Im Wortlaut
in Paris
20 Min. Lesedauer
Thema: Treffen der Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine im sogenannten Normandie-Format
Sprecher: Staatspräsident François Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel
(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)
Präsident Hollande: Meine Damen und Herren, wir hatten eine lange Sitzung. Ich danke Angela, dass Sie gemeinsam mit mir den Prozess ins Laufen gebracht hat, der uns heute ermöglicht hat, eine solche Normandie-Sitzung mit Präsident Putin und Präsident Poroschenko zu haben.
Wir haben also nicht gemeinsam die Nacht verbracht, sondern nur einen Tag. Der Tag beschäftigte sich mit den Bedingungen für die Anwendung der Minsker Vereinbarungen, die ja nun nicht unterschrieben wurden, aber die wir Anfang des Jahres in Minsk organisiert haben.
Wir wollten vier Dinge betonen.
Erster Punkt: die Sicherheit. Wir wollten uns versichern, dass der Abzug der leichten Waffen, der vor einigen Tagen vereinbart worden ist, ab morgen Früh umgesetzt wird, und zwar um 24 Uhr. Für die schweren Waffen wollen wir, dass ein vergleichbarer Prozess beginnt, der uns in die Lage versetzt, auch entsprechend der Wünsche der OSZE die Waffen zu versiegeln.
Wir haben ebenfalls gesagt, dass die OSZE einen freien und sicheren Zugang zum gesamten ukrainischen Territorium bis einschließlich zu den Grenzen erhält. Außerdem wird das Minenräumen für die Sicherheit der Bevölkerung sofort begonnen. Es werden Drohnen eingesetzt, die ihre Mission weiter verfolgen können.
In Bezug auf die Sicherheit gab es seit Minsk die meisten Fortschritte, denn seit Anfang September wird der Waffenstillstand global eingehalten, und wir haben Phase für Phase den Waffenrückzug einleiten können.
Heute konnten wir neuen Fortschritt erzielen und konnten es ermöglichen, dass es keine Opfer eines sehr schwerwiegenden und dramatischen Konflikts gibt. Doch die Vereinbarungen von Minsk bedeuten nicht nur Waffenstillstand und Abzug der leichten und schweren Waffen, die Beobachtung des Prozesses und die Möglichkeit der OSZE, überall hinzugehen, sondern es gibt auch eine zweite Dimension. Was diesen zweiten Punkt angeht, haben wir die meiste Zeit verbracht. Dabei geht es um den politischen Prozess, der uns den größten Teil des Nachmittags beschäftigt hat.
Wir wollen, dass Lokalwahlen stattfinden. Diese Wahlen sollen nach dem ukrainischen Wahlgesetz stattfinden können, aber gleichzeitig organisiert durch eine Arbeitsgruppe und derart gestaltet, dass die Wahl nicht angefochten werden kann. Wir haben einen Appell an alle Parteien gerichtet, dass sie sich an diesen Prozess halten. Das bedeutet, dass die Wahlen, die am 18. Oktober vorgesehen waren, unseres Erachtens nicht stattfinden können, so lange sie nicht den Bedingungen entsprechen, die wir genannt haben, dass aber gleichzeitig dennoch Wahlen organisiert werden müssen. Dafür muss ein Wahlgesetz verabschiedet werden und dieses muss im Rahmen der Arbeitsgruppe ebenfalls diskutiert werden. Sobald das Wahlgesetz verabschiedet worden ist, wird eine Frist von 90 Tagen zu laufen beginnen, damit dann nach diesen 90 Tagen die Wahlen stattfinden können. Das ist unser Wunsch, der hier zum Ausdruck gebracht worden ist.
Es gibt eine wichtige Bestimmung in Bezug auf die Amnestie. Diese Bestimmung wird am Tage der Wahlen in Kraft treten. Die Immunität wird allen Kandidaten während des Wahlkampfes zugestanden.
Ein wichtiger Punkt war der Status der östlichen Regionen. Wir nennen das das Sonderstatusgesetz für diese Regionen. Dort sind wir übereingekommen, dass dieses Gesetz übergangsweise ab dem Tag der Wahl zunächst Anwendung findet und dann definitiv ab dem Tag, an dem die OSZE verkündet, dass der Wahlprozess nicht anzufechten ist.
