Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Premierminister von Serbien, Aleksandar Vučić

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass heute der Premierminister von Serbien, Aleksandar Vučić, zu Besuch in Berlin ist. Ich freue mich und möchte mich auch bei ihm dafür bedanken, dass er im Hinblick auf den Termin flexibel war. Eigentlich waren wir nämlich für Freitagmittag verabredet, aber aufgrund der verschobenen Reise nach Washington habe ich gefragt, ob es heute möglich ist, und so treffen wir uns heute.

Deutschland und Serbien sind zwei Länder, die sehr eng miteinander verflochten sind und die sich freundschaftlich verbunden sind. 400 000 Serben leben dauerhaft in Deutschland, und Deutschland gehört mit einem Handelsvolumen von zuletzt knapp unter 4 Milliarden Euro zu den wichtigsten Handelspartnern Serbiens. Immerhin belaufen sich die deutschen Direktinvestitionen auch auf 1,3 Milliarden Euro. Wir können heute sagen, dass 370 Unternehmen mit deutscher Beteiligung in Serbien mehr als 25 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen.

Wir wollen, dass diese Zusammenarbeit auch gestärkt wird und sich weiterentwickelt. Dazu ist es sehr gut, dass Premierminister Aleksandar Vučić in den vergangenen Jahren erhebliche Reformen durchgeführt hat ‑ zum Teil auch gegen große Widerstände ‑, die den Weg zu mehr Wirtschaftlichkeit und zu einem besseren Umfeld für Wirtschaftsinvestitionen geebnet haben.

Der Ministerpräsident hat mit großen Anstrengungen alle Voraussetzungen dafür erfüllt, dass die Beitrittsverhandlungen nicht nur beginnen konnten, sondern dass sie jetzt auch vorangehen. Ende Februar oder im Februar wurden wieder zwei weitere Kapitel für diese Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäischen Union geöffnet. Das zeigt, dass die Reformbemühungen vorangehen, und das zeigt, dass sie auch den Standards entsprechen, die vonseiten der Europäischen Kommission und vonseiten der europäischen Mitgliedstaaten gesetzt werden. Das ist ein großer Erfolg.

Ich möchte Aleksandar Vučić ermuntern, seinen Weg auch bei den Reformen des Rechtsstaats fortzusetzen; denn auch das steht jetzt im Mittelpunkt der Beitrittsverhandlungen. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Weg zusammen mit einer Zivilgesellschaft, die auch sehr aktiv ist, und mit Nichtregierungsorganisationen als wichtigen Partnern geschafft werden kann.

Natürlich sind die Presse- und Meinungsfreiheit in diesem Zusammenhang auch von großer Bedeutung. Ich will noch einmal unterstreichen, wenn wir hier auch immer wieder von Reformen sprechen: Das ist ja nicht etwas, das Brüssel oder die EU irgendwie aufoktroyiert oder aufdrückt, sondern es ist letztlich im Interesse Serbiens. Ich glaube, gerade auch die wirtschaftliche Entwicklung und das Wirtschaftswachstum zeigen, dass diese Reformen dann letztlich auch zum Erfolg führen.

Die Privatisierung von Staatsbetrieben und die wirtschaftliche Entwicklung sind gut vorangekommen. 1,8 Prozent Wachstum im Jahr 2016 zeigen, dass man hier auf dem richtigen Weg ist.

Serbien ist Teil einer Region, in der wir uns jeden Tag um die Stabilität bemühen müssen, um sie ringen müssen. Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić ‑ ich habe oft mit ihm darüber gesprochen ‑ hat sich immer dafür eingesetzt, dass die Entwicklung in dieser Region friedlich und vernünftig erfolgt, gerade auch im Hinblick auf die Beziehungen zum Kosovo, was ja nun aus historischer Sicht alles andere als einfach ist. Wir können von hier aus sehr einfach Ratschläge geben, aber die Geschichte wirkt fort. Deshalb sind diese Reformen besonders mutig, und deshalb sind diese Beziehungen zum Kosovo natürlich besonders in der letzten Zeit bei allen Problemen, die wir haben, doch sehr viel besser geworden.

