Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und der Ministerpräsidentin der Republik Serbien, Ana Brnabić

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich möchte heute ganz herzlich zum offiziellen bilateralen Besuch die Ministerpräsidentin von Serbien, Ana Brnabić, begrüßen. Wir kennen uns. Wir haben schon oft miteinander im Zusammenhang mit dem Berliner Prozess und bei anderen Treffen geredet.

Bilateral können wir, glaube ich, auf eine Erfolgsgeschichte unserer Kooperation hinweisen. Es gibt 400 deutsche Unternehmen, die in Serbien tätig sind, und 60 000 Menschen, die in deutschen Unternehmen beschäftigt sind. Somit ist Deutschland also eine wichtige Größe in den Handelsbeziehungen. Aber auch sonst haben wir sehr enge Beziehungen. Ich möchte ausdrücklich wertschätzen und unterstreichen, dass die Ministerpräsidentin nicht nur einen Schwerpunkt in der Wirtschaftspolitik insgesamt, in der Frage der Arbeitslosigkeit und ihrer Bekämpfung sowie der Wirtschaftskraft sieht, sondern dass sie auch die Digitalisierung als einen Punkt sieht, dass Serbien im Dienstleistungsbereich und im Bereich der Digitalisierung einfach Vorreiter ist. Das ist natürlich ein ganz wichtiges Signal gerade an die jungen Leute. Auch die Jugendarbeitslosigkeit ist noch recht hoch. Insofern ist das eine wirkliche Zukunftsinvestition. Ich glaube, das, was Serbien im Bereich der Digitalisierung und auch im Bereich der digitalen Schulbildung macht, kann sich sehen lassen und ist beispielhaft für viele europäische Länder.

Wir haben über die Situation der Zivilgesellschaft gesprochen, über die notwendigen Reformen im juristischen Bereich und über die Schwierigkeiten, die dabei auftreten, Zwei-Drittel-Mehrheiten für Verfassungsänderungen und Ähnliches zu bekommen. Ich habe den Willen gespürt, hier zu versuchen, die Dinge wirklich gut voranzubringen, was natürlich sehr eng mit den Fortschritten hinsichtlich der EU-Beitrittsverhandlungen verbunden ist. Serbien ist schon relativ gut vorangekommen. Es sind schon 35 Kapitel geöffnet. Insofern hat man hier bereits eine ganze Menge Arbeit geleistet.

Wir haben natürlich über die Region gesprochen, auch über die Fragen der Kooperation. In dem Zusammenhang freue ich mich, dass immer wieder aus der Praxis berichtet wird, dass der Berliner Prozess doch einen Mehrwert hat, er zu vielfachen Kooperationen geführt hat und auch Möglichkeiten dazu gibt, sonst bestehende bilaterale Konflikte zum Beispiel mit dem Kosovo zu lösen und voranzubringen. Ich glaube, dass man hierbei Schritt für Schritt einfach weitermachen muss und weitermachen sollte.

Ich bin also sehr froh, dass wir uns heute austauschen konnten. Ich darf zusagen, dass wir uns weiter intensiv auch partnerschaftlich in die Entwicklung Serbiens einbringen werden und dass wir die deutsch-serbischen Beziehungen kräftigen und stärken wollen. Das ist nicht nur eine politische Frage, sondern auch eine Frage der wirtschaftlichen Kooperation. Deshalb noch einmal herzlich willkommen!

MP’in Brnabić: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel! Ich möchte mich vor allem für die Einladung bedanken, das erste Mal zu einem offiziellen Besuch in die Bundesrepublik Deutschland zu reisen. Mir persönlich bedeutet dies sehr viel, aber das gilt genauso für mein Land.

Mein vorrangiges Ziel dieses Besuchs ist es, dass die Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland immer besser werden, dass sie sich künftig noch fortentwickeln. Uns bedeutet die Partnerschaft, die Zusammenarbeit, die Unterstützung mit Deutschland in allen Bereichen unglaublich viel – sei es in der Politik, sei es auf dem Weg der europäischen Integration oder im ökonomischen Bereich.

Wenn man mich bitten würde, ein Fazit zu ziehen, worüber wir gesprochen haben und was für mich die wichtigsten Themen während dieses Besuchs waren, dann wären folgende Punkte zu nennen: die weitere Stärkung unserer Wirtschaftsbeziehungen, der Weg Serbiens nach Europa, wie weit wir gekommen sind, in welche Richtung wir weitergehen, was noch zu tun ist und wie wir dies beschleunigen können. Wir hoffen, dass wir den Weg Serbiens in die EU künftig auch beschleunigen können. Das gilt aber nicht nur für Serbien, sondern für den gesamten westlichen Balkan.