Wir haben weiterhin an die Ziele der Minsker Vereinbarungen erinnert, nämlich die Wiedererlangung der totalen Kontrolle der Grenzen über die Ukraine und den Rückzug der fremden Streitkräfte.
Ein dritter Punkt dabei werde ich jetzt schneller sein war die humanitäre Hilfe. Dort haben wir entschieden, dass die Zahl der Zugangspunkte erhöht werden muss, dass die Nichtregierungsorganisationen, die humanitären Organisationen Ärzte ohne Grenzen, Rotes Kreuz freien Zugang erhalten und dass der Gefangenenaustausch beschleunigt wird.
Zum Thema Wirtschaft: Hier geht es insbesondere um das Gasabkommen, das wir besprochen haben. Es wurde paraphiert, wird unterschrieben und umgesetzt, wie es vorgesehen war.
Schließlich und endlich werden die vier Außenminister sich Anfang November treffen, um noch einmal Bilanz dieses Prozesses zu ziehen.
Wenn ich das jetzt also zusammenfassen darf, was wir während des Nachmittags getan haben:
Wir haben die Minsker Vereinbarungen noch einmal evaluiert. Wir haben uns den Prozess unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten über die vorgegebenen Fristen hinaus angesehen, damit wir in allen Dimensionen des Minsker Abkommens erfolgreich sein können. Ich möchte allen Beteiligten, allen Vieren noch einmal danken, denn um im Normandie-Format zu sein, muss man zu viert sein. Herzlichen Dank vor allem an Angela, denn wir beide sind seit Beginn dieses Prozesses dabei und wollen diesen Prozess auch erfolgreich zu Ende führen.
Bundeskanzlerin Merkel: Danke schön erst einmal für die Gastfreundschaft für alle, die heute hier in Paris waren.
Ich kann bestätigen, was der französische Präsident François Hollande gesagt hat: Wir sind heute Nachmittag hier zu den Gesprächen in einer durchaus ruhigeren Phase zusammengekommen, was die militärischen Auseinandersetzungen anbelangt. Der Waffenstillstand wird seit Anfang September weitestgehend eingehalten, aber durchaus zu einem kritischen Zeitpunkt des Minsker Abkommens, weil jetzt Termine im politischen Prozess siehe Wahltermine im Raum stehen.
Das Ergebnis ist, dass sich auch der russische Präsident verpflichtet hat, sich dafür einzusetzen, dass in der politischen Arbeitsgruppe der trilateralen Kontaktgruppe jetzt die notwendigen Voraussetzungen sehr kurzfristig erarbeitet werden, damit die Wahlen so stattfinden können, wie das im Minsker Maßnahmenpaket vereinbart worden ist, das heißt nach ukrainischem Recht in Absprache zwischen den Separatisten aus Donezk und Luhansk mit der ukrainischen Regierung, ausdiskutiert in der trilateralen Kontaktgruppe.
Wir konnten heute einige Dinge ordnen, die sich sozusagen jetzt verschränkt hatten: Wie hängt das Sonderstatusgesetz, wie hängt das Amnestiegesetz, wie hängt der Verfassungsprozess mit dem Wahlgesetz und dem Wahltermin zusammen? Da konnten wir sozusagen eine konsekutive Reihenfolge absprechen, die natürlich jetzt noch von den Vertretern von Donezk und Luhansk durchaus auch dann in den Gesprächen in der politischen Arbeitsgruppe umgesetzt werden muss. Die ukrainische Seite hat sich hierzu bekannt.
Ich glaube, dass wir das, was heute erreichbar war, erreicht haben. Wenn wir diesen Prozess so fortsetzen können, dann gibt es Hoffnung, dass zwar mit etwas Verspätung gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan des Minsker Maßnahmenpakets dann doch die Schritte geleistet werden können. Das ist noch viel Arbeit; das ist ein schwerwiegender Prozess. Ich kann auch nicht sagen, ob wir nicht nach dem heutigen Tag wieder Rückschläge haben werden. Aber insgesamt stimmt es doch etwas positiv, dass wir dieses Gespräch so haben konnten, dass wir intensiv und sehr spezifisch diskutieren konnten.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, dass es die Verpflichtung des russischen Präsidenten gab, diesen politischen Prozess umzusetzen. Wie verbindlich ist das in Ihrer Wahrnehmung? Mit welchen Argumenten konnten Sie den Präsidenten überzeugen, etwas zu leisten, was er bisher nicht geleistet hat?
