Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und der Ministerpräsidenten der Republik Finnland, Sanna Marin

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass die finnische Premierministerin Sanna Marin heute bei uns zu Besuch ist. Wir haben uns schon beim Europäischen Rat im Dezember getroffen, aber heute ist ihr erster offizieller Besuch hier in Berlin. Ich möchte sie ganz herzlich willkommen heißen.

Wir haben traditionell sehr gute Beziehungen zwischen Deutschland und Finnland und auch einen sehr ausgeprägten Handel miteinander. Wir sind auch in einer Vielzahl von Politikbereichen gute und intensive Partner. Auch der Austausch zwischen unseren Gesellschaften ist groß. Gerade auch bei Zukunftsthemen wie der Digitalisierung, aber vor allen Dingen auch dem Klimawandel haben wir sehr ähnliche Positionen und deshalb auch eine sehr gute Zusammenarbeit. Wir sind auch in der Entwicklungshilfe in anderen Teilen der Welt sehr gut miteinander unterwegs.

Wir haben heute natürlich nicht nur das gesamte Spektrum der bilateralen Beziehungen, sondern vor allen Dingen auch die europäische Agenda besprochen. Wir stehen vor einem wichtigen Europäischen Rat. Finnland und Deutschland sind Nettozahler bei den Finanzen. Natürlich liegt es in unserem Interesse, dass wir einen erfolgreichen Europäischen Rat haben und dass die finanziellen Fragen für die nächsten Jahre gelöst werden. Deutschland hat daran ein elementares Interesse. Denn dann, wenn es gelöst wäre, fiele es nicht mehr in unsere Präsidentschaft. Das würden wir als Vorzug begreifen. Aber vor allen Dingen wäre es gut, wenn wir genügend Zeit hätten, auch all die Programme, die aus einem solchen Finanzplan erwachsen, vorbereiten zu können, sodass man ab dem 1. Januar 2021 wirklich auf Basis des neuen Finanztableaus arbeiten kann.

Ich weiß allerdings noch nicht, ob das gelingt. Denn wir finden, dass unsere Belange an vielen Stellen noch nicht ausreichend berücksichtigt sind. So sehe ich sehr harte und schwierige Verhandlungen vor uns. Die Nettozahler werden sich natürlich auch untereinander durchaus abstimmen, auch wenn nicht alle Intentionen völlig identisch sind und jeder seine speziellen Situationen hat.

Wir haben über weitere europäische Themen gesprochen, etwa über die Digitalisierung - das wird ja ein Thema auf dem Europäischen Rat im März sein - und die Fragen der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion.

Insofern war es ein intensives, gutes, aber vor allen Dingen freundschaftliches Gespräch. Ich möchte die Premierministerin noch einmal ganz herzlich hier bei uns in Deutschland begrüßen.

MP’in Marin: Verehrte Frau Bundeskanzlerin, verehrte Presse- und Medienvertreterinnen und -vertreter, ich freue mich sehr über meinen ersten Besuch als Ministerpräsidentin in Deutschland und bedanke mich bei der Frau Bundeskanzlerin für den herzlichen Empfang und die ausgezeichneten Gespräche, die wir heute geführt haben.

Finnland und Deutschland stehen sich in vielerlei Hinsicht nah. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Finnlands. Wir beide halten die Zusammenarbeit in der Europäischen Union und die Stärkung der Europäischen Union für wichtig.

Wir haben uns heute unter anderem über den künftigen mehrjährigen Finanzrahmen der EU ausgetauscht, den wir morgen gemeinsam mit den anderen Regierungschefs der EU im Europäischen Rat behandeln werden. Finnland hat während seines EU-Ratsvorsitzes im vergangenen Herbst einen Kompromissvorschlag zum Finanzrahmen erarbeitet. Jetzt beteiligen wir uns als ein Mitgliedsstaat unter den anderen Mitgliedsstaaten an den Verhandlungen unter Vorsitz des Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel. Finnland verfolgt eine konstruktive Verhandlungsführung.

Ich habe der Bundeskanzlerin heute gesagt, dass wir ein moderates Gesamtniveau des Finanzrahmens anstreben und es für wichtig halten, dass für die Entwicklung des ländlichen Raumes Fördermittel gemäß dem ursprünglichen Vorschlag des vorsitzenden Landes bereitgestellt werden. Wir halten es für wichtig, dass der Finanzrahmen die EU-Mitgliedsstaaten bei der Förderung der ehrgeizigen Klimapolitik der EU und insbesondere auch der Entwicklung des ländlichen Raumes unterstützt, damit wir auch die Emissionsminderungsziele erreichen können.

