Im Wortlaut
in Tallinn
17 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Mittwoch, 24. August 2016
(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung.)
MP Rõivas: Liebe Angela, meine Damen und Herren, liebe Journalisten. Mir tut es leid, mit einer traurigen Note beginnen zu müssen. Die Zahl der italienischen Erdbebenopfer nimmt stetig zu. Ich möchte dem italienischen Volk und dem italienischen Ministerpräsidenten mein tiefes Beileid aussprechen.
Jetzt zu dem Anlass, weshalb wir uns heute hier versammelt haben.
Zuerst möchte ich der Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich dafür danken, dass sie eine Schlüsselrolle bei der Führung Europas durch die Krise gehabt und Europa auch in den schwierigsten Augenblicken einig gehalten hat.
Die diplomatischen Beziehungen zwischen unseren Staaten wurden vor genau 25 Jahren, am 28. August, wieder aufgenommen, einige Tage nach der Wiedererlangung der estnischen Unabhängigkeit im Jahre 1991. Ein Vierteljahrhundert später ist es schwer, in Worte zu fassen, wie wichtig die deutsch-estnischen Beziehungen für uns sind. Deutschland ist für Estland ein überaus wichtiger Verbündeter und Partner. Unsere Auffassungen von der Zukunft Europas, von der Notwendigkeit, die Sicherheit an der Ostflanke der Nato zu verstehen, und des Ukraine-Konflikts ähneln sich stark.
Thomas Mann hat einmal gesagt, dass wir das europäische Deutschland und kein deutsches Europa wollen. Heute kann ich sagen, dass Deutschland uns durch sein Vorbild anregt, bessere Europäer zu sein. In der Zeit, in der Europa an Krisen leidet und vor wichtigen Entscheidungen steht, brauchen wir meiner Meinung nach ein Europa, das mehr wie Deutschland aussieht.
Die Entscheidung der Engländer, aus der EU auszutreten, war ein Schock. In ein paar Wochen treffen wir uns in Bratislava, um uns gemeinsam mit der Lösung brennender Probleme zu befassen. Man erwartet von uns natürlich, dass wir uns auf wesentliche Probleme konzentrieren. Menschen in Europa machen sich wegen unterschiedlicher Konflikte Sorgen, darunter militärische Konflikte. Die Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen und weitere Probleme machen den Menschen zu schaffen. Ich versichere Ihnen, dass Estland Deutschland bei der Suche nach der Lösung unterstützt.
Wir haben heute kurz über die Sicherheit gesprochen und werden ganz sicher noch weiter darüber sprechen. Wir haben hierbei eine gemeinsame Sichtweise mit der Bundeskanzlerin. Wir beide wissen, was es bedeutet, hinter Mauern zu leben, und wie lebenswichtig es ist, ein Teil der freien Welt zu werden. Der Fall dieser Mauern war für unsere Bürger einer der größten geopolitischen Erfolge. Deswegen gehört es sich, dass ein Stück der Berliner Mauer ein paar hundert Meter vom Stenbock-Haus entfernt für ewig im Geschichtsmuseum seinen Platz gefunden hat.
Ein freies Europa ohne Grenzen muss bestehen bleiben. Natürlich ist die Sicherheit sehr wichtig. Unser gemeinsames Verständnis von der Sicherheit ist ein Grundstein der engen deutsch-estnischen Beziehungen. Hier in Estland beginnt die EU, deren Teil Estland ist.
Jetzt zur Ukraine-Russland-Problematik: Ich würde sagen, dass man eigentlich keine hypermoderne Kristallkugel braucht, um zu verstehen, dass der Ukraine-Konflikt noch lange nicht beendet ist. Im Gegenteil, die Eskalation in der Ostukraine und die Provokation auf der Krim zeigen, dass Russland leider noch nicht bereit ist, diesen Konflikt friedfertig zu lösen. Solange sich Moskau nicht an das Abkommen von Minsk hält, können wir nicht davon reden, dass die Sanktionen gelockert werden können.
Eines der Themen des heutigen und morgigen Besuchs ist das digitale Zeitalter. Ich denke, dass dies auch ein Teil des Sicherheitsthemas ist. Wir können gemeinsam sehr vieles machen. Ich hoffe, dass mein Besuch im Frühjahr in Meseberg und der heutige Besuch der Bundeskanzlerin in Estland bald dazu führen, dass es zu einer Zusammenarbeit zwischen Estland und Deutschland im IT-Bereich kommt. Denn die IT-Intelligenz Estlands und die industrielle Macht Deutschlands müssen zu einem Motor ausgebaut werden, der der ganzen europäischen Wirtschaft einen neuen Impuls gibt.
