Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem niederländischen Ministerpräsidenten, Mark Rutte

Thema: Tagung des deutsch-niederländischen Klimakabinetts

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

MP Rutte (auf Deutsch): Deutschland und die Niederlande sind gute Nachbarn und auch gute Freunde. In diesem Geist steht auch unsere intensive Zusammenarbeit auf bilateraler und internationaler Ebene. So ziehen wir zum Beispiel in der Europäischen Union häufig an einem Strang.

Heute hatte ich die Ehre, meine Kollegin Angela Merkel und einige Mitglieder ihres Kabinetts hier im Catshuis zu empfangen.

(Der Ministerpräsident fährt auf Niederländisch fort)

Wir haben uns zum letzten Mal im Mai auf bilateraler Ebene gesehen und haben vereinbart, im Rahmen unserer Zusammenarbeit einen Schwerpunkt zu bilden, nämlich Klimawandel und Energiewende. Das ist in den Niederlanden genau wie in Deutschland ein Punkt, bei dem derzeit wichtige Entscheidungen fallen. Das ist auch ein breit gefasstes Thema. Es geht um Wohnungen; es geht um Industrie; es geht um Transport. Man kann sagen, dass es eigentlich um die ganze Gesellschaft geht.

Deswegen war es gut, dass die fachspezifischen Minister und Staatssekretäre heute auch mit dabei waren. Es war wirklich eine sehr erfolgreiche Sitzung, von Inhalten geprägt. Wir sind in die Tiefe gegangen, haben Erfahrungen austauschen können und haben die politischen Prozesse beleuchtet. Wie kann man zusammenarbeiten? Wie machen die Deutschen das? Wie machen die Niederländer das? Können wir etwas voneinander lernen? Was bedeutet das für unsere Zusammenarbeit in Europa?

Denn wir wollen ja die Ziele Richtung 2050 herauskristallisieren. Sie sind sehr ehrgeizig festgesteckt, und noch nicht alle Länder tragen sie derzeit mit. Aber 24 der 28 Länder haben sich doch zu einem klimaneutralen Europa auch im Bereich der CO2-Emissionen bis 2050 verpflichtet. Wir sind natürlich dabei, das jeweils für die Länder umzusetzen.

Warum tauschen wir uns aus? - Wir können voneinander lernen. Deutschland ist in vielen Bereichen - nennen wir die Energieversorgung, den Kohleausstieg und in dem Fall auch den Atomausstieg - so viel reicher an Erfahrungen. Das betrifft auch den Umgang mit alternativen Energieressourcen. In den Niederlanden sind wir vielleicht etwas weiter im Bereich Transport und Verkehr. Da können wir voneinander lernen. Wenn wir die Erfahrungen austauschen, können wir natürlich schauen, ob wir uns in der nächsten Zeit einander annähern können und ob wir das mit Maßnahmen versehen können. Das können Maßnahmen sein, die grenzüberschreitend funktionieren können, was auch wieder einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringen kann.

Was die Abschaltung von Kohlekraftwerken angeht, so erfolgt das in Deutschland und in den Niederlanden. Bei der Frage, wie es mit der weiteren Energieversorgung aussieht, können wir zusammenarbeiten. Wir haben gemeinsam vereinbart, dass es nicht nur notwendig ist, die Klimaziele zu erreichen. Nein, wir müssen auch die Wirtschaft durch die Schaffung von Arbeitsplätzen stärken. Man kann neue Einblicke in ein mögliches wirtschaftliches Wachstum schaffen. Wir sind reiche Länder, aber wir sind auch Länder, die in der internationalen Konkurrenz stehen, und wir wollen wettbewerbsfähig bleiben.

Wir machen weiter und haben praktische Vereinbarungen getroffen. Unsere Minister werden die Agenda ganz fokussiert ausarbeiten und sich in Kürze wieder in Deutschland treffen. Hier wird die Diskussion auch weitergeführt. Es war wirklich eine hervorragende Sitzung, stark geprägt von Inhalten und vielversprechend für die Zukunft.

Vielen Dank dafür, dass Sie hier waren! Jetzt möchte ich ganz besonders gerne Bundeskanzlerin Angela Merkel das Wort erteilen.

BK’in Merkel: Ich möchte mich bedanken, weil es in der Tat eine sehr produktive und auf die Sache konzentrierte Sitzung war, die im Rahmen unserer deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen am 2. Oktober fortgeführt wird. Wir freuen uns, dann die niederländische Regierung zu begrüßen. Wir werden dann auch andere Themen behandeln, aber das Thema Klima wird auch eine Rolle spielen.

