Im Wortlaut
- Mitschrift Pressekonferenz
- Montag, 6. April 2020
BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, nachdem ich mich schon per Podcast zurückgemeldet hatte, wollte ich mich heute auch noch einmal in Form des Gesichtes und einer Pressekonferenz beziehungsweise zumindest eines Statements mit Fragen zurückmelden und vom Coronakabinett berichten, aber auch von dem, was in Europa diskutiert wird.
Wir hatten heute wieder Coronakabinett, wie Sie wissen, und sind von den entsprechenden Fachministern informiert worden. Es waren, glaube ich, wichtige Beschlüsse, einmal zu der Tatsache, dass wir auch nationale beziehungsweise mit Europa abgestimmte Wege gehen wollen, wenn es um persönliche Schutzausrüstung geht, hier insbesondere auch um die Produktion von Masken. Ich glaube, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass dieser Markt im Augenblick in Asien angesiedelt ist, ist es doch auch wichtig, dass wir als eine Erfahrung aus dieser Pandemie lernen, dass wir auch hier eine gewisse Souveränität oder zumindest eine Säule der Eigenfertigung brauchen. Das kann in Deutschland sein. Wir werden aber versuchen, das auch europaweit abzustimmen. Auf jeden Fall brauchen wir hier Fähigkeiten.
In einem zweiten Punkt ging es um die Einreise nach Deutschland. Sie haben ja verfolgt, dass wir bereits in der letzten Woche mit dem Robert-Koch-Institut abgestimmte Regelungen für den Aufenthalt von Saisonarbeitern in Deutschland festgelegt haben. Jetzt geht es noch darum, dass wir den freien Reiseverkehr der Berufspendler und derjenigen, die beruflich unterwegs sind, garantieren und trotzdem bei den vielen, die vielleicht auch nach Deutschland zurückkehren, einen maximalen Gesundheitsschutz veranlassen. Hierzu werden wir im Laufe dieser Woche zusammen mit den Ländern, in deren Hoheit das liegt, die entsprechenden Beschlüsse fassen.
Wir müssen das auch deshalb tun, weil das Robert-Koch-Institut in Zukunft nicht mehr einzelne Risikogebiete ausweisen wird, sondern weil wir, weil es inzwischen der Meinung ist, da das Coronavirus in 180 bis 190 Ländern aufgetreten ist, die Welt als ein Risikogebiet haben. Deshalb werden solche Einreisebeschränkungen, das heißt die Verhängung von häuslicher Quarantäne, dann auch für diejenigen notwendig sein, die nach Deutschland kommen, egal woher sie kommen, mit Ausnahme derer - so machen wir es ja auch zwischen Deutschland, Frankreich und anderen Ländern -, die als Berufspendler unterwegs sind.
Wir haben uns auch damit auseinandergesetzt, wie jetzt der Beschaffungsstab im Gesundheitsministerium, der eingerichtet wurde, arbeitet und wie er die Versorgung der betroffenen Personengruppen mit Masken gewährleistet. Hierbei sind wir vorangekommen, aber noch nicht so, wie wir es uns wünschen. Das heißt, wir müssen hart arbeiten, damit Krankenhäuser, Ärzte, Pflegeeinrichtungen, Behinderteneinrichtungen und das Personal dort wirklich ausreichend und auch nicht von Tag zu Tag lebend mit den entsprechenden Schutzgütern ausgestattet sind.