BK’in Merkel: Danke schön, lieber Taavi, für die Gastfreundschaft, mit der ich und meine Delegation hier empfangen wurden. Wir freuen uns, dass wir in Estland zu Besuch sein können.
Bevor ich etwas zu den deutsch-estnischen Beziehungen sage, möchte ich auch von meiner Seite aus gegenüber dem italienischen Volk mein Mitgefühl zum Ausdruck bringen. Es ist schrecklich, welche Opfer das Erdbeben gefordert hat. Die Bilder sind schrecklich, die wir sehen. Wir werden bereit sein, alles, was wir können, wenn es notwendig ist, Italien als Hilfeleistung zur Verfügung zu stellen. Unsere Gedanken sind heute bei den Menschen in der Region in Italien.
Ich möchte zu Beginn sagen, dass wir natürlich zu 25 Jahren seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Estlands gratulieren und dass wir in wenigen Tagen auch 25 Jahre diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Estland begehen werden. Ich denke, in diesen 25 Jahren hat sich eine enge, freundschaftliche Beziehung zwischen unseren beiden Ländern herausgebildet, eine Beziehung, in der wir voneinander lernen können, in der wir aber auch sehr eng miteinander kooperieren - in der Nato oder aber auch in der Europäischen Union. Das ist auch das Dach, unter dem der heutige Besuch stattfindet.
Wir freuen uns, dass wir uns im Zusammenhang mit dem Air Policing entsprechend Artikel 5 des Nato-Vertrags gegenseitig Beistand leisten können. Wir haben die Beschlüsse in Warschau gemeinsam vertreten. Deutschland wird in Litauen Rahmennation sein. Andere werden dies in Estland tun. Ich denke, damit zeigen wir, dass wir im Verbund der Nato füreinander einstehen.
Ich war sehr dankbar dafür, dass der Ministerpräsident im Frühjahr nach Meseberg gekommen ist und mit uns über die Digitalisierung gesprochen hat. Denn hierbei ist Estland Vorbild. Natürlich ist es in einem größeren Land, in einem föderalen Land, in einem Land, das schon einen langen Entwicklungsprozess ohne das digitale Zeitalter hinter sich hat, nicht so ganz einfach, die Dinge zu verändern. Aber in Estland sieht man, wie diese Veränderung umgesetzt wird - zum Wohle der Menschen. Deshalb werde ich auch bei diesem Besuch gern noch etwas mehr darüber lernen, wie die Dinge implementiert werden.
Wir haben heute in unserem ersten Gespräch vor allen Dingen über die Situation in der Europäischen Union gesprochen, über die Vorbereitung unseres Treffens der 27 Mitgliedsstaaten in Bratislava und über die Agenda der nächsten Woche. Beide Länder bedauern das Ergebnis des Referendums der Menschen in Großbritannien. Aber wir respektieren es natürlich. Das bedeutet: Großbritannien wird in absehbarer Zeit nicht mehr Mitglied der Europäischen Union sein. Das bedeutet umgekehrt, dass wir als die 27 dieses Projekt Europa natürlich fortführen, aber natürlich auch das, was noch nicht so gut gelingt, verbessern wollen. Gerade mit Blick auf das nächste Frühjahr, wenn wir das 60-jährige Jubiläum der Römischen Verträge begehen, sollten wir uns gut vorbereiten.
Wir sind uns über die wesentlichen Punkte einig. Diese Punkte sind auf der einen Seite die Punkte der ökonomischen Kraft, die wir entfalten. Hierbei spielt wieder das Thema der Digitalisierung eine große Rolle. Die Vervollständigung des Binnenmarktes bedeutet auch, einen digitalen Binnenmarkt zu haben. Hierbei haben wir erste Erfolge durchgesetzt. Aber in Europa ist noch viel zu tun, von der Frage der Infrastruktur, also der Hardware, bis hin zu gleichen und vergleichbaren rechtlichen Rahmensetzungen, die wir finden müssen, und technologischen Entwicklungen.
Wir sind uns einig, dass dies auch Chancen auf Arbeitsplätze gerade für junge Menschen bedeutet. In vielen europäischen Mitgliedsstaaten gibt es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Deshalb ist wirtschaftlicher Erfolg auch Garantie für Wohlstand und Arbeitsplätze. Daran werden wir weiter arbeiten.
