Im Wortlaut
in Berlin
11 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Dienstag, 12. Januar 2016
(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)
BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich möchte den Ministerpräsidenten aus Algerien, Herrn Abdelmalek Sellal, ganz herzlich begrüßen.
Ich möchte aber, bevor ich auf das Gespräch eingehe, aus aktuellem Anlass noch etwas zu dem wahrscheinlichen Terroranschlag sagen, den es in Istanbul gegeben hat. Wir haben natürlich noch nicht alle Informationen - weder über die Opfer noch über die Täter. Aber wir sind in großer Sorge, dass auch deutsche Staatsbürger unter den Opfern und Verletzten sein könnten und wahrscheinlich sein werden. Die Betroffenen sind Mitglieder einer deutschen Reisegruppe. Natürlich hat das Auswärtige Amt sofort einen Krisenstab eingerichtet. Wir versuchen, alle Informationen so schnell zu bekommen, wie das möglich ist. Ich werde auch in den nächsten Stunden mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu über die genaue Sachlage telefonieren.
Meine Gedanken sind in diesen Stunden natürlich bei den Angehörigen der Opfer, bei den Verletzten. Wir werden alles tun, um zusammen mit der Türkei die schnellstmögliche Hilfe zu organisieren.
Wir müssen feststellen: Heute traf es Istanbul. Es traf Paris; es traf Tunesien; es traf auch schon Ankara. Das heißt, der internationale Terrorismus zeigt sich heute wieder einmal mit seinem grausamen und menschenverachtenden Gesicht. Neben der Trauer, die wir heute natürlich spüren, zeigt das auch weiterhin die Notwendigkeit, entschlossen gegen Terrorismus vorzugehen und letztlich diese Grausamkeiten zu überwinden. Das wird uns auch bei allen Aufklärungsarbeiten leiten, die wir jetzt durchführen.
Der algerische Premierminister ist heute bei uns zu Besuch, und wir freuen uns darüber sehr. Wir hatten uns zwar bereits in Valetta auf der Insel Malta beim EU-Afrika-Gipfel gesehen, aber das ist heute sein erster Besuch hier in Berlin. Wir haben ihn hier natürlich mit militärischen Ehren empfangen.
Algerien und Deutschland arbeiten im Antiterrorkampf sehr eng zusammen. Die heutigen Ereignisse haben uns wieder vor Augen geführt, wie wichtig und aktuell dieser Kampf ist. So haben wir heute natürlich über die deutsch-algerischen Beziehungen insgesamt, aber auch über diese Facette der Beziehungen gesprochen.
Wir waren uns einig - der Premierminister hatte dazu heute auch ein Treffen mit der Wirtschaft und dem Wirtschaftsminister -, dass wir unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit verstärken wollen. Sie ist schon recht intensiv, aber sie kann verbreitert werden. Noch im Frühjahr wird die gemischte Wirtschaftskommission tagen, zum Beispiel auch aktuelle Fragen der Arbeit der Außenhandelskammer aufgreifen und versuchen, diese einer Lösung zuzuführen.
Wir begrüßen, dass in Algerien ein interner Prozess einer Verfassungsreform in Gang gekommen ist, der jetzt in seine entscheidende Phase eintritt. Algerien schafft damit mehr Transparenz, auch mehr Beteiligung sowie stärkere Rechte des Parlaments. Ich freue mich, dass ich gehört habe, dass nach dem Gespräch mit dem Bundestagspräsidenten eine engere Zusammenarbeit unserer Parlamente vereinbart wurde.
Wir haben natürlich auch darüber gesprochen, wie die internationale Lage ist. Algerien hat zwei Nachbarn, die uns gemeinsam Sorgen machen und wo wir gemeinsam aktiv sind. Der eine ist Libyen. Der deutsche Diplomat Herr Kobler versucht, als UN-Beauftragter für eine Einheitsregierung zu sorgen. Algerien hat eine sehr aktive Rolle gespielt, um eine solche Einheitsregierung in Libyen zu schaffen. Wir haben auf diesem Gebiet auch eine enge Zusammenarbeit vereinbart, denn es geht hier darum, schnell eine solche Einheitsregierung zustande zu bringen, weil die Ausbreitung des IS in Libyen uns natürlich große Sorgen macht und wir überlegen müssen, wie wir helfen können, um hier Sicherheitskräfte auszubilden. Algerien tut dies bereits.
