Pressekonferenz von EU-Ratspräsident Michel, Bundeskanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nach dem Europäischen Rat und dem Eurogipfel

Im Wortlaut Pressekonferenz von EU-Ratspräsident Michel, Bundeskanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nach dem Europäischen Rat und dem Eurogipfel

in Brüssel

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Freitag, 11. Dezember 2020

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


P Michel: Ich möchte alle ganz herzlich begrüßen. Dieser europäische Gipfel ist ein Marathongipfel gewesen. Wir hatten von vornherein angekündigt, dass viele schwierige und wichtige Themen auf der Tagesordnung stehen, die für die Zukunft Europas wichtig sind. Nach einigen intensiven Sitzungsstunden und vielen politischen Engagements ist das ein großer wichtiger Schritt nach vorne, den die Europäische Union in Bezug auf die verschiedenen Bereiche gemacht hat.

Vor genau einem Jahr - im Dezember des letzten Jahres - haben wir uns hier in Brüssel getroffen und haben uns für die EU auf Klimaneutralität bis 2050 festgelegt. Wir sind in Bezug auf diesen Klimawandel federführend gewesen, der für die Europäer und für die ganze Welt so wichtig ist.

Im Dezember konnte sich natürlich keiner vorstellen, dass wir es nur ein paar Wochen später, nämlich Anfang 2020, mit einem so brutalen Schock zu tun haben würden. COVID-19 hat uns völlig durcheinandergebracht. Es ist schwierig gewesen, sich zu mobilisieren. Man musste wirklich viel tun. Die verschiedenen europäischen Institutionen mussten sich zusammen mit den Mitgliedstaaten mobilisieren. Niemand hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, dass wir weniger als ein Jahr später über Impfstoffe sprechen würden und eine riesige Mobilisierung im Bereich der Impfungen notwendig sein würde, um die Europäer und den Rest der Welt zu schützen.

Der erste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Fähigkeit, die wir hatten, uns zu einigen, um den MFR und den Wiederaufbaufonds umzusetzen. Schon im Juli ist der Rahmen festgelegt worden. Ich möchte, was dieses so wichtige Thema angeht, besonders Bundeskanzlerin Angela Merkel für die letzten sechs Monate danken, die sich total eingebracht und mobilisiert hat, die die Ärmel hochgekrempelt hat und Kreativität, viel Entschlossenheit, Willen und ein unerschütterliches Engagement für Europa gezeigt hat.

Schon vor dieser Sitzung und dem Gipfel hat es viel Vorbereitungsarbeit gegeben. Dann gab es diese gute Überraschung, diesen guten Schritt nach vorne. Wir als Europäische Union haben jetzt die finanzielle Ausstattung, die wir im klassischen Haushalt, aber auch in Bezug auf den Aufbaufonds brauchen. So können wir auf den digitalen Wandel und den Klimawandel reagieren und können die Kleinen mittelständischen, aber auch die großen Unternehmen, die Familien, die Haushalte unterstützen, denn COVID-19 ist ein echter Schock. Das setzt voraus, dass wir alle gemeinsam kohärent reformieren und investieren, um unser Ziel zu erreichen, damit unsere Werte - Rechtsstaatlichkeit, Governance - geschützt werden. Das wünschte sich ja auch das Europäische Parlament. Das ist alles berücksichtigt worden, denn das ist die DNA des europäischen Projekts.

Wir hatten die Gelegenheit, uns auch darauf zu einigen, wie wir weiter bei der Bekämpfung von COVID-19 vorgehen wollen, was Impfstoffe, gegenseitige Anerkennung der Tests und die Überzeugung angeht, dass die nächste wichtige Etappe darin besteht, die Impfstoffe gut zu verteilen, damit in allen europäischen Ländern alle auf ausgewogene Art und Weise Zugang zu den Impfstoffen haben.

Was die Klimafrage angeht, muss man schon die Wahrheit sagen. Wir haben einen großen Teil der Nacht damit verbracht, eine Einigung der 27 Mitgliedstaaten zu erreichen. War das einfach? Nein, das war es nicht. Man hatte in der Europäischen Kommission ganz klar Ehrgeiz. Man wollte ehrgeiziger sein und mindestens eine Emissionsverringerung von 55 Prozent bis 2030 erreichen. Das heißt, unser Engagement bis 2050 ist glaubwürdig und Europa übernimmt hier wirklich die Federführung. Das ist wichtig, denn in einigen Tagen begehen wir den fünften Jahrestag der Pariser Übereinkommen. Wir haben uns, was das angeht, mit den Mitgliedstaaten auf etwas festgelegt. Das ist jetzt ein intensiver positiver Kampf im Bereich der Klimadiplomatie. Wir wollen auch andere Länder, andere Regionen der Welt ermutigen, hieran mitzuarbeiten, diesen Ehrgeiz mit uns zu teilen und gemeinsame Standards mitzutragen.

