Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien, Hailemariam

Thema: Besuch des Ministerpräsidenten der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsident Hailemariam Desalegn Bosche

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung.)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich möchte ganz herzlich den äthiopischen Ministerpräsidenten Hailemariam hier in Berlin begrüßen. Es ist sein erster Besuch in Deutschland. Wir haben uns international schon gesehen, aber ich freue mich natürlich, dass er meiner Einladung gefolgt ist und wir uns nach dem EU-Afrika-Gipfel jetzt auch wieder hier in Berlin sehen können.

Äthiopien hat in den letzten Jahren eine beachtliche Entwicklungsleistung vollbracht. Es gibt erstaunliche, gute Wachstumsraten und auch wirkliche Erfolge, zum Beispiel bei den Themen der Bildung oder des Ausbaus der Energieversorgung.

Wir sind mit Äthiopien verbunden, vor allen Dingen durch eine sehr enge Entwicklungszusammenarbeit in Bereichen, die auch für die äthiopische Entwicklung von größter Bedeutung sind. Das betrifft zum einen den landwirtschaftlichen Bereich, aber vor allen Dingen auch den Bereich der dualen Ausbildung, die auch heute in unserem Gespräch wieder eine Rolle gespielt hat. Auch in der Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Äthiopien ist die Entwicklungszusammenarbeit sehr gut ausgeprägt. Äthiopien ist sowohl für Deutschland als auch für die Europäische Union ein Schwerpunktland für die Entwicklungszusammenarbeit.

Unsere politischen Beziehungen sind sehr intensiv und sehr eng. Wir haben auch über Fragen der Meinungsfreiheit und der Arbeitsweise der Stiftungen gesprochen. Aber insgesamt kann man sagen, dass wir einen sehr engen Austausch pflegen.

Der Ministerpräsident möchte seine Reise auch nutzen, um deutlich zu machen, dass Äthiopien Interesse an Investitionen deutscher Firmen hat. Wir haben darüber sehr ausführlich gesprochen, und ich konnte mitteilen, dass auch mehr und mehr Unternehmen aus Deutschland Interesse haben. Es gibt heute schon eine Zusammenarbeit im Bereich der Windenergie - Äthiopien konzentriert sich sehr auf den Ausbau erneuerbarer Energien - und der Wasserkraft. Auch im Wasserkraftbereich gibt es bereits Kooperationen, so zum Beispiel durch die Firma Voith.

Wir haben uns natürlich auch über die Situation in der Nachbarschaft von Äthiopien unterhalten. Da muss man sagen: Äthiopien ist schon von durchaus schwierigen Nachbarn umgeben. Südsudan, Sudan, Somalia und Eritrea sind alles Länder mit großen Problemen. Umso größer ist die Wichtigkeit, dass Äthiopien eine stabile Entwicklung nimmt, dass es in Äthiopien, wie wir auch besprochen haben, ein sehr gutes Zusammenleben von Christen und Muslimen gibt und dass die Vielfalt dieses Landes doch ein friedliches Zusammenleben ermöglicht, was leider nicht in allen Bereichen von Afrika so der Fall ist. Deshalb unterstützen wir die Bemühungen der äthiopischen Regierung auch sehr, diese Stabilität zu erhalten und bei der Lösung von Nachbarschaftskonflikten zu helfen.

Wenn wir an Somalia denken, dann spielt Äthiopien mit mehr als 4.000 Soldaten eine zentrale Rolle. Wir haben über die Flüchtlingssituation gesprochen. Es gibt viele Flüchtlinge sowohl aus dem Sudan als auch aus Eritrea. Da kann man sich vorstellen, vor welchen Herausforderungen das Land steht.

Wir wollen die Zusammenarbeit gerne fortsetzen, auch mit Blick auf das Jahr 2015, wenn es um die Fortentwicklung der Millenniumsentwicklungsziele und die Frage der Klimaschutzkonferenz gehen wird.

Wir haben auch sehr intensiv über das Management des Nils gesprochen; das ist ein zentraler Punkt. Auch hierbei möchte Deutschland hilfreich sein, denn hier sind die Verhandlungen seit vielen Jahren zum Stillstand gekommen. Ich glaube, das gemeinsame Flussmanagement ist auch ein Friedensprojekt. Wenn die Länder einmal beim Management des Wassers zusammenarbeiten, dann ist auch eine Kriegs- und Auseinandersetzungsursache weniger vorhanden.

Insgesamt darf ich Ihnen alles Gute wünschen. Wir werden auch in Zukunft eng und partnerschaftlich zusammenarbeiten. Danke, dass Sie hier sind!