Merkel: Man muss ja sagen: Wenn man sich die einzelnen Abmachungen des Minsker Maßnahmenpakets angeschaut hat, dann gibt es auf keiner Seite eine hundertprozentige Einhaltung des gesamten Prozesses. Der Zeitplan ist vom ersten Tag an durch die Nicht-Einhaltung des Waffenstillstands im Grunde im Zusammenhang mit Debalzewo schon aus den Fugen geraten. Dann hat es bis heute eigentlich keinen vollständigen Abzug der schweren Waffen gegeben. Trotzdem haben wir immer wieder einen Weg gefunden, dass wir diesen Prozess doch fortsetzen.
Ich sage nur: Es gibt eine begründete Hoffnung. Das, was ich heute hier gehört habe, ist so, dass beide Seiten durchaus in der Ordnung der jetzt anstehenden Prozesse aufeinander zugegangen sind. Dabei hat der russische Präsident natürlich die Interessen von Donezk und Luhansk vertreten, wie das auch in den Minsker Verhandlungen der Fall gewesen ist. Wir haben auf dieser Basis natürlich jetzt Lösungen erarbeitet. Aber ich sage es noch einmal: Dieser Tag war dadurch wichtig, dass man erst einmal sehr intensiv über die einzelnen Schritte diskutiert hat. Es ist immer so, dass man dann schauen muss: Wird das eingehalten? Das war nach Minsk so, und das ist nach Paris so. Garantien gibt es erst, wenn es geschehen ist.
Frage: Ich hätte eine Frage zu Garantien und dem, was am Ende des Prozesses steht, nämlich dass die Ukrainer wieder ihre Kontrolle über die Grenzen haben und dass die Truppen abgezogen werden. Sie haben gesagt, das wird mittelfristig geschehen. Dann hieß es, es gibt einen Rückstand in Bezug auf Minsk, eine Verspätung. Was bedeutet das? Wird möglicherweise die Vereinbarung von Minsk noch 2016 Gültigkeit haben?
Haben Sie von Herrn Putin Garantien? Wenn dies nicht der Fall ist, was lässt Sie glauben, dass er guten Glaubens ist? Ist das möglicherweise in Verbindung mit der Situation in Syrien zu sehen? Ich habe leider ein paar Fragen auf einmal gestellt.
Hollande: In Frankreich gibt es immer mehrere Eingänge, aber nur einen Ausgang.
Zu Minsk: Minsk ist ein Prozess mit einer Reihenfolge und einem Zeitplan. Damit wir in die Lage versetzt werden, das umzusetzen, was in Minsk vorgesehen wurde, müssen die Phasen Etappe für Etappe abgearbeitet werden. Die erste Etappe war der Waffenstillstand. Das hat Zeit gebraucht, mehr Zeit, als eigentlich vorgesehen war. Dann der Rückzug, Abzug der leichten und der schweren Waffen. Das läuft ja noch. Auch das hat länger gedauert, als es vorgesehen war. Dann der Gefangenenaustausch und dann die trilateralen Arbeitsgruppen. Wir haben auch hier mehr Zeit gebraucht, als wir eigentlich gedacht haben. Dann die Abstimmung durch das ukrainische Parlament, dass die Verfassung geändert wird. Das hat länger als geplant gedauert, aber es ist passiert. Jetzt kommt die Frage der Wahlen und die Notwendigkeit, auch hier, dass wir uns genügend Zeit geben, dass ein Wahlgesetz erarbeitet wird, dass den Kriterien der OSZE entspricht, die dann in der trilateralen Kontaktgruppe abgesprochen worden ist. Das wird Zeit dauern.
Beweis: Wir waren nicht der Ansicht, dass es derzeit möglich ist, Wahlen unter Einhaltung der Kriterien von Minsk gerade in den östlichen Gebieten abzuhalten. Es ist wahrscheinlich, es ist jetzt sogar relativ sicher, da wir ja drei Monate brauchen, um eine Wahl durchzuführen, dass wir dann irgendwie über 2015 hinauskommen. Eigentlich war der 31.12.2015 für das Ende von Minsk geplant. Aber sobald dann Wahlen stattgefunden haben werden und der Sonderstatus wird ja dann übergangsweise am Tag der Wahl beginnen und wenn die Ergebnisse definitiv bestätigt worden sind. Das heißt, wir brauchen dann wiederum Zeit, um auf die letzte Etappe, die letzte Zielgerade zu kommen. Dabei geht es ja um die territoriale Integrität der Ukraine, komplette Kontrolle der Grenzen und Rückzug der ausländischen Streitkräfte.
