Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Macron zum Westbalkantreffen

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass heute wieder einmal der französische Staatspräsident Emmanuel Macron in Berlin ist, und zwar zu einem ganz speziellen Treffen, nämlich einem Treffen mit den Regierungschefs aus dem westlichen Balkan und der Hohen Vertreterin der Europäischen Kommission, Frau Mogherini. Wir haben diese gemeinsame Initiative verabredet, weil wir uns der europäischen Perspektive der Länder des westlichen Balkans verpflichtet fühlen.

Ich will aber ausdrücklich sagen: Es geht heute nicht um Beitrittsverhandlungen   dazu gibt es einen fest organisieren Prozess, der durch die Kommission gesteuert wird  , sondern es geht heute darum, die Situation, wie sie von den verschiedenen Mitgliedstaaten empfunden wird, einmal auszuleuchten und zu überlegen, in welchen Fragen wir ein gewisses Momentum, einen gewissen Impuls brauchen, um voranzukommen. Deutschland und Frankreich wollen dies gemeinsam tun, um einfach auch deutlich zu machen, dass wir eine gemeinsame Verantwortung für diese Entwicklung spüren, und um deutlich zu machen, dass es in unserem europäischen Interesse ist, dass in dieser Region die Entwicklung weiter positiv verläuft.

Wir haben mit der Entwicklung in Nordmazedonien sehr mutige Schritte gesehen, die uns Hoffnung geben, dass man langjährige Konflikte auch lösen kann. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal unserem griechischen Kollegen Alexis Tsipras und auch dem bulgarischen Kollegen Bojko Borissow, die sich immer dafür eingesetzt haben, ganz herzlich danken. So werden wir heute sicherlich die Diskussion auch mit Blick darauf führen, dass ein großes Problem, an dessen Lösung wir über zehn Jahre gearbeitet haben, nunmehr gelöst werden konnte.

Es gibt aber auch andere Probleme, und ein Thema, das heute schon zur Diskussion stehen wird   insbesondere auch beim Abendessen   ist die Frage: Wie können wir auch mit Blick auf Serbien und auf Kosovo die Entwicklung begleiten und voranbringen und vor allen Dingen verhindern, dass Probleme noch unlösbarer erscheinen, als sie schon erschienen; denn wir haben ja im Augenblick zum Beispiel bei den Zöllen eine Entwicklung, die nicht gerade in die richtige Entwicklung weist.

Das heißt, es ist heute eine offene Diskussion. Es geht nicht um Beschlussfassung, sondern es geht darum, dass wir ehrlich und gemeinsam ins Gespräch kommen. Das, was uns dabei leitet, ist die Tatsache, dass nur die gesamte Region sich entwickeln kann; es können also keine Abkommen zulasten anderer gemacht werden, die dann die Folgen zu tragen haben. Das rechtfertigt eben auch genau dieses Format. Es ist ein informelles Format, es ersetzt nicht den Berliner Prozess, es ersetzt nicht die Beitrittsverhandlungen, aber es ist eine gute Möglichkeit, in einen offenen Diskurs zu treten und dann zu schauen, wie die jeweiligen bilateralen Verhandlungen auch weitergeführt werden können.

Deshalb bin ich sehr dankbar, dass der französische Staatspräsident nach Berlin gekommen ist, und begrüße ihn ganz herzlich. Ich glaube, dass das heute wichtige Diskussionen sind   aber eben ein Schritt auf einem langen Weg und nicht ein ergebnisorientierter Prozess für den heutigen Tag.

P Macron: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela! Es ist mir eine große Freude, heute in Berlin zu sein und die gemeinsame Initiative weiterzuverfolgen, die wir bei einigen Themen ins Leben gerufen haben. Vor einigen Wochen waren Sie in Paris, damit wir gemeinsam mit China diskutieren konnten, und heute werden wir uns gemeinsam mit einem europäischen Thema befassen. Ich denke, so sehen wir auch diese Effizienz in den deutsch-französischen Beziehungen und unseren Willen, das gemeinsam zu tun.