Wir mussten uns dabei engagieren und haben Prinzipien festgelegt. Nur so konnte die EU mit den Mitgliedstaaten das Ziel erreichen. Wir mussten auch mit der Kommission eine Arbeitsmethode mit der Kommission festlegen, die eine ganz wichtige Rolle spielt, um präzise Vorschläge vorzulegen, damit wir wirklich die Möglichkeit haben, uns nicht nur zu engagieren, sondern das Ganze auch konkret umzusetzen. Wir können morgen in der Uno mit einer Stimme sprechen und sagen: Die Europäische Union ist zuversichtlich, dass sie ihre Klimaziele erreichen wird.

Wir haben auch internationale Fragen behandelt, nämlich die Beziehungen zwischen der EU und den USA nach den Wahlen in den USA. Es besteht jetzt mehr Klarheit. Wir wollen die Themen identifizieren, was ein gemeinsames ehrgeiziges Projekt mit einem alliierten Land angeht, einem Land, mit dem wir freundschaftliche, starke und solide Beziehungen haben. Wir möchten in Zukunft in verschiedenen Sektoren noch mehr Partnerschaften ausarbeiten. Ich denke an das multilaterale Engagement, das hier an allererster Stelle stehen sollte. Auch das ist die europäische DNA.

Das Thema Mittelmeerraum/Beziehungen zur Türkei war auch eine schwierige Debatte. Wir wissen, dass das eine ganz wichtige Frage ist, um mittel- und langfristig unsere geopolitischen Interessen zu verteidigen. Das heißt, kurzfristig mussten wir bestimmte Dinge tun - das haben wir auch getan -, und zwar in der Kontinuität dessen, was wir im Oktober beschlossen haben. Im Oktober hatten wir ja zwei Optionen vorgeschlagen: eine positive Option und eine restriktivere Option. Wir haben die Situation bewertet. Sie sehen jetzt, was dabei herausgekommen ist.

Wir konnten auch bestätigen, was von den Diplomaten an vorbereitenden Arbeiten zu den Themen Sicherheit und Terrorismus geleistet wurde. Das war keine allzu lange Debatte, weil wir eben so viel Energie für die anderen Themen brauchten. Das Gleiche gilt auch für die südliche Partnerschaft.

Heute Morgen waren Christine Lagarde und Pascal Donohoe bei uns. Es gab einen wichtigen Austausch im Rahmen des Eurozonengipfels, wie man sich einbringen kann, damit der Wirtschaftsaufschwung über das Haushaltsinstrument hinaus unterstützt wird, das jetzt abgesegnet ist. Darüber hinaus wollten wir sehen, was die Finanzminister noch tun können, damit wir noch mehr bei der Bankenunion und den Kapitalmärkten erreichen können.

Das waren einige meiner Punkte. Mehr möchte ich jetzt gar nicht sagen.

Ich möchte nur noch einmal sagen, dass ich absolut davon überzeugt bin, dass diese Sitzungsstunden gegen Ende des Jahres 2020, das ja nun wirklich ein außergewöhnliches Jahr war, zu einem wichtigen Zeitpunkt stattgefunden haben. Es war ein Jahr, das uns alle durcheinandergebracht und aufgewühlt hat. Aber gegen Ende dieses Jahres haben wir endlich wieder einiges erreichen können. Ich denke, diese Sitzung des Europäischen Rates hat gezeigt, dass die Europäische Union eine ruhige Kraft darstellt. Einheit, Kohärenz, Vertrauen – das sind die Inhaltsstoffe, auf denen die EU aufbaut. Wir alle wollen gemeinsam schwierige und heikle Themen behandeln. Das ist eine große Anstrengung gewesen.

Ich möchte allen Staats- und Regierungschefs und auch deren Teams danken. Ich danke natürlich auch allen, die uns in der Kommission unterstützt haben, damit unsere Arbeiten erfolgreich sein können. Ich danke vor allen Dingen dem deutschen Vorsitz und seiner Federführung, und ganz persönlich danke ich für die letzten sechs Monate. Ich persönlich habe praktisch fast täglich, zumindest wöchentlich, mit Angela Merkel zusammengearbeitet, damit wir Zentimeter für Zentimeter Entscheidungen voranbringen konnten, die gefällt werden mussten.