Die regionale Zusammenarbeit hat auch eine Rolle gespielt, denn es gibt kein starkes und sicheres Serbien und keinen Weg in die EU unseres Landes, wenn nicht die gesamte Region des Westbalkans stabil ist.

Ein weiteres Thema, das alle Menschen in der Republik Serbien betrifft, wurde natürlich auch behandelt, nämlich das Thema Kosovo. Wir haben besprochen, wo wir diesbezüglich gerade stehen und was wir in der Zukunft hier erwarten können.

Was die Wirtschaft anbelangt, gibt es eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit den deutschen Firmen, wie die Bundeskanzlerin schon gesagt hat. Es gibt etwa 400 deutsche Unternehmen in Serbien, die 60 000 Mitarbeiter beschäftigen. Das heißt, die deutschen Firmen beschäftigen mehr als alle anderen Firmen im Land serbische Bürger. Es geht aber nicht nur um die Schaffung von Arbeitsplätzen für unsere Gesellschaft. Es ist genauso wichtig, dass die deutschen Firmen Wissen, neue Technologien, neue Prozesse, neue Managementformen und Arbeitsethik mitbringen. All das bringen diese Firmen mit, was dann auch langsam unsere Gesellschaft verändern kann.

Wir wollten mit diesem Besuch auch eine neue Welle von deutschen Investitionen in Serbien auslösen, denn in Serbien sind zurzeit hauptsächlich große deutsche Firmen präsent. Die große Mehrheit der dort bereits aktiven Firmen ist zufrieden damit und würde wieder in Serbien investieren oder hat sogar vor, ihre Kapazitäten auszuweiten. Mehr als 95 Prozent der deutschen Wirtschaft machen eigentlich Kleine und mittelständische Betriebe aus. Sie sind die Stütze, die Grundlage für die deutsche Wirtschaft. Heute, ca. vier Jahre nach Beginn der Reformen in Serbien - nach Meinung der „Financial Times“ sind wir in den letzten drei Jahren bereits schon zum zweiten Mal weltweit führend, was das Einwerben von ausländischen Direktinvestitionen angeht -, ist es für uns ein wichtiges Zeichen, dass wir so viele große deutsche Firmen im Land haben. Aber wir denken, dass es wert ist, zu versuchen, Kleine und mittelständische Betriebe nach Serbien zu holen.

Es freut mich sehr, dass es oft Familienunternehmen sind, die selber das Interesse bekundet haben, mich während meines Besuchs in Deutschland zu treffen.

Ich werde heute ein Treffen mit dem Verband familiengeführter Unternehmen haben, aber auch mit dem Verein Bitkom, und gestern hatte ich ein Treffen mit dem Verband Mittelständischer Unternehmen.

Serbien kann sehr gute Ergebnisse verzeichnen. Wir haben die Arbeitslosigkeit entscheidend senken können. Vor fünf oder sechs Jahren hatten wir noch eine Arbeitslosenquote von mehr als 25 Prozent; jetzt liegt sie bei knapp über 10 Prozent. Das zeigt, wie schnell sich unsere Wirtschaft gewandelt hat und wie schnell wir erstarkt sind. Wie die Bundeskanzlerin aber schon gesagt hat, ist unsere Jugendarbeitslosigkeit leider immer noch sehr hoch; sie beträgt etwa 24,4 Prozent. Das ist ein weiterer Grund, weshalb wir dem Unternehmertum, den mittelständischen und Kleinen Unternehmen sowie der Digitalwirtschaft noch mehr Aufmerksamkeit widmen müssen.

Auch was die öffentliche Verschuldung anbelangt, sind wir vorangegangen. Wir liegen hier unter den Maastricht-Kriterien. Die ausländischen Direktinvestitionen betrugen im letzten Jahr 3,5 Milliarden Euro; in den ersten Monaten dieses Jahres lagen sie ebenfalls wieder über 2 Milliarden Euro. Es geht also alles in die richtige Richtung.

Was uns wichtig ist und was mir als Ministerpräsidentin ganz besonders wichtig ist, ist die Transformation unserer Wirtschaft. Das habe ich auch der Bundeskanzlerin gesagt, und ich habe mich auch schon für die Unterstützung bedankt. Ich denke, wir haben viel getan, um die Digitalwirtschaft in unserem Land voranzubringen. Ich möchte der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und ganz persönlich der Bundeskanzlerin für die Unterstützung danken, die wir von deutscher Seite in diesem Prozess erfahren konnten. So wollen wir dahinkommen, dass unsere Wirtschaft auf Investitionen, auf Innovation gründet. Über die GIZ hat die deutsche Regierung bei der Wirtschaftskammer Serbiens ein Zentrum für Digitalisierung geschaffen, das sich gerade der Aufgabe widmet, Kleinen und mittelständischen Betrieben in diesem Bereich zu helfen.

