Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten von Kroatien, Andrej Plenković

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass ich Andrej Plenković zu Beginn dieses Jahres bei uns zu Gast habe. Er besucht die Grüne Woche, und das haben wir für ein bilaterales Gespräch genutzt. Es ist von besonderer Bedeutung, weil Kroatien jetzt zum ersten Mal die rotierende Präsidentschaft innehat. Kroatien ist das Land, das vor uns die Präsidentschaft hat. Deshalb arbeiten wir sehr eng zusammen.

Wir haben natürlich über unsere bilateralen Beziehungen gesprochen, die sehr gut sind. Es gab, so habe ich gehört, drei Millionen Urlauber aus Deutschland in Kroatien. Wir haben viele kroatischstämmige Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, die so etwas wie eine Brücke zwischen unseren Ländern sind.

Aber wir arbeiten auch wirtschaftlich sehr eng zusammen. Allein 50 Unternehmen aus Kroatien sind hier auf der Grünen Woche. Der Wirtschaftsminister, der in der Delegation des Ministerpräsidenten ist, hat darauf hingewiesen, dass man an noch mehr Kontakten mit Deutschland interessiert ist. Das werden wir natürlich auch unterstützen.

Wir haben dann natürlich die Probleme angesprochen, mit denen sich unsere Präsidentschaften befassen   vor allen Dingen erst einmal die kroatische Präsidentschaft.

Kroatien wird einen Gipfel mit den Ländern des westlichen Balkans abhalten. Ich denke, das ist eine sehr wichtige Sache, weil die Frage der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen für Nordmazedonien und Albanien natürlich weiterhin auf der Tagesordnung steht. Es wäre ein wichtiges Zeichen, wenn wir hierbei vorankommen könnten. Deutschland ist dazu bereit. Das haben wir der Präsidentschaft gesagt. Wir wollen das auch gemeinsam vorantreiben.

Ein zweites Thema ist die Konferenz zur Zukunft Europas. Kroatien wird den Startschuss dafür setzen. Auch hierbei werden wir sehr eng zusammenarbeiten.

Wir haben dann noch das Thema, das sicherlich mit am schwierigsten zu lösen ist, nämlich die mittelfristige finanzielle Vorausschau. Ich würde mich sehr freuen, wenn Kroatien hierbei Erfolge zeigen könnte. Aber das hängt natürlich von uns allen ab. Es ist vorrangig eine Aufgabe des Ratspräsidenten, aber wir werden sehr konstruktiv mitarbeiten. Denn wir brauchen natürlich nach 2020 einen Haushalt.

Wir haben natürlich auch etwas über die internationale Lage gesprochen, gerade auch mit Blick auf die Nachbarschaft zum westlichen Balkan. Das ist vor allen Dingen auch die Türkei.

So glaube ich anbieten zu dürfen, dass Deutschland ein guter, konstruktiver Partner während der kroatischen Präsidentschaft ist. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir gut zusammenarbeiten, wie wir es in der Vergangenheit auch immer getan haben. Deshalb sehr herzlich willkommen, lieber Andrej, hier bei uns!

MP Plenković: (auf Deutsch) Vielen Dank, liebe Angela! (auf Kroatisch) Guten Tag! Es ist eine Freude für mich, auf Einladung von Kanzlerin Merkel erneut hier in Berlin zu sein, wo wir die Intensität, die hohe Ebene und die Offenheit unseres politischen Dialogs nochmals bestätigt haben, den wir bereits die letzten Jahre miteinander führen, jetzt als zwei Mitgliedsländer, die aufeinander folgend die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union innehaben werden.

Angesichts unserer bilateralen Beziehungen können wir feststellen, dass Deutschland bereits 30 Jahre lang   das können wir sicherlich so sagen   unser wichtigster Partner sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist. Unser bilateraler Handel wird wahrscheinlich sogar das Volumen von sechs Milliarden Euro erreichen. Deutschland ist einer der wichtigsten Investoren bei uns in Kroatien. Eine sehr große Anzahl unserer Bürger lebt hier in Deutschland. Sie sind wirklich ein Bindeglied, wirtschaftlich, aber auch für die Stärkung beider Länder.

Es ist auch eine Tatsache, dass wir dieses Jahr einen Rekord in der touristischen Saison zu verzeichnen haben. Die Zahl der deutschen Touristen beträgt praktisch exakt drei Millionen Besucher mit 20 Millionen Übernachtungen. Das zeigt natürlich, wie wichtig diese Beziehungen auch für unsere wirtschaftliche Entwicklung sind.