Die Niederlande haben vor wenigen Wochen ihren Klimaplan verabschiedet. Wir werden das am 20. September tun. So war es für uns sehr wichtig, in einigen Bereichen Erfahrungen auszutauschen, sowohl was die sachlichen Themen angeht, aber auch was die Erfahrungen bei der Mitnahme aller Akteure in der Zivilgesellschaft anbelangt. Wir dürfen hier nicht nur eine Fach- und Sachdiskussion führen, sondern wir müssen auch nach außen erklären. Ich glaube, diesbezüglich haben die Niederlande ein sehr gutes Beispiel mit sehr vielen Diskussionsebenen gezeigt, auf denen die Maßnahmen diskutiert werden.

Natürlich gibt es sowohl bei der heutigen Energieversorgung als auch bei den territorialen Gegebenheiten Unterschiede. Aber gerade im Verkehrsbereich - das kann ich bestätigen - haben die Niederlande schon eine Vielzahl von Erfahrungen machen können, von denen wir eine ganze Menge lernen können.

Wir haben über das Thema CO2-Einsparungen im Gebäudebereich gesprochen, über die Verpflichtungen der Industrie und auch darüber, wie man für Menschen Anreize setzen kann - was wirkt, was wirkt nicht? -, sich klimafreundlich zu verhalten. Denn eines eint beide Regierungen: Wir wollen nicht über Verbote und Gebote arbeiten, sondern wir wollen möglichst Innovationen freisetzen. Wir wollen den Menschen sagen, dass sie beeinflussen können, wie sie leben und dass sie das natürlich in großer Zahl in unseren Gesellschaften tun können, indem sie etwas für den Klimaschutz tun. Das ist wichtig. Aber der Klimaschutz steht nicht neben der Industrie und nicht neben dem Konsum, sondern wir müssen lernen, in Kreisläufen zu leben und dazu die entsprechenden Anreize neu schaffen.

Wir sind Nachbarn. Deshalb ist diese Zusammenarbeit auch wichtig, wenn es um Netze, wenn es um Speicherkapazitäten und zum Beispiel um die Nutzung der Nordsee als einen Ort der Energieproduktion von Offshore-Energie geht. Insofern wird sich, wenn wir unseren Klimaplan fertiggestellt haben, eine ganz lange Zeit von Kooperationen ergeben, denn das sind sozusagen lernende Systeme. Wir werden ja nicht im Jahre 2019 sagen: Jetzt wissen wir alles, was bis 2030 passiert. - Dazu verändert sich die Welt zu schnell. Ich glaube, wir haben heute den Grundstein für eine lang andauernde, sehr auf die Sache bezogene Kooperation gelegt. Deshalb möchte ich mich ganz herzlich bedanken.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, was haben Sie heute konkret von den Niederländern gelernt?

Herr Ministerpräsident, was denken Sie, was Sie von den Deutschen gelernt haben?

BK’in Merkel: Ich habe konkret gelernt, dass wir nicht nur darauf setzen sollten, die Einsparziele zu erreichen, sondern dass wir auch schauen müssen, wo man das am einfachsten machen kann. Wie kann man, wenn man eine Tonne CO2 reduziert, das auf dem billigsten Weg machen und welche Instrumente sind dazu geeignet? Die Niederlande haben sehr klar gesagt: Wir haben ein Reduktionsziel. Jetzt schauen wir, wie wir sozusagen mit dem geringsten Aufwand den besten Effekt erreichen können. - Ich glaube, vor dieser Aufgabe stehen wir auch.

Das Zweite, was wir lernen können, ist, dass wir einen ganz konsequenten Ausbau der Infrastruktur brauchen, wenn wir die Menschen zum Umsteigen im Bereich der Mobilität ermuntern wollen. Die Niederlande haben heute pro Kopf der Bevölkerung mehr Ladestationen. Es ist sehr einfach, eine Ladestation zu bekommen, wenn man auf Elektromobilität umsteigen will.

Es gibt einen dritten Punkt, den ich gelernt habe. Es gibt bei uns eine Diskussion um die Frage, ob wir jetzt nur auf Elektromobilität setzen sollen. Nein. Auch in den Niederlanden setzt man sehr auf Innovationsoffenheit. Das heißt, es wird auch eine Wasserstoffstrategie erarbeitet, weil Wasserstoff in vielerlei Hinsicht ein ganz wichtiger Energieträger oder ein Speichermedium sein kann. An dieser gemeinsamen Wasserstoffstrategie können wir auch noch arbeiten.