Zweitens grenzt Algerien an Mali. Wir haben uns intensiv über Mali ausgetauscht, denn unsere deutschen Soldaten werden in Kürze noch einmal die MINUSMA-Mission sehr stark verstärken und erweitern. Auch hier werden wir in einem engen Austausch bleiben, weil Algerien, gerade was den Versöhnungsprozess innerhalb Malis anbelangt, mit Staatspräsident Keïta und den verschiedenen Gruppen intensiv im Kontakt ist und einen großen Beitrag dazu geleistet hat, dass Mali die Chance einer guten Entwicklung bekommt. Diese Chance ist noch nicht realisiert, und deshalb müssen wir hier intensiv weiterarbeiten.
Wir haben dann auch über das Thema Migration gesprochen. Hierbei muss man erst einmal feststellen, dass Algerien selbst Zielpunkt von Migranten aus Syrien, aber auch aus anderen Ländern ist. Gleichzeitig haben wir darüber geredet, dass Algerier in den letzten Monaten verstärkt illegal nach Deutschland gekommen sind. Wir haben hierzu eine intensive Kooperation auch unserer Polizeien vereinbart, denn die Anerkennungsquote von algerischen Flüchtlingen, die in Deutschland ankommen, liegt in einem sehr kleinen Prozentbereich. Deshalb steht in vielen Fällen die Frage der Rückführung auf der Tagesordnung. Wir haben mit Algerien seit langer Zeit ein Rückführungsabkommen. Aber es geht ja auch immer darum, das in geeigneter Weise operativ zu machen.
Ich will für meine Seite sagen, dass dies sehr intensive Gespräche waren. Wir haben uns in kurzer Zeit das zweite Mal gesehen. Ich glaube, es gibt noch Potenzial, was die Entwicklung der bilateralen Beziehungen angeht. Es gibt auch gemeinschaftliche Interessen. Wir sind angesichts der terroristischen Gefahren alle ein Stück näher zusammengerückt, auch was unsere Interessenlagen angeht. Das will Deutschland auch dadurch nutzen, dass wir unsere bilateralen Beziehungen mit Algerien noch intensivieren. Herzlich willkommen!
PM Sellal: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin Merkel. Zunächst möchte ich meine Bestürzung und meine Trauer über diesen Terroranschlag in Istanbul zum Ausdruck bringen, der gegen deutsche Touristen gerichtet war. Das bedeutet für uns, dass wir die Terrorbekämpfung fortführen und gegen Fundamentalismus in allen Formen vorgehen müssen.
Ich möchte meinen Dank gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Gastfreundschaft und die gute Verständigung im Rahmen der Diskussion ausdrücken, die wir gerade geführt haben. Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel Grüße von Staatspräsident Abd al-Aziz Bouteflika auszurichten und seine guten Wünsche zu übermitteln.
Wir freuen uns über die Gelegenheit dieser Reise und dieses Treffens. Wir hatten die Gelegenheit, Bundestagspräsident Norbert Lammert zu treffen. In Kürze werden wir mit Bundespräsident Joachim Gauck zusammentreffen. Mit dem Bundestagspräsidenten haben wir vereinbart, die bilateralen Beziehungen auf parlamentarischer Ebene in verschiedenen Bereichen zu vertiefen. Wir haben erklärt, wie das neue Verfassungsprojekt in Algerien aussieht, das eine wichtige Entwicklung in Richtung mehr Demokratie, Menschenrechte und Rechte für die algerischen Bürger und Bürgerinnen darstellt. Das ist ein großer Gewinn für Algerien. Darüber haben wir über einen sehr langen Zeitraum gesprochen.
Der Besuch hier in Deutschland hat auch eine andere wichtige Bedeutung für Algerien, und zwar die Entwicklung der Beziehungen beider Länder. Ich habe mit deutschen und algerischen Geschäftsleuten gesprochen und ihnen gesagt, dass die Industrie in Algerien in den 70er-Jahren zum großen Teil von deutschen Firmen mit aufgebaut wurde und dass das zu einer großen Entwicklung der Industrie, der Produktivität, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und von Ressourcen in Algerien geführt hat. Wir möchten natürlich auch heute die Anwesenheit deutscher Firmen in Algerien fördern, auch in dem gemischten Wirtschaftsforum von Deutschland und Algerien. Heute sind etwa dreihundert deutsche Unternehmen in Partnerschaft mit algerischen Unternehmen in Algerien tätig. Wir brauchen das Know-how aus Deutschland und werden auf diesem Weg hoffentlich weitergehen, in Übereinstimmung mit den deutschen Behörden und mit der guten und offenen Unterstützung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wir danken ihr sehr dafür und denken, dass dieser Besuch erfolgreich sein wird.
