Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten der islamischen Republik Afghanistan, Mohammad Ashraf Ghani

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Präsident Mohammad Ashraf Ghani

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der Präsident Afghanistans, Staatspräsident Ghani, heute meiner Einladung gefolgt ist und nach der Konferenz in London heute auch nach Berlin gekommen ist. Wir hatten ein sehr intensives Gespräch, auch zusammen mit dem Regierungschef - wenn man so sagen will - oder dem exekutiven Regierungschef Abdullah Abdullah. Ich habe mich über die Situation in Afghanistan und über die Herangehensweise des neuen Präsidenten und seiner Mannschaft informieren können.

Wir hatten heute im Deutschen Bundestag die erste Debatte über die Mission „Resolute Support“ und haben damit auch unterstrichen, dass wir als Bundesregierung zusammen mit dem Parlament die Unterstützung Afghanistans fortsetzen wollen. Deutschland trägt Verantwortung insbesondere, was die Sicherheit im Norden Afghanistans anbelangt, aber wir haben immer einen Ansatz verfolgt - und das werden wir auch weiterhin tun -, der die wirtschaftliche Entwicklung, die Entwicklung des Schulwesens, der dualen Ausbildung und vieler anderer Bereiche genauso als wichtig ansieht wie die Ausbildung von Sicherheitskräften, von Polizei, aber eben auch von einer eigenen afghanischen Armee.

Wir wünschen der Regierung der Nationalen Einheit viel Erfolg bei den vielfältigen Aufgaben. Wir haben uns natürlich auch darüber unterhalten, welche Art von Unterstützung von Deutschland erwartet wird. Im Zentrum sind hier die Einladung für wirtschaftliche Kontakte - das wird in den nächsten Jahren eine wachsende Rolle spielen -, die Einladung, gerade auch bei der Berufsausbildung hilfreich zu sein, und natürlich auch, weiter hilfreich und unterstützend bei der Sicherheit zu sein, auch wenn die aktiven Kampfeinsätze nach der Beendigung von ISAF nicht mehr stattfinden werden.

Wir haben im nächsten Jahr ein besonderes Jahr für die deutsch-afghanischen Beziehungen, denn wir feiern 100 Jahre Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan. Wir haben verabredet, dass wir einen Monat auswählen werden, in dem wir uns insbesondere auch im kulturellen Bereich gegenseitig besser kennenlernen wollen und Veranstaltungen sowohl in Afghanistan als auch von afghanischer Seite in Deutschland durchführen wollen.

Noch einmal herzlich willkommen, Herr Präsident! Ich wünsche Ihnen und Ihrer Regierung der Nationalen Einheit allen denkbaren Erfolg bei einer nicht ganz leichten Aufgabe - aber Sie können auf unsere Unterstützung zählen.

Präsident Ashraf Ghani: Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Allmächtigen! Frau Bundeskanzlerin, es ist mir eine große Freude, heute hier sein zu können. Die Freundschaft zwischen Afghanistan und Deutschland hat in der Tat eine lange Geschichte, und für mich persönlich - mein Großvater war der erste afghanische Botschafter in Deutschland - ist es auch eine Familientradition. Wir freuen und deshalb sehr auf die feierliche Begehung des 100. Jahrestags unserer bilateralen Beziehungen, anlässlich dessen wir zu einem Austausch im kulturellen Bereich beitragen wollen. Beide Seiten sollen dabei im Detail mehr voneinander erfahren.

Zunächst aber möchte ich hier die Opfer der deutschen Seite in Afghanistan würdigen. Sie standen an unserer Seite, und jene deutsche Zivilisten und Militärs, die das letzte Opfer gebracht haben, werden nie von uns vergessen werden. Wir möchten sicherstellen, dass sich unsere Zusammenarbeit auch in Zukunft der Opfer würdig erweist, die diese Menschen gebracht haben, und dass wir ein Afghanistan errichten, das stabil, im Wohlstand lebt, in dem es keine Korruption mehr gibt, das von Rechtsstaatlichkeit bestimmt ist und in dem auch Frauen, Jugendliche und die Armen an der Gesellschaft teilhaben können.

Wir haben ein schwieriges Jahr hinter uns. Wir haben den politischen Übergang gemeistert. Zum ersten Mal in der Geschichte meines Landes ist ein gewählter Staatschef durch einen anderen gewählten Staatschef ersetzt worden. Wir haben die Regierung der Nationalen Einheit gegründet, in der die Mehrheit der Wähler und des Volkes sich vertreten sehen.

Wir sind dabei, den Sicherheitsübergang zum Ende des Jahres zu Ende zu bringen. Die internationalen Streitkräfte - auch die deutschen - werden dann nicht mehr in einer Kampfmission vertreten sein, wie in den letzten zehn Jahren, sondern die afghanischen Sicherheitskräfte werden diese Aufgabe von ihnen übernehmen. Wir möchten ihnen aber danken für ihren Beitrag.

Wir möchten außerdem Ihnen, der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, dem deutschen Parlament und dem deutschen Volk dafür danken, dass Sie sich der Mission „Resolute Support“ verpflichtet haben. Hier geht es nicht um einen Kampfeinsatz, sondern um einen zivilen Einsatz, um Ausbildung, Unterstützung und Beratung. Wir verlassen uns darauf, dass die Partnerschaft auch in den nächsten Jahren gilt.

Wir danken Ihnen dafür, dass Sie Ihre militärische Hilfe immer begleitet haben durch starke und nachdrückliche wirtschaftliche Unterstützung. Die Krankenhäuser in Kundus und Masar-e-Scharif, die Berufsbildung und andere Beiträge, die Sie geleistet haben, sind auf dem modernsten Stand. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung!

