Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem kroatischen Ministerpräsidenten Andrej Plenković

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

MP Plenković: Liebe Angela, nochmals herzlich willkommen in Zagreb, zum zweiten Mal in diesem Jahr! Wie alle wissen, hat heute ein bilaterales Treffen stattgefunden. Wir haben über die Beziehungen zwischen Kroatien und Deutschland gesprochen und auch zentrale europäische Themen besprochen, die für beide Länder wichtig sind. Kroatien wird in der ersten Jahreshälfte 2020 die Ratspräsidentschaft innehaben, Deutschland in der zweiten Jahreshälfte.

Deutschland ist seit eh und je ein befreundeter Staat, ein Land, das uns in allen strategischen Zielen stets unterstützte, unser wichtigster Außenhandelspartner, eines der wichtigsten Länder für Investitionen in Kroatien, ein Land, in dem viele Kroaten leben und aus dem jedes Jahr eine große Zahl von Touristen zu uns kommt. Wir wollen mit einem politischen Dialog die wirtschaftliche Zusammenarbeit voranbringen, aber auch die Zusammenarbeit in allen anderen Bereichen. Diese Zusammenarbeit findet auf allen Ebenen in Deutschland statt, natürlich auch mit einzelnen Bundesländern.

Ich komme nun zu den europäischen Themen. Wir haben das wichtigste besprochen, nämlich die nächste Phase der Gespräche über den Brexit nach der Wahl im Vereinigten Königreich. Je nach dem Ergebnis dieser Wahl werden wir sofort im Januar nach Übernahme des Ratsvorsitzes neue Schritte einleiten.

Das zweite Thema ist der MFR, die Haushaltsperspektive von 2021 bis 2027. Das wird mit höchster Wahrscheinlichkeit auch ein Thema während unserer Ratspräsidentschaft sein. Deshalb ist es wichtig, dass Deutschland und Kroatien eine gemeinsame Sprache und einen gemeinsamen Nenner über das Volumen dieses Haushalts finden.

Der nächste Punkt ist dann die Art der Zuweisung der Mittel. Für Kroatien kann ich sagen, dass wir sowohl auf die Kohäsions- als auch auf die Agrarpolitik achten und versuchen, alle Mittel für Herausforderungen wie Sicherheit, Klimawandel, Investitionen in der Entwicklungszusammenarbeit und Außenaktivitäten sicherzustellen.

Für Kroatien ist es besonders wichtig, bis zum Gipfeltreffen der EU mit Südosteuropa im Mai in Zagreb eine Lösung für etwas zu finden, was wir bedauern. Es geht um die ausgebliebene Entscheidung über die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien. Das muss vor dem Gipfel in Zagreb geschehen. Wir werden dabei zusammenarbeiten und beide Länder anspornen, zusätzliche Reformen zu unternehmen. Wir werden mit den Partnern in der EU versuchen, eine Lösung zu finden, sodass die Eröffnung der Verhandlungen und auch die Festlegung Methodologie möglich sein werden.

Ich habe heute die Gelegenheit genutzt, Frau Bundeskanzlerin unsere Prioritäten im Rahmen des Ratsvorsitzes vorzustellen: ein Europa, das wächst und sich entwickelt, ein Europa, das verbindet, ein Europa, das schützt, und ein Europa, das eine globale Rolle spielt. In diesem Sinne werden wir alle kommenden Herausforderungen im Jahr 2020 für die Europäische Union in Angriff nehmen.

Vielen Dank nochmals für Ihr Kommen!

BK’in Merkel: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Andrej, ich freue mich, heute zu diesem bilateralen Treffen hier in Zagreb zu sein. Es bietet sich auch an, dass wir gerade in diesem Jahr sehr engen Kontakt halten. Denn im nächsten Jahr haben wir zwei aufeinanderfolgende Ratspräsidentschaften. Ich habe dem Ministerpräsidenten natürlich gesagt, dass wir die Agenda der kroatischen Präsidentschaft aus vollem Herzen und mit voller Kraft unterstützen werden. Denn alle Probleme, die während der kroatischen Ratspräsidentschaft gelöst werden, brauchen wir nicht mehr zu lösen. Deshalb ist es sehr wichtig und sehr gut, dass wir eng zusammenarbeiten.

Wir haben dabei auch die gleichen Prioritäten, was die Aufgaben angeht. Zum einen geht es darum, den Austritt Großbritanniens so hinzubekommen, dass unsere zukünftigen Beziehungen auch im nächsten Jahr klar beschrieben werden. Durch die immer weitere Verschiebung des Austritts ist natürlich die Zeit immer knapper geworden, in der wir diese zukünftigen Beziehungen auch formulieren müssen. Wir werden sehr intensiv daran arbeiten.

