Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Staatspräsidenten der Republik Niger, Issoufou

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der Präsident von Niger, Herr Mahamadou Issoufou, heute bei uns zu Gast ist. Staatspräsident Issoufou war bereits 2013 hier, und wir haben uns auch in Valletta beim EU-Afrika-Gipfel getroffen.

Ich darf sagen, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Niger schon sehr weit zurückreichen. Zwei Jahre nach der nigrischen Unabhängigkeit hat die deutsche Botschaft bereits eröffnet. Wir hatten dann einige Jahre, in denen wir nicht so eng zusammengearbeitet haben, aber seit Ihrer Wahl 2011 - Glückwunsch auch zur Wiederwahl - ist diese Zusammenarbeit auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wieder aufgelebt.

Wir haben uns sehr intensiv über die Situation in Niger sowie die Herausforderungen für Niger und ganz Westafrika unterhalten, insbesondere auch, was den Kampf gegen die Armut, den Kampf gegen die Dürre im Augenblick, die schwierige Situation bezüglich der Lebensmittel, aber auch den Kampf gegen den Terrorismus anbelangt, der durch Boko Haram ganz besonders in der Tschadsee-Region aufgetreten ist.

Wenn man sich die Entwicklung der gesamten Region anschaut, so gibt es große humanitäre Vorausforderungen. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass wir jetzt nicht nur als Deutschland die humanitäre Hilfe aufstocken, sondern dass wir uns auch noch einmal darum kümmern, dass das Welternährungsprogramm, OCHA und andere, die dort arbeiten, vernünftig ausgestattet sind, damit die Probleme nicht noch schwieriger werden.

Wir wünschen Niger, dass es seine Entwicklung voranbringen kann. Der Präsident hat das Thema der Entwicklung in das Zentrum seiner eigenen Bemühungen gestellt. Niger hat ein sehr großes Bevölkerungswachstum, und deshalb haben wir über das Thema „Bildung für Mädchen“ gesprochen. Ich glaube, das ist ein zentrales Thema, um den Menschen einfach das Wirtschaftswachstum zugutekommen zu lassen und auch die Verheiratung von zu jungen Mädchen zu stoppen. Dies wollen wir auch gerne mit unserer Entwicklungspolitik unterstützen.

Wir haben über die Frage der Terrorismusbekämpfung gesprochen. Hier hilft die Europäische Union, die gemischte Truppe um den Tschadsee zu unterstützen. Allerdings ist es auch immer ganz wichtig, dass die finanziellen Mittel ankommen, und darum werden wir uns auch noch einmal kümmern.

Niger ist mit seiner Lage natürlich immer von den Entwicklungen betroffen, entweder denen in Nigeria oder aber auch denen in Mali. Insofern gibt es auch sehr viele Flüchtlinge in Niger, was natürlich die Versorgungssituation tangiert. Wir haben darüber gesprochen, dass der nigrische Präsident auch sehr stark das Engagement unserer Bundeswehr in Mali unterstützt, weil dies natürlich unmittelbare Einflüsse auf Niger hat. Wenn die Stabilität in Mali verbessert wird, dann hilft das. Wenn sich die Situation verschlechtert, dann ist das ein schwieriges Problem.

Wir haben dann auch über das Thema Migration gesprochen. Niger liegt auf der Hauptroute der Migranten, die dann schlussendlich in Libyen ankommen. Das sind ungefähr 120 000 Menschen im Jahr. Wir stimmen darin überein, dass der EU-Afrika-Plan von Valletta richtig ist, Zentren einzurichten, in denen Flüchtlinge oder Migranten auch Rückkehrmöglichkeiten eröffnet bekommen. Es sollen drei solcher Zentren geschaffen werden. Die ersten Arbeiten haben begonnen, aber wir sind natürlich noch längst nicht am Ziel.

Der Präsident hat darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit solcher Zentren, von der er überzeugt ist, natürlich mit der Frage steht und fällt, ob dann auch wirklich Rückkehroptionen für die Flüchtlinge geschaffen werden. Da liegt natürlich noch sehr viel Arbeit vor uns, wenngleich auch unser Außenminister, Herr Steinmeier, der mit dem französischen Außenminister dort war und auch mit der internationalen Migrationsorganisation gesprochen hat, darauf hingewiesen hat, dass es im Prinzip schon gut funktionierende Projekte gibt. Aber man kann sich vorstellen: Bei 120 000 Menschen im Jahr muss man eine Weile arbeiten, um auch wirklich alle zu erfassen. Die Regierung, und das unterstützen wir sehr, hat sich des Kampfes gegen die Schlepper und gegen die Illegalität angenommen, aber auch das ist natürlich ein sehr schwieriges Unterfangen. Wir unterstützen also Nigers Anstrengungen.