Des Weiteren arbeiten wir an einer neuen Strategie der Industrialisierung unserer Wirtschaft. In diesem Moment arbeiten wir an drei strategischen Dokumenten, die die Grundlage für die weitere Arbeit sein werden. Dazu gehören die digitale Industrialisierung und eine Strategie für künstliche Intelligenz. All dies zielt darauf ab, diese große Umwandlung der Wirtschaft mit Unterstützung Deutschlands vollführen zu können.

Wir arbeiten gemeinsam mit Deutschland auch daran, Start-up-Unternehmen zu unterstützen. Hier investiert Deutschland 12,9 Millionen Euro.

Ich möchte Ihnen anhand einiger Beispiel und einiger Zahlen zeigen, wie wichtig das ist und wie großzügig Deutschland bei der Unterstützung der Umwandlung unserer Wirtschaft in eine digitale Wirtschaft, in eine Wirtschaft, die auf Innovationen gründet, ist. Im letzten Jahr konnten wir bei der Handelsbilanz unserer Länder Rekorde verzeichnen: 2018 wurden hier fast 5 Milliarden US-Dollar erreicht. Beim Warenaustausch gibt es aber ein Defizit auf serbischer Seite von etwa einer Milliarde Euro. In den letzten drei Jahren haben wir langsam unseren Dienstleistungssektor gestärkt: 2018 war der bilaterale Austausch im Bereich der Dienstleistungen bereits sehr hoch, aber jetzt haben wir ein Suffizit auf serbischer Seite.

Das zeigt uns, wie sehr uns Deutschland in all den Bereichen hilft, wo wir denken, dass wir konkurrenzfähig sind. Deutschland hilft uns dabei, unsere Wirtschaft weiterzuentwickeln und unsere Erfolge auch auf unser Wissen zu gründen. Wir sind dabei, Entwicklungszentren zu gründen. Wir wollen eine engere Zusammenarbeit, wir wollen gemeinsame Auftritte auf Drittmärkten. Wenn wir dies schaffen können - gemeinsame Auftritte auf Drittmärkten, Zusammenarbeit bei der Innovation und bei der Forschung -, dann wäre das ein großer Erfolg für Serbien.

Einige Worte zur europäischen Integration: Ich habe die Bundeskanzlerin gebeten, uns bei der europäischen Integration weiter kontinuierlich zu unterstützen, denn dies ist das strategische Ziel der Republik Serbien. Für uns ist die Europäische Union vor allem ein Friedensprojekt. Der Balkan hat seine komplexen Seiten und seine Spezifika. Ein langfristiger Frieden, eine langfristige Stabilität auf dem Balkan kann aus meiner Sicht erst dann erreicht werden, wenn der gesamte Balkan Teil der Europäischen Union ist. In diesem Sinne denke ich, dass auch der Balkan wichtig für die Europäische Union ist, und ich danke Deutschland für die politische Unterstützung bei der europäischen Integration und für die finanzielle, technische, fachliche Unterstützung für unsere Ministerien auf diesem Weg. Wir wissen, was zu tun ist, um unsere Reformen zu beschleunigen. Wir wissen, dass ein besonderer Fokus auf die Rechtsstaatlichkeit zu legen ist. Wir arbeiten auch an Verfassungsreformen; darauf hat auch die Kanzlerin hingewiesen. Wir wissen, wo wir stehen, wir wissen, was wir weiter tun müssen. Beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität und Korruption, bei der Medienstrategie, bei der Arbeit mit den Medien, bei der Arbeit im Parlament, beim Dialog mit der Opposition werden wir uns genau diesen Dingen auch widmen.

Noch einige Worte zur regionalen Zusammenarbeit: Ich möchte ganz besonders und persönlich der Bundeskanzlerin dafür danken, dass sie 2014 durch den Berliner Prozess einen neuen Impuls gegeben hat. Trotz aller Herausforderungen, denen wir uns heute gegenübersehen - vor allem auch wegen der Strafzölle auf bosnische und serbische Erzeugnisse, die unsere Wirtschaft ja in einer schwierigen Zeit ins Schwanken gebracht hat -, ist dank des Berliner Prozesses diese regionale Zusammenarbeit nicht zum Erliegen gekommen.

