Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten der Republik Ungarn, Viktor Orbán

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

MP Orbán: Guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren! Erneut ein hochachtungsvolles Willkommen an Angela Merkel hier in Sopron! Wir haben uns versammelt, um zu feiern, aber gearbeitet haben wir auch. Es gab ein bilaterales Gespräch, über das ich kurz berichten will.

Zunächst möchte ich jedoch die Gedanken wiederholen, die unserem Herzen am nächsten stehen. Ich möchte, obwohl es schon 30 Jahre her ist - es hat aber weder an Wichtigkeit noch an Glanz verloren -, alle an den Tag des Picknicks in Sopron erinnern, der Ausgangspunkt der Ereignisse war, die zum Fall der Mauer führten. Das Picknick in Sopron war ein großer Moment in der europäischen Geschichte und ein Schlüssel zur Wiedervereinigung Europas. Von hier aus, vom Osten aus, betrachtet, haben wir es immer so gesehen, dass dieser Tag kommen konnte, weil wir, die nach dem Zweiten Weltkrieg der sowjetischen Welt vorgeworfen worden waren, nie glauben konnten, dass längerfristig zwei Europas existieren könnten, weil es ein Europa gibt, das von den freiheitsliebenden Völkern Europas eines Tages wiedervereint wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was die Arbeit anbelangt, haben wir unsere bilateralen Beziehungen betrachtet. Den Schwerpunkt der Gespräche bildete das Thema der Wirtschaft. Sie wissen, dass Deutschland unser Handelspartner Nummer eins und Investor Nummer eins in Ungarn ist. Weniger bekannt ist, dass das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern Jahr für Jahr einen Rekord erreicht. Im Vorjahr waren es mehr als 54 Milliarden Euro. Deutsche Investoren verbringen die modernsten Werke nach Ungarn. Ich könnte auch sagen, dass sich einige der modernsten Werke der deutschen Wirtschaft in Ungarn befinden. 6000 deutsche Unternehmen sind in Ungarn tätig, und diese 6000 deutschen Unternehmen geben 300 000 Ungarn Arbeit. In diesem Jahr wurde bis Mitte August über 17 neue deutsche Großinvestitionen entschieden.

Wir haben vor einem Jahr in Berlin ein Gespräch geführt und sind so verblieben, dass unsere Fachminister für Wirtschaft die Kooperation beider Länder gemäß eines gemeinsamen Drehbuchs weiterentwickeln. Es war eine Freude zu sehen, dass die beiden Fachminister dies getan haben. Ich bedanke mich auch bei Herrn Minister Palkovics. Nun sind wir so verblieben, dass wir für das kommende Jahr durch die beiden Fachminister in ähnlicher Weise eine neue Agenda für die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit erstellen lassen, besonders in den Bereichen Innovation, Hightech und Digitalisierung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben auch die Rüstungskooperation berührt. Sie werden wissen, dass Ungarn nach der Wende nun eine eigene moderne, leistungsfähige Verteidigungskraft aufbaut. Dabei spielt die deutsche Rüstungstechnik eine wichtige Rolle. Sie hat schon eine wichtige Rolle gespielt und wird auch künftig eine wichtige Rolle spielen. Darüber und auch über die Absicht zur Zusammenarbeit haben wir lang gesprochen.

Ein wichtiger Punkt des Gesprächs war die Frage der EU-Erweiterung. Sie wissen auch, dass dies für Ungarn eine wichtige Frage ist. Denn die Südgrenzen der Europäischen Union sind zugleich Südgrenzen Ungarns. Wir haben ein Interesse daran, dass der Bereich des Westbalkans möglichst bald Teil der EU wird. Eben deshalb ist Ungarn für die weitere EU-Erweiterung. Wir machen insbesondere immer darauf aufmerksam, dass Serbien der Schlüssel ist und dass die Beschleunigung des serbischen Beitritts nicht nur für Serbien und Ungarn, sondern auch für ganz Europa lebenswichtig ist.

Schließlich haben wir unsere Kooperation in Afrika erörtert. Wir haben den gemeinsamen Standpunkt, dass man Hilfe dorthin bringen muss, wo das Problem ist. Wir müssen die Bevölkerungshaltefähigkeit Afrikas steigern. Dementsprechend haben wir Projekte in Afrika zu laufen.