Der Präsident hat darauf hingewiesen, dass es sehr gut wäre, wenn wir auch mehr private Investitionen nach Niger bringen würden. Sehr erfreulich ist, dass es jetzt doch Pläne für auch sehr länderübergreifende Infrastrukturprojekte gibt - Eisenbahnprojekte, Straßenprojekte -, die die Länder natürlich auch zusammenführen. Auch europäische Länder sollten überlegen, ob sie sich noch stärker engagieren könnten.

Noch einmal herzlich willkommen hier in Deutschland! Wir haben verabredet, dass wir in engem Kontakt bleiben.

P Issoufou: Ich möchte gerne sagen, dass ich mich sehr freue, heute hier in Deutschland sein zu können. Es ist jetzt das zweite Mal, dass ich hier bin. Die Kanzlerin hat schon daran erinnert: Ich bin im Jahr 2013 schon einmal hier gewesen. Dies ist also mein zweiter Besuch. Das zeigt, dass wir wirklich hervorragende Beziehungen zwischen Niger und Deutschland haben. Ich möchte der Bundeskanzlerin herzlich für die Gastfreundschaft und dafür danken, dass wir uns hier haben treffen können.

Bei dem Treffen mit der Bundeskanzlerin haben wir den Stand der bilateralen Beziehungen zwischen Niger und Deutschland sehen können. Wir pflegen eine hervorragende Zusammenarbeit, die sich auf die Bereiche bezieht, die für die nigrische Bevölkerung prioritär sind, insbesondere beispielsweise auf die Dezentralisierung und die „good governance“. Die Zusammenarbeit gilt der Nahrungssicherheit und der landwirtschaftlichen Entwicklung. Daran hat die Bundeskanzlerin auch erinnert.

Es geht hierbei auch um Bereiche wie die Gesundheit, insbesondere die reproduktive Gesundheit. In Niger haben wir nämlich eine große Herausforderung, die demografische Herausforderung. Wir haben eine Bevölkerung, bei der eine Steigerung der Geburtenrate in Höhe von 3,9 Prozent zu verzeichnen ist. Das heißt, alle 18 bis 20 Jahre gibt es eine Verdoppelung unserer Bevölkerung. Das ist eine ganz große Herausforderung. Deutschland hilft uns, diese Herausforderung anzunehmen.

Wir pflegen auch eine Zusammenarbeit im Bereich der Bildung, insbesondere der Bildung für junge Mädchen. Unser Ziel ist es, alle Kinder mindestens bis zum Alter von 16 Jahren in der Schule zu haben, insbesondere eben auch, was die jungen Mädchen angeht; denn damit kann man die frühzeitigen Verheiratungen im Land unterbinden. Die Zusammenarbeit mit Deutschland ist insofern eine Zusammenarbeit in sehr wichtigen Bereichen für die nigrische Bevölkerung.

Wir haben auch darüber nachgedacht, wie man Voraussetzungen schaffen kann, um eine solche Zusammenarbeit noch zu verstärken, gerade in Bezug auf die Migrationsfrage. Es gibt ja den Valletta-Plan, der auf dem EU-Afrika-Gipfel angenommen worden ist. Niger steht hierzu und ist auch entschlossen, zur Umsetzung dieses Valletta-Plans beizutragen, gerade als Transitland. Die Bundeskanzlerin hat es ja gerade gesagt: Wir haben etwa 100 000 Migranten, die jährlich durch Niger durchkommen, und wir können versuchen, das Problem auch im Vorfeld - noch vor Libyen - zu lösen. Die Europäische Union wollte das Problem bislang im Wesentlichen mit Libyen klären, aber Libyen ist im Augenblick in einer sehr schwierigen Situation, wie Sie wissen, einer Situation des Chaos. Insofern sollte man versuchen, die Situation noch im Vorfeld zu lösen, also bevor sie nach Libyen kommen. Die Migranten reisen in großen Teil durch Niger, und Niger kann da etwas machen - mit der Einrichtung von Aufnahmezentren und der Möglichkeit, die den Personen geboten wird, dass sie in ihre Länder zurückkehren können.