Nachdem wir im vergangenen Jahr den Aktionsplan über die Zusammenarbeit im Wirtschaftsbereich unterzeichnet haben, wird dieser Plan sehr gut umgesetzt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Rolle Kroatiens als Partnerland bei der Landwirtschaftsmesse, der Grünen Woche, hier in Deutschland, in Berlin, auf der Kroatien mit 50 landwirtschaftlichen Betrieben bzw. Unternehmen unterschiedlicher Größe vertreten ist sowie auch durch andere Vertreter der Republik Kroatien, die alle als offizieller Partner jetzt bei der offiziellen Eröffnung der Grünen Woche sein werden.

Das Wichtige ist: Wir befinden uns natürlich am Anfang unserer Präsidentschaft. Mit unserem Besuch hier in Berlin haben wir einige sehr wichtige Aktivitäten begonnen. Sowohl die Europäische Kommission mit Ursula von der Leyen ist nach Zagreb gekommen als auch Charles Michel, der Ratspräsident. Herrn Macron haben wir besucht, auch den Kollegen Conte in Italien. Im Europäischen Parlament haben wir damit also die wichtigsten Besuche bereits abgeleistet. Das ist sehr gut sowohl für die Durchführung unseres Programms als auch für die technischen Fragen im Zusammenhang mit dem Brexit in diesem Monat.

Dann soll die Intensität für die Vorbereitung der weiteren Verhandlungen bereits im Februar erhöht werden, damit wir vor allen Dingen, was den mehrjährigen Finanzrahmen angeht, vorankommen. Wir werden im Rahmen unserer Präsidentschaft auf jeden Fall unseren Beitrag zu diesen Fragen leisten, und wir wollen natürlich auch die Konferenz über die Zukunft Europas im Laufe unserer Präsidentschaft anstoßen. Wie Sie wissen, geht es dabei auch um die Koordinierung der Positionen aller Mitgliedsländer im Rat.

Es ist für uns sehr wichtig, der Europäischen Union hier eine Besonderheit mitzugeben, damit insbesondere unsere Nachbarländer im Südosten Europas einen Gewinn haben. Deswegen wollen wir am 6. und 7. Juni in Kroatien einen Westbalkangipfel durchführen. Wir wollen bei dieser Konferenz natürlich vor allen Dingen einen politischen Charakter unterstreichen. Diese Länder sollen mit einer neuen Methodologie auf die Beitrittsverhandlungen bzw. auf die Möglichkeit der Beitrittsverhandlungen vorbereitet werden, damit wir wissen, wie und mit welcher Dynamik sich diese Länder   natürlich wenn sie die entsprechenden Kriterien erfüllen   in den Jahren, die vor uns stehen, auf die Europäische Union zubewegen können.

Bundeskanzlerin Merkel hat hierzu einen großen Beitrag geleistet. Sie hat gesagt, auf dieser Ebene solle kein politisches Vakuum entstehen. Seit 2014 sind die Dinge im Rahmen des Berliner Prozesses angestoßen worden und es ist möglich gemacht worden, dass die Beziehungen zwischen den Ländern Südosteuropas in der Europäischen Union gewissermaßen konkret auf der Projektebene verbessert werden. Wir wollen auch in dieser Richtung arbeiten, damit das Gipfeltreffen für uns, Kroatien, aber vor allen Dingen auch für unsere Nachbarländer von Bedeutung sein wird.

Frage: Frau Bundeskanzlerin Merkel, wenn es um einen möglichen Beginn von Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien geht: Wie sieht Ihre Position in Bezug auf diese Länder aus? Ist es eventuell erforderlich, dass diese Länder ein gemeinsames Datum für den Beginn der Verhandlungen erhalten, oder können diese Länder vor dem Hintergrund dessen, was Nordmazedonien bereits hinter sich gebracht hat, tatsächlich separat behandelt werden?

Herr Plenković, was meinen Sie, wie sieht Herr Macron dieses Thema? Haben Sie über dieses Thema und auch über das wichtige Thema der Verhältnisse zwischen Serbien und Montenegro gesprochen? Vor Kurzem hat ja Herr Borrell auch mit Thaçi und Vučić gesprochen und ihnen gesagt, dass dieser Prozess tatsächlich gemeinsam vor dem Gipfeltreffen in Zagreb angestoßen werden müsse.

