Im Wortlaut
im Bundeskanzleramt
8 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Montag, 18. April 2016
(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)
BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass ich Präsident Joko Widodo heute hier in Deutschland begrüßen kann. Der Präsident ist nicht zum ersten Mal in Deutschland, aber er ist zum ersten Mal als Präsident in Deutschland. Wir haben uns zuletzt in Brisbane beim G20-Treffen gesehen. Ich freue mich natürlich, dass im nächsten Jahr Präsident Widodo anlässlich des G20-Treffens wieder Gast bei uns sein wird.
Wir haben heute unseren Ausgangspunkt bei unseren bilateralen Beziehungen genommen, anknüpfend an die Jakarta-Erklärung bei meinem Besuch im Jahre 2012 in Indonesien. Wir haben festgelegt, dass wir den Steuerungsausschuss beauftragen, uns einen Bericht zu geben, wo wir in der Umsetzung unserer strategischen Partnerschaft stehen, um daran anknüpfen zu können.
Der Präsident hat insbesondere deutlich gemacht, dass für ihn neben der wirtschaftlichen Kooperation zwei Dinge sehr wichtig sind. Das ist zum einen die Verstärkung der Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Ausbildung. Der Präsident hat heute die Siemens-Ausbildungsmöglichkeiten hier in Berlin besucht. Wir werden versuchen, schon zum Besuch des Parlamentarischen Staatssekretärs Beckmeyer in Indonesien im kommenden Monat erste Schritte zu gehen, wie wir das Berufsausbildungssystem in Indonesien stärken und die duale Berufsausbildung dort besser verankern können. Es gab bis jetzt Projekte mit der GIZ, aber es geht dann vor allen Dingen auch darum, die private Wirtschaft in diese Fragen mehr mit hineinzubringen.
Was die wirtschaftliche Kooperation anbelangt, haben wir zum anderen darüber gesprochen, dass Indonesien ein sehr starkes Interesse an einem EU-Indonesien-Freihandelsabkommen hat. Indonesien hat bereits seit geraumer Zeit ein Freihandelsabkommen mit China. Wenn Europa den Handel verstärken will, dann brauchen wir ein solches Freihandelsabkommen. Deutschland wird sich dafür einsetzen, dass aus den Vorbereitungsgesprächen für ein solches Freihandelsabkommen bald auch Verhandlungen über ein solches Freihandelsabkommen werden können.
Wir haben über die umfangreiche Reformagenda von Präsident Widodo gesprochen, der vieles auf den Weg gebracht hat, gleich nach seinem Amtsantritt den Abbau der Treibstoffsubventionen, aber jetzt auch Reformpakete zum Abbau von Regulierungen, Infrastrukturpakete und andere Wirtschaftspakete.
Wir haben über die agrarischen Regionen und vor allen Dingen über die Gefahren gesprochen, die aus der Rodung von Tropenwäldern resultieren. Ich habe den Präsidenten ermuntert, den sehr schwierigen Weg der nachhaltigen Landwirtschaft und des nachhaltigen Palmölanbaus zu gehen und die Natur zu schützen. Denn wir wissen: Die Wälder sind nicht nur von allergrößter Bedeutung für Indonesien, sondern auch für den Klimahaushalt der gesamten Welt.
Wir haben natürlich auch über ASEAN gesprochen, über die Frage der Situation in Indonesien, was politische Entwicklungen anbelangt wie zum Beispiel Papua, aber auch die Entwicklung in Aceh. Wir würdigen die Bemühungen um die Einhaltung des Rechtssystems.
Wir würdigen vor allen Dingen die Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben der Religionen. Indonesien ist das größte muslimische Land. Indonesien hat die friedliche Beilegung von Konflikten tief in seinem System verwurzelt. Natürlich gibt es jetzt auch terroristische Aktivitäten. Wir haben auch angesichts der terroristischen Herausforderungen in Europa darüber gesprochen, wie man die Konflikte mit einer Mischung aus harten Maßnahmen, aber eben auch aus Maßnahmen des Zusammenlebens der Kulturen bewältigen kann. Auch wenn wir geografisch so weit auseinander sind, haben wir trotzdem jeweils Menschen, die aus Indonesien oder aus Deutschland nach Syrien zum Islamischen Staat gehen und dort als Dschihadisten ausgebildet werden. Deshalb ist der Kampf gegen Da’esh ein gemeinsamer Kampf von Indonesien und Deutschland. Auch hierzu wollen wir uns in Zukunft weiter austauschen.