Aber die Schlüsselfrage, die sich natürlich stellt, ist die Frage der Finanzierung. Wenn es eine Finanzierung gibt, dann lässt sich das machen, und dann ist das eine wirklich durchaus machbare Lösung. Die Bundeskanzlerin ist sich dessen also auch bewusst. Wir hoffen, dass sie sich zu unserer Fürsprecherin bei der Europäischen Union machen wird, sodass es wirklich zur Finanzierung eines solchen Programms kommen wird, wie wir es ja auch gemeinsam in Valletta beschlossen haben.

In unserem Gespräch haben wir auch die Sicherheitsfragen angesprochen, die ja auch mit den Migrationsfragen zusammenhängen. Die Leute wandern nämlich aus, weil sie in einer unsicheren Situation leben oder mit Armut zu kämpfen haben. Das heißt, wir haben also die Sicherheitsfragen und insbesondere die Lage in Ländern wie Libyen angesprochen, wo auf jeden Fall eine Regierung der nationalen Einheit eingerichtet werden muss, die auch Autorität über das gesamte libysche Territorium hat, sei es im Osten, in der Region von Tripolis, oder auch im Süden, der ja dann an Niger grenzt. Da gibt es aber immer noch Kämpfe untereinander. Das ist gerade in der Sahel-Region ein Problem. Ich stelle auch fest, dass wir in Bezug auf das, was wir machen müssen, um Libyen zu stabilisieren, die Lage gleich einschätzen.

Gegenüber der Bundeskanzlerin haben wir auch die Lage in Mali angesprochen. Deutschland ist ja in Mali auch mit Soldaten präsent. Ich möchte die Gelegenheit, dass ich jetzt hier bin, dazu nutzen, Deutschland und der Bundeskanzlerin dafür zu danken, dass man dies durch die Kräfte in Mali unterstützen wird. Wir freuen uns wirklich sehr über diese Unterstützung zugunsten der Stabilisierung und der Wiederherstellung des Friedens in Mali.

Ich hatte ja auch gewünscht, dass uns die Bundeskanzlerin dabei unterstützt, dass das MINUSMA-Mandat für Mali über den Sicherheitsrat gestärkt werden kann. In Mali geht es nicht nur um die Friedenserhaltung. Es geht darum, auch wirklich Krieg zu führen, Krieg gegen den Terrorismus. Der Begriff der Vereinten Nationen setzt aber nur auf die Friedenserhaltung. Das ist nicht ausreichend. Das Mandat muss robuster sein. Es muss offensiver sein, damit MINUSMA auch wirklich kämpfen und den Terrorismus bekämpfen kann.

Wir haben auch die Lage im Tschad-Seebecken angesprochen. Dort bekämpfen wir Boko Haram. Auch dabei, hat die Bundeskanzlerin versprochen, wird sie uns gegenüber der Europäischen Union unterstützen, damit finanzielle Mittel fließen, die zugesagt worden sind, um die multinationalen Kräfte zu unterstützen, und damit wir hier auch effektiv tätig werden können.

Gegenüber der Bundeskanzlerin haben wir auch die humanitäre Frage angesprochen. Alle Bedrohungen in der Sahel-Region wirken sich natürlich auch auf der humanitären Ebene aus. Es kommen sehr viele Flüchtlinge aus Nigeria. Es gibt Flüchtlinge, die wegen der Unsicherheit und der terroristischen Bedrohung aus Mali kommen. Wir haben aber auch Flüchtlinge, die innerhalb Nigers geflohen sind, also Binnenflüchtlinge, beispielsweise wegen der Klimaveränderungen, wegen der Trockenheit, wegen der Überschwemmungen. Wir haben etwa 2 Millionen Nigrer, die in einer unsicheren Situation leben, teils sogar in einer sehr schwer unsicheren Situation. Die humanitären Krisen betreffen 2,5 Millionen Personen, und dafür haben wir auf bilateraler Ebene um eine Unterstützung von Deutschland gebeten. Wir haben Deutschland auch darum gebeten, dass es die Europäische Union mobilisiert, damit Hilfe für die Bevölkerung konsequenter bereitgestellt werden kann.