Zum Zweiten geht es natürlich um die mittelfristige finanzielle Vorausschau, wo wir sehr verschiedene Interessen unter einen Hut bringen müssen. Wir brauchen - ich will das ausdrücklich sagen - die Kohäsion für Kroatien, aber auch für die anderen Länder Mittel- und Osteuropas. Auf der anderen Seite brauchen wir einen zukunftsgewandten Haushalt, der auf die neuen Aufgaben Rücksicht nimmt. Das ist einmal die Frage des Kontakts mit Afrika, und zum anderen sind dies die Fragen von Forschung und Innovation.

Drittens geht es natürlich auch um die Frage der Migration und der gemeinsamen europäischen Anstrengungen, die wir hier unternehmen, um illegale Migration zu reduzieren.

Wir unterstützen die Pläne der kroatischen Regierung, während ihrer Ratspräsidentschaft ein Treffen mit den Ländern des westlichen Balkans im Vollformat der Europäischen Union abzuhalten. Dafür wäre es natürlich wichtig, dass wir die Voraussetzungen vorantreiben, um auch die Aufnahme der Beitrittsgespräche für Nordmazedonien und Albanien zu schaffen. Es ist bedauerlich - ich bedauere das genauso wie Andrej Plenković -, dass uns das beim letzten Rat nicht gelungen ist.

Wir werden sicherlich auch über den künftigen Beitrittsprozess sprechen. Kroatien weiß ja noch, wie das vonstattengegangen ist, weil die Beitrittsverhandlungen noch gar nicht so lange zurückliegen.

Wir werden uns gemeinsam auf die EU-Zukunftskonferenz vorbereiten, die sich Ursula von der Leyen als neu gewählte Kommissionspräsidentin auf ihrer Agenda vorgenommen hat. Dass die kroatische Kommissarin dafür verantwortlich ist, zeigt, glaube ich, auch, dass es auch hier eine sehr enge Zusammenarbeit geben wird.

Bilateral haben wir uns kurz ausgetauscht und haben eigentlich sehr wenige Probleme. Wir haben sehr gute Wirtschaftsbeziehungen. Es gibt in Kroatien viele, viele Touristen aus Deutschland. 395 000 Menschen mit kroatischen Wurzeln leben in Deutschland, arbeiten bei uns, und wir leben sehr gut mit ihnen zusammen. Ich glaube, wir können unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit immer noch weiter stärken. Der Besuch unseres Wirtschaftsministers Peter Altmaier und von Vertretern der Wirtschaft hier in Kroatien war, glaube ich, ein wichtiger Etappenpunkt. Deshalb werden wir auch in diesem Bereich sehr eng zusammenarbeiten.

Ich möchte mich für den Empfang bedanken und darf sagen, dass wir freundschaftlich zusammenarbeiten werden.

Frage: Eine Frage an beide Regierungschefs. Wir haben grünes Licht für Schengen bekommen. Herr Plenković hat gesagt, dass es nicht realistisch ist, dies während des kroatischen Vorsitzes zu erwarten. Deutschland folgt ja, was den Ratsvorsitz angeht. Ist es absehbar, dass das dann zustande kommt?

Eine Frage zu Albanien und Nordmazedonien. Was sagen Sie zum Vorschlag Frankreichs, was den Beitrittsverhandlungsprozess angeht? Was wird das konkret für Folgen haben? – Vielen Dank!

MP Plenković: Ganz kurz: Was Schengen betrifft, so wissen Sie, dass Kommissar Avramopoulos bei uns war. Die Juncker-Kommission hat die Reformen, die in Kroatien in den acht Schengen-Acquis-Bereichen vollzogen wurden, sehr gründlich begutachtet. Es gab eine Empfehlung an den Rat hinsichtlich des kroatischen Beitritts. Das gehört zu den wichtigsten Prioritäten. Das eine ist Schengen, und die andere Priorität ist die Eurozone.

Die Öffentlichkeit muss verstehen, dass ein so wichtiges Thema für ein Mitgliedsland eigentlich nicht Gegenstand im Rat sein kann, wenn das betroffene Land den Vorsitz führt. Das bedeutet aber nicht, dass im Namen von operativen Arbeitsgruppen dieser Bericht der Kommission nicht weiter besprochen wird und weiter entschieden wird, was nun folgen kann. Wir haben die Erfahrungen, die Bulgarien und Rumänien durchlaufen haben, aufmerksam verfolgt. Wir werden nach dem Vorsitz alles tun, unsere Partner davon zu überzeugen, dass Kroatien es verdient, dem Schengen-Raum beizutreten.

Was die Erweiterung angeht, so sind wir, wie eingangs gesagt, der Auffassung, dass dieser Prozess an und für sich für Serbien und Montenegro auch schon so gestaltet ist, dass man Suspensionsmöglichkeiten hat. Man hat auch die Möglichkeit, bestimmte Schritte zurückzuschrauben; die Reversibilität ist da. Die EU ermöglicht es den Mitgliedsländern bereits jetzt, dass, wenn ein Beitrittskandidat die Kriterien nicht erfüllt, die entsprechenden Themen erneut zu öffnen und auf den Tisch zu bringen. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam mit der Frau Bundeskanzlerin Möglichkeiten suchen werden, um den Prozess weiter voranzubringen.