Dank des Berliner Prozesses und der Initiative von Angela Merkel ist 2017 ein Vertrag über die Transportgemeinschaft auf dem westlichen Balkan unterschrieben worden. Am Freitag haben wir das Büro, den Sitz dieser Transportgemeinschaft in Belgrad eröffnet. Im April haben wir ein regionales Abkommen zum Roaming unterzeichnet. Inzwischen sind die Roaminggebühren für alle Bürger der Westbalkans schon gesunken. Man sieht also den Erfolg der regionalen Zusammenarbeit für das Alltagsleben der Bürger.

Eine weitere Initiative, die aus dem Berliner Prozess heraus gewachsen ist: Ende August haben wir den ersten integrierten gemeinsamen Grenzübergang eröffnet, an dem es gemeinsame Grenzkontrollen zwischen Serbien und Nordmazedonien gibt. Auch das war ein Resultat, ein Ergebnis des Berliner Prozesses.

Wir haben immer mehr Infrastrukturprojekte, vor allem Autobahnen, die die Region verbinden - etwa von Kroatien oder nach Mazedonien. Wir sind dabei, eine Autobahn in Richtung Bulgariens fertigzustellen. Wir haben den Bau einer Autobahn nach Bosnien in Gang gesetzt. Im vergangenen Jahr haben wir auch einen Vertrag über die Finanzierung einer Autobahn in Richtung von Pristina unterzeichnet. Das heißt, wir brauchen mehr Integration und eine bessere Konnektivität in der Region. Auch das ist ein Ergebnis des 2014 ins Leben gerufenen Berliner Prozesses.

Am Ende dürfen wir auch nicht vergessen, dass wir eine regionale Wirtschaftskammer initiiert haben, die in diesem Moment die einzige Institution ist, die versucht, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum in unserer Region herzustellen. Wir werden weiter daran arbeiten.

In der Frage des Kosovos haben wir natürlich immer noch Meinungsverschiedenheiten und sind uns nicht einig. Aber auch hierbei ist Deutschland einer unserer wichtigsten Partner. Auch wenn wir uns nicht bei allen Themen immer einig sind, ist es wichtig, mit Deutschland zu sprechen, seine Meinung und seinen Ratschlag zu hören sowie auch unsere Meinung und unsere Haltung vorzustellen und zu schauen, ob man die Standpunkte einander annähern und zu einer langfristig tragfähigen Lösung kommen kann. Denn ohne eine solche Lösung für die Frage des Kosovos beziehungsweise der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, ohne eine historische Versöhnung zwischen den Serben und den Albanern, kann es keine Zukunft auf dem Balkan geben. Dies ist insbesondere für die jungen Menschen überall auf dem Balkan wichtig. Mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft können wir einen neuen Balkan schaffen, einen Balkan, auf dem Wohlstand herrscht.

Noch einmal herzlichen Dank! Ich möchte Sie auch herzlich einladen, Serbien zu besuchen. Es wäre eine große Ehre und Freude für uns. Vielen Dank für alles, was sie für Serbien und den westlichen Balkan tun!

Frage: Der Dialog zwischen Belgrad und Pristina ist seit November blockiert. Es heißt, dass sich Deutschland neben Frankreich noch stärker in diesem Dialog engagieren will. Es soll auch ein Sondergesandter ernannt werden.

Gibt es dazu nähere Informationen? Wird dieser Sondergesandte direkt am Verhandlungstisch in Brüssel sitzen?

BK’in Merkel: Zu dem Sondergesandten kann ich nichts sagen. Ich kann nur sagen, dass wir, Deutschland und Frankreich, in der Tat versucht haben und versuchen, die Kontakte wieder in Gang zu bringen und zu erreichen, dass auch bei den Zöllen etwas getan wird, damit auch der Handel wieder vernünftig laufen kann.

Wir hatten auch die Bereitschaft erklärt, zu einer gemeinsamen Initiative zu kommen und nach Paris einzuladen. Aber leider ist der Prozess jetzt dadurch unterbrochen, dass im Kosovo Anfang Oktober Wahlen stattfinden werden. Wir würden auf diese Fragen zurückkommen, nachdem diese Wahlen stattgefunden haben. Aber es hat sich nicht als möglich erwiesen, diesen Dialog wiederaufzunehmen, weil, wie gesagt, die Zölle doch eine große Hürde und Beschwernis sind.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eben ist die Bedeutung der ganzen Region bei den EU-Annäherungsprozessen betont worden. Im Oktober wird die EU über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien entscheiden.

Können Sie sagen, was der jetzige Stand ist? Haben Sie Frankreich und die Niederlande, die ja sehr skeptisch waren, bereits davon überzeugen können, dass die Beitrittsverhandlungen mit beiden Ländern eröffnet werden können?

