Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Premierminister des Königreichs Belgien, Charles Michel

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass ich heute meinen Kollegen aus Belgien, Charles Michel, hier begrüßen darf. Wir arbeiten eng und vertrauensvoll zusammen und haben heute die Gelegenheit genutzt, uns über die Situation weltweit und auch innerhalb Europas auszutauschen.

Wir sind im Augenblick gemeinsam Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und versuchen, dort natürlich auch eine abgestimmte Position in allen internationalen Fragen zu vertreten. Das klappt auch sehr gut. Da wir ja als eines unserer Ziele auch das Ziel haben, dass die Europäische Union in außenpolitischen Fragen kohärenter auftritt, und dieses Ziel teilen wir, ist das eine gute Gelegenheit, auch gemeinsam mit Frankreich   Deutschland und Frankreich erleben ja jetzt gerade zwei Monate mit aneinandergrenzenden Präsidentschaften   Akzente für eine friedlichere Welt, für Entwicklungshilfe und auch für die friedliche Lösung von Konflikten zu setzen.

Im Wesentlichen haben wir uns aber natürlich mit der Situation befasst, die gut eine Woche vor dem nächsten Europäischen Rat und wenige Tage vor dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union herrscht. Wir sind übereinstimmend der Meinung, dass wir Jean-Claude Juncker und Michel Barnier für ihre Arbeit im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union danken müssen. Heute ist ein wichtiger Tag. Ich finde, dass wir seitens der 27 Mitgliedstaaten, eben repräsentiert durch Jean-Claude Juncker und Michel Barnier, noch einmal deutliche, weitreichende Vorschläge gemacht haben, um die Sorgen Großbritanniens auch in Betracht zu ziehen und hierauf Antworten zu finden; denn wir wollen ein gutes Miteinander. Wir wollen einen geordneten Austritt Großbritanniens. Es ist jetzt natürlich die Aufgabe des britischen Parlaments, Entscheidungen zu treffen, und wir werden natürlich auch sehr genau verfolgen, was sich heute und morgen und übermorgen in Großbritannien vollziehen wird.

Wir haben im Hinblick auf den nächsten Europäischen Rat darüber gesprochen, dass wir einerseits unsere Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen müssen, andererseits aber auch sehen müssen, dass wir Innovationen brauchen, gerade auch mit Blick auf den Klimawandel und auf effizienten Energieeinsatz. Wir stimmen überein, dass wir Großprojekte brauchen, zum Beispiel hinsichtlich der Fähigkeit, Batterien herzustellen, und wir arbeiten sehr gemeinsam daran, ein solches europäisches Projekt auf den Weg zu bringen, auch gemeinsam mit Frankreich. Wir werden über diese Fragen der Industriepolitik und auch der Fähigkeit Europas, Weltmarktführer zu sein, natürlich intensiv sprechen. Wir stimmen auch überein, dass dies ein Schwerpunkt des nächsten Europäischen Rates sein sollte.

Wir haben in Europa einige Dinge geschafft. Das ist jetzt auch im Hinblick auf die auf uns zukommenden europäischen Wahlen wichtig. Wir gehören zwar beide unterschiedlichen Parteiengruppierungen an, aber wir verfolgen natürlich das Interesse eines starken Europas, eines handlungsfähigen Europas. Genau darüber haben wir heute gesprochen. Dazu gehört auch die gemeinsame Verteidigungspolitik - im Rahmen der NATO, aber auch als eine europäische Komponente. Insofern war dies ein harmonisches, aber wichtiges Gespräch für die Vorbereitungen auf die kommenden Ereignisse. Noch einmal herzlich willkommen hier in Deutschland!

PM Michel: Ich bedanke mich ganz herzlich bei der Frau Bundeskanzlerin für den Empfang und für das gute Gespräch, und ich möchte auch die Wertschätzung für die ständige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Belgien im Rahmen der Gespräche in Europa und natürlich auch zwischen der Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel und mir selbst zum Ausdruck bringen.

Wir haben in der Tat über wichtige Themen zur Vorbereitung des Europäischen Rates gesprochen. Was das Tagesgeschehen betrifft, so haben wir natürlich über den Brexit gesprochen. Wir denken, dass der Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt und der heute im britischen Unterhaus beschlossen werden soll, einen weiteren Schritt nach vorne darstellt und wirklich eine ausgestreckte Hand bedeutet und hier jetzt wirklich eine Entscheidung im Sinne eines gesunden Menschenverstands, eine vernünftige Entscheidung und eine Perspektive der Stabilität für stabile zukünftige Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien erreicht werden soll. Wie Sie wissen, ist Belgien aufgrund der sehr engen Beziehungen, die wir zu Großbritannien haben, eines der Länder, das sehr stark von einem ungeordneten Brexit betroffen wäre.

Wir haben auch über die wichtigen Termine auf der europäischen Ebene gesprochen   zunächst einmal natürlich über Themen wie Sicherheit und Außensicherheit, denn das sind ganz wichtige Themen für die Zukunft des europäischen Projekts. Wir teilen die Überzeugung der Notwendigkeit der Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich auf europäischer Ebene, aber natürlich   und das ganz loyal   auch innerhalb der NATO, des transatlantischen Bündnisses.