MP Hailemariam: Herzlichen Dank dafür, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie mich zu einem Besuch in Ihr schönes Land, nach Deutschland, eingeladen haben. Ich freue mich sehr, dass ich Ihr Land besuchen kann. Wir haben hervorragende Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern, und unsere heutigen Gespräche werden diese Beziehungen zwischen unseren Ländern, die einander freundschaftlich verbunden sind, noch weiter vertiefen.

Die deutsche Regierung und die deutsche Bevölkerung haben uns im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Das war sehr hilfreich beim Aufbau unseres menschlichen Potenzials, vor allen Dingen im Bereich der Berufsbildung und im Bereich der Bildung insgesamt. Gerade die Berufsbildung ist ja etwas, bei dem sich Deutschland überall in der Welt als hervorragend ausgezeichnet hat. Sie haben uns auch beim Aufbau unserer Fähigkeiten im landwirtschaftlichen Bereich, im Bereich des Managements der Ressourcen wie auch der Bekämpfung des Klimawandels unterstützt, bei der Anpassung an beziehungsweise der Reduzierung von schädlichen Klimaeinflüssen.

Wir haben in regionalen Themenbereichen zusammengearbeitet, wie die Bundeskanzlerin es sehr richtig gesagt hat. Deutschland unterstützt uns bei der Befriedung unserer Region, vor allem am Horn von Afrika, vor allem in Somalia, und zwar durch bilaterale als aber auch durch EU-Mechanismen. Diese Unterstützung hat Ergebnisse gezeitigt. Wir stellen fest, dass Somalia inzwischen stabilisiert ist. Aber es gibt natürlich immer noch sehr viel, das wir gemeinsam tun müssen, um vollständige Normalität nach Somalia zu bringen. Wir haben diese Vision 2016 für Somalia aufgelegt. Dabei geht es im Wesentlichen darum, dass sich Somalia in eine starke Nation zum Wohle der Zukunft des Horns von Afrika entwickelt.

Wir haben, wie Ihre Exzellenz gesagt hat, auch darüber gesprochen, wie wir uns und wie Sie sich bei der Hilfe für die weitere Entwicklung unseres Landes noch weiter engagieren können, vor allen Dingen auch in Bezug darauf, wie man in Handel investieren kann. Ich bin heute hierhergekommen, um weitere deutsche Firmen dafür zu interessieren und um dafür zu werben, dass sie bei uns investieren. Wir haben, denke ich, einen gewissen Vorteil in Bezug darauf, dass wir helfen können, zu investieren, nämlich dass wir eben politisch sehr stabil sind. Das ist ein sehr gutes Umfeld, das wir für Investoren bieten. Wir haben, denke ich, große Chancen, die sich für Unternehmen bei uns eröffnen.

Wie Sie wissen, arbeitet Deutschland hervorragend im Bereich der erneuerbaren Energien. Auch wir sind sehr daran interessiert, unsere Ressourcen auszubauen und zum Beispiel Wasserkraft, geothermische Energie, Solarenergie sowie auch Windenergie zu nutzen. Wir möchten, dass das bei uns im Land entwickelt wird, um diese erneuerbaren Potenziale auszuschöpfen.

Wir möchten auch im verarbeitenden Bereich, der vor allen Dingen arbeitsintensiv ist, weitere Investoren zu uns bringen. Wir haben dabei, denke ich, einen komparativen Vorteil, weil wir bei den Arbeitskosten einfach wettbewerbsfähiger sind. Da gibt es also viele Vorteile. Wir haben viele deutsche Professoren, die uns beim Aufbau eines Universitätssystems und auch dabei helfen, ein qualitativ besseres Bildungssystem aufzubauen. Diese Zusammenarbeit möchten wir weiter mit den Deutschen und vor allen Dingen auch mit Ihrem Universitätssystem fortführen.

Wir haben außerdem auch das Thema Ebola angesprochen, das ja in Afrika ein sehr wichtiges Thema ist. Es geht darum, Gesundheitssysteme aufzubauen, vor allen Dingen in Ländern, die immer noch unter Konflikten leiden. Da ist es natürlich so, dass Ebola eine ganz besondere Bedrohung darstellt. Ich denke, die Deutschen können uns dabei unterstützen, da ein Gesundheitssystem aufzubauen. Wir haben in Äthiopien zum Beispiel ein sehr gesundes und gut arbeitendes Gesundheitssystem, das wir auch mithilfe der Deutschen aufgebaut haben.