Insgesamt muss ich sagen, dass die Gespräche in einem dem Festakt würdigen, konstruktiven Klima und ausreichend detailliert verlaufen sind. Wir sehen am Horizont keine Ereignisse, die die deutsch-ungarischen Beziehungen trüben könnten. Auf der anderen Seite sehen wir weltwirtschaftliche Zwänge, die die wirtschaftliche Kooperation erzwingen. In der Hoffnung auf den Ausbau der deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen haben wir unser Gespräch beendet.

Ich möchte mich noch einmal in der Öffentlichkeit bei Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür bedanken, dass sie der Stadt Sopron und Ungarn die Ehre gibt. Ich bedanke mich ganz besonders dafür, dass sie das am Vorabend des Jahrestages unserer Staatsgründung getan hat. Vielen Dank!

BK’in Merkel: Ich möchte mich für die Einladung zu dem 30. Jubiläum des Paneuropäischen Picknicks ganz herzlich bedanken. Wir können dieses Ereignis gar nicht hoch genug würdigen. Es wurde Weltgeschichte geschrieben. Es war auch ein wesentlicher Baustein zum Fall der Berliner Mauer, und es war ein wesentlicher Baustein zur Vereinigung Europas. Auch die Tatsache, dass Ungarn heute seit 15 Jahren Mitglied der Europäischen Union ist, hat mit diesem Ereignis zu tun. Deshalb möchte ich mich bei der ungarischen Bevölkerung auch am Vorabend des Nationalfeiertages noch einmal ganz herzlich für den Mut bedanken, der damals aufgebracht wurde. Deutschland wird dies Ungarn nicht vergessen.

In unserem bilateralen Gespräch haben wir natürlich die Zukunft im Blick gehabt. Die Europäische Union steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Ich unterstütze das, was Ursula von der Leyen, die zukünftige Präsidentin der Europäischen Kommission, gesagt hat, dass wir nämlich eine Politik brauchen, die alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union möglichst noch besser vereint, damit wir die großen Herausforderungen, die wir für die Zukunft sehen - ob in der wirtschaftlichen Entwicklung, in der Verteidigungszusammenarbeit auch als Mitgliedsstaaten der Nato oder bei der Lösung von Handelskonflikten -, gemeinsam bewältigen können, ebenso wie auch die Herausforderung der Migration. Ich begrüße auch sehr, dass Ursula von der Leyen gesagt hat, sie wolle hierbei noch einmal einen neuen Start machen, um zu schauen, dass wir zu gemeinsamen Positionen kommen können.

Wir haben aber natürlich zuerst auch unsere bilateralen Beziehungen in den Blick genommen. In diesem Zusammenhang will auch ich betonen, dass es sehr wichtig ist, dass wir einen wirklich großen Handelsaustausch haben, dass es viele Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in Ungarn gibt, auch zum Wohle dieser Unternehmen; Deutschland profitiert also auch davon. Die Handelsbilanz ist mit 55 Milliarden Euro nicht nur umfangreich, sondern sie ist auch ausgeglichen. Das heißt, unsere beiden Volkswirtschaften sind schon sehr stark miteinander verquickt. Wenn man darüber spricht, mit welchem Ziel Kohäsionsfonds und Strukturfonds eingerichtet werden, dann muss man sagen, dass sie eingerichtet werden, um die Konvergenz innerhalb der Europäischen Union zu stärken. Wenn man sich die Wirtschaftswachstumsraten Ungarns anschaut, dann sieht man, dass Ungarn dieses Geld wirklich so einsetzt, dass es auch dem Wohle der Menschen zugutekommt. Deutschland freut sich, hieran mit Arbeitsplätzen beteiligt zu sein.

Anknüpfend an das Gespräch, das wir vor einem Jahr geführt hatten, wollen wir jetzt die Forschungs- und Innovationszusammenarbeit noch sichtbarer machen. Dazu werden unsere Wirtschaftsminister und unsere Forschungsminister in diesem Herbst weitere Treffen - es gab schon Treffen - abhalten. Wir werden dann miteinander eine noch sichtbarere Wissenschafts- und Forschungsagenda entwickeln.

Wir haben, wie der Ministerpräsident schon gesagt hat, auch über die Rüstungskooperation gesprochen. Unsere beiden Länder sind Mitgliedsstaaten der Nato. Insofern ist diese Rüstungskooperation natürlich sehr wichtig.