Es bieten sich uns Gelegenheiten und Chancen in Afghanistan. Wir haben jetzt die Möglichkeit, unser Land zu einem regionalen Drehpunkt zu machen, zu einem Land des Transits für andere Staaten. Wir haben die Chance, Frieden, Sicherheit und Stabilität zu schaffen. Der Frieden ist hierbei die höchste Priorität, und wir wenden uns an unsere Partner in der unmittelbaren Nachbarschaft. Mit ihnen wollen wir zusammenarbeiten, um einen Rahmen zu schaffen, an dem sich alle Menschen beteiligen können und in dem sich alle Afghanen auch frei am politischen System beteiligen können. Gleichzeitig wollen wir die Rechte und Pflichten der Bürger gewährleisten.

Ich freue mich über die Gelegenheit zu dem heutigen Austausch, Frau Bundeskanzlerin. Ich danke Ihnen für die Zusicherung, dass Sie an unserer Seite stehen werden. Wir werden das tun, was wir zu tun haben. Wir reden die Probleme nicht klein. Unsere Verpflichtung zur Offenheit, zur Bekämpfung der Korruption, zur Rechtsstaatlichkeit und zur Bekämpfung des Drogenanbaus und des Drogenhandels sind klar ausgesprochen worden. Wir sind entschlossen, unabhängig zu werden und mit eigenen Kräften zu agieren. Wir wollen in einer dynamischen Wirtschaft einen Beitrag zur regionalen Stabilität leisten.

Ich danke Ihnen!

Frage: Herr Präsident, Sie haben eben erwähnt, dass Sie gerne Stabilität mit den Partnern in der Region schaffen wollen. China hat vor wenigen Wochen eine Vermittlung zwischen der afghanischen Führung und den Taliban angeboten. Ist das ein Angebot, das für Sie sehr wichtig ist? Welche Rolle sollte China bei der Stabilisierung Afghanistans spielen?

Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie eine Frage dazu erlauben: In Thüringen ist heute der erste Linkspartei-Ministerpräsident gewählt worden. Sie hatten selber davor gewarnt, dass es auch Auswirkungen auf die Europapolitik geben könnte, sollte die Linkspartei eine stärkere Rolle in den Ländern spielen. Sehen Sie auch Auswirkungen auf die Außenpolitik, weil die Linkspartei Auslandseinsätzen wie zum Beispiel dem Einsatz in Afghanistan bisher ja nicht zugestimmt hat?

Präsident Ashraf Ghani: China ist ein Nachbarland, das sich in Afghanistan nun gemeinsamen Bedrohungen gegenübersieht; denn die Stabilität Afghanistans wird durch Netze von Terroristen bedroht, die auch in den Nachbarländern operieren. China handelt als verantwortungsbewusster internationaler Akteur. Wir begrüßen den intensiven Dialog mit China, weil China eine schon sehr lange Freundschaft mit Afghanistan und vor allen Dingen Pakistan unterhält und sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen kann, um eben die Rolle eines Mediators zu spielen.

Das ist ja alles noch ziemlich am Anfang. Im Moment entwickeln wir einen detaillierten Plan, wie das funktionieren kann. Das wird auf jeden Fall ein von den Afghanen entwickelter und auch geführter Plan sein. Aber angesichts der Art der Bedrohung brauchen wir eine vollständige internationale und regionale Koordinierung. Alle Länder in der Region, die ein Interesse an Frieden und Stabilität haben, müssen hierbei zusammenarbeiten, müssen zu einer Friedensordnung, einem Friedensabkommen im Rahmen regionaler Kooperationen kommen. Auch im wirtschaftlichen Bereich und auch im Sicherheitsbereich soll das zu Stabilität führen, die uns allen zugutekommt.

BK’in Merkel: Hier im Kanzleramt möchte ich keinen weiteren Kommentar abgeben als zu sagen, dass wir den Ausgang der heutigen Wahl in Thüringen natürlich respektieren und dass zweitens unsere Politik gegenüber Afghanistan durch diese Wahl nicht verändert werden wird.

Frage: Meine Frage richtet sich an Präsident Ashraf Ghani. Herr Feldman, der amerikanische Gesandte, hat gestern in London gesagt, dass die Situation in Afghanistan für die afghanischen Streitkräfte und Sicherheitskräfte insgesamt sehr schwierig sei. Ich weiß nicht, ob Sie mit der Bundeskanzlerin vielleicht über diesen Punkt einer möglichen Unterstützung - auch militärischer Unterstützung - für Afghanistan gesprochen haben.

Präsident Ashraf Ghani: Herzlichen Dank. Die Bundesrepublik, wie die Bundeskanzlerin Ihnen ja gesagt hat, ist jemand, der einen ganz besonders wichtigen Beitrag zu „Resolute Support“ leistet. Das bedeutet auch, dass die deutschen Kräfte nach 2015 nicht an Kampfmissionen teilnehmen werden. Darauf haben wir uns geeinigt. Als jemand, der diesen Sicherheitsübergang noch während der Amtszeit von Präsident Karsai verantwortlich geleitet hat, kann ich nur sagen, dass die Rolle der Deutschen dabei sein wird, dass sie uns weiterhin unterstützen, und zwar im Rahmen der Ausbildung sowie der Unterstützung insgesamt. Diese Verpflichtung besteht weiterhin. Das wird dort, im Norden von Afghanistan, auch weiterhin gemacht werden. Danke!