Wir sind uns auch einig, dass die Themen der inneren und der äußeren Sicherheit, des Kampfes gegen terroristische Bedrohungen eine gemeinsame Aufgabe der Europäischen Union sind. Auch in diesen Themenfeldern werden wir gemeinsam weiterarbeiten.
Jetzt wird es darauf ankommen - dafür gibt es eine Vielzahl von Kontakten zwischen verschiedenen Mitgliedsstaaten -, dass wir aufeinander hören, dass wir gemeinsam voneinander lernen und auf diesem Weg eine gute Agenda für die nächsten Monate beschließen, um die Schlagkraft und die Stärke der Europäischen Union deutlich werden zu lassen.
Ich bin also sehr dankbar, nach vielen Jahren - es sind fast acht Jahre - wieder in Estland zu sein, heute noch die Nato-Institution zu besuchen, in der es um die Abwehr von Cybergefahren geht, und mehr über die Digitalisierung zu lernen, aber auch umfassend über die internationalen Konflikte zu sprechen. Ich bedanke mich für die Unterstützung auch Estlands im Zusammenhang mit dem Minsker Prozess. Wir haben nichts anderes als die Minsker Abmachung. Aber ihre Umsetzung ist extrem schwierig. Wir brauchen einen sehr langen Atem und haben leider noch längst nicht die Erfolge erzielt, die ich mir wünschen würde. Aber Deutschland und Frankreich werden mit der Unterstützung anderer europäischer Länder weiter auf diesem Weg arbeiten, um eine Lösung auch für diesen Konflikt zu finden. - Herzlichen Dank.
Frage: Ich habe eine Frage sowohl für die Bundeskanzlerin als auch für den Premierminister. Sie beide haben gesagt, dass das britische Votum ein Schock war. Aber Sie haben auch gesagt, dass die 27 Mitgliedsstaaten jetzt weitergehen müssen. Aber die Unentschiedenheit darüber, ob die Briten ausscheiden oder nicht, wird einen Schatten auf das werfen, was Sie machen werden. Es stärkt die Populisten, die sagen, dass nichts davon abhängt, dass wir solche Referenden abhalten können. Können Sie uns sagen, wie lange wir eine solche Periode der Unentschiedenheit haben können? Wann müssen sich die Briten entscheiden?
MP Rõivas: Wann die britische Regierung den entsprechenden Antrag stellt, soll den Briten überlassen bleiben. Man dürfte eigentlich nicht sagen, dass nichts passiert sei. Der „Brexit“ hat schon nach dem Votum einen spürbaren Einfluss auf Großbritannien und die britische Wirtschaft gehabt. Es gibt Entwicklungen, über die man sich nicht freuen kann. Ich meine, dass wir gemeinsam ganz richtig gehandelt haben, Großbritannien nicht unter Zeitdruck zu setzen. Von einem geschichtlichen Blickpunkt aus muss man den Briten selber die Möglichkeit geben, zu entscheiden, wie sie sich die Zukunft und die Beziehungen zur EU vorstellen. Andererseits müssen wir, die 27, uns entscheiden, was wir erwarten.
Wir in Estland sind der Meinung, dass es in unserem Interesse ist, die Beziehungen weiter zu hegen. Großbritannien ist für uns ein wichtiger Partner, unter anderem auch in der Nato.
BK’in Merkel: Die politische Situation ist ja klar: Großbritannien wird die Europäische Union verlassen. Das heißt, wir als 27 müssen und werden uns darauf einstellen, zu überlegen, was unsere Schwerpunkte sind, wie wir unsere Arbeit fortsetzen wollen und wo wir uns besonders anstrengen wollen. Dazu dient auch Bratislava.
Zweitens ist die Rechtslage klar: Großbritannien muss den Antrag stellen. Bevor Großbritannien den Antrag gestellt hat - so haben wir es gesagt -, können wir keine Antwort geben, welche Beziehung mit Großbritannien wir uns vorstellen. Davon unbenommen ist natürlich, dass die bilateralen Beziehungen aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union - für Deutschland kann ich das jedenfalls sagen - sehr gut und freundschaftlich bleiben werden. Aber sie werden eben nicht mehr Mitglied der Europäischen Union sein.
Ich denke, wir haben genug zu tun, uns unter uns 27 mit den Zukunftsfragen zu beschäftigen, sodass wir die Zeit abwarten können, die sich Großbritannien nehmen will, um seinerseits zu klären, welche Beziehung sie zur Europäischen Union haben wollen. Nur darüber können wir ja verhandeln. Großbritannien stellt den Antrag für die Austrittsverhandlungen. Wir stellen diesen Antrag nicht, weil wir ihn gar nicht stellen wollten.