Indonesien hat 250 Millionen Einwohner und 17 000 Inseln. Insgesamt ist es eine Riesenaufgabe, ein solches Land zur Prosperität zu bringen. Ich habe große Hochachtung vor dem, was erreicht wurde. Wir werden bei den Fragen, die noch zu klären sind - Rechtssicherheit, Menschenrechte, Rechtssysteme -, sehr eng zusammenarbeiten. All das sind große Aufgaben, über die wir uns weiter austauschen werden.
Noch einmal herzlich willkommen!
P Widodo: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin Merkel! Es ist eine Ehre für mich, Sie nach Ihrer Einladung hier besuchen zu können. Für Indonesien ist Deutschland einer der wichtigsten Partner für Handel und Investitionen. Deutschland ist unser größter Handelspartner in Europa und der siebtgrößte Investor aus Europa.
Der Fokus unseres Gesprächs lag darauf, dass Indonesien auf dem Feld der Berufsbildung und des Berufstrainings mit Deutschland zusammenarbeiten und dabei etwas Hilfe von Deutschland bekommen möchte, vor allem auf den Feldern der Industrie, im Bereich der Kraftwerke, bei der Textilindustrie, der maritimen Industrie und auch in anderen Bereichen. Unser Fokus liegt dabei auf Berufsbildung und Berufstraining, auf Berufsschulen.
Zweitens. Als der größte muslimische Staat der Welt und auch als eine Demokratie haben wir eben besprochen, wie wir Terrorismus bewältigen können. Wir haben gesagt, dass es zwei wichtige Ansätze geben kann, mit denen wir arbeiten können, nämlich erstens mit „hard power“, also harten Maßnahmen und Gesetzen, und zweitens „soft power“, also religiösen und kulturellen Annäherungen. Ich glaube fest daran, dass wir mit dieser Kombination bei der Bewältigung des Terrorismus besser und umfassender vorankommen.
Diese zwei Sachen kann ich Ihnen mitteilen, und ich möchte Kanzlerin Merkel auch einladen, Indonesien wieder zu besuchen. - Vielen Dank.
Frage: Ihre Exzellenz, Frau Bundeskanzlerin, bis jetzt machen die Investitionen deutscher Unternehmen in Indonesien ungefähr ein Prozent der gesamten deutschen Investitionen auf der Welt aus. Wird die Bundesregierung angesichts der vielen Entwicklungen, die die jetzige Regierung in Indonesien angestoßen hat, auch was den Aufbau von Infrastruktur - vor allem Verkehrsinfrastruktur - und das maritime Feld betrifft, Investoren weiter fördern, nach Indonesien zu kommen, und wird sie auch andere Formen der Wirtschaftszusammenarbeit - vor allem im Rahmen des CEPA beziehungsweise des Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indonesien - fördern?
BK‘in Merkel: Wir haben darüber gesprochen - gerade auch, um die Ausgangsbedingungen für deutsche Investitionen zu verbessern -, dass wir schnell das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indonesien haben sollten. Wir haben einen deutsch-indonesischen Wirtschaftsausschuss, und wir glauben auch, dass das Potenzial der Kooperation noch nicht ausgeschöpft ist. Ich habe von mir aus über die maritime Komponente gesprochen. Es gibt ein großes maritimes Entwicklungsprogramm, genauso wie ein Gesundheitsentwicklungsprogramm. Ein weiterer Bereich, in dem Deutschland, glaube ich, ein wichtiger Partner ist, ist der Bereich der Energie. Auch im Transportsektor gibt es Chancen, und es gibt auch Chancen für industrielle Fertigungen.
Insofern wollen wir unser Engagement hier verstärken. Die Reise des Staatssekretärs aus dem Wirtschaftsministerium, Herrn Beckmeyer, spricht dafür, dass wir das auch praktisch tun wollen.
Frage: Herr Präsident, Indonesien als größtes islamisches Land galt stets als Land mit einem moderaten Islam. Vielleicht können Sie uns noch einmal erklären, warum es Ihrer Meinung nach Radikalisierungen auch bei Ihnen gibt? Was sind die Gründe dafür? Sind die von außen in ihr Land exportiert worden?