Wir haben über den Austritt Großbritanniens gesprochen, den wir als eine Realität akzeptieren. Ich bedauere ihn natürlich, aber es ist jetzt einmal so. Aber wir wollen natürlich bestmögliche Beziehungen zu Großbritannien in der Zukunft.

Wir haben auch über die Region des westlichen Balkans gesprochen. Nicht nur aus ungarischer Perspektive, sondern auch aus deutscher Perspektive ist die Aussicht, dass diese Staaten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden können, wichtig. Wenn man sich die Dinge einmal geostrategisch anschaut und auf die Landkarte blickt, dann sieht man, dass es ein wirklich vereinigtes Europa nur mit den Staaten des westlichen Balkans geben wird. In diesem Zusammenhang haben wir auch über die einzelnen Länder gesprochen.

Wir haben natürlich auch über die Situation der Weltwirtschaft gesprochen und uns dafür ausgesprochen, dass wir von europäischer Seite darauf hinarbeiten wollen, dass nicht die protektionistischen Tendenzen die Oberhand gewinnen, sondern dass die tiefe Verflechtung des Welthandels auch darin zum Ausdruck kommt, dass wir sowohl mit den Vereinigten Staaten von Amerika als aber eben auch mit China und anderen Regionen der Welt einen möglichst bruchlosen Handel haben können, weil es zur Verbesserung der Situation von uns allen beiträgt.

Alles in allem möchte ich Danke sagen für die Kombination aus einem historischen Gedenken und einem Blick in die Zukunft. Wir alle mussten lernen, dass in den 30 Jahren nach der Wiedervereinigung Europas die Probleme auf der Welt nicht abnehmen, sondern dass es neue gibt. Aber die Inspiration der Vergangenheit, zu wissen, dass Veränderung etwas Gutes bedeuten kann, inspiriert uns, auch die Probleme der Zukunft beherzt anzupacken. Noch einmal herzlichen Dank für die Gastfreundschaft!

Frage: Frau Bundeskanzlerin und Herr Ministerpräsident, Sie beide haben hervorgehoben, dass Europa einheitlich sein müsse. Wie sehen Sie es bei dieser Aufgabe? Kann es mit Deutschland und Ungarn, gerade aufbauend auf den historischen Beziehungen, eine neue Allianz geben, damit Ost- und Mitteleuropa Westeuropa noch näherkommen?

BK’in Merkel: Wir sind ja - in Zukunft als 27 Mitgliedsstaaten - vereint. Deutschlands Ansinnen ist es, mit möglichst allen Mitgliedsstaaten sehr enge und vertrauensvolle Beziehungen zu haben. Wir haben in Deutschland ein Sprichwort: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. - Man muss also möglichst viele konkrete Projekte auf den Weg bringen.

Wir haben uns über die mittelfristige finanzielle Vorausschau, also den zukünftigen EU-Haushalt, unterhalten. Deutschland wird dabei natürlich die Belange der mittel- und osteuropäischen Länder und auch die Ungarns ganz fest im Blick haben und versuchen, eine gerechte Lösung zu erreichen.

Ich habe auf die Situation der Nettozahler hingewiesen. Aber wir wissen, dass sich das in Zukunft ändern kann, dass Länder wie Ungarn, die wirtschaftlich sehr erfolgreich sind, natürlich dann auch weniger Regionen haben werden, die zu den Schwächsten Europas gehören. Aber heute ist es noch so. Deshalb müssen wir einen fairen Ausgleich finden, damit die Konvergenz auch stattfinden kann.

Wir wollen also von deutscher Seite eine Politik machen, die die Interessen der anderen mitbedenkt. Ich glaube, dass auch Ungarn die Interessen Deutschlands versteht. Insofern haben wir uns eine gute Zusammenarbeit vorgenommen, auch wenn es einmal unterschiedliche Perspektiven gibt. Zum Schluss lebt Europa davon. Ich sage das immer: Der Europäische Rat muss eigentlich immer, außer wenn wir Personal bestimmen, einstimmig entscheiden. Das heißt, wir müssen miteinander reden und Kompromisse finden, und das wollen wir auch.