Wir konnten ebenfalls über die notwendige wirtschaftliche Entwicklung sprechen, die notwendige Wettbewerbsfähigkeit für die europäischen Unternehmen   kleine, große, mittlere  , sodass sie sich entwickeln können und die Chancen in der Umstellung auf die digitale Wirtschaft nutzen können. Eine industrielle Strategie wird natürlich ebenfalls ein Thema beim Europäischen Rat sein. Ich unterstütze natürlich den Ehrgeiz für einen europäischen „green deal“ mit einer Industriestrategie, mit der wir die Chancen nutzen können, um Innovation zu fördern, Technologie zu fördern und einen sehr starken Ehrgeiz im Bereich Investitionen und Schaffung von Beschäftigung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu entwickeln.

Wir haben auch über die Fragen der Außenpolitik und der europäischen Politik gesprochen und wollen hier sehr mobilisiert sein im Bereich des Multilateralismus. Wir teilen die Überzeugung   das haben wir in der Vergangenheit auch schon mehrfach gesagt  , dass die Welt Zusammenarbeit braucht, dass wir Dialog brauchen, um die weltweiten Herausforderungen, vor denen wir stehen, bewältigen zu können. Das sind Herausforderungen für die Sicherheit, für die Wirtschaft, für den Handel, aber natürlich auch beim Klimawandel. Das kann nicht bedeuten, dass man sich auf sich selbst zurückzieht oder gegenseitiges Misstrauen entwickelt; denn das wird keine Lösung bringen. Ganz im Gegenteil: Man muss die Ärmel hochkrempeln, sich gegenseitig respektieren und sich anschauen, wie man gemeinsam Entscheidungen im gegenseitigen Respekt treffen kann.

Derzeit sind wir, wie gesagt, mit Frankreich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten. Das gebietet natürlich eine ganz enge und ständige Zusammenarbeit, und in den nächsten Monaten werden wir diese Arbeit fortführen, um die Stimme und die Werte der Europäischen Union voranzubringen und ihnen Gehör zu verschaffen.

In wenigen Monaten wird es europäische Wahlen geben; das ist ein ganz wichtiger Termin für die Demokratie, für die europäischen Bürger. Wir wollen eine offene und hochwertige politische Debatte über Projekte, über Vorschläge für die Zukunft Europas, damit die europäischen Bürgerinnen und Bürger gut informiert ihre Entscheidungen treffen können. Auch wenn wir unterschiedlichen politischen Familien angehören, haben wir in der Vergangenheit bereits mehrfach den Wunsch geäußert, hier in gegenseitigem Respekt zusammenzuarbeiten, um Europa voranzubringen   zum Wohle der europäischen Bürgerinnen und Bürger und zum Wohle der Fähigkeit, mehr Wohlstand und mehr Kohäsion für Europa zu erarbeiten, und zu erreichen, dass Europa seine Stimme auf der internationalen Bühne wirklich zu Gehör bringen kann.

Ich bedanke mich auch für die Dialogfähigkeit, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit   wir wissen das sehr zu schätzen  , und vor allem auch für die große Führungsrolle von Frau Merkel auf der europäischen Bühne, aber natürlich auch auf der internationalen Bühne.

Frage: Haben Sie sich auf eine gemeinsame Strategie geeinigt, um auf Theresa May Druck auszuüben?

BK’in Merkel: Ich glaube   wenn ich mich und vielleicht auch meinen Kollegen aus Belgien anschaue  , dass Druck auf uns von außen nicht das richtige Instrument ist, um zu Überzeugungen zu gelangen. Wir haben uns Mühe gegeben, auf die britischen Befindlichkeiten, auf die britischen Wünsche und auf die britischen Sorgen einzugehen. Dazu haben, wie ich finde, die 27 Mitgliedstaaten durch Jean-Claude Juncker und Michel Barnier einen weiteren Schritt auf Großbritannien zugemacht. Jean-Claude Juncker hat gesagt, dass das ein wichtiger und ein aus seiner Sicht auch letzter Schritt gewesen ist. Wir unterstützen diesen Schritt ausdrücklich, aber das hat nichts mit Druck zu tun, sondern das hat etwas mit Partnerschaft zu tun, in der man immer versucht, bei Wahrung der eigenen Interessen auch für die Interessen der anderen eine Lösung zu finden.

PM Michel: Es geht hier nicht um Druck   das möchte auch ich sagen  , sondern um Überzeugungsarbeit aufgrund vernünftiger Argumente. So arbeiten wir, und ich freue mich, dass es für die 27 Länder im Laufe der letzten Monate möglich gewesen ist, ihre Geschlossenheit zu bewahren. Ich begrüße auch die Arbeit der Europäischen Kommission, vor allem von Michel Barnier, der ständig loyal und transparent verhandelt hat, und zwar auch unter Wahrung des Respekts für die 27 und für Großbritannien.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, zum Thema Huawei und dem 5G-Ausbau: Die USA haben Deutschland jetzt zum wiederholten Male gedroht, dass sie die Geheimdienstzusammenarbeit einschränken könnten, falls Huawei nicht ausgeschlossen wird. Deswegen hätte ich gerne gewusst, was aus Ihrer Sicht wichtiger ist: China nicht durch einen Ausschluss zu verärgern oder auf die USA und auf den Anti-Terror-Kampf, den es hier gibt, Rücksicht zu nehmen.