Als vierten Punkt haben wir eine Modifikation des schon bestehenden KfW-Programms, also des Programms der Kreditanstalt für Wiederaufbau, zur Vergabe von Darlehen verabschiedet. Das war deshalb notwendig, weil das von uns zuerst aufgelegte Programm nur eine 90-prozentige Garantieabsicherung für die Unternehmen gegeben hat. Es hat sich herausgestellt, dass es für viele Unternehmen sehr schwerfällig ist, wenn Banken dann eine Prognose über die Fortführung des Unternehmens abgeben müssen. Deshalb haben wir uns entschieden - das ist im Grundsatz auch von der EU-Kommission so gebilligt worden -, dass es eine Haftungsfreistellung in Höhe von 100 Prozent geben kann - die Minister Scholz und Altmaier haben Sie auch darüber informiert -, und zwar für Darlehen bis zu drei Monatsumsätzen, bis zu 800 000 Euro und bei bis zu 50 Beschäftigten 500 000 Euro. Es sind natürlich Sicherungen eingebaut, dass das Unternehmen bereits seit 1. Januar 2019 am Markt sein und dass es Gewinne erwirtschaftet haben muss. Die Zinssätze werden etwas höher sein als die bei dem ersten KfW-Kreditprogramm.
Das alles sind wichtige Maßnahmen.
Wir werden dann am Donnerstag im Coronakabinett den Punkt der Eigenherstellung von persönlicher Schutzausrüstung noch einmal etwas komprimierter und umfassender beratschlagen. Wir haben gesagt, dafür soll das Bundeswirtschaftsministerium, also Peter Altmaier, verantwortlich zeichnen. Auch dafür wird ein Stab eingerichtet, der sich nur mit der Frage der nationalen beziehungsweise europaweiten Produktion beschäftigen wird, sodass wir da noch einen festen Zugang zu den Ausrüstungen haben.
Sie wissen, dass morgen die Eurogruppe tagt oder, besser gesagt, in einer Videokonferenz zusammentritt. Der Europäische Rat hat der Eurogruppe in der vergangenen Woche den Auftrag gegeben, Vorschläge vorzulegen, wie wir der Krise begegnen können. Ich will hier an dieser Stelle sagen, dass die Europäische Union aus meiner Sicht vor der größten Bewährungsprobe seit ihrer Gründung steht; das ist unbenommen. Wir haben eine große Herausforderung in Bezug auf die Gesundheit unserer Bevölkerung. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wenn auch in abgestufter Weise, sind betroffen. Das ist ein symmetrischer Schock, wie man das etwas technisch bezeichnet. Das heißt, alle sind gleichermaßen davon betroffen. Deshalb muss es auch das Interesse aller sein - das ist das Interesse Deutschlands -, dass Europa stark aus dieser Bewährungsprobe hervorgeht.
Dabei geht es darum zu verstehen, dass es auch Deutschland - das habe ich immer und immer wieder gesagt, auch bei vorhergehenden Krisen; dieses Mal gilt das noch mehr - auf Dauer nur gut gehen wird, wenn es Europa gut geht. Schauen wir uns nur einmal an, wie unsere Wirtschaften verflochten sind und was passiert, wenn der freie Gang der Güter nicht gewährleistet ist. Deshalb kann die Antwort nur lauten: mehr Europa, ein stärkeres Europa und ein gutes funktionierendes Europa, und zwar in allen seinen Teilen, das heißt in allen seinen Mitgliedstaaten.
Natürlich sind in besonderer Weise diejenigen Länder betroffen, die durch eine gemeinsame Währung noch verstärkt verbunden sind. Dies soll eine weltweit starke Währung sein. Deshalb haben wir auch die Finanzminister um Vorschläge gebeten. Der Bundesfinanzminister hat Ihnen schon gesagt, um welche drei Elemente es im Augenblick in der Diskussion geht:
Es geht einmal um das Kriseninstrument Europäischer Stabilitätsmechanismus, ESM. Hier gibt es vorsorgliche Kreditlinien, die auch mit einer geringeren Konditionalität ausgestattet sind und die es ermöglichen, Sicherheit für alle zu schaffen.
Nach den Europäischen Verträgen gibt es die Möglichkeit, im Falle von Naturkatastrophen - so ist es im Artikel 122 der EU-Verträge festgelegt - besondere Maßnahmen zu ergreifen. Ich glaube, wir können sagen, dass die Coronapandemie etwas ist, was einer Naturkatastrophe gleichkommt. Insofern kann die Europäische Kommission Darlehen an die Mitgliedstaaten vergeben.
