Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten von Chile, Sebastián Piñera

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, Staatspräsident Piñera wieder begrüßen zu können. Er ist in Chile wiedergewählt worden, macht seine Europareise und besucht auch uns. Das freut uns sehr.

Er besucht nicht nur Berlin, sondern er besucht auch den 69. Lateinamerika-Tag in Hamburg. Beide Stationen werden auch genutzt, um die wirtschaftlichen Kontakte zu intensivieren.

Wir können sagen - wir kennen uns ja schon aus der Zeit von 2010 bis 2013 -, dass es sehr, sehr gute bilaterale Beziehungen gibt und über alle Zeiten hinweg gab. Aber wir können auch sagen, dass wir diese bilateralen Beziehungen noch intensivieren wollen. Wir haben heute sozusagen die Felder gekennzeichnet, in denen wir noch mehr machen können. Chile ist im Bereich der erneuerbaren Energien sehr weit vorangeschritten, und insofern ist die Zusammenarbeit im Bereich der Energieeffizienz und des Ausbaus der erneuerbaren Energien ein wichtiger Punkt.

Außerdem können wir auch im Bereich der Rohstoffwirtschaft zusammenarbeiten. Hier haben wir bereits ein Abkommen geschlossen. Chile verfügt über sehr große Rohstoffvorkommen im Lithium- und auch im Kupferbereich.


Wir können im Bereich der dualen Berufsausbildung und auch im Bereich von Wissenschaft, Forschung und Technologie zusammenarbeiten. Hierzu wird im November die gemischte Kommission in Bonn tagen, um die Kooperation gerade auch mit Blick auf die Fraunhofer-Gesellschaft und andere zu intensivieren. Wir wollen also weiter eng zusammenarbeiten.

Die Europäische Union arbeitet an einer Erneuerung des EU-Chile-Handelsabkommens. Die Verhandlungen begleiten wir sehr positiv. Wir arbeiten auch an einem gegenseitigen Doppelbesteuerungsabkommen, was unseren Handel dann auch sehr intensivieren würde.

Natürlich haben wir auch über die Lage in der Region gesprochen. Wir werden uns beim G20-Gipfel in Argentinien wiedersehen, und Chile wird dort ein Gastland sein. Wir haben natürlich über die Lage in Argentinien gesprochen. Wir alle wünschen Argentinien in einer schwierigen ökonomischen Zeit sehr viel Erfolg.

Aber vor allem haben wir uns mit der Situation in Venezuela auseinandergesetzt. Hier gibt es Aktivitäten verschiedener lateinamerikanischer Länder, unter anderem auch von Chile, um eine Lösung der Situation in Venezuela zu erreichen. Deutschland hat sich bereit erklärt - das haben wir heute deutlich gemacht -, auch in diesem Kreis mitzuwirken. Frankreich und Kanada arbeiten dabei bereits mit.

Alles in allem ist es also ein wichtiger Besuch, ein Besuch, der unterstreicht, wie eng und freundschaftlich unsere Beziehungen sind. Deshalb von meiner Seite noch einmal herzlich willkommen, Herr Präsident!

P Piñera: (Der erste Satz wurde nicht gedolmetscht.) Meine Bewunderung für die Führungsposition, die Frau Merkel hier in Deutschland, in Europa und in der Welt übernommen hat!

Wir hatten ein sehr gutes Arbeitstreffen. Wir sind hier mit der Modernisierung des Abkommens, die noch aussteht, in eine neue Phase der Beziehungen zwischen unseren Ländern gekommen. Wir wollen aber auch das Abkommen stärken.

Wir haben auch über viele andere Themen in Lateinamerika, Europa und der Welt gesprochen.