Außerdem, denke ich, möchten wir bei uns ein besonders günstiges Umfeld für Investoren schaffen, sodass die deutschen Investoren gemeinsam mit uns Projekte durchführen können. Einige deutsche Firmen, aber vor allen Dingen gerade auch die KfW überlegen sich, wie das geschehen kann und wie uns die KfW zum Beispiel dabei unterstützen kann, dieses Investitionsklima noch zu verbessern.

Exzellenz, herzlichen Dank dafür, dass Sie mich in Ihr Land eingeladen haben. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür.

Frage: Meine Frage geht an Ihre Exzellenz, die Bundeskanzlerin. Wir wissen, dass Deutschland sehr gute, mächtige Unternehmen hat, die natürlich gerade, was Investitionen in Afrika angeht, große Verbesserungen hervorbringen können. Bislang sind sie nicht so sichtbar. Was planen Sie, in Zukunft in diesem Bereich zu tun, um das zu verbessern?

Meine zweite Frage geht an Seine Exzellenz, Premierminister Hailemariam. Äthiopien hat ja diese Vision, den Übergang von einer landwirtschaftlich geprägten zu einer industriell geprägten Struktur zu schaffen, und dafür braucht man natürlich erhebliche Ressourcen, vor allem Dingen im finanziellen Bereich, im technischen Bereich und auch im Know-how-Bereich. Was braucht Äthiopien von den europäischen Partnern wie zum Beispiel Deutschland, um diese Vision dann auch in die Tat umsetzen zu können?

BK’in Merkel: Von meiner Seite aus kann ich sagen: Die deutsche Regierung selbst kann ja Firmen jetzt nicht damit beauftragen, zu investieren, sondern was wir verabredet haben, und der Premierminister hat das eben angesprochen, ist, dass vielleicht über die KfW, die in Addis Abeba auch ein Büro hat, einmal zusammengestellt wird, welche Investitionshindernisse für deutsche Unternehmen es noch gibt und was gegebenenfalls noch verändert werden muss. Dann könnten wir mit Firmen, die Interesse haben, darüber sprechen, dass sie Investitionen tätigen. Der Ministerpräsident hat noch einmal darauf hingewiesen, dass es im internationalen Wettbewerb hilfreich ist, wenn nicht nur ein Investor kommt, sondern wenn auch ein Finanzierungskonzept dahintersteht, sodass die Firmen sozusagen inklusive der Finanzierung des Projekts nach Äthiopien kommen.

Was auch sehr gewünscht wird, sind Kompaktlösungen. Das heißt, dass man, wenn man ein Infrastrukturprojekt hat, auch die Ausbildung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbietet und langfristige Verträge schließt. Ich denke, all das könnte unsere Unternehmen dann dazu bewegen, sich noch stärker in Äthiopien zu engagieren.

Es gibt, wie gesagt, einige gute Beispiele, und bei einigen Dingen haben wir auch Probleme. Aber die guten Beispiele sollten der Treiber in die Zukunft sein, sodass dem noch mehr gute Beispiele folgen.

MP Hailemariam: Ich denke, dass die Industrialisierung und auch die landwirtschaftliche Produktion in meinem Land natürlich vom privaten Sektor angetrieben werden müssen. Wir hätten es also gerne, wenn mehr private Unternehmen bei uns investierten. Die Regierung hat die Hauptverantwortung dafür, ein entsprechend freundliches Investitionsklima für den privaten Sektor zu schaffen, wie die Bundeskanzlerin schon gesagt hat. Wir müssen uns eben dem Standard der deutschen Investoren anpassen. Dieser Standard ist dann ja auch der richtige für andere EU-Länder und deren Unternehmen, damit sie zu uns kommen, und zwar nicht nur im industriellen Sektor, sondern auch im landwirtschaftlichen Sektor. Das ist ja auch ein Bereich, in dem wir mehr Investoren aus Deutschland wie aber auch aus andern EU-Mitgliedstaaten anziehen könnten. Wir fühlen uns dieser Idee verpflichtet.

Frage: Ich habe zunächst eine Frage an den Herrn Premierminister. In Deutschland wird immer wieder darüber diskutiert, ob unser Land seine außenpolitische Rolle aktiver gestalten oder ausweiten sollte. Wie beurteilen Sie das deutsche Engagement generell, vor allem angesichts der genannten Krisenherde in Ihrer Region?

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das Thema der Menschenrechte vorhin ganz kurz angesprochen. Inwieweit sind Verbesserungen bei den Menschenrechten, bei der Pressefreiheit usw. auch eine Voraussetzung für ein stärkeres deutsches Engagement?