Ich finde den Vorschlag von Ursula von der Leyen sehr begrüßenswert, dass man insbesondere im Bereich der Sicherung von Arbeitsplätzen, das heißt von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten wie zum Beispiel dem Kurzarbeitergeld, eine große europäische Kraftanstrengung startet. Wir als Bundesrepublik Deutschland haben mit dem Kurzarbeitergeld sehr gute Erfahrungen gemacht. Nicht alle können das im Augenblick in gleichem Maße tun. Deshalb gibt es das Angebot, ein solches Instrument bis zu einer Höhe von 100 Milliarden Euro - da müsste Deutschland 7 Milliarden Euro Garantien geben - zur Verfügung zu stellen, damit Arbeitsplätze durch diesen Schock, der im wirtschaftlichen Bereich stattfindet, nicht verloren gehen.
Es wird darum gehen zu zeigen, dass wir bereit sind, unser Europa zu verteidigen und zu stärken. Wir werden nach diesem schweren wirtschaftlichen Einschnitt natürlich ein Wiederbelebungsprogramm, ein Wiederaufbauprogramm brauchen, nicht nur jeweils in den Nationalstaaten, sondern auch auf europäischer Ebene. Deutschland ist bereit, auch dazu seinen Beitrag zu leisten.
Wir werden eine Diskussion über die Frage haben, welche strategischen Fähigkeiten wir in Europa haben müssen und wollen. Diese müssen wir dann ganz gezielt aufbauen. Gleichzeitig müssen wir die Digitalisierung vorantreiben und im Hinblick auf den Klimaschutz, der ja als Thema nicht verloren gegangen ist, das Richtige tun.
Das werden dann die Entscheidungen sein, wenn wir die schwersten Teile dieser Krise im gesundheitlichen Bereich erst einmal überstanden haben.
Das sind die Dinge, die mir im Zusammenhang mit der Tagung der Finanzminister, der Eurogruppe morgen wichtig sind. Das werden wir sicherlich auch im Europäischen Rat demnächst wieder diskutieren. Ein Termin dafür steht noch nicht fest. Das hängt auch von den Beratungen der Finanzminister ab.
Das war es, was ich Ihnen sagen wollte. Jetzt bitte ich um Ihre Fragen.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, die Grenzkontrollen zwischen Bayern und Österreich werden anders aussehen als die zwischen Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden. Liegt das an den Ministerpräsidenten, oder was ist der Unterschied?
BK’in Merkel: Wir haben zum Teil Wünsche der Ministerpräsidenten gehabt. Das galt für Bayern. Dort bestanden die Grenzkontrollen ja schon aus anderen Gründen. Aber auch Baden-Württemberg, das Saarland und Rheinland-Pfalz hatten darum gebeten, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die verhängten Maßnahmen zwischen Deutschland und Frankreich noch recht unterschiedlich waren - im Augenblick ist es ja so, dass es dabei eine hohe Angleichung gegeben hat -, während Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen einen anderen Weg gewählt haben. Sie haben eine sehr, sehr enge Abstimmung zwischen den Niederlanden, Belgien und Nordrhein-Westfalen und im Falle der Niederlande mit Niedersachsen gehabt und, sich den Verkehr anschauend, darum gebeten, dass dieses Grenzmanagement so beibehalten werden kann und dass im Zweifelsfall noch eine verstärkte Schleierfahndung durch die Bundespolizei stattfindet. Man glaubt aber, dass sich der Verkehr dort wirklich auf die Pendler beschränkt. Es ist ein sehr intensiver Austausch an diesen Grenzen. Deshalb haben wir gesagt: Wir glauben, dass wir auch damit das Notwendige erreichen können. - Das ist jedenfalls der jetzige Stand.