BK’in Merkel: Auch ich möchte mich zu Beginn erst einmal bedanken - bedanken bei Charles Michel, mit dem ich in der Tat fast jeden Tag zusammengearbeitet habe, und bei Ursula von der Leyen. Ich glaube, wir waren ein gutes Team, um die großen Aufgaben zu bewältigen, die während der deutschen Ratspräsidentschaft einfach auf der Tagesordnung standen. Mit diesem Dank verbinde ich auch den Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, an den Generalsekretär, an die Generalsekretärin in der Kommission und viele andere, und, wenn ich das sagen darf - obwohl es vielleicht ein bisschen unüblich ist -, auch an unseren deutschen Botschafter hier, der die vielen Sitzungen des COREPER geleitet hat; denn die Botschafter sind ja fast die einzigen außer den Ratspräsidenten und den Kommissionsmitgliedern, die sich noch physisch in Brüssel aufhalten. Vieles andere musste über Videokonferenzen abgearbeitet werden.

Wir hatten uns zum Ende noch eine Menge für den letzten Rat aufgehoben, und ich bin sehr erleichtert - ich will sagen, mir ist ein Stein vom Herzen gefallen -, dass wir es wirklich noch in gemeinsamer Anstrengung geschafft haben, dem Parlament jetzt den Haushalt und den Recovery Fund samt dem Konditionalitätsmechanismus überweisen zu können. Das war ein Riesenstück Arbeit. Wir sehen aber alle, wie die zweite Welle der Coronapandemie uns fest im Zaume hält, und eine Sicherheit für die Finanzen der Europäischen Union und auch ein Zeichen der Zusammenarbeit waren notwendig. Dass das nicht ganz einfach war, ist klar, aber das hat eine lange Vorgeschichte, ausgehend von Ideen der Kommission, einem deutsch-französischen Vorschlag, einer Ausarbeitung, vielen Diskussionen im Juli und einem der längsten Europäischen Räte in der Geschichte der Europäischen Räte - die übrigens gestern vor 46 Jahren von dem großen Europäer Valéry Giscard d’Estaing erfunden beziehungsweise gegründet wurden, worauf uns Charles Michel gestern noch einmal hingewiesen hat. Wir werden jetzt daran arbeiten müssen, dass wir die Eigenmittelbeschlüsse in den nationalen Parlamenten dann auch wirklich umsetzen, damit die Finanzen auch wirklich schnell operationalisiert werden können; denn das ist jetzt die große Aufgabe. Geld werden wir jedenfalls brauchen - für Investitionen in die Zukunft.

Deshalb hat es auch gut gepasst, dass wir hier als zweites großes Thema die Frage unserer Verpflichtungen im Klimabereich hatten. Der Green Deal ist ein Kernprojekt. Wir wollen ja nicht nur ein Konjunkturprogramm auflegen, sondern eben auch ein Konjunkturprogramm, das uns in die Zukunft führt. Darauf achtet die Kommission sehr, auch wenn wir in Kürze unsere nationalen Programme vorstellen werden. Dass wir uns jetzt, sozusagen einen Tag vor dem Uno-Gipfel, auf ein gemeinsames europäisches Reduktionsziel von 55 Prozent bis 2030 verpflichten konnten, halte ich für ein ganz, ganz wichtiges Ergebnis. Dafür hat es sich auch gelohnt, eine Nacht nicht zu schlafen. Ich möchte mir nicht ausmalen, was gewesen wäre, wenn wir ein solches Ergebnis nicht hätten erreichen können.

Zur deutschen Präsidentschaft gehört, dass wir uns gewünscht hätten, die Beziehungen zur Türkei konstruktiver zu gestalten. Leider gibt es eine Menge von Situationen im südlichen Mittelmeer, im südöstlichen Mittelmeer, angesichts derer wir leider sagen müssen, dass wir weitere Listungen wegen der aus unserer Sicht illegalen Bohrungen vornehmen mussten. Trotzdem reichen wir der Türkei weiterhin die Hand und sagen: Wir wollen an einer konstruktiven Agenda arbeiten. Das war aus dem Blickwinkel der deutschen Ratspräsidentschaft aber doch etwas enttäuschend; wir hatten uns hier etwas mehr vorgenommen. Das will ich ganz offen sagen.