MP Hailemariam: Zunächst einmal muss ich sagen, dass das deutsche Engagement in Afrika unserer Ansicht nach noch verbesserungswürdig ist, wenn man es mit anderen Ländern vergleicht. Wir sind der Ansicht, dass Deutschland bei den Investitionen in Afrika aggressiver vorgehen sollte; denn Afrika wird das nächste Gebiet sein, in dem sich Entwicklung eben auch wirklich abzeichnet. Deswegen sollte man dort energischer investieren.

Aber ich denke, dass sich die Situation in Afrika insgesamt verbessert. Natürlich gibt es noch Bereiche, in denen wir sehr hart arbeiten müssen, um diesen Kontinent friedlicher zu gestalten und zu befrieden, vor allen Dingen in der Sahel-Zone und am Horn von Afrika. Da müssen wir sehr nachdrücklich und gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft an einer Befriedung arbeiten. Aber ich denke, man kann schon sagen, dass sich die Dinge verbessern, insgesamt betrachtet, und diese Chance müssen wir auch auf dem afrikanischen Kontinent ausnutzen.

BK’in Merkel: Wir haben über die politische Situation gesprochen, aber das ist jetzt nicht mit dem wirtschaftlichen Engagement in Verbindung gebracht worden. Für das wirtschaftliche Engagement deutscher Investoren ist jetzt erst einmal wichtig, dass die Rahmenbedingungen, was Rechtssicherheit und bestimmte Standards anbelangt, für die Investitionen so sein müssen, dass die deutschen Unternehmen Vertrauen haben. Deshalb wollen wir über die KfW noch einmal zusammenstellen lassen, was Punkte sind, die verbessert werden müssten, damit das private Kapital dann auch besser in Afrika und hier ganz besonders in Äthiopien investiert wird.

Richtig ist, dass wir unsere wirtschaftlichen Beziehungen sicherlich noch sehr stark ausbauen könnten. Es gibt eine sehr dynamische Entwicklung in sehr vielen Ländern Afrikas, unter anderem eben auch in Äthiopien, wo es Wachstumsraten zwischen 7 Prozent und 10 Prozent gibt. Es gibt Länder auf der Welt, die hier schon sehr engagiert sind, gerade auch aus dem asiatischen Raum, und Europa sollte sich die Dinge an dieser Stelle nicht entgehen lassen. Deshalb werde ich mich auch dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen so sind, dass die deutsche Wirtschaft verstärkt in Äthiopien investieren wird.

Frage: Ich habe eine Frage an den Premierminister. Sie haben sich auch persönlich sehr in die Verhandlungen zum Südsudan eingebracht. Auch ein ehemaliger Außenminister hat im Sheraton-Hotel in Addis Abeba in vielen Sitzungen versucht, eine Lösung zu finden. Sind Sie der Auffassung, dass die beiden Konfliktparteien dort wirklich die Bereitschaft haben, einen dauerhaften Frieden zu schließen? Welche Möglichkeiten sehen Sie als einer der führenden Verhandler aufseiten von IGAD, diese Gespräche doch noch einmal voranzubringen?

MP Hailemariam: Ich denke, dieser Verhandlungsprozess hat schon sehr lange gedauert. Wir haben keine Zeit mehr, wenn wir uns die Situation vor Ort ansehen. Die Menschen leiden unter dem Konflikt zwischen den zwei Parteien. Ich denke, dass wir jetzt wirklich auch ein Ultimatum gesetzt haben: Das muss das letzte Treffen sein. Das haben wir seitens der Staats- und Regierungschefs der IGAD gesagt. Die Themen liegen alle auf dem Tisch. Jetzt sollte es eine politische Verpflichtung zwischen den zwei führenden Politikern geben. Wir sehen: Da gibt es auf beiden Seiten nicht ausreichend politischen Einsatz. Deswegen ist es auch so, dass der Kontinent und vor allen Dingen auch IGAD als regionaler Block angesichts der mangelnden Fortschritte frustriert sind. Aber wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

Ich denke also, das letzte Treffen steht jetzt noch aus, und wir hoffen, dass die führenden Politiker dabei auch tatsächlich mit einer endgültigen Lösung aufwarten werden, damit der Südsudan eben befriedet werden kann. Wir sind aber immer noch nicht zufrieden, nicht optimistisch. Wir hoffen und arbeiten hart daran, die beiden führenden Politiker an den Tisch zu bringen. Aber für die Menschen und im Interesse der dortigen Bevölkerung möchten wir so schnell wie möglich Normalität in den Südsudan hineinbringen.