Ich hoffe, dass die Irritationen und Spannungen, die es im Augenblick in der Region gibt, auch wieder beseitigt und überwunden werden können. Wir wissen, dass sich die Hohe Beauftragte der Europäischen Union, Federica Mogherini, hierfür sehr einsetzt. Morgen wird es Unterredungen von Kommissar Hahn mit allen Ministerpräsidenten der Region geben, auch zur Vorbereitung des nächsten Treffens des sogenannten Berlin-Prozesses, das dann nämlich im Sommer in Triest stattfinden wird. Wir versuchen, mit diesem Prozess ja zwei Dinge zu erreichen, nämlich auf der einen Seite unsere Verpflichtungen seitens der Europäischen Union auch bezüglich der Länder des westlichen Balkans deutlich zu machen und sie auch umzusetzen. Die Länder brauchen praktische Erfolge; das ist das, was zählt. Auf der anderen Seite führt das die Länder untereinander auch zusammen, wenn ich zum Beispiel an die Gründung eines Jugendwerkes oder auch an verbindende Infrastrukturprojekte denke, die wir voranbringen müssen.

Die Länder ‑ das will ich ausdrücklich sagen ‑ haben eine EU-Beitrittsperspektive. Nicht umsonst werden diese Beitrittsverhandlungen mit Serbien ja auch geführt und die Kapitel geöffnet.

Ich möchte abschließend etwas sagen, was für mich auch Grund großer Bewunderung für Serbien ist: Serbien trägt eine große Aufgabe, auch im Zusammenhang mit den Flüchtlingen, mit der illegalen Migration, und Serbien hat sich immer dafür eingesetzt, Flüchtlinge zu registrieren und seinen Beitrag zu leisten. Wenn wir wissen, wie schwierig die Lebensumstände zum Teil auch für die Menschen in Serbien sind, dann verdient das allergrößte Hochachtung. Auch über dieses Thema werden wir heute natürlich sprechen; denn leider ist es nicht so, dass auf der sogenannten Balkanroute gar keine illegale Migration mehr stattfindet. Serbien ist ein Beispiel dafür, dass es solche Migration gibt, und wir werden darüber reden, wie wir Serbien dabei auch unterstützen können; denn wir wollen Serbien dabei nicht alleinlassen.

Insofern werden wir interessante und wichtige, aber freundschaftliche Diskussionen führen, und ich freue mich sehr darauf. Noch einmal herzlich willkommen!

MP Vučić: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren, ich bin sehr geehrt, dass ich als Ministerpräsident der Republik Serbien hier im Kanzleramt die Möglichkeit habe, ein Statement abzugeben. Ich komme aus einem kleinen Land und weiß, dass Deutschland für Serbien viel, viel wichtiger für Serbien ist als umgekehrt.

Ich möchte mich bei der Bundeskanzlerin für die große Aufmerksamkeit bedanken, die sie in ihrer Amtszeit immer dem westlichen Balkan gewidmet hat ‑ im Unterschied zu vielen anderen Staatsführern auf der Welt, die sich eben nicht mit uns getroffen haben und auch nicht in dem Maße versucht haben, auf die Abmilderung der Spannungen einzuwirken, um zu Frieden und Stabilität in der Region zu kommen. Ich denke, das kann ich nicht nur im Namen der serbischen Staatsbürger sagen, sondern auch der Staatsbürger anderer Länder des westlichen Balkan.

Wir werden heute vor allem über Fragen der regionalen Stabilität sprechen ‑ etwas, das nicht nur für Serbien sehr wichtig ist, sondern für ganz Europa. Wir haben hier schon sehr viele Anstrengungen unternommen und sehr viel Energie investiert.

Morgen werde ich von hier, von Berlin aus nach Sarajevo fahren und dort auch Treffen haben ‑ Treffen, über die Frau Merkel schon gesprochen hat. Dabei geht es um wirklich vitale Interessen, nämlich darum, die Wirtschaft voranzubringen und einen gemeinsamen Markt herzustellen. Wir haben ja schon den Vorschlag zu einer Zollunion gemacht. Sie können das nennen, wie Sie wollen, aber es geht darum, den freien Warenverkehr und den Verkehr von Kapital in der Region sicherzustellen. Wir hoffen dabei auf die Unterstützung von Frau Bundeskanzlerin Merkel und der Europäischen Union. In einigen Ländern des westlichen Balkan haben wir eine sehr turbulente Situation, und wir hoffen auch hier auf die Unterstützung von Deutschland und der Europäischen Union, um Frieden und Stabilität zu wahren.