BK’in Merkel: Ich glaube, dass Albanien sehr viele Forderungen erfüllt hat, die wir an das Land herangetragen haben, insbesondere was den Vetting-Prozess, also den Neuaufbau der Gerichte, betrifft, und dass es jetzt an der Zeit ist, dass die Beitrittsverhandlungen eröffnet werden. Unser Parlament hat sich in dieser Richtung auch geäußert   mit einigen Zusatzbedingungen. Bei Nordmazedonien ist es tatsächlich so, dass dort dadurch, dass die Namensfrage gelöst wurde, ein wahnsinniger Sprung erfolgt ist   durch diese Frage war das ja blockiert. Ich glaube schon, dass Albanien und Nordmazedonien in die gleiche Gruppe gehören. Wir haben im Grunde Serbien und Montenegro, wir haben Nordmazedonien und Albanien, und dann haben wir natürlich noch Bosnien-Herzegowina und Kosovo   das ist noch einmal eine andere Situation. Ich denke also, wenn man fair ist, sollte es für beide Länder losgehen   die dann natürlich unterschiedliche Spuren verfolgen werden, denn jeder wird ja nach seiner Erfüllung bewertet.

Was Präsident Macron angeht, so hat als Letzter Andrej Plenković mit ihm gesprochen. Nachdem es uns nicht gelungen ist, beim Dezember-Rat eine Einigung zu finden, müssen wir jetzt ja schauen, ob wir auf dem März-Rat etwas hinbekommen. Dafür werden natürlich Gespräche geführt.

MP Plenković: Was dieses Thema angeht, so sind wir jetzt in Bezug auf die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo   was Herr Borrell nach seinem Besuch gesagt hat   nicht ins Detail gegangen, aber wir haben über alle Länder gesprochen, und wir haben auch über den guten Willen gesprochen, dass man in Zagreb tatsächlich einen Fortschritt erzielt. Ein wirklich wichtiger Aspekt, den vor allen Dingen Kroatien sieht, ist, dass das Gipfeltreffen einen politischen Charakter hat und dass wir wirklich in einer offenen Debatte alle Themen eröffnen, die sich schon auf dem Tisch befinden   Infrastrukturzusammenarbeit, natürlich die ganzen Strukturfonds, die ganze Zusammenarbeit in der Wirtschaft und alles, was hiermit im Zusammenhang steht  , damit wir das alles auch an unsere Nachbarn weitergeben können. Ich glaube, einige dieser wesentlichen politischen Fragen, die auf der Tagesordnung stehen, könnten wir in Zagreb wirklich sehr offen und auch sehr detailliert besprechen, auch um zu sehen, inwieweit die Nichtlösung dieser Probleme tatsächlich Einfluss auf die Dynamik der Prozesse bei der Erweiterung nehmen wird.

Frage: Ich würde gerne Sie beide fragen, was es für die Berliner Libyen-Konferenz bedeutet, dass General Haftar die Waffenruhe einhalten will. Hat er daran noch einmal Bedingungen geknüpft?

Sie, Frau Bundeskanzlerin, wollte ich noch einmal, nachdem Herr Söder nachgelegt hat, fragen: Sehen Sie noch in dieser Legislaturperiode einen Anlass für eine Kabinettsumbildung?

BK’in Merkel: Ich habe ja schon gesagt, dass ich mit den Ministern sehr gerne zusammenarbeite und eine Kabinettsumbildung nicht sehe. Dem gibt es jetzt, heute, auch nichts Neues hinzuzufügen.

Zum Zweiten: Unser Außenminister hat heute den General Haftar getroffen. Es ist, glaube ich, erst einmal eine gute Botschaft, dass er bereit ist, sich weiter an die Waffenruhe zu halten; das ist ja die Voraussetzung. Wir müssen dann bei der Libyen-Konferenz vor allen Dingen sehen, dass auch das Waffenembargo wieder eingehalten wird, das ja im Grunde UN-mäßig vereinbart ist, aber leider nicht so eingehalten wurde. Jetzt, glaube ich, ist dieses Bekenntnis sozusagen eine gute Nachricht.

MP Plenković: Wir unterstützen die Initiative von Frau Bundeskanzlerin Merkel hinsichtlich dieses Treffens. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Beispiel. Wir wollen versuchen, den politischen Prozess voranzubringen; das ist unsere Position hierzu.