MP Orbán: Die mitteleuropäischen Völker haben in den letzten 15 Jahren, seitdem wir EU-Mitglieder sind, eine eigenartige Periode am Horizont erfahren. Wenn wir die Ereignisse in Europa aus dieser historischen Perspektive betrachten, dann sehen wir, dass die mitteleuropäischen Länder - das ist für viele im Westen überraschend - moderner werden und eine Entwicklung nehmen. Das bestbekannte Beispiel ist die wirtschaftliche Kooperation der Visegrád-Staaten. Es gibt aber auch andere mitteleuropäische Länder, die eine gute Leistung erbringen. Im historischen Sinne betrachtet sprechen wir also über den Aufstieg der Region Mitteleuropa.

Die europäische Einheit wird künftig davon abhängen, ob wir die Konsequenzen daraus ziehen. Mitteleuropa ist also nicht mehr eine Region, die unterstützt werden muss und der geholfen werden soll, sondern Mitteleuropa ist eine Region, die einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und eine wesentliche Leistung für die europäische Entwicklung erbringt. Diese traditionelle deutsch-französische Achse, die stets privilegiert und etwas Besonderes sein wird, wird ergänzt um die Berücksichtigung der Interessen der Völker Mitteuropas. Das ist ein neuer Prozess. Das zeichnet sich vor unseren Augen ab, und das wird Ende der nächsten Siebenjahresperiode noch sichtbarer werden. Ich gehe also davon aus, dass das Gewicht Mitteleuropas bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung laufend wachsen wird. Wenn es ein Land gibt, das diesen historischen Prozess übersteht, dann ist gerade Deutschland dieses Land, weil ein Teil gerade in diesem früheren Ostbereich gestartet ist. Die deutsch-mitteleuropäischen Beziehungen werden also in den kommenden Jahren eine ganz besondere Bedeutung haben.

Frage: Das Paneuropäische Picknick steht für Einheit und Freiheit in Europa. Sie beide stehen für unterschiedliche Positionen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik in Europa. Welche Signalwirkung geht vor diesem Hintergrund von dem heutigen Tag aus?

Sie haben eben auch einen gemeinsamen Neustart auf europäischer Ebene angesprochen. Wie soll dieser konkret aussehen? Welche Position wird Ungarn einnehmen?

Eine Sache noch konkret an Herrn Orbán: Wir haben mit Zeitzeugen gesprochen, die Ungarn sehr dankbar dafür sind, dass vor 30 Jahren Zäune abgebaut wurden. Wie erklären Sie diesen Menschen, dass Sie heute neue Zäune bauen?

BK’in Merkel: Ich habe ja eben deutlich gemacht, dass ich es richtig finde, dass Ursula von der Leyen noch einmal einen Neustart für eine einheitliche Migrationspolitik machen will. Jetzt ist sie in der Rolle, Präsidentin der Europäischen Kommission zu werden. Sie hat ja mit den verschiedenen Mitgliedstaaten auch schon gesprochen.

Es gibt ja eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten. Wenn es um die Frage der Bekämpfung von Fluchtursachen geht, wenn es um Entwicklungshilfe für Afrika geht, so haben wir eine ganz gemeinsame Position. Auch das EU-Türkei-Abkommen, dass man Flüchtlingen in der Nähe ihrer Heimat hilft, ist zum Beispiel eine Gemeinsamkeit.

Es gibt Unterschiede; das ist richtig. Aber um das grundsätzliche Thema zu lösen, glaube ich, sollten wir an den Gemeinsamkeiten ansetzen und versuchen, die Unterschiede zu überwinden. Ich glaube, dass mit einer neuen Kommission dazu auch die Möglichkeiten vorhanden sind.

Es gehört natürlich dazu, dass wir auch Grenzschutz betreiben. Wir sind zum Beispiel einer Meinung, was die Notwendigkeit eines gemeinsamen europäischen Grenzschutzes anbelangt. Um das Schengen-Gebiet, also den Raum der Freizügigkeit, zu erhalten, müssen wir eben unsere Außengrenzen besser schützen. Das gelingt am allerbesten dann, wenn man mit den Staaten in Afrika, in der Türkei, im Irak - oder wo immer Flüchtlinge herkommen - auch im Gespräch ist und faire Abkommen mit ihnen findet, damit alle davon profitieren und die Menschen in ihrer Heimat bleiben können.