Ebenfalls sehr wichtig ist, dass wir auch alle Sicherheitsfragen in der Region angesprochen haben. Algerien ist heute eines der größten Länder in der Region und ein wichtiger Stabilitätsanker im südlichen Mittelmeerraum. Es exportiert Sicherheit und Stabilität in andere Länder und versucht dies nach Mali und Niger. Auch auf Libyen liegt unser Augenmerk. Wir werden den IS mit Stärke und Entschlossenheit bekämpfen, um größere Sicherheit herzustellen. Wir haben uns ebenfalls darauf geeinigt, hier gemeinsame Bemühungen zu unternehmen.
Was die illegale Migration angeht, so wissen wir, dass es ein Rückführungsabkommen mit Deutschland gibt und seit 1997 alle Algerier, die sich illegal in Deutschland aufhalten, zurückgeführt werden können. Natürlich muss nachgewiesen sein, dass sie Algerier sind. Das ist sehr wichtig. Wir brauchen hierzu Kooperation und hoffen, dass sich diese vertiefen und dass sich die Lage verbessern wird. Denn es ist wichtig, dass wir unsere bilateralen Beziehungen auf allen Gebieten verstärken. Das ist der Wille der Bundeskanzlerin und auch der Wille des Staatspräsidenten Algeriens und der algerischen Regierung.
Ich danke noch einmal sehr herzlich dafür, dass wir uns heute hier treffen konnten. Und alle Punkte offen angesprochen haben. Vielen Dank noch einmal.
Frage: Guten Tag! Meine erste Frage richtet sich an die Bundeskanzlerin Frau Angela Merkel. Wie bewerten Sie die Partnerschaft Deutschlands und Algeriens seit der Präsidentschaft Bouteflikas und die Entwicklung der Beziehungen?
Eine andere Frage an den Herrn Premierminister: Gibt es wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen, die im Zuge dieses Besuches heute abgeschlossen wurden?
BK’in Merkel: Ich bewerte die Beziehung als sehr gut. Allerdings meine ich, dass die Intensität unserer Kontakte verbessert werden könnte. Ich selber war 2008 in Algerien. Ich erinnere mich sehr gern daran und erwidere die Grüße des Staatspräsidenten natürlich. Aber die Frequenz der Kooperation kann erhöht werden. Die Schnelligkeit bei der Lösung bestimmter Probleme kann verbessert werden. Dem dient auch unser Gespräch.
Ich habe, nachdem wir uns jetzt in kurzer Zeit zum zweiten Mal gesehen haben, den Eindruck, dass das zwischen uns recht gut funktionieren wird und dass auch erste Erfolge sichtbar werden. Es muss dazu führen, dass wir bestimmte Dinge sehr pragmatisch auf Basis der jeweiligen Rechtslage miteinander bewältigen. Ich denke, das wird jetzt in Gang kommen.
Die gesamt Weltlage, gerade auch der Kampf gegen den Terrorismus, führt uns zueinander. Algerien ist in der Tat ein Stabilitätsanker in der Region. Deshalb ist die Kooperation im gegenseitigen und ausdrücklich auch im deutschen Interesse.
PM Sellal: Es ist tatsächlich so, dass wir hier, was die Kultur und die Wirtschaft betrifft, viele Themen angesprochen haben. Ich habe eine Rede vor deutschen und algerischen Geschäftsleuten beim deutsch-algerischen Wirtschaftsforum gehalten; dieses Forum ist sehr wichtig und zeigt auch, wie weit die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Algerien entwickelt sind.