Ich kann persönlich sagen, dass ich mit dem Gespräch, das ich mit der Bundeskanzlerin führen durfte, sehr zufrieden bin. Es gibt einiges, das wir zusammen tun können. Wir von nigrischer Seite sind jedenfalls entschlossen, dass wir die Arbeit mit Ihrem Land und gerade auch mit der Europäischen Union verstärken werden. Vielen Dank!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben nun heute den nigrischen Präsidenten zu Gast, und Sie haben gesagt, dass die deutsch-nigrischen Beziehungen gut sind. Es gibt sie schon seit mehreren Jahrzehnten. GIZ, KfW - das sind bei uns alles bekannte Organisationen. Es läuft also gut. Aber eine der Sorgen unseres nigrischen Volkes sind die Investitionen - produktive Investitionen in die Energie, in die Infrastruktur, also in die Wirtschaft oder auch die Nahrungsmittelsicherheit. Das sind unsere Sorgen. Einige sagen, dass wir den Privatsektor Deutschlands in den Investitionen nicht ausreichend spüren. Wie sehen Sie diese Dinge? Wie sollen sich die Dinge entwickeln?

BK’in Merkel: Ja, es ist unzweifelhaft richtig, dass der Privatsektor in Niger noch nicht so entwickelt ist, und wir haben darüber gesprochen. Wenn man sich die Indizierung anschaut, dann ist der sogenannte „Doing Business“-Index, der, glaube ich, von der Weltbank herausgegeben wird, noch nicht so, dass deutsche Unternehmen sagen: Wir können uns schon ausreichend auf Rechtssicherheit verlassen. Aber wir sehen: Andere investieren. Frankreich baut eine Eisenbahnlinie. China ist sehr aktiv. Deshalb werde ich auch den Besuch zum Anlass nehmen, noch einmal dafür zu werben, dass unsere Investitionen in Afrika und auch in Niger stärker zunehmen. Ich glaube, gerade in der Nahrungsmittelindustrie könnten wir einiges sehr gut hinbekommen.

Wir müssen konstatieren, dass Deutschland zum Teil in der Entwicklungshilfe sehr gut ist - mit der GIZ sehr gut und mit der KfW auch ganz gut -, aber dass dann der Schritt zum großen Projekt der infrastrukturellen Erschließung noch nicht so sichtbar ist. Das ist einer der Punkte, an dem ganz Europa arbeiten muss - das hat der Präsident mir auch gesagt -, aber auch Deutschland arbeiten muss.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte wissen, ob Sie angesichts der Armut Nigers, der Bedrohung durch Boko Haram und der Flüchtlingsproblematik daran denken, die Mittel für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem Land aufzustocken.

Ich möchte vom Präsidenten gerne wissen, um welche Größenordnungen es geht, wenn er sagt „Wir sind bereit, Aufnahmelager zu errichten, aber die Finanzierung fehlt“.

BK’in Merkel: Ich glaube, die Entwicklungszusammenarbeit befindet sich erst einmal in ganz geordneten Dimensionen. Man kann bei der nächsten Verhandlungsrunde schauen, ob man die Mittel noch etwas erhöht. Wichtig ist im Augenblick meiner Meinung nach die humanitäre Unterstützung, wo wir überlegen müssen, was wir von deutscher Seite noch für die humanitäre Entwicklung tun können, aber was auch die internationale Staatengemeinschaft tun muss. Der Bedarf, der insgesamt von den Hilfsorganisationen ermittelt wurde, ist überhaupt noch nicht gedeckt. Deshalb werde ich den Besuch zum Anlass nehmen, hier noch einmal nachzuhaken.

Was die Ausstattung der Aufnahmezentren angeht, sind sieben Millionen Euro aus dem EU-Treuhandfonds in Sicht. Ich glaube, wir müssen diese Treuhandfonds jetzt systematisch aufbauen. Wir müssen Erfahrungen sammeln und schauen, dass sich das immer weiter vergrößert. Auch hier stehen wir letztlich erst am Anfang der gesamten Entwicklung. Der springende Punkt ist, glaube ich, wie wir eigentlich von der Entwicklungszusammenarbeit zu den privaten Initiativen kommen. Wie können wir unsere Wirtschaft davon überzeugen, dass sie noch mehr investiert? Wir kommen bei der Energieversorgung, bei der Frage der Infrastrukturprojekte letztlich in Größenordnungen, die Entwicklungshilfe alleine nicht wird zahlen können.

Wir haben uns auch darüber unterhalten, dass die Länder eine starke Armee brauchen, dass sie starke Sicherheitsstrukturen zur Grenzsicherung brauchen. Der Präsident hat angemerkt, dass jahrelang die internationale Richtung war, nicht so viel in Sicherheitsstrukturen zu investieren. Angesichts der terroristischen Bedrohung muss man sagen: Das geht nicht. Entwicklung wird es ohne Sicherheit nicht geben, und Sicherheit wird es ohne Entwicklung nicht geben. Beide Dinge hängen zusammen. Das ist ein Lernprozess der westlichen Länder, den wir nicht immer so beachtet haben und wo wir jetzt umsteuern.