Frage: Ich habe eine Frage an beide. Wenn es um den europäischen Haushalt geht, sind Sie sich dann einig, wie dieser Haushalt sozusagen verteilt werden soll? Wie sieht Deutschland die Position Kroatiens im Zusammenhang mit den Kohäsionsmitteln?

Frau Merkel, wenn es um den Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum geht, erwarten Sie, dass diese Frage dann tatsächlich im Rahmen der deutschen Präsidentschaft besprochen werden wird? Wird Kroatien vielleicht tatsächlich im Rahmen der deutschen Präsidentschaft dem Schengen-Raum beitreten?

BK’in Merkel: Kroatien hat ja schon erhebliche Anstrengungen unternommen. Das hängt dann auch etwas mit der Bewertung der Kommission zusammen. Aber dass Kroatien schon einen guten Schritt gegangen ist, das sehen wir auch so.

Was die mittelfristige finanzielle Vorausschau anbelangt, so sind wir natürlich zwei Länder, die unterschiedliche Positionen haben. Wir gehören zu den Nettozahlern. Kroatien bekommt Geld, damit es mit der Kohäsion, also der Kohärenz und Konvergenz, innerhalb der Europäischen Union schneller geht, damit das Land auch wirklich lebenswert ist und damit es seine Infrastruktur aufbauen kann. Ich kann natürlich verstehen, dass die Kohäsionsländer gemeinsame Interessen haben und auch die kroatischen Interessen vertreten. Zumindest möchte man ja wieder das Geld haben, das man in der vergangenen Legislaturperiode schon einmal hatte.

Für uns stellt sich die Lage etwas schwieriger dar. Nach dem Austritt Großbritanniens kommt auf uns eine noch größere Verantwortung zu. Aber das Allerwichtigste ist, dass wir das alles nur einstimmig beschließen können. Das heißt, wir müssen trotz ganz unterschiedlicher Perspektiven bezüglich dieser finanziellen Vorausschau wirklich einen großen gemeinsamen Willen aufbringen, und das wird ein sehr hartes Stück Arbeit.

MP Plenković: Wenn ich auch kurz etwas sagen kann: Was Schengen angeht, habe ich der kroatischen Öffentlichkeit bereits gesagt, dass das natürlich nicht im Laufe unserer Präsidentschaft zu erwarten ist, aber dass wir natürlich weiterhin die operative Arbeit fortsetzen werden, natürlich auch auf Ebene des Rates, um eine politische Entscheidung voranzubringen, da die Kommission ja bereits gesagt hat, dass wir die Kriterien erfüllt haben. Wir wollen natürlich weiter an der Strategie für die Eurozone, an dem Strategieplan und an dem Wechselkursmechanismus II arbeiten. Es gibt also zwei Pisten: einmal Eurozone, einmal Schengen. Daran arbeiten wir.

Was den europäischen Haushalt angeht, hat die Bundeskanzlerin zu Recht gesagt, dass wir wegen der unterschiedlichen Ausgangspositionen natürlich erst einmal unterschiedlichen Gruppen angehören. Aber was wichtig ist, ist, dass ein Kompromiss gefunden werden muss. Im letzten Jahr wurde hinsichtlich des neuen Haushalts zum Schluss tatsächlich auch immer ein Kompromiss gefunden, das heißt, zwischen den traditionellen landwirtschaftlichen Kohäsionsprogrammen und dem, was wir „Modernisierung des Haushalts“ nennen. Letztlich wird der Kompromiss natürlich so aussehen, dass alle ein bisschen unzufrieden sein werden.

Wir haben diesen Besuch ja auch dazu genutzt, der Bundeskanzlerin zu sagen   natürlich mache ich das jetzt mit dem Hut der kroatischen Interessen auf dem Kopf  , dass wir das letzte Land sind, das der EU beigetreten ist. Wir hatten als einziges Land Krieg, eine Aggression in unserem Land. Wir hatten nicht die makrofinanzielle Unterstützung, die beispielsweise andere Länder bekommen haben. Wir versuchen immer noch, Schritt zu halten. Wir wünschen uns und erwarten auch, dass die spezifische Position Kroatiens tatsächlich berücksichtigt wird. Wir sind wirklich das einzige Land in unserer Lage. Nicht einmal die anderen Länder Südosteuropas befinden sich in unserer Lage. Aber wir wollen natürlich insgesamt die europäischen Interessen wahren, damit ein guter Kompromiss gefunden werden kann, und daran werden wir gemeinsam arbeiten.