Sie haben Recht: Das wird einfach mehr Zeit als geplant dauern. Wir haben das zur Kenntnis genommen und die Modalitäten ebenfalls zur Kenntnis genommen.
Ich möchte gerne Angela das Wort in Bezug auf das Vertrauen überlassen, das wir haben können.
Merkel: Na ja, ich sage einmal: Auf der Haben-Seite haben wir doch, dass der Waffenstillstand ab dem 1. September weitestgehend hält. Das ist erst einmal im Blick auf die Sicherheit der Menschen eine wichtige Botschaft. Das hat aber, wie François Hollande schon gesagt hat, sehr viel länger gedauert als wir eigentlich dachten. Wir haben auf der Haben-Seite, dass wir heute sehr komplizierte Probleme besprochen haben, nämlich über Probleme, die in den Minsker Abmachungen nicht genau spezifiziert waren: Wann tritt was genau in Kraft? Muss es ein Amnestiegesetz geben? Dann muss es ein Sonderstatusgesetz geben, und das Sonderstatusgesetz muss in der Verfassung aufgeführt sein.
Was uns heute gelungen ist, ist, jedenfalls alle, die am Gespräch teilgenommen haben, auf ein gemeinsames Verständnis der Reihenfolge zu bringen. Jetzt muss man sehen, ob das in den Beratungen der trilateralen Kontaktgruppe auch hält. Aber wenn wir nicht mit einem positiven Grundverständnis in diese ganze Gespräche gegangen wären, dann wären wir heute nicht einmal da, wo wir sind. Jetzt müssen wir das weitermachen, ohne uns der Illusion hinzugeben, dass das nun plötzlich alles ganz schnell und ohne jede Reibung geht. Aber insgesamt ist das schon richtig.
Zweitens. Für uns ist nicht die Frage Syrien mit der Frage Minsk verbunden. Wir haben zum Beispiel auch die Iran-Gespräche geführt, und da ist der Minsk-Prozess parallel gelaufen. Da hat man auch nicht die eine Frage mit der anderen verbunden. Das heißt, das hat erst einmal miteinander nichts zu tun, auch im Blick auf das, was die Ukraine mit Recht erwartet, nämlich ihre territoriale Integrität jedenfalls soweit es nicht die Krim, sondern den Rest des Landes betrifft wieder herzustellen.
Hollande: Ich möchte noch etwas zum Thema Vertrauen hinzufügen. Zwei Schlussfolgerungen können aus der Sitzung, die wir heute erlebt haben, gezogen werden: Das Normandie-Format ist das richtige Format. Angela und ich hatten es uns ausgedacht. Am 6. Juni 2014 sind wir auf die Idee gekommen. Mit diesem Normandie-Format haben wir es geschafft, bis nach Minsk zu einer Vereinbarung zu kommen. Dieses Normandie-Format hat viele Weiterungen gehabt, wir haben telefonisch miteinander Kontakt gehabt. Es hat gehalten. Der beste Beweis ist, dass wir es in diesem Normandie-Format geschafft haben, Erfolge zu erzielen, dass wir den Minsker Prozess verstetigen konnten, auch wenn die Modalitäten sich etwas verändert haben.
Zweite Schlussfolgerung: Minsk hält. Das heißt, wir stehen noch im Minsker Rahmen. Jeder Beteiligte möchte daran festhalten und will, dass Minsk umgesetzt wird – sowohl Präsident Poroschenko als auch Präsident Putin. Und das ist wichtig.
Wie Angela schon gesagt hat, gibt es keine Verbindung, keine Verquickung mit anderen Situationen. Bilateral sprechen wir natürlich darüber, aber wir haben keine Verquickung zwischen dem hergestellt, was wir mit der Ukraine machen, und dem, was uns an anderen Stellen der Welt Sorge bereitet.
Frage: Herr Präsident, auch wenn Sie sagen, dass es keine Verbindung zwischen Syrien und dem Minsker Prozess gibt, so hat man hier doch den Eindruck, dass die Bomben, die Herr Putin auf Syrien wirft, ihn stärker denn je machen. Inwieweit hat dieser Gipfel auch in den bilateralen Gesprächen nicht doch unter dem Schatten von Syrien gestanden?
