Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel, dem Präsidenten Hollande, dem Präsidenten der EU-Kommission, Juncker, sowie dem Vorsitzenden des European Round Table of Industrialists, Potier, am 1. Juni 2015 in Berlin

im Wortlaut Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel, dem Präsidenten Hollande, dem Präsidenten der EU-Kommission, Juncker, sowie dem Vorsitzenden des European Round Table of Industrialists, Potier, am 1. Juni 2015 in Berlin

im Bundeskanzleramt

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Montag, 1. Juni 2015

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich möchte ganz herzlich den französischen Präsidenten Francois Hollande, den Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, und den Präsidenten des europäischen Round Table, Herrn Potier, bei uns in Berlin begrüßen.

Wir haben schon eine kleine Serie von Treffen mit dem European Round Table, mit führenden europäischen Unternehmen, abgehalten, und zwar immer abwechselnd in Frankreich und in Deutschland. Der letzte Round Table fand in Paris am 19. Februar 2014 statt. Damals haben wir uns mit den Themen der Energieunion und der Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt. Heute steht das Thema der digitalen Agenda, der Digitalisierung ganz oben auf der Tagesordnung. Inzwischen hat es eine europäische Wahl gegeben, und ich begrüße Jean-Claude Juncker als den neuen Präsidenten der Europäischen Kommission natürlich ganz herzlich in dieser Runde.

Der European Round Table umfasst die 20 wichtigsten Unternehmen der Europäischen Union, und wir wollen uns heute Abend dem Thema widmen, was wir an Rahmenbedingungen gestalten müssen, um in der Digitalisierung erfolgreich zu sein, und zwar sowohl, was Investitionen anbelangt - was ja sehr eng mit dem Juncker-Plan verknüpft ist, der für mehr Investitionen in Europa steht -, als aber auf der anderen Seite auch, wenn es darum geht, was wir für eine Rechtsetzung in Bezug auf das Verhältnis zwischen Datenschutz auf der einen Seite und Wertschöpfungsmöglichkeiten auf der anderen Seite schaffen müssen.

Es trifft sich gut, dass nicht nur Telekommunikationsunternehmen heute da sind, sondern dass auch Industrieunternehmen da sind. Sie alle kennen die Diskussion um das Thema „Industrie 4.0“. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Initiativen in den einzelnen Mitgliedstaaten, aber es gibt noch keinen gemeinsamen Angang in Bezug darauf, wie wir das Ganze auf europäischer Ebene vereinheitlichen wollen. Darum wird es gehen, wenn wir die Vorteile des Binnenmarktes ausschöpfen wollen. Denn wir sind 500 Millionen Menschen, und wir können viel schaffen, wenn wir gemeinsam agieren. Wenn wir fragmentiert agieren, dann wird das schwierig sein.

Wir werden heute Abend also Finanzierungsfragen, Fragen der „Industrie 4.0“, Fragen des Datenschutzes und des Big-Data-Managements sowie Fragen des Telekommunikationspakets - von Roaming-Gebühren bis hin zur Netzneutralität - nicht wesentlich unter den Politikern besprechen, sondern wir wollen vor allen Dingen der Wirtschaft zuhören und daraus dann die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen. Ich freue mich, dass wir diesen Abend hier gemeinsam verbringen können.

P Hollande: Zunächst einmal herzlichen Dank an Angela, dass sie mich nach Berlin eingeladen hat! Ich bin jetzt häufig und regelmäßig in Berlin. Der G7-Gipfel am Ende der Woche wird ja auch in Deutschland stattfinden.

Wir treffen uns nunmehr das dritte Mal - Deutschland, Frankreich, die Europäische Kommission; heute ist Jean-Claude Juncker bei uns - gemeinsam mit den europäischen Hauptunternehmen. Viele möchten dabei sein. Das bedeutet also, dass dieses Treffen eine Form und eine Bedeutung angenommen hat, um die uns viele beneiden.

Wir mobilisieren uns heute auf der Grundlage von zwei großen Herausforderungen, zum einen der Energiewende im Rahmen der Klimakonferenz. Wie werden sich die europäischen Unternehmen auf den Klimawandel, auf das neue Umfeld in Bezug auf ihre Investitionsentscheidungen vorbereiten, aber auch in Bezug auf die Ausbildung, die sie anbieten wollen, vor allem in neuen Berufen?

Die zweite Herausforderung ist die Herausforderung der Digitalisierung. Auch dabei geht es um ein Ziel für Europa, das sich Europa setzen muss. Europa muss beispielhaft vorangehen, und zwar in Bezug auf den Energiewandel, aber auch in Bezug auf die Digitalisierung. Dazu gibt es Bedingungen, die erfüllt werden müssen. Die erste Bedingung ist, dass wir einen gemeinsamen digitalen Markt haben, damit unsere nationalen Regelwerke harmonisiert werden können und damit für die Unternehmen wie auch für die einzelnen Personen ein gemeinsamer Markt vorhanden ist, ein echter Binnenmarkt.