BK’in Merkel: Über andere Länder kann ich nichts sagen. Darüber werden die Länder selbst entscheiden. Aber wir müssen erst einmal unsere deutsche Positionierung finden. Dazu laufen in der Zwischenzeit die Gespräche mit dem Deutschen Bundestag. Denn in Deutschland muss der Deutsche Bundestag der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zustimmen. Die Bundesregierung hat positive Empfehlungen mit unterschiedlichen Aspekten zu Nordmazedonien und zu Albanien abgegeben. Ich kann aber den Ergebnissen des Deutschen Bundestages nicht vorgreifen. Aber ich glaube, dass wir bald und zeitnah zu einer Entscheidung kommen werden.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, haben Berlin und die Europäische Union eine Frist, innerhalb derer ein Abkommen zwischen Belgrad und Pristina erzielt werden soll?

Von Herrn Juncker wurde ein zweites Datum genannt, 2025. Das wurde als mögliches Beitrittsdatum genannt. Können Sie dazu vielleicht noch etwas sagen?

BK’in Merkel: Es gibt keine Fristen, in denen bestimmte Dinge erledigt sein müssen. Je schneller, desto besser, das ist natürlich für diejenigen, die Mitglied der Europäischen Union werden wollen, immer die Devise. Aber manchmal braucht man auch etwas länger, als man sich vorgenommen hat. Es gibt also kein Limit, sondern wir wollen unterstützen, dass man vorankommt. Das Momentum sollte erhalten bleiben. Sie haben ja gehört, mit welchem Elan und mit welcher Dynamik Serbien seine wirtschaftlichen Dinge voranbringt und die Justizreform durchführt. Dort weiß man natürlich, dass für die Aufnahme in die Europäische Union zum Schluss auch bestimmte Fragen im Zusammenhang mit dem Kosovo geklärt sein müssen. Dafür gibt es ja eine ganz klare Agenda.

Auch wenn das Jahr 2025 genannt wurde, halte ich, ehrlich gesagt, nichts davon, jetzt Zeiten zu nennen. Für uns ist es ganz wichtig, dass die Beitrittsstaaten die Voraussetzungen dafür erfüllen, dass ein Beitritt möglich ist. Das sind ganz klare Bedingungen. Natürlich haben wir auch innerhalb der Europäischen Union noch bestimmte Reformen umzusetzen. Aber davon können wir das nicht abhängig machen. Wenn Serbien seine Bedingungen erfüllt, dann ist die Zeit gekommen, um auch über den Beitritt zu sprechen. Ich kann nicht sagen, in welchem Jahr das sein wird. Für mich gibt es auch keine Deadline, sondern in der Sache geht es um die Frage, wie weit Serbien in seiner Entwicklung gekommen ist.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie hatten gestern ein Telefonat mit dem britischen Premierminister. Haben Sie dabei etwas Neues zu seinen Alternativplänen in Sachen des Backstops erfahren?

Zum generellen Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien: In Luxemburg gab es ja einen Kleinen Eklat. Man hat das Gefühl, dass das Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien doch zunehmend etwas vergiftet ist. Sie selbst hatten einmal das Ziel formuliert, am Ende möglichst einen würdigen Brexit hinzubekommen. Sehen Sie dieses Ziel mittlerweile als gefährdet an? Wie schätzen Sie die Stimmung ein?

BK’in Merkel: Nein, ich sehe dieses Ziel nicht als gefährdet an und werde mich auch weiterhin entsprechend den Prinzipien verhalten, dass wir nachher in Freundschaft mit Großbritannien verbunden sein und sehr enge sicherheitspolitische und außenpolitische Beziehungen miteinander pflegen wollen sowie hoffentlich auch ein gutes Freihandelsabkommen miteinander abschließen. Ich sage nach wie vor, wie ich es schon bei dem Besuch von Boris Johnson gesagt habe, dass ich die Möglichkeit eines geordneten Austritts weiterhin sehe. Dem haben auch die Gespräche mit Jean-Claude Juncker gedient. Ich habe nicht erwartet, dass der Besuch in Luxemburg nun bereits die Lösung bringt. Aber es ist auch sehr gut, dass man miteinander gesprochen hat.

Jetzt warten wir den weiteren Gang der Dinge ab. Wir sind auch auf einen ungeordneten Austritt vorbereitet, aber ich ziehe einen geordneten Austritt mit einem Abkommen dem ungeordneten Austritt vor. Auch das ist keine Neuigkeit.

Herzlichen Dank!