Wir haben jetzt sozusagen noch ein bisschen Arbeit übrig gelassen für unsere portugiesischen Nachfolger. Ich wünsche António Costa auch alles, alles Gute. Ich darf Ihnen sagen, dass diese Ratspräsidentschaft Freude gemacht hat, obwohl vieles von dem, was wir uns vorgenommen hatten, natürlich nicht umgesetzt werden konnte. Wir hätten die Staats- und Regierungschefs und den chinesischen Staatspräsidenten gerne zu einem EU-China-Gipfel in Deutschland willkommen geheißen, und wir hatten uns noch andere Dinge vorgenommen. Das heißt aber nicht, dass wir nichts zu tun hatten; denn Corona hat viel Arbeit erfordert.

Deshalb will ich zum Schluss Danke sagen an Ursula von der Leyen, die sozusagen eine sehr disparate Gruppe von Staats- und Regierungschefs, die in der ersten Welle der Coronapandemie doch sehr durcheinander agiert haben, ein bisschen auf Kurs gebracht hat, sodass die Handschrift der Europäischen Union, das koordinierte Handeln, jetzt doch sehr viel besser sichtbar ist. Ein Beispiel dafür ist die Koordinierung bei den Impfstoffen - aber nicht nur das. Ich bin nach diesem halben Jahr doch überzeugt, dass wir an einer europäischen Gesundheitsunion arbeiten sollten, als Markenzeichen zu anderen wichtigen Themen.

Das war es von meiner Seite.

P’in von der Leyen: Liebe Angela, was für eine Präsidentschaft! Wir stehen hier heute etwas erschöpft nach der durchverhandelten Nacht, aber ich glaube, wir können heute mit Fug und Recht durchaus zufrieden sein. Wir haben den Siebenjahreshaushalt, wir haben „Next Generation EU“, wir haben das Klimaziel für 2030 - da kann man eigentlich nur sagen: Was für ein Triple! Das ist beeindruckend, und das ist heute ein guter Tag für Europa.

Ich möchte sagen, dass ich der deutschen Präsidentschaft und Angela Merkel wirklich unglaublich dankbar bin für die Bemühungen seit dem Sommer. Es gab einen Kommissionsvorschlag zum Haushalt, den Vorschlag „Next Generation EU“, und jetzt eine Einigung im Rat zum Haushalt. Das hat gezeigt, dass Europa fähig ist, sich zu einigen und zu agieren angesichts der schlimmsten Krise, die es jemals in der EU gegeben hat. Das wäre ohne die ständige Führung der Kanzlerin im Rahmen der rotierenden Präsidentschaft nicht möglich gewesen, und dafür sind wir dankbar.

Die Einigung wird es uns ermöglichen, eine starke wirtschaftliche Antwort auf die Krise zu geben, wobei wir die Rechtsstaatlichkeit wahren. Die Bürger und die EU-Wirtschaft brauchen unsere Unterstützung stärker als je zuvor, und sie brauchen diese Unterstützung jetzt. Wir müssen das Paket mit der Hilfe des Europäischen Parlaments so schnell wie möglich verabschieden, und die Mitgliedstaaten müssen auch eine schnelle Ratifizierung gewährleisten. Das ist ausschlaggebend, damit wir unsere Wirtschaft so stark wie möglich ankurbeln können.

Das Anlaufen von „Next Generation EU“ ist natürlich auch eine Schlüsselkomponente bei unseren Klimazielen. Jetzt, wo wir die Mittel gewährleistet haben, können wir auch aktiv werden. Deswegen freue ich mich, dass wir heute zusammen mit der deutschen Präsidentschaft in der Lage waren, eine Einigung in Bezug auf einen Vorschlag zu neuen EU-Klimazielen zu ermöglichen. Wir werden die Emissionen um mindestens 55 Prozent bis 2030 reduzieren. Jetzt beginnt ein klarer Weg hin zur Klimaneutralität im Jahre 2050. Dadurch gibt es Sicherheit für die Investoren, für die Unternehmen, für die öffentlichen Behörden und für die Bürger. Dadurch wird die EU auch auf die Zukunft vorbereitet. Alle EU-Länder sollten zu diesem Übergang Zugang haben - bessere Umwelt, bessere Wirtschaft, und der Green Deal wird unsere Wachstumsstrategie sein.