In Bezug auf das, was sich direkt auf Chile bezieht, werden wir hier Kooperationsabkommen zwischen Deutschland und Chile unterzeichnen - eines im Bereich der Kultur und ein weiteres im Bereich von Innovation und Unternehmertum, das sich vor allem an Kleine und mittlere Unternehmen in unserem Land richtet - und außerdem eine Absichtserklärung zur Stärkung der Zusammenarbeit und des Austausches im Energiebereich unterzeichnen. Sowohl in Deutschland als auch in Chile befinden wir uns in einem Prozess des Übergangs zu sauberen, erneuerbaren und nachhaltigen Energien. Innerhalb dessen bezieht sich der Beitrag, den Deutschland leisten kann, auf seine Innovation und seine Technologie, um hier auch einen Mehrwert hinzuzufügen, was das Lithium angeht, was für uns sehr entscheidend ist.

Wir machen auch Fortschritte bezüglich der Kooperation in der dualen Ausbildung. Hierbei hat Deutschland ja auch eine große Führungsposition inne.

Wir haben auch darüber gesprochen, was Deutschland im Rahmen der Fraunhofer-Stiftung bezüglich der Innovation in Chile macht, um diese Zusammenarbeit zu stärken.

Wir wollen auch im Bereich der Erderwärmung und des Klimaschutzes weiter vorankommen und zusammenarbeiten. Das ist für Kanzlerin Merkel und auch für mich als Präsident natürlich eine zentrale Sorge.

Natürlich wollen wir auch dabei vorankommen, ein Abkommen gegen eine Doppelbesteuerung abzuschließen.

Das war also ein ganz ehrliches Treffen, das wir hatten, direkt und mit sehr guten Ergebnissen. Ich möchte Frau Kanzlerin Merkel ganz aufrichtig für ihren warmherzigen Empfang und für ihre wunderbare Bereitschaft danken, die Bindungen zwischen unseren Ländern weiter zu stärken, und zwar mit dem Ziel, Möglichkeiten und Lebensqualität unserer beiden Gesellschaften zu verbessern. - Vielen Dank!

Frage: Schönen guten Tag, Herr Präsident! Als erstes möchte ich Sie bezüglich der Aktualisierung des Abkommens zwischen der EU und Chile fragen, was die Hauptziele sind, die man hier hinsichtlich einer Änderung erreichen möchte. Sind Sie mit der Stärkung zufrieden, die Sie hier bekommen haben?

Was die nationale Ebene angeht, möchte ich Ihnen eine Frage zum Abtreibungsgesetz stellen, laut dem es nur drei Gründe für eine Abtreibung geben darf.

P Piñera: Das neue Abkommen, das wir hier mit der Europäischen Union zu schließen suchen, will vor allen Dingen zwei Ziele erfüllen, erstens eine Ausweitung des Freihandels. Es gibt einige Produkte, die immer noch nicht von der Zollbefreiung betroffen sind. Das bezieht sich auf europäische und chilenische Produkte. Wir wollen hier also zu einem bestimmten Prozentsatz kommen, was den Freihandel angeht.

An zweiter Stelle wollen wir viele Verfahren verbessern, was gerade die Abkommen zur Doppelbesteuerung angeht. Das ist natürlich nicht nur ein Freihandelsabkommen, das ist mehr. Das ist ein Abkommen zur Zusammenarbeit in Wissenschaft, Innovation, Technologie und Bildung. Das ist natürlich auch ein Abkommen im Bereich der politischen Zusammenarbeit.

Das ist das, was wir machen wollen, und es gab hierfür große Unterstützung seitens der Präsidenten Macron und Sánchez sowie natürlich auch den besonderen, guten Willen von Frau Bundeskanzlerin Merkel. Deshalb sind wir sehr optimistisch, dass wir hierbei vorankommen werden. Wir werden in den nächsten Tagen in Brüssel sehen, wie es in diesem Bereich vorangehen kann.

Das Thema, das Sie hier als zweites angesprochen haben, ist ein sehr bezogenes Thema. Hierbei geht es um Verfahren. Die sind aber schon mit dem Rechnungshof gelöst.