P Issoufou: Um auf Ihre Frage einzugehen: Das zentrale Problem ist in der Tat die Finanzierung. Als wir uns Valletta zusammengesetzt haben, haben wir uns vor allem um die tieferliegenden Gründe für die Migration gekümmert. Das ist die Armut; das ist die Unsicherheit; das sind auch die Auswirkungen des Klimawandels. Um all diesen Gründen entgegenzutreten brauchen wir wirklich eine umfangreiche Finanzierung, um die Entwicklung der Ursprungsländer der Migration und auch die Transitländer zu unterstützen.

Ich habe gesagt, dass Niger entschlossen ist, seinen Teil der Verantwortung zu tragen und an Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten. Niger hat natürlich auch finanzielle Sorgen. Es hat ein Programm, das finanziert werden muss. Sie haben ja die Frage gestellt, wie dieses Programm ausgestattet werden soll. Wir wissen, dass eigentlich 700 Millionen für das gesamte Entwicklungsprogramm in Niger notwendig wären. Wir haben der Europäischen Union deswegen Vorschläge unterbreitet. Wir wünschen uns, dass wir Zugang zum Treuhandfonds haben, der von der Europäischen Union aufgelegt worden ist, aber dass die europäischen Länder auch bilateral mehr für Niger tun können, um das Programm umzusetzen und damit tatsächlich die tieferliegenden Gründe der Migration anzugehen.

Neben den Aufnahmezentren wollen wir auch dafür sorgen, dass die nigrische Bevölkerung in Niger bleibt, damit sie keine Kandidaten für die Auswanderung nach Europa werden und nicht in die Maghreb-Länder oder nach Libyen gehen. Wenn wir entschlossen sind, gegen die Migration vorzugehen, brauchen wir aber auch eine Lösung für die nigrischen Migranten, die eventuell aus dem Maghreb zurückkehren. Dieses Programm steht und fällt mit der Finanzierung.

Die Fragen der Migration hängen eng mit der Sicherheit zusammen; die Bundeskanzlerin hat das ja gesagt. Es gab eine Reihe von Jahren, wo man von unseren Staaten verlangt hat, dass wir uns aus dem Sicherheitssektor zurückziehen. Das hat dazu geführt, dass unsere Sicherheitskräfte über Jahre geschwächt worden sind, und deswegen stehen wir heute so geschwächt da. Die Streitkräfte können damit nicht effizient im Kampf gegen den Terrorismus sein. Deswegen müssen wir jetzt in den Sicherheitssektor investieren, denn es gibt eine enge Verbindung zwischen Sicherheit und Entwicklung. Es gibt keine Entwicklung ohne Sicherheit, aber auch keine Sicherheit ohne Entwicklung.

In Bezug auf die Entwicklung möchte ich sagen: Natürlich gibt es die öffentliche Entwicklungshilfe. Aber wir wünschen uns, dass man weiterhin zu Handel, zu Investitionen kommt und nicht so sehr die öffentliche Entwicklungshilfe forciert. Wir wünschen uns aber auch, dass der europäische, der deutsche Privatsektor zu uns kommt, um in unseren Ländern zu investieren. Ich denke, das ist die Lösung in der Zukunft. Niger tut das Seine, um das Geschäftsklima zu verbessern, damit es noch mehr Investitionen aus dem Ausland gibt. Wir haben in Bezug auf den „Doing Business“-Index schon eine ganze Menge getan. Wir setzen unsere Anstrengungen fort, damit wir für die Investoren - ganz besonders für die deutschen Investoren - attraktiv werden.

Frage: Ich habe eine Frage, die sich auf das Thema Ausbildung bezieht. In Deutschland hat man große Erfahrung, was die fachliche und die berufliche Ausbildung angeht. Genau das brauchen wir in Niger. Hier gibt es Bemühungen, aber sie müssen natürlich noch verstärkt werden. Was möchten Sie, Frau Bundeskanzlerin, machen, um die Jugend bei uns zu unterstützen?