MP Rutte: Ich habe es eigentlich in meiner Einführung schon ein bisschen angedeutet: Deutschland ist unheimlich weit, was den Wandel in Sachen nachhaltige Energieversorgung angeht. Dort ist man viel weiter als in den Niederlanden. Aber das bringt natürlich auch gewisse Fragen mit sich. Nehmen wir einmal das Beispiel Wind auf Land. Wie wird das gesellschaftlich getragen? Was bedeutet es für den Transport der erzeugten Energie und die Kapazität auf das Land, wenn man Wind auf der See hat? Kann die Bevölkerung das mittragen und unterstützen? Deutschland hat in dem Bereich schon unheimlich viele Erfahrungen gemacht.

Wenn wir das Beispiel Wind auf See betrachten, so ist die Frage: Wie kann man das mit Wasserstoff kombinieren? Das ist natürlich ein ganz wichtiges Thema, bei dem wir ganz intensiv zusammenarbeiten werden. Das machen wir auch schon, und das werden wir fortsetzen.

Zwei Elemente aus der Diskussion, die Deutschland mit eingebracht hat: Der eine Punkt betrifft die Wettbewerbspositionen untereinander. Wie können wir verhindern, dass Deutschland etwas macht, was die Unternehmen dazu bringt, in die Niederlande zu ziehen und andersherum? Stichwort „level playing field“, also gleiche Wettbewerbschancen für alle. Wie können wir als Europa weltweit wettbewerbsfähig sein? Da tut sich vieles in anderen Teilen der Welt, so im Nahen Osten, in Asien und in China. Das ist schlicht auch eine Perspektive, die wir heute beleuchtet haben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Frage zum Energiewandel im Bereich der Gebäude und der Haushalte. Wir haben vernommen - und das überrascht uns -, dass die Haushalte in Deutschland auf eine andere Energieform umschalten, nämlich auf Gas, sogar subventioniert. Das machen wir in den Niederlanden genau andersherum. Wir unterstützen das Weggehen vom Gas. Das konkurriert doch miteinander. Wie kann man das kombinieren?

BK’in Merkel: Das hängt mit dem Ausgangszustand zusammen. Bei Ihnen in den Niederlanden gibt es wahrscheinlich nicht viele Heizölheizungen. Dann braucht man die Menschen nicht in Richtung Gas zu bewegen, sondern dann sagt man: Okay, unsere Elektrizitätsversorgung wird in Zukunft 100 Prozent erneuerbare Energien betragen, also gehen wir auf Strom. Aber wir sind noch nicht so weit. Wir haben noch sehr viele Heizölheizungen. Das heißt, wir müssen den Menschen erst einmal Anreize bieten, nicht Öl zu benutzen, sondern andere Formen des Heizens. Dabei wird sicherlich die Idee der Niederlande, mit dem Strompreis herunterzugehen, bei uns auch eine Rolle spielen. Aber wir müssen den Umstieg von Heizöl auf Gas schaffen. Das ist allemal besser, als wenn die Menschen alle weiter mit Heizöl heizen.

MP Rutte: Was die Niederlande betrifft, ist es bei uns so, dass Gas etwas ist, was als Treibstoff im Wandel ist. Das wird auch noch lange so bleiben. Das ist schon ein Unterschied, den wir betrachten müssen. Was Gas aus Groningen angeht, so müssen wir den Ausstieg schaffen. Aber Gas an und für sich ist schon noch ein Treibstoff für den Wandel, und das wird auch über einen längeren Zeitraum noch so bleiben. Man muss natürlich weiterdenken. Was kann man zum Beispiel nach 2050 machen, wenn man ein Haus kauft und umbaut oder wenn ältere Menschen in eine Wohnung ziehen, in der es sich im Alter einfacher wohnen lässt? Es wichtig, dass man für diese wichtigen Zeitpunkte des Lebens einen Anreiz bietet, umweltfreundlicher zu heizen und die Energieversorgung zu betreiben.

Dazu gehört etwas, was wir in den Niederlanden schon machen. Wie kann man es wirklich attraktiv machen, auf eine andere Form von Energie umzusteigen? Strom könnte man billiger machen. Aber das sind natürlich unterschiedliche Phasen, in denen wir uns als Länder befinden. Aber auch in den Niederlanden haben wir Gas als Treibstoff für den Wandel noch lange nötig.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die Niederlande haben auf europäischer Ebene vorgeschlagen, dass man das Reduktionsziel der Emissionen auf 55 Prozent festlegt. So weit wollte Deutschland bislang nicht gehen. Nachdem Sie das heute hier alles gesehen haben, ist das etwas, bei dem Sie die Niederlande vielleicht künftig unterstützen würden, auch auf europäischer Ebene?