MP Orbán: Ich teile den Optimismus der Bundeskanzlerin, wenn sie sagt, dass die angehende neue Präsidentin der EU-Kommission, Frau von der Leyen, eine Chance für uns ist. Ich habe unlängst ein persönliches Gespräch mit ihr geführt. Ich kann nur das Beste sagen. Ich sehe, dass hier anstelle der alten, bereits verkrusteten Strukturen ein völlig neues Gleis in den Verhandlungen eingeschlagen werden kann. Das ist auf jeden Fall ermutigend.

Was die Ostdeutschen anbelangt, die mit unserer Hilfe herübergekommen sind, für die wir Mauern abgebaut haben, und die nun nicht ganz verstehen, wieso wir Grenzen für Leute aus Afrika und Asien bauen, kann ich nur sagen: Vor 30 Jahren haben wir die Mauern abgerissen, damit sie frei sein und in Sicherheit leben konnten. Nun, 30 Jahre später, beschützen wir die südlichen Grenzen Europas, damit sie auch weiterhin frei sein und in Sicherheit leben können. Im ungarischen Kopf, in der ungarischen Denke, sind diese beiden Verhaltensweisen sehr gut miteinander zu vereinen. Sie sind logische Konsequenzen voneinander.

Wir haben das Gefühl, dass wir für Deutschland die Funktion eines Burg-Kapitäns erfüllen, wenn wir im Süden Europas die Grenzen schützen. Das sind im Übrigen auch Schengener Grenzen. Wir machen das auf eigene Kosten. Sie könnten schon etwas großzügiger sein und manchmal auch etwas Munition schicken. Aber wir haben das Gefühl, dass das unsere Pflicht ist. Wie bislang werden wir das auch künftig machen. Wir möchten sehr, dass Brüssel einen Teil der Grenzschutzkosten, zumindest 50 Prozent, übernimmt. Bislang konnten wir das nicht erreichen. Aber in der nächsten Zeit werde ich alles daransetzen, dass wir das im Rahmen einer fairen Verrechnung erreichen.

Frage: Die bilateralen Beziehungen waren früher durch die Migrationskrise und durch die unterschiedliche Migrationspolitik belastet. Ist es geschafft worden, diese Gegensätze zu überbrücken beziehungsweise wie sind die bilateralen Beziehungen jetzt?

BK’in Merkel: Die bilateralen Beziehungen sind gut. Das heißt nicht, dass wir nicht an einigen Stellen auch unterschiedliche Meinungen haben. Wir sind, glaube ich, vollkommen einer Meinung, wenn es um die Frage geht, dass Menschen solche Bedingungen in ihrer Heimat haben sollen, dass sie nicht die Flucht antreten müssen. Dass wir dann helfen, habe ich ja auch gesagt.

Wir waren in gewisser Weise unterschiedlicher Meinung - und sind es vielleicht heute noch - in der Frage: Wenn Menschen das Recht haben, bei uns zu bleiben - Deutschland hat ein Asylrecht; Deutschland hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet -, dann bekommen diese Menschen auch Aufenthalt. Aber wir müssen den Schleppern und Schleusern das Handwerk legen. Denn heute sind es ja oft keine legalen Wege, sondern es sind illegale Wege. Wir dürfen Schlepper und Schleuser, die ihr Geschäft im Übrigen auf dem Rücken von Flüchtlingen machen, nicht unterstützen.

Aber die bilateralen Beziehungen sind so, dass wir über diese Fragen offen reden können. Wir sind uns auch gewiss, dass wir als Europäer - zu denen sind wir ja in der Europäischen Union vereint - nach außen am meisten Gewicht entfalten, wenn wir gemeinsame Lösungen präsentieren. Deshalb besteht auf allen Seiten die Hoffnung, dass mit der neuen Kommission vielleicht auch alte Gräben überwunden werden können.