Es sind auch weitere Entscheidungen aufseiten der Staaten zu treffen, sei es in Bezug auf die Besteuerung, sei es in Bezug auf die Ausbildung oder sei es in Bezug auf die Finanzierungen. Dazu sind Entscheidungen auf europäischer Ebene zu fällen. Der Juncker-Plan kann ein Ausdruck dieses Willens sein. Der Juncker-Plan ist nun gerade angenommen worden. Das ist ein sehr wichtiger Punkt; darauf möchte ich hinweisen.

Es gibt außerdem eine digitale Agenda, die von Europa getragen werden kann. Frankreich und Deutschland wollten ihre eigene digitale Agenda haben. Die Kanzlerin und ich selbst werden gemeinsam daran arbeiten, was wir in unseren beiden Ländern tun und umsetzen können.

Ich habe die Ausbildung schon angesprochen, und ich möchte sagen, dass wir immer, wenn wir uns treffen, über die Jugendbeschäftigung und über die Qualifizierung sprechen. Denn wir möchten, dass die Jugendarbeitslosigkeit zurückgeht. Deswegen müssen wir gerade dort eine große Anstrengung in Bezug auf die Qualifizierung und die Ausbildung der Jugendlichen im digitalen Bereich unternehmen.

Wir haben auch dafür zu sorgen, dass die persönlichen Freiheiten und die Daten geschützt werden. Auch das gehört zur Aufgabe der Staaten und zur Aufgabe der Unternehmen.

Schließlich und endlich müssen wir dafür sorgen, dass die Innovation ihren Platz bekommt, insbesondere die Start-ups. Viele junge Menschen, aber auch weniger junge Menschen gründen Unternehmen in der digitalen Wirtschaft wie auch in der Energiewirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass ihre Entwicklung gesichert ist und dass sie genügend Finanzmittel an die Hand bekommen, sei es aus privater wie auch öffentlicher Quelle.

Ich möchte zum Schluss kommen und eine Herausforderung, die mir besonders am Herzen liegt, noch einmal ansprechen, nämlich mittel- und langfristiges Wachstum, damit Europa als eine Zone angesehen wird, die sich mit den Problemen beschäftigt, die vor ihr liegen, damit Europa aber auch in der Lage ist, sich in die Zukunft zu projizieren und dafür sorgt, dass der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit unser oberstes Ziel bleibt.

Juncker: Ich bin sehr froh, zu dieser Runde eingeladen worden zu sein, weil das Thema des digitalen Binnenmarktes eine der Hauptprioritäten der Arbeit der vor Kurzem ins Amt getretenen Europäischen Kommission ist. Ich habe stets darauf hingewiesen, dass sich die Kommission nicht um das alltägliche Klein-Klein kümmern soll, sondern dass wir uns mit den wirklich wichtigen Zukunftsfragen auseinandersetzen sollen. Das tun wir, indem wir vor Wochen eine Strategie zur Schaffung des digitalen Binnenmarktes vorgelegt haben.

Die digitale Revolution ist in ihrer Wucht mit der ersten industriellen Revolution vergleichbar, und wir müssen uns mit Engagement, mit Mut und auch mit Herzensmut an die Schaffung des einheitlichen europäischen digitalen Binnenmarktes machen. Wir verkaufen uns diesbezüglich unter Wert: Nur 1,7 Prozent der europäischen Unternehmen sind in Sachen hochentwickelter digitaler Technologie unterwegs. 41 Prozent der europäischen Unternehmen sind noch überhaupt nicht unterwegs, wenn es um die digitale Spitzentechnologie geht. Wir müssen sie auf den Weg bringen. Allein der Big-Data-Sektor wächst um 40 Prozent jährlich. Das ist ein Wachstum, das siebenmal stärker als das IT-Wachstum ausgeprägt ist. Insofern liegt hier ein unwahrscheinlich großes, auszuschöpfendes Potenzial. Wenn wir den digitalen Binnenmarkt auf den Weg bringen, und zwar richtig gestaltet auf den Weg bringen, dann wird uns das laut unserer Berechnungen ermöglichen, der europäischen Wirtschaft jährlich ein zusätzliches Wachstum von 415 Milliarden Euro zuzuführen. Dies wird zur Schaffung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen führen, was im Übrigen auch zur Folge haben wird, dass wir uns mit dem Thema „Bildung und Vorbereitung auf diese digitale Zukunft“ intensiv werden auseinandersetzen müssen.