Zur COVID-Pandemie: Die Europäische Union arbeitet intensiv, um die Sicherheit der Impfstoffe zu überprüfen und sie verfügbar zu machen. Wir zielen darauf ab, Biontech/Pfizer-Impfstoffe bis Ende des Jahres zur Verfügung zu stellen, abhängig von der Stellungnahme der EMA. Die Stellungnahme der EMA zum Moderna-Impfstoff wird im Januar zur Verfügung stehen. Was die anderen Impfstoffe betrifft - zum Beispiel den Impfstoff von Johnson & Johnson -, so laufen die Überprüfungen noch. Es ist aber die Impfung, die Leben rettet, es sind nicht die Impfstoffe an sich. Wir möchten deshalb so schnell wie möglich mit dem Impfen anfangen.

Wir kümmern uns auch um unsere Nachbarschaft. Die Europäische Union wird die Verfügungsstellen von Impfstoffen unterstützen, um vor allem die Bediensteten im Gesundheitsbereich, in den Balkanstaaten und in den östlichen Nachbarländern zu unterstützen. Wir sollten weitere Krisen vermeiden. Die Gesundheitsunion sollte so schnell wie möglich gestaltet werden. Vielen Dank an Angela für die Worte diesbezüglich.

Dann habe ich die Staats- und Regierungschefs über die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich informiert. Die Positionen sind in Bezug auf grundlegende Dinge noch voneinander entfernt.

„Level playing field“: Da haben wir unseren britischen Partnern immer wieder gesagt, dass der Grundsatz des fairen Wettbewerbs eine Vorabbedingung ist, um privilegierten Zugang zum EU-Markt zu haben. Das ist der größte Binnenmarkt auf der Welt, und es ist fair, dass unsere eigenen Unternehmen die gleichen Bedingungen auf unserem Markt wie Wettbewerber haben. Aber das bedeutet nicht, dass wir vom Vereinigten Königreich verlangen, uns jedes Mal zu folgen, wenn wir entscheiden, noch ehrgeiziger zu sein, zum Beispiel im Umweltbereich. Das Vereinigte Königreich würde sozusagen frei und souverän bleiben, um seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Wir würden gegenüber dem Vereinigten Königreich lediglich die Zugangsbedingungen zum Markt anpassen. Das Gleiche gilt natürlich auch für uns.

Fischereiwesen: Auch hier gibt es weiterhin Lücken. Wir haben noch keine Lösung gefunden, um unsere Meinungsunterschiede zu überbrücken. Das Vereinigte Königreich möchte die eigenen Gewässer kontrollieren. Das Vereinigte Königreich muss aber auch die gerechtfertigten Erwartungen der europäischen Fischereiflotte verstehen. Da geht es ja um jahrhundertealte Zugänge, die man gehabt hatte. Unsere Verhandlungspartner arbeiten daran. Wir werden am Sonntag entscheiden, ob wir die Bedingungen haben, um uns einigen zu können oder nicht. In der Zwischenzeit hat die Kommission zwei Notfallmaßnahmen vorgeschlagen. Das ist eine kurzfristige Lösung, um die Verbindung im Verkehrsbereich innerhalb von sechs Monaten zu gewährleisten. Man sollte im kommenden Jahr auch gegenseitigen Zugang zu den Gewässern haben.

In weniger als drei Wochen wird es einen neuen Anfang für alte Freunde geben.

Frage: Schönen guten Morgen! Ich habe mehrere Fragen zur Türkei.

Die erste Frage an Präsident Michel: In den Schlussfolgerungen steht ein Satz, in dem gesagt wird: Die EU hat die Absicht, bei einem vernünftigen verantwortungsbewussten Management von Migrationsströmen in alle Mitgliedsstaaten zu kooperieren. - Das klingt fast so, als würden Ungarn und Polen es akzeptieren, Migranten aufzunehmen, die sie bisher immer abgelehnt haben. Können Sie noch einmal klarstellen, was dieser Satz wirklich bedeutet?

Frau Bundeskanzlerin, welche zusätzlichen Maßnahmen ziehen Sie in Betracht, wenn die Türkei ihr Verhalten nicht ändert? Ganz speziell fordert Griechenland seit einiger Zeit, dass Deutschland sechs U-Boote für die Türkei nicht ausliefert. Besteht die Möglichkeit, dass die Bundesregierung diese Genehmigung, die ja schon erteilt worden ist, noch zurückzieht?