Frau Bundeskanzlerin, die AfD ist gerade dabei zu beschließen, den Islam in ihrem Programm als grundgesetzwidrig zu beschreiben. Der Zentralrat der Muslime fordert deswegen eine Überwachung durch den Verfassungsschutz. Würden Sie diese Forderung teilen?
P Widodo: Indonesien ist mit über 252 Millionen Einwohnern, von denen 85 Prozent muslimisch sind, der größte muslimischer Staat in der Welt. Es ist wahr, dass mehr als 99 Prozent der Muslime in unserer Bevölkerung gemäßigte Muslime sind, die einem modernen Islam angehören. Aber auch, wenn es eine sehr geringe Anzahl von Radikalen und von Terroristen gibt - ich glaube, das gibt es in jedem Land -, so ist das Wichtigste, wie man sich denen annähert und wie man das Problem bewältigt, sodass es sich nicht ausbreitet und den Staat sowie auch die Bevölkerung stört. Das ist das Wichtigste. Deswegen haben wir gesagt, dass der Ansatz zum Kampf gegen den Terrorismus in Indonesien ein doppelter Ansatz ist: mit „hard power“, also durch das Gesetz und durch Sicherheit, sowie auch durch „soft power“, also durch Annäherung von Religion und Kultur. Das ist das, was wir machen.
BK’in Merkel: Wir haben in Deutschland die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Religionsausübung, und das gilt natürlich auch für Muslime in unserem Land. Die Praxis hat gezeigt, dass die übergroße Mehrzahl der Muslime hier im Rahmen des Grundgesetzes ihre Religion ausübt. Wo das nicht der Fall ist, entscheiden die Sicherheitsbehörden, ob Beobachtungen notwendig sind. Aber der Regelfall und die übergroße Mehrheit entsprechen genau dem, was wir im Grundgesetz verankert haben.
Frage: Herr Präsident, Ihre Regierung hat ein Ziel, nämlich ein großes Wirtschaftswachstum in Höhe von mehr als 5 Prozent. Nach dem Report vom letzten Jahr, nachdem das Ziel nicht erreicht werden wird, bezweifeln viele, dass Sie das Ziel Ihrer Deregulierungsprogramme und des Infrastrukturaufbaus erreichen können. Was denken Sie darüber?
P Widodo: Das Ergebnis hat schon gezeigt: Im vierten Quartal 2015 ist Indonesiens Wirtschaft um 5,04 Prozent gewachsen. Anhand dieser Kalkulierung haben wir für dieses Jahr das Ziel 5,3 Prozent. Das wird unterstützt durch Ankäufe vonseiten der Regierung, vor allem durch Modalankäufe am Anfang des Jahres. Zweitens wollen wir auch mehr Investoren nach Indonesien ziehen, so viele wie möglich. Wenn wir das realisieren können, dann bin ich optimistisch, dass wir ein Wachstum in Höhe von 5,3 Prozent erreichen können. In der Arbeit muss man optimistisch sein, nicht pessimistisch!
Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich wüsste gerne, ob Sie in dem Gespräch mit dem indonesischen Präsidenten auch das Thema Todesstrafe angesprochen haben und ob Sie Verständnis für die Position Indonesiens in diesem Punkt haben.
An den Präsidenten habe ich die Frage, warum er denn nach wie vor an der Todesstrafe festhält.
BK’in Merkel: Wir haben über Menschenrechte im Allgemeinen und dann sehr intensiv über Papua und Aceh gesprochen. Über das Thema Todesstrafe haben wir nicht direkt gesprochen, aber es ist ja bekannt, dass Deutschland die Todesstrafe ablehnt und dass wir uns auch wünschen, dass Indonesien sie nach Möglichkeit nicht vollzieht.
P Widodo: Das Gesetz in Indonesien sieht immer noch die Todesstrafe vor. Indonesien hat zurzeit einen Notstand, vor allen beim Drogenmissbrauch. Sie müssen wissen, dass täglich 30 bis 50 Menschen in Indonesien an Drogenmissbrauch sterben. Die Implementierung der Todesstrafe wird sehr vorsichtig und gemäß dem Gesetzessystem in Indonesien ausgeführt.