Insofern sehe ich dieser Phase sehr ruhig entgegen. Nachdem Großbritannien einen Antrag gestellt hat, werden wir eine entsprechende gemeinsame Antwort geben, wie wir uns unsererseits die Beziehung zu Großbritannien vorstellen können.
Frage: Ich habe eine Frage an den Ministerpräsidenten. Die osteuropäischen EU-Staaten fordern immer mehr Sicherheit. Aber wie weit würde denn die Bereitschaft Ihres Landes und anderer Osteuropäer gehen, integrierte, gemeinsame Militärverbände zum Beispiel mit Deutschland oder anderen Partnern zu haben, wie es in Deutschland mit den Niederländern oder Franzosen schon längst der Fall ist?
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eben die Abstimmungsarie - so nenne ich es einmal - vor Bratislava erwähnt, den großen Reigen an bilateralen Abstimmungen. Übernehmen Sie nicht eigentlich eine Rolle, die die EU-Institutionen übernehmen müssten? Rücken Sie Deutschland nicht in eine zu zentrale Lage, oder gibt es dazu keine Alternative?
MP Rõivas: Wenn Deutschland eine zentrale Rolle in der Europäischen Union spielt, ist das aus meiner Sicht für Europa positiv. Ich teile in sehr vielen Fragen die Ansichten der deutschen Regierung, angeführt durch die Bundeskanzlerin. Hier in Nordeuropa gibt es weitere Unterstützer.
Vielleicht hat es an der Übersetzung gelegen, aber haben Sie tatsächlich von gemeinsamen Streitkräften mit den osteuropäischen Staaten gesprochen? Nein, Estland hat seine Wahl schon längst getroffen. Wir sind ein Nato-Mitglied, nicht mit osteuropäischen Ländern. Wir haben mit Deutschland eine sehr enge militärische Zusammenarbeit, und auch wir leisten unseren Beitrag in dieser Zusammenarbeit, zum Beispiel momentan in Mali. Wir waren früher gemeinsam an unterschiedlichen militärischen Einsätzen beteiligt. Ja, wir sind ein kleiner Mitgliedsstaat, aber wir haben immer versucht, unseren Beitrag zu leisten, damit die Welt sicherer ist, zusammen mit unseren Partnern sowohl in der EU als auch in der Nato. Jegliche militärische Zusammenarbeit auf bilateraler Ebene mit Deutschland wie auch in der Nato bleibt nach wie vor vorhanden. Wir wollten nie ein Verbraucher der Sicherheit sein. Wir haben immer versucht, unseren Beitrag zu leisten. Wenn unsere Partner es von uns erbitten, dann leisten wir unseren Beitrag bei unterschiedlichen Missionen und werden dies auch in der Zukunft tun.
BK’in Merkel: Ich denke, bei der Frage ging es um so etwas wie eine deutsch-französische Brigade - wir haben eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich sowie zwischen Dänemark, Polen und Deutschland - und ob sich auch Estland so etwas vorstellen kann. Ich denke nicht, dass es dafür prinzipielle Hindernisse gibt. Wir haben eine enge Kooperation. Nur ist es bei dem Größenunterschied der beiden Länder natürlich so, dass dann vielleicht noch mehrere Länder dazukommen müssten. Aber angesichts dessen, wie das mit Polen läuft, kann ich mir keine großen ideologischen Barrieren vorstellen, die verhindern würden, dass man so etwas auch gemeinsam mit Estland machen kann. Wir haben viele gemeinsame Aktivitäten.
Jetzt zu der Frage, was wir vor Bratislava machen. Die Funktionen, die die europäischen Institutionen haben, werden durch Donald Tusk und Jean-Claude Juncker wahrgenommen. Donald Tusk hat mich bereits besucht und wird mit allen anderen Mitgliedsstaaten sprechen. Jean-Claude Juncker wird mit allen Mitgliedsstaaten sprechen. Das ist vollkommen unbenommen von anderen Aktivitäten.