Frage: Frau Merkel, eine Frage kurz vorweg zu den Berliner Vorkommnissen: Wie bewerten Sie die Aussagen des Berliner Regierenden Bürgermeisters, dass das Verhalten der USA im Fall der angeblich abhanden gekommenen Masken unmenschlich sei? Liegen Ihnen dazu nähere Informationen vor, die eine solche Äußerung rechtfertigen würden?
Die zweite Frage betrifft die Frage eines Ausstiegsszenarios aus dem Lockdown. Es gibt dazu ein Papier aus dem Bundesinnenministerium, das die Runde macht und auch bekannt ist. Dazu die Frage: Was halten Sie von dem Papier?
Darin ist von Coronahotels die Rede und davon, dass man eine zentrale Kommunikationsstelle im Bundeskanzleramt einrichtet, also so etwas wie einen Coronabeauftragten. Ist das geplant?
Österreich hat jetzt schon leichte Lockerungen angekündigt.
BK’in Merkel: Erst einmal zu dem, was Sie zu Berlin gefragt haben: Mir liegen dazu keine näheren Informationen vor. Ich finde es wichtig, dass das jetzt aufgeklärt wird. Auch das habe ich aus dem Berliner Senat gehört. Wir wissen, dass das Unternehmen sagt, dass es sich das nicht vorstellen könne. Wir haben sehr unterschiedliche Äußerungen, und ich hoffe, dass man das wirklich aufklären kann, und denke, dass das möglich ist.
Das Zweite: Ich habe schon am Wochenende in meinem Podcast gesagt: Wir wären eine schlechte Bundesregierung, wenn wir nicht intensiv - ich sagte sogar: Tag und Nacht - darüber nachdächten, wie wir auch bei Einhaltung des Gesundheitsschutzes das Leben schrittweise wieder öffnen könnten. Ich wäre aber auch eine schlechte Bundeskanzlerin beziehungsweise wir wären eine schlechte Bundesregierung, wenn wir jetzt schon ein Datum nennen würden. Das können wir nicht. Wir haben erste Andeutungen, wie sich die Dinge entwickeln. Österreich war uns in den Dingen immer ein Stück weit voraus, aber wir müssen unsere eigenen Zahlen ansetzen. Deshalb ist es auf jeden Fall jetzt nicht ratsam, über ein Datum in Deutschland zu sprechen.
Ich sage mit Bedacht, dass der Gesundheitsschutz auch bei Öffnung des öffentlichen Lebens immer im Vordergrund stehen wird und dass die Frage, wie es weitergeht, auf jeden Fall unter der Überschrift laufen wird: Wir leben weiter in der Pandemie. - Das Virus wird nicht verschwunden sein.
Mehr kann ich dazu heute nicht sagen. Natürlich denken wir darüber nach. Natürlich gibt es Studien. Es gibt die aus dem Innenministerium; es gibt von Herrn Fuest und Frau Woopen eine Studie. Ich freue mich, dass die Leopoldina eine Arbeit macht, die kurz nach Ostern erscheinen wird und sich mit genau demselben Thema beschäftigt. Dabei müssen natürlich Mediziner, Soziologen und Ökonomen zusammenarbeiten.
Welche Schlüsse wir daraus ziehen, können wir Ihnen aber heute noch nicht sagen. Aber wir denken darüber nach. Auf jeden Fall wird es ein schrittweises Vorgehen sein, so viel kann man schon sagen.
Über die Struktur, wie wir dann vorgehen, haben wir jetzt noch keine Entscheidungen getroffen. Das alles wird zum rechten Zeitpunkt getan werden. Dazu gibt es jetzt viele Vorschläge. Wir sind ja nicht die Einzigen, die sich darüber Gedanken machen, sondern viele andere tun dies auch. Aber zum Schluss wird es immer darauf ankommen, dass wir bei aller Notwendigkeit des wirtschaftlichen Handelns den Gesundheitsschutz vornan stellen. Denn so, wie sich viele wünschen, dass es jetzt schnell vorangehen möchte, wird die Diskussion, wenn die ersten Menschen sterben, weil wir zu schnell gehandelt haben und unser Gesundheitssystem den Belastungen nicht mehr standhalten wird, sich sofort ins Gegenteil verkehren. Es wäre ganz schlecht, wir würden zu schnell voranschreiten, um dann sozusagen wieder alles zurücknehmen zu müssen. Das versuchen wir zu vermeiden - immer mit der Maßgabe, nicht unser Gesundheitssystem zu überlasten.