Frage: Ich habe eine Frage an den Präsidenten zum Thema Freihandel: Wie besorgt sind Sie in Bezug darauf, dass mit der möglichen Wahl eines nationalkonservativen Präsidenten in Brasilien der Elan für Freihandelsgespräche in ganz Südamerika erlahmen könnte? Wird das die Bemühungen Chiles in Richtung EU eher beschleunigen oder eher beschädigen?

Frau Bundeskanzlerin, aus aktuellem Anlass: Die EU-Umweltminister haben sich ja dafür entschieden, dass die Emissionsziele für die Automobilindustrie bis 2030 jetzt auf 35 Prozent festgelegt werden. Sie hatten ja ursprünglich den Kommissionsvorschlag favorisiert. Sind Sie zufrieden? Unterstützen Sie diese Einigung oder muss nachverhandelt werden?

P Piñera: Chile war immer ein Land, das sich dem Freihandel, der Öffnung und der Integration verpflichtet fühlt. Daher haben wir praktisch mit der ganzen Welt Freihandelsabkommen geschlossen: mit der Europäischen Union, mit den Vereinigten Staaten, mit China, mit Japan, mit Vietnam. Daher wird Chile immer ein Land sein, das den Freihandel verteidigt. Wir werden uns auch immer für den Multilateralismus aussprechen, weil er unserer Ansicht nach die intelligenteste Art ist, eine Wirtschaftsentwicklung zu erreichen, aber auch dafür, eine internationale Ordnung auf sicherer Ebene zu erreichen.

BK’in Merkel: Wir haben ja zu Beginn der Verhandlungen die Kommissionsposition unterstützt, aber gestern ist dann im Laufe des Tages eine Einigkeit entstanden, die auch aus meiner Sicht tragbar ist. Es gibt jetzt eine CO2-Reduktion in Höhe von 35 Prozent, aber gleichzeitig eine ganze Reihe von wichtigen Randbedingungen. Dazu gehört zuerst, dass es noch einmal eine Revisionsklausel für 2023 geben wird. Denn vieles von der Frage, wie schnell man die CO2-Emissionen reduzieren kann, hängt von der Durchdringung des Marktes mit Elektrofahrzeugen oder Fahrzeugen mit alternativen Antrieben ab. Wir wollen auch diese schnelle Durchdringung des Marktes. Wir wissen, dass auch andere auf der Welt darauf Wert legen, wenn ich einmal an die engen Bindungen der deutschen und der europäischen Automobilindustrie an die chinesische Automobilindustrie denke. Das ist also ein wichtiger Punkt für uns gewesen.

Das Zweite ist, dass es auch eine sehr strenge Absprache darüber gab, dass die Kommission und der Rat jetzt darauf Wert legen werden, im Trilog dieses Ergebnis auch zu halten. Unter diesen Umständen halte ich das Ergebnis für vertretbar. Wir haben auch in sehr enger Abstimmung mit der Bundesumweltministerin die gestrigen Verhandlungen begleitet, und das Ergebnis ist gut. Es ist auch gut, dass es eine Einigung gibt; denn wenn es keine Einigung gegeben hätte, dann gäbe es den Fall, dass wir keine Berechenbarkeit für die europäische Automobilindustrie gehabt hätten, weil jetzt bald die Europawahlen kommen werden, und das wäre kein gutes Signal gewesen. Alles in allem glaube ich also, dass das ein vertretbares Resultat ist.

Frage: Herr Präsident Sebastián Piñera, gestern hat der bolivianische Präsident Evo Morales eine diplomatische Note an unser Land geschickt. Es wurde darum gebeten, den Dialog mit Chile wieder aufzunehmen. Herr Morales hat sich hierin auf das Urteil von Den Haag bezogen, auf den Artikel 176. Gibt es hier eine irrtümliche Deutung des Artikels und des Urteils? Wird Chile auf diese diplomatische Note antworten?

P Piñera: Wir haben davon auch in der Presse gelesen. Wir haben gelesen, dass es einen Brief gab, aber wir haben diesen Brief vom Präsidenten Boliviens noch nicht empfangen. Sobald wir diesen Brief empfangen haben werden, werden wir ihn natürlich aufmerksam lesen.