BK’in Merkel: Erst einmal kann man sagen - und das haben wir natürlich auch zur Kenntnis genommen -, dass Kroatien sehr viel getan hat, um die Voraussetzungen für den Schengen-Beitritt zu schaffen. Die Kommission hat das ja dementsprechend auch positiv bewertet. Wir haben uns in Deutschland noch keine abschließende Meinung in der Koalition und mit dem Parlament gebildet, aber ich werde auf jeden Fall darauf verweisen, was schon alles geleistet wurde. Insofern werden wir während unserer Ratspräsidentschaft dann sicherlich die Diskussion. Diese Diskussion müssen wir dann aber wieder mit allen Mitgliedstaaten führen; wir sehen ja auch bei Bulgarien und Rumänien, dass man darüber sehr viel diskutiert. Ich will aber ausdrücklich meine Hochachtung zu dem, was hier schon passiert ist, zum Ausdruck bringen.

Zweitens zu der Frage des Beitrittsprozesses: Wir müssen jetzt mit Frankreich - und das werden wir auch sehr intensiv tun - darüber sprechen, genau welche Elemente im Beitrittsprozess verbessert beziehungsweise verändert werden sollen. Wir sind da zu Gesprächen bereit, wenngleich auch heute schon eine Vielzahl von Flexibilitäten besteht. Wir wollen darüber möglichst schnell eine Einigung erzielen, damit wir dann in den konkreten Fällen auch weiterkommen. Es muss aber natürlich auch weiterhin eine realistische Beitrittsperspektive für die Länder des westlichen Balkans geben. Dabei darf also nicht herauskommen, dass wir von dem, was wir versprochen haben, abrücken, sodass das Verständnis entsteht, wir wollten diesen Ländern gar keine europäische Perspektive mehr geben; das wäre nicht gut.

Frage: Sie hatten selber gesagt, dass sich Kroatien gut entwickelt hat. Es ist ein Kleiner Staat, es ist ein junger Staat. Nichtsdestotrotz hat Kroatien immer noch Probleme mit der Implementierung von Menschenrechtsfragen und Rechtsstaatlichkeit, was sich jetzt vor allen Dingen an den Grenzen mit den Flüchtlingen zeigt. Wie kann so ein junger Staat als Beispiel die europäische Gemeinschaft anführen?

BK’in Merkel: Ich muss sagen, dass Kroatien, wie wir es eben schon diskutiert hatten, den Beitrittsprozess noch sehr gut in Erinnerung hat - alle agierenden Berater des Ministerpräsidenten haben praktisch an den Beitrittsverhandlungen teilgenommen. Das heißt, eine große Priorität der nächsten Ratspräsidentschaft von Kroatien wird eine solche Beitrittsfrage sein. Ich glaube, ein so junger Staat kann dabei sehr wohl seine Erfahrung einbringen, weil er diesbezüglich ein ganz anderes Gedächtnis als Deutschland hat, dessen Beitritt schon lange zurückliegt. Insofern kann ein so junger Staat natürlich einen Beitrag dazu leisten.

Ich glaube, dass die Europäische Union auch davon lebt, dass wir ganz unterschiedliche Perspektiven haben. Ich finde, die Herausforderungen, die wir zu bewerkstelligen haben, sind groß. Ehrlich gesagt: In Deutschland haben wir ja auch Erfahrungen mit Flüchtlingen und Migranten gemacht, aber aus der Perspektive eines Landes, das die Außengrenze schützen soll, sieht das natürlich noch einmal anders aus als aus der Perspektive eines Landes, das in der Mitte des Schengen-Raums liegt.

Ich habe immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir es schaffen können, dieses Schengen zu erhalten, und dass nicht jeder wieder in seine nationale Rolle zurückfällt. Deshalb haben wir heute zum Beispiel - und da stimmen wir vollkommen überein - über das EU-Türkei-Abkommen gesprochen; denn nur dieses Abkommen wird uns wirklich in die Lage versetzen, das Thema richtig zu diskutieren und dann gegebenenfalls der Türkei für die vielen Aufgaben, die sie bei der Beherbergung von 3,5 Millionen Flüchtlingen hat, auch noch weitere Hilfen zu geben. Dazu wäre ich zum Beispiel bereit, und wir haben darüber auch geredet.

Insofern: Wenn junge Mitgliedstaaten und solche, die schon länger dabei sind, in einer guten Mischung zusammenarbeiten, dann belebt uns das und dann macht das die Perspektive breiter. Deshalb freue ich mich auf die kroatische Präsidentschaft. Wir werden unsere jeweiligen Erfahrungen auch gut zusammenbringen.