Sie sehen, dass es eine Vielzahl von Treffen gibt. Aus meiner Sicht ist es gut, möglichst vielen in der Europäischen Union einmal zuzuhören - auch in kleineren Gruppen -, wie sie die Situation nach dem Referendum in Großbritannien beurteilen, um dann gemeinsam vorgehen zu können. Ich denke, gerade ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das von der Bevölkerungszahl und auch von der Wirtschaftskraft her natürlich sehr groß ist, das aber Mitglied eines Europäischen Rates ist, in dem nur einstimmig Beschlüsse gefasst werden, tut gut daran, anderen zuzuhören. Es ist eine Phase des Zuhörens, des Verstehens, des Lernens voneinander, um die natürlich neue Balance innerhalb einer Union der 27 richtig verstehen und entwickeln zu können.
Wenn Großbritannien - ein Land, das 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in der Europäischen Union darstellt - aus der Europäischen Union ausscheidet, dann bedeutet das natürlich, dass uns ein wichtiger Partner fehlt. Wir müssen von Anfang an sehr gemeinsam und sehr ruhig und besonnen die Arbeit der zukünftigen Europäischen Union der 27 aufbauen. Wenn man das schon am Anfang falsch macht und nicht hinhört, sondern sofort in Aktionismus verfällt, dann kann man, denke ich, sehr viele Fehler machen. Deshalb ist es gut, dass wir uns in dieser Phase die Zeit nehmen, dass Bratislava kein Entscheidungsgipfel sein wird, sondern ein Gipfel, der eine Agenda setzt, und dass man dann Monat für Monat wirklich das liefert, was wir uns an Ergebnissen vorgenommen haben.
MP Rõivas: Vielleicht habe ich die Frage etwas falsch verstanden. Die Nato reicht hinter der estnischen Grenze ja nicht weiter nach Osten. Aber wenn die Frage die Zusammenarbeit betraf, dann kann ich natürlich auf das Baltische Bataillon verweisen. Das ist eine ständige Einrichtung. Wir können es sowohl bei den Übungen einsetzen als auch in anderen Formaten.
Bei unterschiedlichen Einsätzen haben wir auch Ad-hoc-Zusammenarbeiten gehabt. Zum Beispiel arbeiten wir unter der Ägide der Uno mit Finnen und Iren zusammen. Kürzlich waren wir mit den Franzosen in der Zentralafrikanischen Republik und vor Kurzem in Afghanistan zusammen mit den Briten. Dann haben wir immer entweder ein Bataillon, eine Brigade oder eine größere Einheit gebildet, wozu Estland einen Zug oder eine Kompanie beigetragen hat - in Afghanistan sogar zwei Kompanien.
Momentan haben wir tatsächlich auch eine Zusammenarbeit mit den Deutschen, die gut funktioniert. Das ist keine ständige Struktur, sondern wir haben das nur für einen Einsatz gebildet. Das ist ein Format multilateraler Zusammenarbeit. Das ist sehr gut. Natürlich sind wir auch bereit, in Zukunft solche gemeinsame Truppen zu schaffen.
Frage: Eine Frage an Sie beide: Eines der großen europäischen Themen ist die Frage der Flüchtlinge, die Frage der Menschen, die nach Europa kommen und dort eine neue Heimat oder erst einmal auch eine Bleibe suchen. Frau Merkel, was erwarten Sie von Estland?
Eine Frage an Sie, Herr Rõivas: Wie ist Ihre Position dazu?
Dann noch eine Frage an Sie, Frau Merkel: Walter Scheel ist heute gestorben.
MP Rõivas: Entschuldigung, können Sie die Frage wiederholen? Es gab keine Übersetzung. Das tut mir leid.
Frage: In meiner Frage ging es um die Flüchtlingspolitik. Was erwartet Frau Merkel und was erwartet die Bundesregierung von Ihnen? Wie ist Ihre Position dazu?
Die Nachfrage an Frau Merkel ist folgende: Altbundespräsident Walter Scheel ist heute gestorben. Wie haben Sie davon erfahren? Was ist Ihr Kommentar dazu?
BK’in Merkel: Bezüglich des Todes von Walter Scheel möchte ich sagen, dass wir natürlich sehr traurig über seinen Tod sind. Ich habe eben davon erfahren. Er war ein überaus populärer Bundespräsident, der viele Menschen beeindruckt hat und der Deutschland durch seine Bundespräsidentschaft auch geprägt hat. Er war über eine lange Zeit ein erfolgreicher Außenminister. Wir bedauern natürlich, dass Walter Scheel nicht mehr bei uns ist. Ich werde in Kürze Kontakt mit dem Bundespräsidenten aufnehmen und alles Weiter mit ihm besprechen.
