Im Wortlaut
in Ise-Shima
6 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Donnerstag, 26. Mai 2016
Meine Damen und Herren, wir haben die ersten Sitzungen des G7-Treffens unter der Leitung des japanischen Ministerpräsidenten Shinzō Abe absolviert. Bevor wir an die Arbeit gegangen sind, haben wir die Möglichkeit gehabt, das größte japanische Heiligtum zu besuchen, den Ise-Schrein. Das war sehr bewegend und einfach auch sehr schön, wie ich finde, wenn man angesichts einer solchen Reise oder Veranstaltung im Rahmen von G7 auch ein Stück der Kultur des Landes sehen kann.
Wir haben klassischerweise mit dem Thema Weltwirtschaft begonnen. Hier sind noch einmal die Unsicherheiten und auch die Gesamtsituation diskutiert worden. Einerseits hat die Welt ein gewisses stabiles Wachstum, aber es gibt Schwächen, insbesondere bei den Schwellenländern. Es gibt auch eine ganze Reihe von Risiken. Deshalb ist es auch aus der japanischen Sicht – dem haben wir zugestimmt – sehr wichtig, hier eine gemeinsame ökonomische Initiative zu verabschieden, die besagt, dass wir alles tun müssen, um auf der einen Seite geldpolitische Maßnahmen zu ergreifen, wie sie ja auch schon ergriffen sind. Ich glaube, hier kann man bei aller Wahrung der Unabhängigkeit der Notenbanken natürlich nicht sehr viel mehr tun. Das heißt umgekehrt, dass die Verantwortung bei uns, bei den Politikern liegt, alles zu tun, damit Wachstum entstehen kann.
Wir haben sehr intensiv über die Möglichkeiten der Digitalisierung gesprochen, die einerseits einen großen Umbruch für die Arbeitsplätze in unseren Ländern bedeuten, die andererseits aber auch eine große Chance sind, Wachstum zu kreieren. Wir haben über Strukturreformen insgesamt gesprochen. Wir haben uns dann auch noch mit den niedrigen Energiepreisen oder besser gesagt Rohstoffpreisen auseinandergesetzt, was uns ja auf den ersten Blick in der ersten Zeit ein Vorteil erschien. Wir merken aber heute, dass dadurch natürlich auch erhebliche Instabilitäten auf der Welt geschaffen werden, gerade bei den Ländern, die Erdöl produzieren und zum Teil auch zu den Entwicklungsländern gehören.
Wir haben dann in einer weiteren Sitzung sehr ausführlich über den Handel gesprochen. Es gibt ein klares Bekenntnis dazu, gegen den Protektionismus anzuarbeiten und auch die bilateralen Handelsabkommen voranzutreiben. Unter uns sitzen drei Kollegen - der kanadische Premierminister, der amerikanische Präsident und der japanische Ministerpräsident -, die bereits das pazifische Handelsabkommen verhandelt haben, während wir sowohl in Bezug auf das EU-Japan-Abkommen, zu dem wir eben noch eine kurze Sitzung hatten, als auch das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU noch nicht so weit sind. Gerade David Cameron hat noch einmal deutlich gemacht, was ich auch nur unterstreichen kann: Wenn wir an das letzte Freihandelsabkommen der Europäischen Union denken, nämlich an das mit Südkorea, so hat sich hinterher gezeigt, dass daraus für beide Seiten erhebliche Wachstumspotenziale und damit auch mehr Arbeitsplätze entstanden sind. Genau deshalb wollen wir auch bis Ende 2016 beide Abkommen - das zwischen der EU und Japan genauso wie das mit den Vereinigten Staaten von Amerika - in den Grundzügen fertigstellen, weil ich glaube, dass mit Barack Obama als amerikanischem Präsidenten und auch mit der Verhandlungserlaubnis durch den jetzigen Kongress sehr, sehr gute Rahmenbedingungen gegeben sind, um einen solchen Abschluss in den Grundzügen zu erreichen.
Dann haben wir uns in einer dritten Sitzung mit der maritimen Sicherheit beschäftigt, hier auch mit den Fragen, die durch internationalen Schiedsgerichte im Bereich um Japan herum behandelt werden, aber auch die Frage der Philippinen im Zusammenhang mit China. Wir haben hier eine gemeinsame Haltung, dass wir friedliche Konfliktlösungen wollen. Wir haben eine gemeinsame Haltung, dass wir glauben, dass die internationalen Institutionen hier auch legitimiert sind. Wir hoffen auf eine friedliche Beilegung aller Konflikte.
Insofern war es bis jetzt ein sehr intensives Programm. Wir werden heute am Abend noch weitere außenpolitische Themen besprechen, unter anderem auch die Frage Russland/Ukraine, aber auch der Kampf gegen den Terrorismus. Darüber informiere ich dann wieder.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, die Flüchtlingspolitik soll auch diskutiert werden. Der EU-Ratspräsident hat heute an die Weltgemeinschaft für mehr Solidarität appelliert. Schließen Sie sich dem Appell an? Erwarten Sie von diesem Gipfel dazu dann auch konkretere Ergebnisse im Schlusskommuniqué?
