Willens zum Dialog. Ich glaube, darum geht es auch am 17. und 18. Juli. Das ist unsere Aufgabe als Führungskräfte in Europa. Wenn wir die Einigung neuerlich verschieben, dann werden wir auch den Wiederaufbau verschieben; und wenn wir den Wiederaufbau verschieben, dann wird die Krise noch schwerer und werden die Konsequenzen schlimm sein. Deswegen wird Spanien wirklich alles tun, um so schnell wie möglich zu einer Einigung zu kommen. Denn das haben die Arbeitnehmer verdient, das haben unsere Bürger verdient, die eine schreckliche Pandemie erlitten haben. Die Bundeskanzlerin wies darauf hin, dass diese Pandemie noch nicht vorbei ist. Wir müssen nationale Antworten, aber auch europäische Antworten finden. Das ist unsere Aufgabe. Ich hoffe, dass wir eine Einigung erzielen.

Vielen Dank.