Ich will an der Stelle auch noch einmal sagen, dass ich sehr dankbar bin, dass sich so viele Menschen darauf einlassen, diese sehr, sehr harten Regeln einzuhalten - gerade wenn man sich das Wetter anschaut, wie es im Augenblick ist. Denn sie wissen, dass sie damit einen Beitrag leisten, Menschenleben zu retten und auch Krankenschwestern, Ärzten und allen, die im Gesundheitssystem tätig sind, das Leben - bei aller Belastung - etwas leichter zu machen. Für dieses Verständnis, das es gibt, möchte ich mich bedanken. Denn die Regeln werden ja doch von der überwiegenden Mehrzahl der Menschen eingehalten.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, noch eine Frage zu dem Thema „Lockerung der Maßnahmen“. Wie lautet genau Ihr aktuelles Kriterium dafür? Sie haben gesagt, die Verdopplungszeit der Infektionen ist entscheidend. Erst hieß es zehn Tage, dann zwölf, jetzt vielleicht sogar vierzehn. Können Sie einmal sagen: Was genau ist Ihr aktuelles Kriterium? Gibt es weitere Kriterien für mögliche Lockerungen der Maßnahmen?
Eine zweite kurze Frage zum Thema Masken. Die Leopoldina, die Sie ja auch gerade erwähnt haben, empfiehlt ja am Freitag eine Mund- und Nasenschutzpflicht für die gesamte Bevölkerung mit einfachen Masken. Warum zögern Sie bisher, so eine Pflicht auszurufen?
BK’in Merkel: Erstens sind wir ja noch in der Phase, in der wir uns die Ratschläge der Experten immer wieder anhören. Ich sage einmal: Am Anfang gab es mehr Zurückhaltung zu diesen Masken, zu den Alltagsmasken, wenn ich das jetzt einmal so sagen darf. Jetzt wandelt sich auch die Meinung der Experten, und der werden wir uns natürlich nicht entgegenstellen.
Allerdings sagen uns alle Experten: Eine gut gehandhabte Maske - das heißt: regelmäßiges Waschen, nicht zu lange tragen, heiß bügeln oder in den Backofen oder in die Mikrowelle stecken -, ist die Voraussetzung dafür, dass die begrenzte Wirkung, aber wenigstens die begrenzte Wirkung, auch eintritt. Ein unsachgemäßer Umgang wäre noch fataler. Auf jeden Fall heißt es, dabei nie die Abstandsregeln zu vergessen. Wer also glaubt, er brauche nicht mehr 1,5 bis 2 Meter Abstand zu halten, weil er eine solche Alltagsmaske trägt, dann wäre das falsch, absolut falsch. Aber wenn sich das jetzt immer weiter durchsetzt, dann werden wir natürlich auch dafür plädieren, dass Menschen das tun. Wie weit wir was mit welchen Begleiterscheinungen verbinden, das wird sich dann im Zusammenhang zu der Aussage zu möglichen Lockerungen ergeben. Das ist heute nicht der Tag.
Aber ich verfolge die Diskussion in der Fachwelt sehr aufmerksam. Wir wissen ja auch, dass deutsche Unternehmen jetzt beginnen, solche Masken zu produzieren, und viele das auch in Eigenarbeit tun. Soweit ich es verstanden habe, muss der Stoff möglichst fest sein, damit das auch seine Wirkung entfaltet. Aber die Pflege dieser Masken ist dann auch ganz wichtig.