Es ist uns sehr wichtig, diese Beziehungen weiterzuentwickeln, denn Deutschland ist eine Wirtschaftsmacht und hat viel Know-how. Wir möchten also viel bilaterale Zusammenarbeit zwischen algerischen und deutschen Unternehmen sehen, zum Beispiel in der Optik und im Kfz-Bereich sowie in der Industrie ganz allgemein. Ich habe mit der Frau Bundeskanzlerin darüber gesprochen, dass wir mit der IHK und auch mit der Außenhandelskammer geeignete Mechanismen finden, um Ihre Lage in Algerien zu verbessern und zu stärken und die kleinen und mittleren Unternehmen zu unterstützen; denn es gibt große Unternehmen - Mercedes und andere -, die in Algerien bereits aktiv sind, aber wir müssen natürlich auch sicherstellen, dass es sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor eine Partnerschaft gibt, sodass auch kleine und mittlere Unternehmen einen Zugang haben.
Ich hoffe, dass wir hier auf gutem Wege sind, und möchte nochmals betonen, dass unser Besuch heute auf einem sehr guten Niveau stattgefunden hat, um die bilateralen Beziehungen zu stärken - auch dank der Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ich danke ihr dafür nochmals sehr herzlich.
Frage: Ich habe auch zwei Fragen.
Herr Ministerpräsident, die erste Frage geht an Sie: In der Silvesternacht gab es kriminelle Akte in Köln am Hauptbahnhof, und laut Bundespolizei wird die Liste der identifizierten Beschuldigten von Algeriern angeführt - neun an der Zahl, Stand 8. Januar. Sie sind selbst sunnitischer Muslim und waren jahrelang Minister in Algerien, unter anderem Jugendminister. Wie erklären Sie sich das Verhalten dieser jungen Algerier, die hier identifiziert worden sind? Inwiefern sind Sie bereit, die zurückzunehmen und ihnen im Zweifel auch Ersatzpapiere auszustellen? Daran hat es in der Vergangenheit ja häufig gehakt.
Frau Bundeskanzlerin, mit Blick auf das schwerwiegende Ausweisungsinteresse, das Ihre Minister Maas und de Maizière eben festgestellt haben: Was können Sie den Deutschen sagen, wie lange dauert es, bis man Menschen wie zum Beispiel diese kriminellen Algerier tatsächlich zurückweisen kann? Auf was müssen sich die Deutschen einstellen, bis das abgeschlossen ist?
PM Sellal: Vielen Dank! Was die Ereignisse in Köln betrifft, so haben wir noch nicht alle Informationen darüber, und wir haben auch noch nicht alle Informationen über die Staatsangehörigkeit dieser Menschen. Wir werden uns damit beschäftigen, und es wird dabei hoffentlich eine Kooperation geben - auch von algerischer Seite, denn natürlich ist es im Sicherheitsinteresse sowohl von Deutschland als auch von Algerien, dass wir diese Informationen bekommen. Ich versichere Ihnen, dass wir als algerischer Staat und algerisches Volk sagen: Wenn sich dies bestätigt, dann ist es für uns unakzeptabel. Wir bekämpfen in Algerien den Terrorismus und wir werden auch dem entgegentreten. Unser Anliegen ist die nationale Versöhnung, und wir als Muslime bekämpfen jede Art von Fundamentalismus - von jeder Seite.
Außerdem möchte ich sagen, dass es seit 1997 ein Abkommen zwischen Deutschland und Algerien zur Rückführung von Algeriern, die sich illegal in Deutschland aufhalten, gibt. Es muss aber nachgewiesen sein, dass sie Algerier sind. Das kann die Angelegenheit natürlich verlängern, denn das muss festgestellt werden. Wir haben aber ein großes Interesse daran, dass wir im gesetzlichen Rahmen, im Rahmen dieses bilateralen Abkommens arbeiten.
Was den Terrorismus angeht, so werden wir nicht zurückweichen; wir werden hier unseren Standpunkt beibehalten.
BK’in Merkel: Ich begrüße außerordentlich, dass sich der Bundesinnenminister und der Bundesjustizminister in sehr kurzer Zeit auf die Verbesserung der Ausweisungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Straftaten geeinigt haben. Es geht jetzt erst einmal darum, dass diese Gesetze möglichst schnell in Kraft treten - dann natürlich auch darum, dass sie umgesetzt werden, aber wir werden jetzt erst einmal überlegen: Wie können wir den parlamentarischen Prozess möglichst schnell stattfinden lassen, damit dann auch die Rechtslage da ist, auf deren Basis die Gerichte dann auch Recht sprechen können?