Wir sehen Serbien und den ganzen westlichen Balkan als einen Ort, an dem wir in der nächsten Zeit eine große Wirtschaftsentwicklung haben werden: 3,5 Prozent sagen die Prognosen, mit einem Defizit von nur 1,4 Prozent auf staatlichem Niveau und auch einer sehr geringen Inflation. Wir sind also auf einem sehr guten Weg, was die Wirtschaft anbelangt. Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie auch erkannt haben, dass wir diesbezüglich schon sehr wichtige Reformen durchgeführt haben.

Viele Menschen kommen nach Berlin und sprechen sehr gut von Ihrem Land. Serbien ist für mich das schönste Land, aber es gibt noch viel zu tun, wir müssen noch viel unternehmen. Die Frau Bundeskanzlerin hat recht, wenn sie über Rechtsstaatlichkeit spricht. Wir müssen etwas tun, was die Effizienz unseres Rechtssystems anbelangt, und wir zählen auch hier auf die Unterstützung Deutschlands und der Europäischen Union.

Was unsere bilaterale Zusammenarbeit anbelangt, so hatten wir 2016 einen neuen Rekord, denn wir haben erstmals die 4-Milliarden-Euro-Grenze überschritten. Immer mehr deutsche Unternehmen kommen nach Serbien und beschäftigen inzwischen schon mehr als 32 000 Menschen im Land. Die Umfragen sagen auch, dass ein Großteil dieser Unternehmen auch immer wieder nach Serbien kommen würde, um dort zu investieren. Wir hoffen natürlich, dass sich das fortsetzt. Ich hoffe natürlich, dass wir ‑ wenn der Streik in Tegel nicht weitergeht ‑ auch noch weitere Treffen mit Vertretern der kleinen und mittleren Unternehmen haben werden. Morgen fahren wir dann also nach Sarajevo.

Ich möchte der noch einmal der Kanzlerin danken für die Rolle, die sie gespielt hat, um die Spannungen auf dem westlichen Balkan abzumildern. Wir werden nie vergessen, was uns all diese Konflikte in der Vergangenheit gekostet haben. Wir hoffen, dass das nie wieder passiert. Wir wollen in die Zukunft schauen. Aber auch, was die Vergangenheit anbelangt, haben wir die Verantwortung übernommen in unseren Verhandlungen mit Priština. Das ist nicht immer leicht. Das gilt auch für die Verhandlungen mit der Führung von Bosnien und Herzegowina.

Ich denke aber, dass ich für Serbien sprechen kann und sagen kann, dass wir ein verlässlicher Partner geworden sind, was Deutschland und die EU anbelangt. Wenn es etwas gab, dann haben wir immer offen gesprochen, haben nicht gelogen, haben aber auch sehr heikle Sachen in die Tat umgesetzt. Ich denke, dass wir deshalb auch Respekt von den mächtigsten europäischen Staaten verdienen. Wir denken, dass wir mit einer solch verantwortungsvollen Haltung, mit einer solchen Herangehensweise auch vorankommen.

Demnächst wird in Serbien auch ein Gedenkort für Opfer des Zweiten Weltkriegs, für die Donauschwaben, eröffnet. Wir werden das gemeinsam mit deutschen Vertretern eröffnen.

Ich möchte auch noch einmal auf die vielen Serben zurückkommen, die in Deutschland leben, die in das deutsche System integriert sind. All das ist Ausdruck dessen, wie gut unsere Beziehungen sind.

Was die Migrationsströme anbelangt, so haben wir zum heutigen Zeitpunkt ca. 7500 Flüchtlinge in unserem Land. Das ist eine sehr hohe Zahl. Ich freue mich sehr darüber, dass Frau Merkel unsere Anstrengungen auch auf diesem Gebiet anerkennt. Wir sind kein Mitglied der Europäischen Union. Wir tragen diese Last und wir jammern nicht, aber wir bedanken uns für die Hilfe, die wir bis jetzt von deutscher Seite bekommen haben ‑ in technischer Hinsicht, aber auch durch Polizisten und durch Ausrüstungshilfe bekommen haben ‑, und für all das, was wir von der Europäischen Union bekommen haben. Wir werden auf diesem Weg weitermachen. Wir wollen unsere solidarische, unsere humane Seite zeigen und werden auch die Politik von Frau Merkel auf diesem Gebiet weiter unterstützen. Wir waren aber auch bisher auf diesem Gebiet sehr verlässlich.

Vielen Dank, dass Sie mich heute hier empfangen! Heute sollte ja das große Treffen mit Herrn Trump stattfinden. Das ist jetzt durch uns, das kleine Land vom Balkan, ersetzt worden. Noch einmal vielen Dank, dass Sie uns diese Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen!