Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel nach den Wahlen in den USA

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, heute, am 9. November 2020, denken wir Deutschen wie an jedem 9. November an das Schlimmste und an das Beste in unserer Geschichte.

Wir denken an die Schande des 9. November 1938, die Pogrome gegen jüdische Mitbürger im ganzen Land, an die Menschen, die in den Tod getrieben wurden, die brennenden Synagogen, die zerstörten Geschäfte. Wir gedenken der Opfer des von Deutschland begangenen Menschheitsverbrechens der Shoah in Scham.

Und wir denken an den 9. November 1989, den Jubel, die überschäumende Freude der Menschen, als sich hier, ganz in der Nähe am Brandenburger Tor und entlang der Berliner Mauer, dieses entsetzliche Bauwerk erst öffnete und dann fiel. Erst vor wenigen Wochen, am 3. Oktober, haben wir den 30. Jahrestag unserer deutschen Einheit gefeiert. Sie wäre ohne das Vertrauen gerade auch der Amerikaner nicht möglich gewesen. Dafür werde ich immer dankbar sein.

Wir Deutschen haben direkt erlebt und erfahren, welch wichtige Rolle die Vereinigten Staaten von Amerika für die Freiheit und die Demokratie in der Welt spielen. Wir haben direkt erlebt und erfahren, welch große Bedeutung die deutsch-amerikanische Freundschaft, die transatlantische Partnerschaft hat ‑ für Deutschland, für Europa und für die Welt.

Die ganze Welt verfolgt alle vier Jahre amerikanische Präsidentschaftswahlen mit ganz besonderer Aufmerksamkeit. Nun haben die amerikanischen Bürgerinnen und Bürger wieder ihre Wahl getroffen. Ich gratuliere Joe Biden ganz herzlich zu seiner Wahl zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Joe Biden bringt die Erfahrung aus Jahrzehnten in der Innen- wie in der Außenpolitik mit. Er kennt Deutschland und Europa gut. Ich erinnere mich gerne an gute Begegnungen und Gespräche mit ihm.

Ebenso herzlich gratuliere ich Kamala Harris, der künftigen Vizepräsidentin. Als erste Frau in diesem Amt und als Kind zweier Einwanderer ist sie für viele Menschen eine Inspiration, ein Beispiel für die Möglichkeiten Amerikas. Ich freue mich darauf, sie kennenzulernen.

Die Freundschaft unserer beiden Länder hat sich über Jahrzehnte hinweg bewährt. Viele Menschen hier wie dort leben diese deutsch-amerikanische Freundschaft. Das ist ein gemeinsamer Schatz. Wir sollten immer weiter an ihr arbeiten und immer neue Generationen von Deutschen und Amerikanern, Europäern und Amerikanern zusammenbringen. Wir sind Verbündete in der NATO. Wir teilen grundlegende Werte von der Würde des Individuums und von Rechtsstaatlichkeit, und wir teilen Interessen.

Die Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschland als Teil der Europäischen Union müssen zusammenstehen, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, Seite an Seite in der schweren Prüfung der Coronapandemie, Seite an Seite im Kampf gegen die Erderwärmung und ihre globalen Folgen sowie im Kampf gegen den Terrorismus, Seite an Seite für eine offene Weltwirtschaft und freien Handel. Denn das sind die Grundlagen unseres Wohlstands beiderseits des Atlantiks.

Wir Deutschen und wir Europäer wissen, dass wir in dieser Partnerschaft im 21. Jahrhundert mehr eigene Verantwortung übernehmen müssen. Amerika ist und bleibt unser wichtigster Verbündeter. Aber es erwartet von uns ‑ und dies zu Recht ‑ stärkere eigene Anstrengungen, um für unsere Sicherheit zu sorgen und in der Welt für unsere Überzeugungen einzutreten, und wir Europäer haben uns ja längst auf diesen Weg gemacht.

Es ist eine konfliktreiche Zeit, in der die Wählerinnen und Wähler Joe Biden und Kamala Harris große Verantwortung übertragen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit ihnen und wünsche ihnen Kraft, Erfolg und Gottes Segen.

Ich danke Ihnen!