MP Orbán: In den deutsch-ungarischen Beziehungen ist der ungarische Grenzschutz eine Kernfrage. Die Frau Bundeskanzlerin weiß ebenfalls, dass an der Südgrenze ungarische Soldaten und Polizisten stehen. Jeder, der die Nachrichtendienstberichte liest, weiß, dass der Migrationsstrom nicht zu Ende ist. Das ist ein Merkmal, das mit uns lebt. Wir müssen ständig davon ausgehen, dass der Druck vom Süden her wächst. Wenn jemand in der Lage ist, diesen Druck zu stoppen, dann ist es Ungarn. Die einzige Chance für Deutschland und auch für Österreich, nicht wieder von illegalen Einwanderern überströmt zu werden, besteht darin, dass Ungarn die Südgrenze schützt und sie gut schützt. Ich habe der Bundeskanzlerin gegenüber jetzt deutlich gemacht, dass wir dieser Verpflichtung auch künftig restlos nachkommen werden. Das ist auch ein Beitrag zu den guten deutsch-ungarischen Beziehungen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eben in der Kirche gesagt, Sie saugten Kraft aus diesem Paneuropäischen Picknick. Das sei eine Kraftquelle für Sie. Können Sie vielleicht einmal kurz beschreiben, in welchen Momenten Ihnen das Kraft gibt? Ich bitte um eine persönliche Einschätzung.

Noch eine Frage an Sie, Herr Premierminister Orbán: Die Kritik, die von europäischer Seite kommt, konzentriert sich ja nicht immer nur auf Migrationspolitik. Dabei geht es auch um Demokratie. Dabei geht es auch um Wissenschaftsfreiheit. Dabei gibt es immer wieder die Vorwürfe, dass Sie dort eingreifen und die Rechte einschränken. Inwiefern wird es da mit Ursula von der Leyen eine Änderung Ihrer Politik geben?

BK‘in Merkel: Was mich persönlich anbelangt, so haben natürlich die Ereignisse von 1989 mein Leben ganz wesentlich geprägt. Ohne diese Ereignisse wäre ich heute nicht Politikerin. Ich könnte nicht Bundeskanzlerin eines wiedervereinigten Deutschlands sein.

Es haben sich damals zwei Dinge gezeigt: Erstens kann etwas ganz Besonderes passieren. Man muss sich mit den jeweiligen Zuständen nicht abfinden, sondern man muss versuchen, sie zu verändern. Das ist die Lebenserfahrung, die wir in Europa im Jahr 1989/90 gemacht haben. Damit sind nicht alle Probleme der Welt gelöst, sondern es kommen neue, aber man kann das Unvorstellbare erreichen, und das ist eine ganz wichtige Inspiration.

Sie wissen ja auch, dass wir im Europäischen Rat manchmal sehr zähe, lange Verhandlungen über viele Stunden hinweg führen. Dieser Wille, eine Lösung zu finden und auch die Zuversicht, eine Lösung finden zu können, ist schon auch aus dem gespeist, was ich 1989 und 1990 erlebt habe. Das hat mich persönlich jedenfalls sehr geprägt. Mein Elan und mein Wille, heutige Dinge, die ich ändern möchte, zu ändern, ist davon nach wie vor gespeist.

MP Orbán: Was die negativen Meinungen über die ungarische Demokratie anbelangt, so betrachten wir sie reihum als politisch voreingenommen - das muss ich ehrlich sagen -, nachdem da keine Fakten behauptet werden. Deshalb berücksichtigen wir sie im Allgemeinen gar nicht so sehr. Wir nehmen zur Kenntnis, dass politische Meinungsunterschiede Teil der europäischen politischen Diskussionen sind.

Ich stehe allen zur Verfügung. Kommen Sie nach Ungarn. Sehen Sie sich um und werfen Sie einen Blick auf diese schöne Stadt. Schauen Sie sich Ungarn an, sammeln Sie persönliche Erfahrungen. Dann werden Sie schon verstehen, auf welche Art und Weise die Ungarn ihr Leben hier in Ungarn einrichten. Wir leben anders als die Deutschen, anders als die Franzosen und anders als die Italiener, aber auch anders als die Russen oder Serben. Wir haben unser eigenes ungarisches Leben. Dafür gibt es verfassungsmäßige Grundlagen, und diese verfassungsmäßigen Grundlagen, bei denen die Grundlage eine christliche Kultur und die damit verbundene christliche Freiheit ist, werden wir in jeder politischen Diskussion beschützen.

Auf diese politischen Diskussionen sind wir eher stolz. Wir führen sie gern, und wir geben der Welt gerne bekannt, welche Lösungen Ungarn in den letzten zehn Jahren auf den Weg des Erfolges gebracht haben. Ungarn ist noch weit davon entfernt, mit der Leistung zufrieden sein zu können. Aber ich denke, dass Ungarn eine immer bessere Leistung erbringt. Wir haben einen guten Grund, das Begonnene fortzusetzen.