P Michel: Nein, Sie haben das nicht richtig bewertet. Die Idee ist, dass wir bereit sind, mit der Türkei zusammenzuarbeiten. Wir wollen mehr mit der Türkei zusammenarbeiten, um diese schwierige Herausforderung der Migration anzugehen. Natürlich ist es für alle EU-Mitgliedstaaten wichtig, eine gute, starke und verantwortungsbewusste Zusammenarbeit mit der Türkei zu haben. Das ist die einzig mögliche Interpretation dieses Satzes.

BK’in Merkel: Ich kann das nur bestätigen. An Ungarn und Polen hatten wir in dem Zusammenhang überhaupt nicht gedacht, sondern an die gemeinsame Auffassung zwischen der Türkei und der Europäischen Union, dass wir sozusagen illegale Menschenschmuggler nicht wollen. Wir wollen reguläre Migration. Dafür steht ja auch das EU-Türkei-Abkommen.

Wir haben den Hohen Beauftragten beauftragt, für den nächsten Rat einen Bericht zu machen über die in der jetzigen Befassung hinausgehenden Aspekte unserer Kooperation mit der Türkei, auch im Blick auf die gesamte Region. Ich nenne dazu das Thema Libyen; ich nenne das Thema Nagorny-Karabach.

In dem Lichte werden wir dann auch weiter über unser Verhältnis zur Türkei sprechen, das ja einerseits durch strategische Abhängigkeiten gekennzeichnet ist - viele von uns sind Mitglieder innerhalb der Nato -, auf der anderen Seite eben auch durch Spannungen. Deshalb lohnt es sich, dieses Thema weiter intensiv zu diskutieren.

In dem Zusammenhang haben wir auch darüber gesprochen, dass Fragen der Waffenlieferung oder Rüstungsexporte im Rahmen der Nato diskutiert werden müssen. Wir haben auch darauf verwiesen, dass wir uns im Blick auf die Türkei mit der neuen amerikanischen Administration abstimmen wollen. Insofern kann ich jetzt weder zu der Frage von Rüstungsexporten aus der Bundesrepublik etwas sagen, noch zu der Frage, welche weitergehenden Überlegungen es gibt. Wir warten auf den Bericht des Hohen Beauftragten.

Frage: Guten Morgen! Ich hätte eine Frage zur COVID-Koordinierung an die Kanzlerin. Wir haben aus dem Vereinigten Königreich Bilder und Videos der ersten Impfungen gesehen. Das ist ja auch symbolisch recht wichtig. Haben die Staats- und Regierungschefs sich darauf geeinigt, am selben Tag überall in Europa mit der Impfung zu beginnen, und wenn nicht, warum nicht? Gibt es immer noch große Unterschiede bei der Vorbereitung zwischen den Mitgliedstaaten?

BK’in Merkel: Nein, wir haben sehr ausführlich über die Zulassungsprozedur bei der EMA gesprochen. Bei der Dauer spielt übrigens auch das Mitwirken der Mitgliedsstaaten eine Rolle. Denn die Autoritäten oder Institutionen des jeweiligen Mitgliedsstaates werden von der EMA befragt. Hier haben wir uns vorgenommen, dass wir uns mit unseren Stellungnahmen alle sehr sputen. Aber natürlich müssen sie ordentlich und richtig sein.

Dann haben wir darüber gesprochen, dass es sehr wichtig ist, dass die Impfstoffe koordiniert ausgeliefert werden, also bei allen zum gleichen Zeitpunkt ankommen. Ob man das jetzt auf die Stunde in 27 Mitgliedsstaaten machen kann, dass die Nadel überall in der gleichen Sekunde sticht, das weiß ich nicht. Aber das sehr koordiniert zu machen und zu zeigen, dass wir alle den gleichen Zugang zum Impfstoff haben, das haben wir uns schon vorgenommen.

Frage: Eine Frage zur Türkei: Sind Sie mit dem Konsens zufrieden, den man erreicht hat? Die Kanzlerin hat gesagt, dass es da Schwierigkeiten mit dem Verhalten der Türkei gab. Glauben Sie, dass die Botschaft für Ankara klar genug ist, um Ankara davon zu überzeugen, diese illegale und provozierende Haltung im Mittelmeer zu ändern? Der Präsident der Türkei hat ja auch die Resolutionen der Uno ignoriert.