Eine Anhebung des ehrgeizigen Niveaus der Klimapolitik und die Umsetzung des „Green Deals“, des europäischen Programmes und grünes Wachstum zählen zu den wichtigsten Aufgaben der EU. Die EU hat sich darauf festgelegt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Um das zu erreichen, müssen wir auch beschließen, unsere Emissionsminderungsziele zu verschärfen. Nach Auffassung Finnlands müssen wir eine Verringerung um 55 Prozent erreichen.

Dies unterstützen wir mit unserer eigenen nationalen Klimapolitik. Gemäß unserem Regierungsprogramm wird Finnland bis zum Jahr 2035 klimaneutral sein. Auch als Regierung werden wir darauf hinarbeiten, dass wir dieses Ziel erreichen werden.

Ich möchte mich bei der Frau Bundeskanzlerin sehr herzlich für die konstruktiven Gespräche bedanken. Ich bin davon überzeugt, dass unser heutiges Treffen die gute Zusammenarbeit zwischen Finnland und Deutschland weiter stärken wird. - Danke schön!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, fangen wir mit dem Thema des EU-Haushalts an. Wie Frau Marin schon sagte, gehört Finnland zu den Ländern, die wie Frankreich die relativ üppige Unterstützung der Landwirtschaft gern beibehalten wollen. Deutschland ist eher dagegen. Ist das eine Konfliktlinie zwischen den Ländern?

BK’in Merkel: Nein. Ehrlich gesagt, sind wir auch sehr dafür, dass der Landwirtschaftsetat gut ausgestattet ist. Wir sehen, dass gerade die Bauern in einer Phase sind, in der von ihnen sehr viel verlangt wird, auch an ökologischerer Bewirtschaftung, an klaren Vorgaben im Bereich der Düngemittel, beim Insektenschutz und vielem anderen mehr. Wir wollen, dass unsere ländlichen Regionen bewirtschaftet sind. Deshalb spielt der Agraretat auch für die deutsche Bundesregierung eine wichtige Rolle.

Wir haben uns über das Verhältnis der beiden Säulen ausgetauscht, Säule eins und zwei. Dabei mag es Kleine Differenzen geben. Aber insgesamt wollen wir, dass es keinen Einbruch bei der Finanzierung der Landwirtschaft innerhalb des EU-Budgets gibt.

Frage: Auch ich habe eine Frage zu den EU-Finanzen und dem Sondergipfel. Sie geht sowohl an die Ministerpräsidentin als auch an die Kanzlerin.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eben gesagt, einerseits wollten sie einen Abschluss haben, andererseits seien die deutschen Belange noch nicht ausreichend berücksichtigt. Sie beide werden am Ende ja entscheiden müssen, wo Sie den Kompromiss machen.

Was ist also wichtiger, Schnelligkeit, damit die Programme 2021 wirklich anfangen können, oder, wie der Finanzminister es vorgestern angeregt hat, eine Art Neustart, weil das Gewicht zwischen alten und neuen Aufgaben einfach nicht gegeben ist? Auch das Europäische Parlament muss am Ende ja zustimmen und hat mehrfach gesagt, dass es sehr unzufrieden mit den bisherigen Vorschlägen sei.

MP’in Marin: Für Finnland ist es wichtig, dass wir ein gutes Endergebnis erreichen. Es ist durchaus möglich, dass wir noch diese Woche zu einem einstimmigen Ergebnis kommen. Es gibt noch viele offene Fragen; da sind wir vielleicht noch weit auseinander. Aber für Finnland ist sehr wichtig, dass wir ein moderates Gesamtniveau haben und dass wir auch die Förderung der zweiten Säule berücksichtigen, also die Entwicklung des ländlichen Raumes, und auch die Bekämpfung des Klimawandels. Wir müssen die Emissionen in der Landwirtschaft senken. Die Finanzierung des ländlichen Raumes und der Landwirtschaft spielt eine ganz zentrale Rolle. Vor allem spielt auch eine sehr wichtige Rolle, dass an der Konditionalität festgehalten wird, auch an dem Mechanismus der Rechtsstaatlichkeit. Das muss auch an den EU-Haushalt gebunden sein. Das ist für uns ein ganz zentrales Thema. Das haben wir auch vergangenen Herbst vorangebracht, als wir den EU-Ratsvorsitz innehatten. Damals haben wir auch einen eigenen Vorschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen erarbeitet.

BK’in Merkel: Ich denke, dass es die Sache wert ist, den Versuch zu unternehmen, hierbei jetzt zu einer Einigung zu kommen. Aber trotzdem muss die Gesamtbilanz stimmen. Dabei gibt es natürlich sowieso die Tatsache, dass selbst dann, wenn wir auf dem gleichen Stand blieben, wie wir es in der vergangenen Legislaturperiode waren, nämlich bei 1,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Mitgliedsstaaten, dies durch den Austritt Großbritanniens, aber auch allein schon durch die Inflation bedeutete, dass wir pro Jahr 10 Milliarden Euro mehr zahlten, das heißt, statt 28 Milliarden Euro dann im Durchschnitt 38 Milliarden Euro. Wenn dann noch zusätzliche Belastungen dazukommen, dann sieht man, dass das doch erheblich ist.