Aber ich möchte einige Aspekte präziser ausführen: Das Urteil des Internationalen Gerichtshofes war ganz klar und ganz kategorisch und wurde durch eine große Mehrheit angenommen. Nach diesem Urteil gibt es keine Verpflichtung für Chile, mit Bolivien zu verhandeln. Alle Hoffnungen, die Bolivien vor dem Gerichtshof vorgetragen hat, wurden eine nach der anderen zurückgewiesen. Daher denke ich, dass es sehr wichtig ist, dass Bolivien versteht, welche Bedeutung dieses Urteil hat. Aber ich möchte auch hinzufügen, dass Chile immer die Bereitschaft zu einem Dialog mit allen Ländern der Welt - natürlich vor allen Dingen mit den Nachbarländern - hatte und sie auch weiterhin haben wird.

Im Falle Boliviens denke ich, dass es sehr wichtig ist, dass man, bevor man über neue Dialoge nachdenkt, hier einige Grundlagen erfüllt. Hier muss ganz klar das Grenzabkommen zwischen Chile und Bolivien aus dem Jahr 1904 anerkannt werden. Es muss die Bedeutung des Internationalen Gerichtshofes anerkannt und respektiert werden. Bolivien muss hier von seinem absurden Anspruch auf einen Meereszugang oder auf chilenische Territorien Abstand nehmen. Wir müssen sehen, wie wir die Sicherheit unserer Grenzen in Zukunft verbessern und wie wir besser gegen Drogenhandel, gegen Drogenverkehr und gegen andere üble Dinge kämpfen, die unsere Grenzen antasten wollen. Aber auch die Integration in Lateinamerika ist etwas, das wir in Zukunft angehen müssen.

Ich möchte all meinen Landsleuten sagen, dass hier Ruhe bestehen kann, weil dieser Präsident, ich, ständig Dialogbereitschaft gegenüber den Nachbarländern haben wird. Ich werde aber auch stets voller Kraft das Meer und die chilenische Souveränität verteidigen.

Frage: Ich möchte eine Frage zur Colonia Dignidad stellen. Sie richtet sich an beide, aber vor allen Dingen an Herrn Piñera. Die Regierungen Deutschlands und Chiles haben erklärt, gemeinsam an der Aufarbeitung der in der Colonia Dignidad begangenen Verbrechen zu arbeiten, und treffen sich dazu seit letztem Jahr in einer gemischten Kommission. Meine Frage ist: Was haben Sie jetzt in diesem Zusammenhang besprochen oder beschlossen? Welchen Stellenwert räumen Sie diesem Aufarbeitungsprozess ein? Wie werden Sie ihn weiter betreiben?

Konkret: Gibt es eine Zusage für die gemeinsame Entwicklung eines Entwurfs für eine Gedenkstätte, einen Dokumentations- oder Lernort durch chilenische und deutsche Experten in der Colonia Dignidad auf dem Gelände der heutigen Villa Baviera?

BK’in Merkel: Wir haben über das Thema gesprochen. Wir haben beide gesagt, dass wir die Aufarbeitung dieser Verbrechen gerade auch im Hinblick auf die überlebenden Opfer für außerordentlich wichtig erachten. Wir haben jetzt über keine Details gesprochen, aber ich denke, dass als Ergebnis auch ein Lernort herauskommen könnte. Auf jeden Fall steht das im Raum, und darüber muss weiter gesprochen werden, aber vom Grundsatz her positiv.

P Piñera: Ich denke, dass wir hierbei in zwei großen Punkten mit Deutschland übereinstimmen, als allererstes, was die Verurteilung der Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen angeht, die in der Colonia Dignidad begangen wurden. Außerdem wollen wir zu einem Abkommen kommen, um ein Dokumentationszentrum und vielleicht auch eine Gedenkstätte an dem Ort zu eröffnen, an dem diese Angriffe auf die Menschenrechte verübt wurden.

BK’in Merkel: Danke schön.