BK’in Merkel: Ich glaube, das betrifft zwei Themen. Das eine ist das Thema Bildung, über das wir mit dem Präsidenten gesprochen haben. Das ist im Grunde auch wieder eine Frage des Geldes, dass also genügend Geld vorhanden ist. Das Zweite ist das Thema Ausbildung. Dafür brauchen wir erst einmal zukunftsfähige Arbeitsplätze. Deshalb ist die deutsche Entwicklungspolitik richtig angelegt, um zum Beispiel im Landwirtschaftsbereich solche Arbeitsplätze zu schaffen. Aber das müsste auch durch private Investitionen ergänzt werden.

In den Ländern, wo deutsche Unternehmen investieren, bringen sie ganz automatisch und ohne Entwicklungshilfe gleich die Berufsausbildung mit. Insofern steht und fällt die Sache damit, dass es mehr privates Engagement in den Ländern, also zum Beispiel in Niger, gibt. Ansonsten sind es Pilotprojekte, zum Beispiel erste Projekte im Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Aber es können niemals die Arbeitsplätze sein, die Niger natürlich auch im Zusammenhang mit der Infrastruktur, im Bereich der Industrie braucht. Da müssen wir noch werben. Ich werde, weil wir uns jetzt auch besser kennen und schon mehr Kontakte haben, gerade im Zusammenhang mit Niger einmal die Werbetrommel rühren, ob sich zum Beispiel die Unternehmen, die im Afrika-Verein vertreten sind, dort stärker engagieren können.

Frage: Herr Präsident, die EU-Kommission strebt diese sogenannte Migrationspartnerschaft mit afrikanischen Ländern an, damit weniger Flüchtlinge nach Europa kommen. Wer nicht kooperiert, soll durch eine Kürzung von Entwicklungshilfegeldern bestraft werden. Wie stehen Sie dazu? Hat die EU ausreichend verstanden, was Sie gerade angesprochen haben, also Fluchtursachen wie Klima und Armut?

Frau Bundeskanzlerin, die Ermordung von Jo Cox schockiert Europa. Sie haben sich gestern dazu kurz geäußert. Gibt es überhaupt Lehren, die die Politik aus der momentan weltweit zu beobachtenden Radikalisierung von Glaubens- und Politikfragen ziehen kann? Befürchten Sie vor dem „Brexit“-Referendum noch eine weitere Polarisierung?

P Issoufou: Ich glaube, dass die Europäische Union schon verstanden hat, dass bedeutende Finanzmittel mobilisiert werden müssen, um den wirklichen Ursachen von Migration nachzukommen. In Valletta haben wir einen ersten Punkt erwähnt, nämlich die Bekämpfung gegen die Ursachen der Migration. Die Europäische Union hat dafür vorgesehen, diesen Treuhandfonds von 1,8 Milliarden Euro aufzulegen. Aber alle sind natürlich davon überzeugt, dass das nicht ausreicht. Die Mittel für diesen Fonds müssen erhöht werden, um die Ursachen der Migration nicht nur in den Herkunftsländern, sondern auch in den Transitländern zu bekämpfen.

Ich glaube schon, dass die Europäische Union sich dessen bewusst ist und dass in Zukunft hier mehr mobilisiert werden muss, um die Entwicklung in unseren Ländern, auch im Sicherheitsbereich, zu finanzieren, und um die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Ursachen beseitigt werden, die die Menschen zur Migration bewegen.

BK’in Merkel: Ich habe mich über die Tragik der Ermordung dieser Abgeordneten gestern schon geäußert. Das ist ein schrecklicher Vorgang. Ich glaube, dass ganz allgemein die Lehre daraus sein muss, dass wir einander mit Respekt begegnen müssen, auch wenn wir unterschiedliche politische Auffassungen haben. Die teilweise völlige Überhöhung und auch Radikalisierung der Sprache trägt nicht dazu bei, die Atmosphäre eines solchen Respekts zu fördern.

Deshalb sind wir alle, die wir demokratische Spielregeln schätzen und wissen, wie wichtig das ist, aufgefordert, auch in der Wahl der Sprache, in der Wahl der Argumente, in der Wahl des zum Teil abschätzigen Argumentierens Grenzen zu ziehen und anders Denkenden, anders Glaubenden, anders Lebenden, anders Liebenden gegenüberzustehen, denn sonst wird die Radikalisierung nicht aufzuhalten sein.

Das heißt also: Politik kann nicht alles lösen, aber Politik kann einen Beitrag dazu leisten, in welcher Art und Weise die Auseinandersetzungen geführt werden. Dieser schreckliche Mord mahnt uns, dass wir dies überall und immer beherzigen sollten.

Herzlichen Dank.