Frau Bundeskanzlerin, es gab in den letzten Tagen zumindest in der Semantik Unterschiede zwischen Ihnen und Präsident Hollande hinsichtlich der Rolle, die der Diktator Assad in einem möglichen Prozess spielen soll. Sie haben in Brüssel vor zehn Tagen gesagt, dass er ein Akteur sei, mit dem man reden müsse. Inwieweit ist dieser Unterschied zu François Hollande auch eine Folge des Drucks, den Deutschland wegen der Flüchtlinge aushalten muss, die sehr stark ins Land strömen und von denen viele sagen, dass sie die Kapazitätsgrenzend des Landes erreichen? Danke schön!
Merkel: Ich kann gerne beginnen. In den bilateralen Gesprächen hat natürlich das Syrien-Thema eine Rolle gespielt; das kann ich jedenfalls für mich sagen. Ich kann aber auch verraten, dass es auf der französischen Seite auch so war, wie ich glaube.
Wir haben gemeinsam sehr deutlich gemacht, dass natürlich IS der Feind ist, der zu bekämpfen ist, und dass es auf der anderen Seite für Syrien eine Lösung geben muss, die auch und insbesondere die Interessen der Opposition widerspiegelt. Diese Opposition hat unsere Unterstützung. Wir dürfen nicht vergessen, was in den letzten Tagen in Syrien passiert ist. Hunderttausende, muss man heute leider schon sagen, haben ihr Leben durch das verloren, was Assad seinem Volk angetan hat, bevor IS da war. Dennoch brauchen wir eine Lösung. Ich muss sagen: Angesichts von über 250.000 Toten ist die Dringlichkeit und die Notwendigkeit, hier eine Lösung unbeschadet der Flüchtlinge in Deutschland zu finden, unübersehbar. Wir haben Jordanien, Libanon, die Türkei. Wir haben schwierigste Situationen.
Das, was ich neulich in Brüssel ausgesprochen habe, ist ja nichts anderes, als dass das Genfer Format zum Beispiel immer auch Vertreter des Assad-Regimes enthalten hat, dass der UN-Beauftragte de Mistura natürlich auch mit der Assad-Seite gesprochen hat. Das heißt, das ist kein Widerspruch dazu, dass Assad trotzdem in der Zukunft nicht die Rolle spielen wird, die er in der Vergangenheit gespielt hat, dass man Übergänge finden muss und dass daran gemeinsam gearbeitet werden muss. Wir haben ein hohes Interesse daran, dass neben den militärischen Aktionen politische Lösungen gefunden werden, weil wir nicht glauben, dass militärische Aktionen alleine eine Lösung des Syrien-Konflikts bringen. Aber diese politischen Lösungen werden auch mehr Akteure enthalten, als das nur Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika oder Frankreich und Großbritannien sind, sondern es muss eine umfassende Gruppe geben, die mit einbezogen wird. Das weiß man allein aus den regionalen Gegebenheiten. Da gibt es nicht die geringsten Unterschiede zu der französischen Position.
Hollande: Ja, wir haben mit Putin über Syrien gesprochen. Wie kann man ein solches Thema nicht ansprechen? Dieser Konflikt hat schon zu so vielen Opfern geführt: vier Millionen Flüchtlinge, acht Millionen Binnenflüchtlinge, 250.000 Tote. Russland ist in Syrien engagiert, aber das hat es immer getan. Seit Beginn des Konflikts war Russland ein Unterstützer des Regimes von Baschar al-Assad durch Waffenlieferungen. Heute geht Russland weiter, aber auf der gleichen Linie, nämlich die Unterstützung für Baschar al-Assad und sein Regime. Wir haben darüber gesprochen, ich habe mit Präsident Putin darüber gesprochen. Frankreich hat dabei durch meine Stimme daran erinnert, dass es eine politische Lösung geben muss, dass diese politische Lösung darin bestehen muss, dass wir auf den Genfer Geist wieder zurückkommen müssen. Sprich, wir müssen das Regime, die Opposition zusammenführen, damit sie sich auf einen Konsens einigen, eine gemeinsame Regierung bilden und verstehen, dass Baschar al-Assad gehen muss, um eine politische Lösung zu erhalten. An dieser politischen Lösung arbeiten wir mit Russland zusammen; wir arbeiten mit den Amerikanern, mit Iran, mit der Türkei, den Golfstaaten, mit allen Ländern, auch den europäischen Ländern, zusammen, die sich an dieser politischen Lösung beteiligen wollen. Sie ist absolut unabdingbar. Alle Länder sind nicht an Luftschlägen beteiligt. Russland hat das gerade entschieden. Frankreich macht es ebenfalls im Namen der Selbstverteidigung. Wir sind der Ansicht, dass DAISH, also der IS, uns direkt betrifft. Denn DAISH, diese terroristische Gruppe, bereitet Attentate in Frankreich, in Europa, in der ganzen Welt vor.