Dann fragten Sie nach dem Kriterium. Die Verschiebung der Zahlen hatte jetzt etwas damit zu tun, dass wir im Laufe der Krankheitsverläufe gesehen haben, dass die Beatmung, auch abhängig vom Alter der Patienten, länger dauert, als wir das am Anfang erwartet hatten. Das hat auch damit zu tun, dass bei uns am Anfang bei uns sehr viele jüngere Menschen infiziert waren. Es gibt im Grunde verschiedene Kriterien, die alle miteinander zusammenhängen - in einer größeren deutschen Tageszeitung gibt es dazu heute einen sehr guten Artikel. Zum einen gibt es den Reproduktionsfaktor R0. Zum anderen gibt es die Frage der Verdopplungszeit, die etwas mit der Überbelastung des Gesundheitswesens zu tun hat. Es gibt auch die Frage: Habe ich eine stabile Zahl von Neuerkrankungen und ist vielleicht die Zahl derer, die jeden Tag gesunden, ähnlich hoch wie die Zahl derer, die neu erkranken, beziehungsweise sind diese Zahlen jedenfalls in einem bestimmten Verhältnis zueinander?
Wir werden das zum Schluss nicht abschließend sagen können. Ich vermute einmal, die Virologen werden uns auch nicht sagen können: „Ihr könnt diese und jene und noch eine Maßnahme machen.“ Das geht gar nicht. Wir müssen dann auch sehen: Was wirkt wie? Es ist nicht ganz so einfach, das herauszufinden. Auf jeden Fall muss jede Frage so gestaltet werden, dass wir immer wieder sehen können: Wird unser Gesundheitssystem überfordert oder nicht? Denn der Gesundheitsschutz steht an oberster Stelle.
An den Tagen sehen wir ja - das sagen uns die Leute, die sich auf den Reproduktionsfaktor oder auf die neuen Fallzahlen verlassen, genauso -, dass wir einen Schritt vorangekommen sind. Es ist aber immer noch nicht so, dass man sagen könnte, wir könnten jetzt in irgendeiner Weise Entwarnung geben. Es ist noch nicht der Tag gekommen, an dem wir bereits Aussagen treffen können; das sagt uns auch kein Virologe. Das heißt, wir haben jetzt erst einmal bis zum einschließlich 19. April unsere Maßnahmen getroffen, und daran wird sich auch nichts ändern.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, auch noch einmal zum Exit, aber auf der europäischen Ebene: Bund und Länder haben ja, nachdem einige bei der Verschärfung von Maßnahmen vorangeprescht sind, vereinbart, dass man bei der Lockerung möglichst gemeinsam handeln will. Muss man das nicht auch auf europäischer Ebene tun? Es gibt einige Länder wie Österreich, die jetzt schon anfangen, aber es könnte ja wieder neue Grenzdebatten hervorrufen, wenn in einem Land etwas erlaubt wird, was in einem anderen Land nicht erlaubt wird.
Eine kurze Nachfrage zu der heimischen Produktion, die Sie anfangs erwähnt haben: Wenn jetzt hier in Deutschland schon Garantien für die Abnahme von Schutzmasken zum Beispiel bis Ende 2021 gegeben werden, wie will man dann noch eine europäische Koordinierung hinbekommen? Im Moment schließt ja auch da jedes Land für sich mit der Wirtschaft einzelne Verträge.
BK’in Merkel: Ich glaube, dass es schon richtig ist, dass jedes Land einmal für sich selber überlegt, was es leisten kann. Vielleicht kann dann der eine das eine und der andere das andere, und dann kann man sich darüber auch austauschen. Wichtig für die Investoren ist ja nur, dass es eine Abnahmegarantie gibt. Ob wir die dann alle nehmen oder ob wir sie mit anderen europäischen Ländern teilen, die uns dafür wieder etwas anderes geben, wird man dann ja sehen. Nur, dass man erst einmal selber schaut, welche Kapazitäten man aufbauen kann, finde ich schon richtig.