Wenn Sie erlauben, in Bezug auf gestern eine kurze Frage. Sie sagten bei der Pressekonferenz mit Boris Johnson relativ konkret, dass man vielleicht auch eine Lösung innerhalb von 30 Tagen finden kann. Hat er Ihnen etwas angeboten, was wir noch nicht wissen?

BK’in Merkel: Das war Pars pro Toto. Ich habe gesagt: Was man in zwei oder drei Jahren schaffen will, das kann man auch in 30 Tagen schaffen. Besser gesagt müsste man sagen: Das kann man auch bis zum 31. Oktober schaffen. Es geht also nicht um 30 Tage, sondern sie standen sinnbildlich dafür, dass man das in einem kurzen Zeitraum schaffen kann. Denn Großbritannien hat ja gesagt, dass es am 31. Oktober aus der Europäischen Union austreten möchte. Bis dahin müssen oder können wir, wenn der Wille auf beiden Seiten besteht, daran arbeiten, ein Regime zu finden, wie wir das Good Friday Agreement einerseits einhalten können, was der Wunsch der Republik Irland genauso wie der Wunsch von Großbritannien ist, und wie wir andererseits die Integrität des Binnenmarkts sichern können. Denn Nordirland wird nicht mehr zum Binnenmarkt gehören, aber die Republik Irland wird zum Binnenmarkt gehören. Nehmen Sie also den Zeitraum bis zum 31. Oktober.

Zur zweiten Frage: Wir haben in Deutschland das nationale Ziel, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren. Das heißt, für uns wäre ein ambitionierteres europäisches Niveau kein Problem. Wir sind aber im Augenblick noch nicht an dem Punkt, dass wir sagen können: Das haben wir schon ausbuchstabiert. - Deshalb müssen wir daran arbeiten. Das wollen wir am 20. September sagen, und dann müssen wir horchen, was andere europäische Länder bereit sind zu tun. Ich kann den Vorschlag von 55 Prozent gut mittragen. Aber wir haben als Bundesrepublik Deutschland in vielen Jahren einen sehr großen Teil der Gesamtemissionsreduzierungen getragen und haben uns sehr ambitionierte Teile der Reduktion vorgenommen. Jetzt müssen wir mit unseren Kollegen diskutieren.

Ein zweiter Punkt, den wir gemeinsam unterstützen, ist, dass wir bis 2050 klimaneutral sein werden. Es gibt ja noch einige Länder, die das noch nicht mittragen können. Das wird dann bei der mittelfristigen finanziellen Vorausschau eine Rolle spielen, wo diese Länder sagen, was sie an Investitionen brauchen, um eine gemeinsame europäische Position zur Klimaneutralität 2050 zu haben. Es wäre für uns sehr wichtig, dass wir das als Europäische Union sagen können.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, warum gibt es in Deutschland so wenige Elektroautos?

BK’in Merkel: Es gibt bei uns noch nicht so viele wie in den Niederlanden. Allerdings nimmt bei uns die Zahl der Zulassungen sehr massiv zu, weil wir eine ganze Reihe von Fördermaßnahmen umgesetzt haben. Wir haben sie vielleicht später als in den Niederlanden aufgelegt. Wir haben natürlich eine andere Infrastruktur. Es gibt hier große Ballungsgebiete, in denen es schon sehr selbstverständlich ist, eine Ladeinfrastruktur zu haben. Das ist bei uns noch nicht so weit. Ich glaube aber, wir werden sehr schnell aufholen.

Die noch bessere Mitteilung ist: Deutschland ist ein Land, das Automobile in einem hohen Maße baut. Unsere Automobilindustrie steigt jetzt komplett auf Hybridmodelle oder Elektromobilität um. Damit wird das Angebot größer werden, und insofern werden wir gegenüber den Niederlanden aufholen.

Zusatzfrage: Sie sprachen davon, dass 2020 das Ziel eine Million im Jahr sei. Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?

BK’in Merkel: Schauen Sie: Wir haben diese Aussage 2006 oder 2007 gemacht. Wir werden dieses Ziel vielleicht nicht 2020 erreichen, aber 2021 oder 2022. Wenn Sie einmal den Zeitraum betrachten, dann kann man sagen, dass wir im Großen und Ganzen auf dem richtigen Pfad sind. Nicht ganz so gut, wie wir dachten, aber wir werden sehr zeitnah bei der Zahl von einer Million Autos ankommen. - Danke schön!

MP Rutte: Vielen Dank!