BK’in Merkel: Wir haben die kritischen Punkte angesprochen. Ich bin mit dem Konsens, den wir gefunden haben, zufrieden und denke, dass er sehr ausgewogen ist. Auf der einen Seite sagen wir, wo wir uns provoziert fühlen. Gerade auch die Aktion in Richtung Varosha ist für unseren zyprischen Kollegen natürlich ein Punkt, an dem er mit Recht und mit unser aller Unterstützung geklagt hat. Wir haben die Situation, dass sich die „Oruç Reis“ jetzt nicht mehr vor Griechenland aufhält, aber das allein ist noch nicht ausreichend. Der Konsens ist also ausgewogen und enthält zugleich das Angebot. Ich hoffe, dass die Botschaften richtig ankommen.

Frage: Ich habe zwei Fragen.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eben ja auch schon ein bisschen eine inhaltliche Bilanz der Präsidentschaft gezogen. Ich würde Sie gern nach dem Atmosphärischen fragen. Gerade im Streit um den Haushalt sind ja sehr drastische Worte gefallen. Da war von Gestapomethoden die Rede; da wurde die EU mit der Sowjetunion verglichen. Hat das aus Ihrer Sicht Spuren hinterlassen? Beim vorigen Gipfel haben sie in Bezug auf Präsident Erdoğan gesagt, sie legten nicht jedes Wort auf die Goldwaage. Ist das also eine normale Auseinandersetzung, oder war das schon etwas Besonderes?

Meine zweite Frage geht an die Präsidentin der Europäischen Kommission Frau von der Leyen. In Bezug auf die Rechtsstaatsklausel sagt das Europäische Parlament, dass im Rechtstext nichts von einer Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof stehe und dass man das aus Sicht des Parlamentes schon ab 1. Januar kommenden Jahres anwenden könnte.

Da Sie als Kommission es ja machen müssen: Ab wann werden Sie die neue Rechtsstaatsklausel anwenden und Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in Bezug auf Fördergelder nachgehen?

BK’in Merkel: Ich kann von meinen Gesprächen mit allen Mitgliedern des Europäischen Rates sagen, dass solche Worte nicht gefallen sind. Ich denke, die Tatsache, dass wir uns mit Respekt begegnet sind, jedenfalls was mich und meine Gespräche mit meinen Kollegen anbelangt, hat dazu beigetragen, dass wir zum Schluss eine Lösung für ein in der Tat sehr schwieriges Thema finden konnten. Mir lag sehr viel daran, jedenfalls alles zu versuchen. Dass das gelungen ist und dass auch das Parlament das, wie uns der Parlamentspräsident David Sassoli gestern gesagt hat, zur Kenntnis nimmt und akzeptiert, das finde ich einen wichtigen Punkt.

Es zeigt sich, dass man Wege finden kann. Aber ich weiß, dass es zum Teil auch tiefe Verletzungen unter Mitgliedsstaaten gibt. Ich denke, dass wir gut daran tun, immer wieder sehr viel miteinander zu sprechen, damit wir uns über unsere jeweiligen Befindlichkeiten auch wirklich im Klaren sind. Denn wenn man solch eine Nacht durchgemacht hat und dann auch noch das Klimathema usw. regeln muss, dann ist es schon gut, dass man einander vertrauen und sich aufeinander verlassen kann, selbst wenn es riesige Meinungsunterschiede gibt. Die kann man nicht wegdefinieren, gerade im Zusammenhang mit Rechtsstaatlichkeit.

P’in von der Leyen: Was die Prüfung des Konditionalitätsmechanismus durch den EuGH angeht: Ich habe bereits vor einigen Wochen im Europäischen Parlament, als wir zum ersten Mal eine Debatte darüber hatten, gesagt, dass ich der Überzeugung sei, dass der Konditionalitätsmechanismus gut und richtig sei, dass aber, wer daran Zweifel habe, den Weg zum Europäischen Gerichtshof suchen könne. Das ist üblicherweise der Ort, an dem wir unsere unterschiedlichen Auffassungen über Rechtstexte miteinander austragen und klären.

Wie wird der zeitliche Ablauf sein? - Sowie ab 1. Januar der Konditionalitätsmechanismus gilt, vorausgesetzt, dass am Ende des Triloges alles planmäßig abgestimmt wird, wird die Kommission die Fälle auch innerhalb des Rahmens des Konditionalitätsmechanismus betrachten. Wenn ein Bruch der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, dann wird dieser Fall aufgenommen.