Um diese digitale Agenda und diesen digitalen Binnenmarkt vollumfänglich gestalten zu können, müssen wir den Mut aufbringen, weil das Mut brauchen wird, die 21 national fragmentierten digitalen Märkte zu einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt zusammenzuführen, was wiederum heißt, dass wir die nationalen Silos dem Zugriff exklusiv nationaler Politik entziehen müssen. Die Kommission wird vor Ende des Jahres damit anfangen, gesetzgeberisch tätig zu werden, weil wir die ersten der 16 angekündigten Initiativen in Angriff nehmen werden. Der Europäische Rat Ende Juni wird sich auch mit diesem Thema beschäftigen.

Wenn alle einverstanden sind, wird diese digitale Dampflok in Bewegung geraten. Dazu braucht es natürlich einen starken französisch-deutschen Motor und andere Politikbereiche. Die Stichworte Investitionsplan und Kapitalmarktunion sind flankierende Maßnahmen, die dem digitalen Binnenmarkt auf die Sprünge helfen sollen. Darüber werden wir heute Abend mit den Vertretern der Wirtschaft diskutieren, und zwar so, dass wir vor allem zuhören werden.

Potier: Herzlichen Dank! Als Vorsitzender des European Round Table of Industrialists bin ich der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie den ERT gemeinsam mit Präsident Hollande und Präsident Juncker heute Abend eingeladen hat.

Wir sind heute nicht nur hier, um über Klima- und Energiefragen zu sprechen, sondern um auch über die Frage der Digitalisierung zu sprechen, wie die Digitalisierung zu vermehrtem Wachstum und vermehrter Wettbewerbsfähigkeit Europas führen und wie man vor allen Dingen Arbeitsplätze für die jungen Menschen schaffen kann.

Wir haben eine ganze Reihe von sehr wichtigen Playern auf diesem Feld eingeladen, die die richtigen regulatorischen und auch technischen Voraussetzungen schaffen können, um eine digitale Gesellschaft zu schaffen. Das bedeutet, dass man die Fähigkeit hat, neue digitale Anwendungen, neue digitale Technologien, aber auch Cloud Computing und Management von Big Data und neue Businessmodelle zu schaffen, um das Internet der Dinge auf den Weg zu bringen, aber auch Netzwerke innerhalb der Industrie und auch Handelsplattformen aufzulegen, damit die nächste Generation der Hochgeschwindigkeitsnetze sowohl im mobilen als auch im Festnetzbereich geschaffen werden kann.

Wir möchten, dass Europa die Vorteile, das Potenzial voll und ganz ausschöpft, das die Digitalisierung eröffnet. Dazu müssen drei Punkte erledigt werden. Zunächst einmal braucht man einen echten digitalen Binnenmarkt. Zweitens muss es spezifische Regelungen geben, die auch an die neuen Verhältnisse angepasst werden, damit der richtige regulatorische Rahmen da ist und es keine Fragmentierungen mehr gibt. Drittens muss die Fähigkeitslücke im Bereich der digitalen Wirtschaft geschlossen werden, damit die nötigen Kompetenzen und Fähigkeiten vorhanden sind.

In diesem Zusammenhang ist es so, dass der ERT es als besonders wichtig ansieht, dass es dynamische Ökosysteme von Investoren gibt, an denen sich auch Unternehmen und Universitäten zur Förderung von Startups und vor allen Dingen digitaler Startups beteiligen. Es gibt eine ganze Reihe von Fachstudien unserer Unternehmen, die uns ganz deutlich zeigen, was wir bereits tun, um solche Ökosysteme zu stimulieren. Es ist uns voll und ganz klar, dass solche Startup-Unternehmen natürlich Unterstützung brauchen, damit sie prosperieren können. Große Unternehmen wie zum Beispiel die Mitglieder des ERT können auch da eine wichtige Rolle spielen, indem sie zum Beispiel die notwendige Finanzierung gerade in der Wachstumsphase dieser jungen Unternehmen bereitstellen und zum Beispiel Fusionen und Übernahmen ermöglichen. Es ist hier bereits sehr viel Geld investiert worden, und in den nächsten fünf Jahren werden Milliarden an Investitionen zusätzlich erfolgen. Die Kommission wie auch die Mitgliedstaaten haben hier eine Schlüsselrolle zu spielen, indem sie den richtigen regulatorischen Rahmen schaffen, in dem die Bürokratie soweit wie möglich reduziert und ein echter Binnenmarkt geschaffen wird.

Dieses Gespräch sehen wir sozusagen als den Beginn eines Prozesses an. Wir vonseiten des ERT sind bereit, mit all denjenigen zusammenzuarbeiten, die hier eine wichtige Rolle spielen können und die dann Europa in die digitale Wirtschaft von morgen begleiten können.

Herzlichen Dank!

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