Ich möchte nicht alles wiederholen, was die Bundeskanzlerin gerade schon gesagt hat. Was wir wollen, ist, dass wir uns in einem informellen Rahmen treffen und dass wir uns hier mit den Westbalkanländern treffen, um offen zu den schwierigsten Fragen und insgesamt auch zur Stabilität in der Region zu diskutieren; denn wir gehen davon aus, dass es ein europäisches Thema ist. Es gibt sehr viele Partner, die betroffen sind, und es geht vor allem auch um unsere Stabilität, die davon abhängt.

In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass Fortschritte möglich sind. Zwanzig Jahre nach den Konflikten, die den Balkan zerrissen haben   und bei diesen Konflikten hat Frankreich, wie Sie wissen, auch eine entscheidende Rolle gespielt  , haben wir es mit dem Prespa-Abkommen also geschafft, dass es möglich ist, und wir haben gesehen, dass es möglich ist, diese Streitigkeiten beizulegen, die vorher unüberwindbar schienen. Wenn die Entscheidungsträger sich entschieden, Engagement zu ergreifen   und da müssen wir Zaev und Tsipras danken  , dann kann man auch eine konkrete Lösung finden.

Das heißt, ich sehe vor allem zwei Prioritäten in unseren heutigen Diskussionen. Das Erste ist natürlich, dass wir über den konkreten Fall von Serbien und Kosovo sprechen. Wir haben den Willen, dass dort der Dialog wieder aufgenommen wird. Wir haben nicht die Absicht, Belgrad und Priština eine Lösung vorzugeben. Wir haben vielmehr den Willen, zunächst einmal alle möglichen Optionen in den Blick zu nehmen und dann zu versuchen, diese Debatte etwas weniger emotional zu führen, sodass dort dann keine regionalen Spannungen durch irgendwelche Lösungen entstehen; denn wir alle haben eine politische Verantwortung zusammenzuarbeiten, damit beide Parteien den Dialog wieder miteinander aufnehmen.

Die zweite Herausforderung ist, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam zusammenarbeiten, um einen konkreten Beitrag für die Stabilität der Region zu erbringen. Wie Angela Merkel es gerade gesagt hat, geht es hier nicht um die Erweiterungspolitik der EU oder eine mögliche Erweiterung, sondern es geht um eine Politik der Stabilität in der Region. Das macht es für Frankreich auch notwendig, dass wir uns wieder in dieser Region engagieren. Das möchte ich heute unseren Partnern vorstellen. Frankreich war in der Vergangenheit, vor allem in den 1990er-Jahren, sehr engagiert, mit rund 100 Soldaten, die dort ihr Leben verloren haben. In den 2000er-Jahren hat Frankreich sich dann mit der Rückkehr des Friedens zurückgezogen. Wir möchten nun wieder gemeinsam diese Politik der Stabilität mit vier Hauptachsen verfolgen.

Die erste Hauptachse ist die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Der zweite Bereich ist die Sicherheit. Hier ist die Initiative zu nennen, die wir vor 18 Monaten zum Kampf gegen den illegalen Waffenhandel auf den Weg gebracht haben, und wir möchten auch gemeinsam gegen organisiertes Verbrechen und Terrorismus sowie irreguläre Migration vorgehen. Der dritte Bereich ist die Verteidigung. Wir haben Ende März die Kommandoführung der europäischen Friedenssicherungsmission in Bosnien-Herzegowina übernommen. Es geht außerdem noch einen vierten Bereich: Das ist die Justiz und die Stärkung unserer Zusammenarbeit im Kampf gegen Wirtschafts- und Finanzkriminalität.

Diese vier Bereiche sind die Bereiche, in denen wir uns an der Seite Deutschlands in den Balkanländern wieder verstärkt engagieren wollen, um für ihre Sicherheit zu arbeiten   unabhängig von jeder anderen Agenda. Wir sind fest davon überzeugt, dass diese Stabilität durch eine regionale Agenda umgesetzt werden kann, durch eine engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsländern des Balkans. Darüber möchten wir mit Blick auf die Spannungen, die manchmal entstanden sind und die niemandem zugutekommen, sprechen. Das sind also die Prioritäten, die wir hier verfolgen.

Ich danke noch einmal der Bundeskanzlerin, liebe Angela, für die Einladung hierher und für das Treffen, das wir hier heute abhalten.

BK’in Merkel: Und nun gehen wir an die Arbeit!

P Macron: Au travail, oui!