Eine ähnliche Frage an den Ministerpräsidenten: Können Sie uns sagen, wie Belgien sich entschieden hat? Schließen Sie Huawei beim 5G-Ausbau aus oder nicht?

BK’in Merkel: Für die Bundesregierung ist die Sicherheit   gerade auch beim Ausbau des 5G-Netzes, aber auch sonst   im digitalen Bereich ein sehr hohes Gut; deshalb definieren wir für uns unsere Standards. Wir werden über diese Fragen natürlich sowohl mit unseren Partnern in Europa als auch mit den entsprechenden Stellen in den Vereinigten Staaten von Amerika sprechen, das ist selbstverständlich.

PM Michel: In Belgien haben wir beschlossen, hierzu Beratungen zu beginnen   erst im Innern und natürlich auch in Absprache mit unseren europäischen Partnern. Ich bin wirklich dafür, dass wir auf europäischer Ebene über das, was mit Huawei zu tun hat, hinausgehen und vielleicht ein Streaming der ausländischen Dienste ins Auge fassen. Ich bin also dafür, dass wir wirtschaftliche Aktivitäten hier international weiterentwickeln können, und zwar basierend auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit und des „level playing field“. Ich gehe demnach davon aus, dass wir in Europa aufmerksam darauf schauen, dass es hierbei eine Gegenseitigkeit gibt und weder eine Verzerrung des Wettbewerbs und des Marktes noch feindselige Akte gegenüber den geopolitischen oder sicherheitspolitischen Interessen Europas.

Frage: Ich komme auf den Brexit zurück. Sind Sie bereit, eine zusätzliche Frist einzuräumen?

BK’in Merkel: Ich sage, dass wir jetzt erst einmal die Abstimmung abwarten. Die Arbeiten gestern in Straßburg sind weit fortgeschritten. Das britische Parlament hat, wenn es nach dem Plan geht, heute, morgen und übermorgen das Wort. Jetzt warten wir diese Abstimmung ab, und dann werden wir entscheiden.

Frage: Sie beide haben erwähnt, wie wichtig die Europawahlen sind. Sie haben auch den anstehenden Europäischen Rat erwähnt. Es ist ja wichtig, mit welcher Formation man ins Rennen geht. Manfred Weber trifft sich heute mit Viktor Orbán. Werden Sie, Frau Bundeskanzlerin, die Chance nutzen, beim Gipfel vielleicht noch einmal persönlich mit Viktor Orbán zu sprechen, um ihn vielleicht zum Einlenken zu bewegen?

Wenn Sie erlauben, noch eine kurze Frage zu einem Jahr GroKo: Wie zufrieden sind Sie mit diesem ersten Jahr?   Danke.

BK’in Merkel: Morgen gibt es die Große Koalition ein Jahr. Ich denke, dass wir eine Menge geschafft haben, trotz allen Diskussionen, die wir auch hatten. Wenn man gerade auf die letzten Monate schaut, dann kann ich sagen, dass für die Menschen im Lande eine Menge entstanden ist. Wir haben, was für mich sehr wichtig ist, eine klare Digitale Agenda. Wir haben die Infrastrukturvorhaben beschleunigt. Investitionen sind von großer Wichtigkeit. Wir haben aber auch im sozialen Bereich vieles auf den Weg gebracht, ob in der Frage der Unterstützung von Familien oder in der Frage des Kampfes um Menschen, die aus der Langzeitarbeitslosigkeit herausgebracht werden sollen. Wenn wir auch sehen, dass wir den Digitalpakt wohl jetzt am Freitag im Bundesrat verabschieden, dann glaube ich, dass das ein wichtiger Meilenstein ist.

Dieses Jahr Arbeit in der Regierung hat sich also wirklich gelohnt, und zwar nicht vordergründig für uns, sondern für die Menschen im Lande. Wir haben viel Gutes bewegt   die Pflege und ähnliche Dinge habe ich jetzt gar nicht genannt  , vor allen Dingen eben auch in der Frage, was wir in Richtung Zukunft tun. Denn wir sehen, dass sich die wirtschaftlichen Aussichten etwas eingetrübt haben. Das heißt, es ist jetzt unsere Aufgabe, deutlich zu machen, dass wir alles auf Wachstum setzen, damit sich die Arbeitsmarktlage nicht verschlechtert.

Sie hatten noch etwas gefragt?

Zusatz: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

BK’in Merkel: Das ist jetzt erst einmal eine Diskussion in den Parteien. Aber während eines Europäischen Rates bin ich immer im Gespräch mit allen Regierungschefs. Dazu gehört natürlich auch der ungarische Regierungschef.   Aber die Entscheidungen fallen in den Parteien.