Wir haben gesagt: Wir machen ebenfalls Luftschläge. Woran ich aber bei Putin erinnert habe, ist, dass diese Schläge sich gegen DAISH und nur gegen DAISH richten müssen. Denn wir werden keine anderen Ziele bekämpfen. Ausgehend von dieser Feststellung werden wir jeden vor seine eigene Verantwortung stellen. Sprich, gegen diese terroristische Gruppe, die im Irak und in Syrien aktiv ist, richten wir unsere Aktionen. Wir fordern von Baschar al-Assad, dass er die Bombardierung seiner Zivilbevölkerung mit Waffen aller Art endlich stoppt.
In Bezug auf die Flüchtlinge: Diese Flüchtlinge sind nicht einfach gekommen, weil in den letzten Monaten Krieg in Syrien ausgebrochen ist und weil es die Übergriffe seitens DAISH und des Regimes gegeben hat. Ja, es gibt Flüchtlinge, die kommen, weil das, was in Syrien passiert ist, passiert. Aber zahlreiche Flüchtlinge waren ja schon in den Flüchtlingslagern. Sie wollten nach Europa. Man muss sich bewusst sein, dass, wenn wir in Syrien handeln, diese Bewegung der Flüchtlinge aufgehalten werden kann. Diese Bewegung ist schon seit drei Jahren existent. Wir haben die gesamte Welt gewarnt, dass eines Tages die Menschen in den Flüchtlingslagern, wenn sie schlecht ernährt werden, wenn ihre Kinder nicht zur Schule gehen können, wenn es dort keine Arbeit gibt, irgendwann die Grenzen überschreiten werden und sie alle Hindernisse überwinden würden, so zum Beispiel unter anderem das Mittelmeer. Aus diesem Grunde hat Europa ja auch Entscheidungen getroffen. Das ist die Entscheidung, der Türkei zur Hilfe zu eilen und auch den anderen Ländern, die Flüchtlinge in großer Zahl aufnehmen. In Bezug auf die Verbindung, die hergestellt werden könnte, nicht weil Wladimir Putin und Russland jetzt in Syrien engagiert sind, ist das ein Grund, dass unsere Haltung sich in Bezug auf die Ukraine ändern sollte. Nein. Ich sage noch einmal: Es wurde kein Junktim hergestellt; es wurde nichts Derartiges gemacht.
Frage: Hatten Sie bei diesem bilateralen Treffen mit dem russischen Präsidenten das Gefühl, dass es eine Bewegung in Bezug auf Syrien ohne Assad seitens Präsident Putin gibt? Hatten Sie denn die Garantie, dass der letzte Schlag in Raka gegen DAISH geführt worden ist, wie es von der russischen Administration hieß? Hatten Sie da eine Versicherung?
Zweite Frage: Warum muss denn unbedingt nur DAISH bekämpft werden? Sollte man nicht auch andere bekämpfen, so zum Beispiel Al-Nusra und Al Quaida?
Eine Frage an Frau Merkel: Die Presse schlägt Sie für den nächsten Friedensnobelpreis vor. Was sagen Sie dazu?
Merkel: Ich sage dazu, dass die Presse den Friedensnobelpreis nicht vergibt und dass ich mich auf meine politische Arbeit konzentriere. Da haben wir alle Hände voll zu tun – sowohl mit den Themen, die wir heute behandelt haben, als auch natürlich mit der Frage, wie wir in Deutschland die vielen Flüchtlinge vernünftig integrieren und diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben, auch wieder in ihre Länder zurückschicken.