Dann werden wir uns anschauen, ob die Verteilung der Belastungen, also, so sage ich jetzt einmal, der Nettosalden, zwischen den Nettozahlern fair ist oder ob sie noch nicht so fair ist. Das wird für Deutschland ein wichtiger Punkt sein. Da kommt das Stichwort „Rabatt“ auf den Tisch. Dazu gibt es bis jetzt in der Box außer dem Vorschlag, dass die Rabatte degressiv ausgestaltet werden sollen, was wir auf keinen Fall wollen, keine Zahlenangaben. Das macht uns im Augenblick die Beurteilung wirklich unmöglich. Das haben wir aber Charles Michel und seinem Verhandlungsteam natürlich gesagt. Das ist bekannt.

Ansonsten ist die Kluft zwischen dem, was das Parlament mit 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und dem, was Charles Michel jetzt und was auch schon die finnische Präsidentschaft vorgeschlagen hat, was für uns tendenziell zu hoch ist, so wie es auch die finnische Premierministerin gesagt hat, natürlich riesig. Wenn man sich vor Augen führt, dass jede 0,01 Prozent europaweit immer zwei Milliarden Euro Unterschied machen, dann können Sie ausrechnen, wie weit Parlament und Europäischer Rat auseinanderliegen. Deshalb wird es viel Kompromissbereitschaft auf allen Ebenen brauchen. Aber wir müssen jetzt erst einmal schauen, ob wir unter den Mitgliedsstaaten einen gemeinsamen Weg finden.

Wir wissen natürlich um die Bedeutung des Parlaments. Ohne Parlament kein Haushalt. Also sind wir zwar wichtig, aber wir sind allein auf der Welt.

Frage: Frau Merkel, wir haben auch in Finnland die aktuelle politische Krise in Deutschland genau verfolgt. Nach Medienberichten haben Sie vergangene Woche gesagt, dass die AfD die Demokratie kaputtmachen wolle. In Finnland und auch in anderen europäischen Ländern regieren die anderen Parteien zusammen mit Rechtspopulisten. Sehen Sie dies auch als Gefahr für die europäische Demokratie an, oder ist die AfD ein Sonderfall und, wenn ja, warum?

BK’in Merkel: Für uns, für die Partei, der ich angehöre, aber auch für alle Parteien, die in der Koalition vertreten sind, gilt, dass wir mit der AfD nicht zusammenarbeiten. Das schlussfolgern wir, wenn wir uns die Programmatik der Partei anschauen.

Über andere Länder will ich jetzt nicht urteilen. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber mit der AfD wird es keine Zusammenarbeit geben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, alles hängt ja mit allem zusammen. Können Sie heute sagen, ob Sie mit jedem künftigen CDU-Vorsitzenden oder Kanzlerkandidaten bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben würden, so wie Sie es immer gesagt haben?

Würden Sie es bei der Suche nach einem Parteivorsitzenden befürworten, wenn die Mitglieder in einer Befragung eingebunden würden?

Frau Ministerpräsidentin, fürchten Sie, dass die innenpolitische Krise oder die Personalkrise bei der Union die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands in der zweiten Hälfte des Jahres überschatten könnte?

BK’in Merkel: Ich kann nur das wiederholen, was ich im Oktober 2018 immer wieder gesagt habe, als ich mich entschieden habe, den Parteivorsitz niederzulegen. Damals habe ich sowohl zu meiner Bereitschaft, Bundeskanzlerin zu sein, Stellung genommen als auch gesagt - das möchte ich noch einmal unterstreichen -, dass ich mich in die Frage, wer in Zukunft die CDU führen oder auch Kanzlerkandidat wird, nicht einmische. Meine Erfahrung historischer Art ist, dass die Vorgänger sich aus so etwas heraushalten sollten. Das befolge ich. Das heißt nicht, dass ich nicht mit möglichen Kandidaten spreche, aber das befolge ich.

MP’in Marin: Ging die Frage auch an mich? Können Sie die Frage vielleicht wiederholen?

Zusatzfrage: Die Frage war, Frau Ministerpräsidentin, ob Sie fürchten, dass die deutsche Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahres durch die Personalquerelen und die Personalsuche, die Krise hier in Deutschland, überschattet werden könnte.

MP’in Marin: Ich denke, Deutschland ist sehr erfahren und auch an Lösungen gewöhnt und auf Lösungen ausgerichtet. Deswegen vertraue ich Deutschland, dass Deutschland dies sehr gut meistern und dass der EU-Ratsvorsitz vorbildhaft laufen wird. Ich denke, dass Deutschland den EU-Ratsvorsitz auf jeden Fall, egal welche Situation entstehen wird, sehr gut meistern wird.