Was die Flüchtlingspolitik anbelangt, so ist die Situation folgendermaßen: Wir haben eigentlich alle Schritte in Europa gemeinsam miteinander diskutiert. Das bedeutet, beim Schutz der Außengrenzen hat Estland genauso wie Deutschland daran mitgearbeitet, Frontex in sehr kurzer Zeit völlig neu aufzustellen und eine wirkliche europäische Küstenwache aufzubauen. Estland hat - was wir sehr begrüßt haben - Ländern auch immer wieder beim Grenzschutz geholfen.
Wir sind gemeinsam der Meinung, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen und die illegale Schlepperkriminalität beseitigen müssen, und haben uns deshalb gemeinsam für das EU-Türkei-Abkommen eingesetzt. Wir sind der Überzeugung, dass wir unserer humanitären Verantwortung auf unterschiedliche Weise gerecht werden müssen. Das bedeutet mehr Entwicklungshilfe und auch mehr Arbeit vor Ort. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass wir Entwicklungs- und Migrationspartnerschaften über das EU-Türkei-Abkommen hinaus mit anderen Ländern entwickeln werden. Auch hierbei arbeiten wir völlig gemeinsam.
Wenn es darum geht, Flüchtlinge aufzunehmen, bin ich auch sehr dankbar, dass Estland trotz durchaus sehr kontroverser Diskussionen hier in Estland zu seiner Verantwortung im Rahmen der Beschlüsse der Europäischen Union steht.
Aber ich denke, dass wir vor allem darauf Wert legen müssen, vor Ort Flüchtlingen eine Chance zu geben, in der Zeit, in der sie aus ihrer Heimat flüchten müssen, ein gutes Auskommen zu haben, und die Illegalität zu bekämpfen. Das ist jetzt die Aufgabe, an der wir weiter arbeiten.
MP Rõivas: Ich möchte auch meinerseits dem deutschen Volk und auch den Angehörigen von Walter Scheel mein Beileid aussprechen. Das ist natürlich eine sehr traurige Nachricht für uns alle.
Jetzt zur Migrationspolitik und zur Migrationskrise: Europa kann in der schwierigen Situation zurechtkommen, wenn wir alle dazu beitragen und einander unterstützen. Das war so, als einige europäische Staaten wirtschaftliche Hilfe brauchten. Genauso ist es jetzt, wo die Migrationskrise sehr aktuell ist.
Ich bin mit allem einverstanden, was die Bundeskanzlerin gerade gesagt hat. Aber ich möchte noch einmal betonen, dass das Wirksamste bei der Lösung der Migrationskrise bisher gewesen ist, dass wir die Nachbarstaaten der Ursprungsstaaten unterstützt haben. Das sind die Staaten, in die sich die Migranten vor Krieg und Terror flüchten. Wir müssen diesen Staaten wirtschaftlich helfen und sie beraten. Das hat die Europäische Union getan. Das haben auch andere Staaten bilateral getan. Das müssen wir weiter fortsetzen und noch verstärken. Das ist eine Politik gewesen, für die wir schon positive Beispiele gehabt haben. Ich möchte nicht zu optimistisch sein. Diese Krise ist noch lange nicht gelöst. Aber es zeigt sich, dass Vereinbarungen mit den Nachbarstaaten funktionieren können.
Frage: Der deutsche Außenminister hat zum Beispiel Nato-Übungen hier in Osteuropa kritisiert. Was meinen Sie: Inwieweit könnte sich die deutsche Politik in Bezug auf Russland und was die Sicherheit hier in der Ostseeregion angeht ändern, wenn es den Konservativen in Deutschland bei den Wahlen nächstes Jahr nicht allzu gut ergeht? - Vielen Dank.
BK’in Merkel: Ich will darauf hinweisen, dass die Bundesregierung, die im Rahmen einer großen Koalition zusammenarbeitet, alle Beschlüsse, die wir in Warschau getroffen haben, einvernehmlich gefällt hat und dass deshalb das Ergebnis von Warschau von uns beiden sehr positiv beurteilt wird. So war es auch bei den vorigen Nato-Gipfeln. Das ist es, was zählt.
MP Rõivas: Ich kann nur hinzufügen, dass Estland und das von Frau Merkel angeführte Deutschland in sehr vielen Fragen ein und derselben Meinung sind. Deutschland ist für uns ein überaus wichtiger Partner.
Den ersten Teil Ihrer Frage habe ich eigentlich nicht verstanden. Ich bin der Meinung, dass die Konservativen im kommenden Jahr der Erfolg begleiten wird. - Vielen Dank.