Wir werden auch eine gewisse Zeit brauchen, bis wir die „guide lines“ für den Konditionalitätsmechanismus insgesamt aufgestellt haben. Wenn der Europäische Gerichtshof geurteilt hat, werden diese Fälle abgearbeitet.

Das heißt vom 1. Januar an: Es geht kein einziger Fall verloren.

Frage: Polen und andere osteuropäische Mitglieder haben zusätzliche Mittel beantragt, um den Energieübergang in denjenigen Ländern zu finanzieren, die vor einer größeren Herausforderung stehen, um das Klimaneutralitätsziel und das Klimaziel 2030 zu erreichen. Welche Garantien haben sie diesbezüglich vom Europäischen Rat erhalten?

P Michel: Wir haben gemeinsam den Willen, die unterschiedlichen Ausgangspunkte in den unterschiedlichen Ländern zu berücksichtigen und dann auch fair und solidarisch zu sein. Wir stützen uns auf die Einigung, die in Bezug auf den Aufbaufonds erzielt worden ist. Klimaziele sind natürlich ein wichtiges Element.

Wir haben uns ebenfalls darauf geeinigt, im Rahmen des Europäischen Rates erneut darüber zu diskutieren, wie die Maßnahmen umgesetzt werden. Dafür gehen wir von Kommissionsvorschlägen in den unterschiedlichen Bereichen aus, um sicher zu sein, dass diese Ziele wirklich sehr ehrgeizig sein werden. Minus 55 Prozent - 2030. Dann brauchen wir die entsprechenden europäischen legislativen Instrumente, die nützlich sind, um die Ziele zu erreichen und um die Mittel dann so gerecht wie möglich einzusetzen, um diese Ziele zu erreichen.

Dann das Ziel 2050 Klimaneutralität. 2030, das ist ein Ziel für die gesamte Europäische Union, auch ein Ziel für die private Wirtschaft, die KMU, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovation zu fördern und zu zeigen, dass alle zusammenarbeiten müssen, um dieses Ziel zu erreichen.

Frage: Guten Tag! Frau Bundeskanzlerin, eine Frage an Sie: Es geht um den Rechtsstaatsmechanismus. Offenbar hat sich gezeigt, dass Ungarn und Polen offensichtlich eingelenkt haben, als die restliche EU den Plan B ins Spiel gebracht hat. Würden Sie angesichts des offensichtlichen Erfolgs dieser Maßnahme sagen, dass das in dem Prozess, der ja bis Anfang des Jahres zurückgeht, früher hätte stattfinden müssen?

Zweitens: Welche Lehren haben Sie persönlich aus diesem Erfolg gezogen? Welche Lehren für die Zukunft sollte die EU Ihrer Meinung nach daraus ziehen?

BK’in Merkel: Schon während unseres Europäischen Rates im Juli hat die Idee eine Rolle gespielt, dass, wenn man keinerlei Einigung findet - - - Denn schon damals war es schwer, gemeinsame Schlussfolgerungen zu erarbeiten. Wir haben sehr viele Stunden gebraucht, um die Schlussfolgerungen für die Konditionalität und den Rechtsstaatsmechanismus zu finden. Von da an war eigentlich klar, dass wir auch bei der Rechtsumsetzung erhebliche Probleme haben werden und dass das nicht einfach wird.

Insofern ist diese Option schon im Juli benannt worden und lag immer in der Luft. Was nun wozu geführt hat, darüber will ich jetzt gar nicht spekulieren. Ich will nur sagen, dass auf der einen Seite wichtig ist - das haben wir ja auch deutlich gemacht -, dass gerade auch im Zusammenhang mit finanziellen Mitteln die Möglichkeiten des Rechtsstaates einsetzbar sein müssen, damit das Geld vernünftig ausgegeben wird. Dabei geht es natürlich um etwas mehr als nur um Korruption und andere finanzielle Unregelmäßigkeiten. Das ist in dem Konditionalitätsmechanismus ausgearbeitet worden.

Auf der anderen Seite will ich, wenn ich an den ersten Entwurf dieser Verordnung denke, aber auch sagen, dass man schon sehr darauf achten muss, dass Artikel 7 Artikel 7 ist und auf der anderen Seite, wie man in Deutschland sagen würde, untergesetzliches Regelwerk, also Sekundärrecht, Sekundärrecht ist. In der Weiterentwicklung des Ausgangsentwurfes haben wir gerade dieses Prinzip sehr deutlich beachtet. Das war, denke ich, wichtig und richtig.

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