Ich möchte vielleicht noch etwas sagen: Was meine Gespräche anbelangt, gibt es, glaube ich, in der Theorie eine Übereinstimmung, dass man einen politischen Prozess braucht, an dem Russland, die Vereinigten Staaten, europäische Länder und natürlich die Regionalverantwortlichen teilnehmen. Aber dieser Prozess ist bestenfalls sozusagen theoretisch gewollt. Er ist noch nicht konstruiert. Wir müssen sehr schnell handeln das wird auch eine deutsche Haltung des Bundesaußenministers und von mir sein , dass wir alles in unserer Kraft stehende tun, genauso wie Frankreich und andere es auch tun, diesen politischen Prozess schnell in Gang zu bringen. Denn nur allein durch militärisches Handeln werden die Menschen nicht in Frieden leben können. Das ist, glaube ich, im Grunde klar. Aber dabei ist natürlich die Aufgabe, das zusammenzubringen, sehr groß. Die letzten Jahre waren doch so, dass sie tiefe Gräben zwischen den Akteuren, aber auch zwischen regionalen Akteuren gerissen haben, wenn man an Saudi-Arabien, den Iran denkt. Da muss man jetzt sehr, sehr vorsichtig arbeiten, um voranzukommen.
Erste Maßnahmen wären hilfreich zum Beispiel die Umsetzung von UN-Resolutionen, die schon bestehen, oder aber der humanitäre Zugang zu bestimmten Städten, die heute nicht erreichbar sind , und zwar als kleine Gesten, dass etwas in Gang kommen könnte. Das ist aber, wie gesagt, sehr am Anfang. Trotzdem muss man alle Kraft darauf verwenden und werden wir verwenden, hier im Blick auf alle Menschen, die heute leiden, voranzukommen.
Hollande: Präsident Putin und ich haben den politischen Prozess in Syrien angesprochen. Ich habe darauf hingewiesen, dass, wenn Assad der Ansprechpartner sein sollte, es keinen Fortschritt gegen würde. Dann würde es keine Einigung, keine Annäherung geben. Eine politische Lösung in Syrien bedeutet nicht Assad auf der einen Seite oder DAISH auf der anderen Seite. In der Mitte ist noch, wenn ich das so sagen darf, eine Reihe von Oppositionsgruppen. Da sind noch viele. Von denen sind einige bereit, zu einer politischen Lösung zu kommen. Mit denen muss man vor allem zusammenarbeiten.
Zweiter Punkt ich glaube, dabei kann auch der Präsident das gleiche Ziel teilen : Die Integrität, die Einheit Syriens liegt uns am Herzen. Was würde es denn bedeuten, wenn wir auf der einen Seite ein Syrien, einen Rumpf Syrien haben, wo nur das Regime die Kontrolle über einen Teil des Territoriums hat und der Rest im Chaos verfällt und möglicherweise morgen ein Kalifat werden würde? Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Das wäre eine Teilung, die wir nicht hinnehmen könnten, nicht nur, weil sie einem grundlegenden Prinzip der Vereinten Nationen zuwiderläuft, nämlich der Integrität eines Landes, sondern weil es auch eine Teilung auf Grundlage von religiösen Kriterien zwischen Schiiten auf der einen und Sunniten auf der anderen Seite wäre. Damit würde DAISH sich rühmen und sagen können: Wir können weiter Gruppen aus religiösen Gründen um uns sammeln. Das wollen wir verhindern.
Zum Thema Luftschläge: Ich habe gegenüber Herrn Putin gesagt, dass dort, wo wir Luftschläge gesehen haben, es nur um einen Luftschlag gegen Raka ging und die restlichen gegen oppositionelle Stellen ging. Deswegen sagen wir, Frankreich: Wir müssen das überprüfen. Wir wollen nur dort schlagen, wo DAISH wirklich angesiedelt ist.
Wir müssen ansonsten am Frieden arbeiten. Heute ist ein Tag, der dem Frieden gewidmet war, wenn wir uns den Fortschritt ansehen. Es ist nicht immer leicht, wenn man ein Akteur einer Sache ist. Aber wenn ich sehe, wie die Situation aussah, wo Angela Merkel und ich vor einem Jahr standen und wo wir jetzt in der Ukraine stehen, dann kann ich sagen: Wir sind noch nicht an der Lösung, aber es gibt weniger Opfer und die Gesprächspartner reden miteinander. Wir können heute Fortschritte vorweisen. Genauso funktioniert es mit dem Frieden über einen politischen Prozess. Genau das wollten wir heute in diesem Normandie-Format im Élysée zeigen. Danke schön!