Zweitens. Natürlich werden bestimmte Prozesse - zum Beispiel das Bauen von Autos - überhaupt erst wieder gut funktionieren, wenn in Italien, in Spanien und in anderen europäischen Ländern Unternehmen auch wieder öffnen; denn ansonsten funktioniert die Wertschöpfungskette gar nicht. Ich glaube aber, dass wir trotzdem auch unterschiedliche Gegebenheiten in Europa haben, was den Zustand beziehungsweise die Phase der Infektion anbelangt. Italien hat ja sehr viel früher mit den Maßnahmen begonnen, ist in einigen Regionen aber auch sehr, sehr hart betroffen gewesen. Das heißt, dass wir überall das Gleiche tun, kann ich mir nicht vorstellen. Deshalb hat die Kommission auch genau diese Einschränkungen bei Schengen akzeptiert und gesagt: Der freie Warenverkehr und der Pendlerverkehr müssen gewährleistet sein. Man kann aber nicht sofort wieder den freien Besuchsverkehr einführen; dazu bedürfte es dann der Lockerung überall und in gleichem Maße. Das ist bei den augenblicklichen Regelungen an den Grenzen nicht notwendig, glaube ich.
Für bestimmte Wertschöpfungsketten ist das aber ganz wichtig. Wir haben zum Beispiel nie durch Allgemeinverfügung verboten, dass Automobilfabriken arbeiten. Sie haben selber das Arbeiten eingestellt. Warum haben sie das getan? Aus zwei Gründen: zum einen, weil die Autohändler geschlossen hatten und damit auch keine Autos mehr verkauft werden können, und zum anderen, weil sie bestimmte Teile überhaupt nicht mehr bekommen haben, weil in anderen Ländern bestimmte Produktionskapazitäten nicht mehr produziert haben.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gibt inzwischen Befürchtungen, dass die Krisenregelungen und die Einschränkungen für die Bürger nach der Krise nicht mehr vollständig zurückgefahren werden könnten. Können Sie die Bürger da beruhigen?
Zweitens. Habe ich das richtig verstanden, dass die Position, die Minister Maas und Scholz in mehreren europäischen Zeitungen vertreten haben, nämlich dass es einen Dreiklang von ESM, EIB und „Sure“ geben solle, die gemeinsame Position der Bundesregierung ist?
BK’in Merkel: Selbstverständlich. Ich spreche jeden Tag mehrfach mit dem Bundesfinanzminister darüber. Wir agieren ja in Europa abgestimmt. Wir haben der Eurogruppe einen Auftrag gegeben beziehungsweise eine Bitte geäußert, dass sie uns Vorschläge vorlegt, und bevor die deutsche Position festgelegt wird, stimmen wir uns natürlich ab, und zwar sehr, sehr eng.
Zweitens darf ich den Bürgerinnen und Bürgern als eine auch freiheitsliebende Bürgerin im 30. Jahr der deutschen Einheit natürlich sagen: Sobald die gesundheitliche Situation es zulässt, werden wir selbstverständlich zu dem freien Leben, wie wir es kennen, zurückkehren. Das ist kein regelloses Leben, das wissen Sie; es gab schon immer Gesetze, die man einhalten muss. Aber das, was wir hatten und auf das wir stolz waren, wollen wir natürlich wieder erreichen, das ist überhaupt gar keine Frage. Wir müssen das aber eben immer mit Blick auf die Frage machen: Gefährden wir Menschenleben? Das ist die einzige Grundlage dafür, dass wir jetzt so handeln mussten. Das fällt ja auch niemandem leicht. Es fällt den Menschen, die betroffen sind, nicht leicht; aber glauben Sie doch nicht, dass es mir als Politikerin leicht fällt, mit anderen gemeinsam so etwas anordnen zu müssen. Das ist doch etwas, was wir uns lieber erspart hätten, aber was die Umstände einfach erfordern.
Danke schön!