BK’in Merkel: Ich erwarte jetzt nicht ganz konkrete Zahlen. Ich glaube, es ist etwas in Gang gekommen, wenn wir an den Humanitären Gipfel von Ban Ki-Moon denken, der vor wenigen Tagen in Istanbul abgehalten wurde, wenn wir das Thema im weiteren Verlauf hier noch einmal besprechen werden und vor allem, wenn wir von der Initiative des amerikanischen Präsidenten Barack Obama reden, der im September kurz nach der Fortführung des Istanbul-Gipfels in New York von Ban Ki-Moon auch noch einmal das Thema Migration und Flüchtlinge auf die Tagesordnung setzen wird.
Ich habe in einem bilateralen Gespräch mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau gesprochen und gesagt, dass wir sehr anerkennen, dass Kanada doch eine große Zahl von Flüchtlingen aufnimmt. Er hat noch einmal davon gesprochen, dass er das mit großer Überzeugung tut. Ich finde, Kanada ist da ein Beispiel, das, wie ich finde, hervorgehoben werden muss. Man muss ja sehen, dass Kanada nicht gleich neben Syrien liegt und sich trotzdem für die Probleme dort verantwortlich fühlt. Ansonsten waren wir uns alle einig - auch das haben wir heute schon besprochen -, dass wir natürlich alles tun müssen, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Die gesamte Situation über die Entwicklung der Weltwirtschaft, die ja nicht nur die Entwicklung der Weltwirtschaft der G7-Länder ist, sondern auch der Schwellen- und der Entwicklungsländer, ist genau darauf gerichtet, dass Menschen eben nicht fliehen müssen, insbesondere aus ökonomischen Gründen.
Frage: Hatten Sie, was den Bereich Konjunkturmaßnahmen angeht, den Eindruck, dass das den japanischen Gastgebern reicht, was da an Bekenntnissen der G7 kamen oder würden diese sich da mehr wünschen?
BK’in Merkel: Ich glaube, dass wir ein gutes Kommuniqué zustande bekommen, das auch akzeptiert ist, dass es eine Balance aus allen Maßnahmen geben muss, zu denen auch Strukturmaßnahmen gehören. Ich glaube, dass die japanische Präsidentschaft richtigerweise nicht nur die klassischen Faktoren einbezieht - Strukturmaßnahmen, Haushaltspolitik, Geldpolitik -, sondern auch, wie man zum Beispiel Potenziale einer Gesellschaft wie Bildung, Gesundheit, mehr Frauen in die Erwerbstätigkeit aktivieren kann. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielt hier in Japan eine große Rolle, weil Japan einen demografischen Wandel sieht und weil dieser demografische Wandel nur dann bewältigt werden kann - das gilt für Deutschland gleichermaßen wie für Japan -, wenn auch die Möglichkeit von Arbeitskräften ausgeschöpft wird. Auch hier ist wie bei uns das Thema Frauen und Erwerbstätigkeit ein ganz wichtiges Thema.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Tusk hat heute Morgen die Erwartung geäußert, dass beim derzeitigen Stand die Sanktionen gegen Russland demnächst relativ widerstandlos verlängert werden. Teilen Sie diese Einschätzung? Ist das ein Widerspruch zu dem, was Ihr Vizekanzler jetzt offensichtlich gefordert hat, nämlich dass es einen schrittweisen Abbau dieser Sanktionen geben soll?
BK’in Merkel: Wir werden hier noch einmal das im Grundsatz bekräftigen, was wir auch in Elmau gesagt haben. Ich werde darüber berichten - und der französische Präsident natürlich auch -, wo wir bei der Umsetzung der Minsker Übereinkommen stehen. Wir müssen jetzt alles daran setzen, dass in den nächsten Wochen noch einmal ein deutlicher Fortschritt bei der Ingangsetzung des politischen Prozesses gemacht wird. Man muss ja nüchternerweise sagen: Es gibt zwar keine massiven Kampfhandlungen, aber es gibt auch keinen stabilen Waffenstillstand. Wir sind bei der Ausarbeitung eines Wahlgesetzes und der Abhaltung der Lokalwahlen immer noch nicht weitergekommen. Deshalb steht das für mich absolut im Vordergrund. Es ist hier eine Veränderung der Position gegenüber den Monaten zuvor erst einmal nicht zu erwarten. Dann muss man die Diskussionen abwarten. Vor allen Dingen muss man erst einmal die Entwicklung abwarten. Für mich ist es jetzt im Augenblick zu früh, in irgendeiner Weise Entwarnung zu geben.
Danke schön.