Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem bulgarischen Ministerpräsidenten Borissow am 15. Dezember

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der neue bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow heute bei uns zu Gast ist. Wir kennen uns schon aus früheren Jahren der Zusammenarbeit, und ich darf sagen, dass wir immer eine sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit gepflegt haben. Deshalb wünsche ich der neuen bulgarischen Regierung auch allen Erfolg, den man sich denken kann.

Bulgarien ist in einer durchaus nicht ganz einfachen wirtschaftlichen Lage, und deshalb ist es wichtig, dass wir auch sehr eng zusammenarbeiten. Wir haben den Eindruck, dass die neue Regierung die Dinge, die verbessert werden müssen, auch wirklich entschieden angehen will, so den Kampf gegen die Korruption und auch gegen Kriminalität.

Einen großen Platz in unserem heutigen Gespräch haben die Fragen der Energieversorgung eingenommen. Wir haben sehr ausführlich darüber gesprochen und uns auch darauf geeinigt, dass Deutschland, wo immer es geht, Bulgarien hilfreich zur Seite stehen wird. Es geht hierbei jetzt vor allen Dingen im Hinblick auf das Projekt South Stream darum, alle rechtlichen Fragen ordentlich aufzuarbeiten und die entsprechenden Positionen dann auch im Gespräch mit Russland vorzubringen. Ich habe noch einmal darauf hingewiesen, dass gerade die deutsche Wirtschaft sehr gute Erfahrungen mit Russland als verlässlichem Partner gemacht hat. Der bulgarische Ministerpräsident hat deutlich gemacht, dass Bulgarien auch ein verlässlicher Partner sein möchte, natürlich auf der Basis von Recht und Gesetz. Genau hierüber werden wir auch weiterhin in einem engen Kontakt bleiben.

Unbeschadet politischer Differenzen geht es, glaube ich, gerade im Verhältnis zu Russland in diesen Monaten auch darum, dass wir die Verlässlichkeit unserer Wirtschaftsbeziehungen weiter unter Beweis stellen. Ich glaube, hierüber gibt es eine große Übereinstimmung zwischen Bulgarien und Deutschland.

Insgesamt freue ich mich also auf die Zusammenarbeit, auch bezüglich all der europäischen Fragen. So werden wir in den nächsten Monaten auch sehr intensiv zusammenarbeiten, wenn es um Investitionsprojekte und die Verausgabung der europäischen Mittel im Rahmen der Strukturfonds geht. Ich wünsche dem Ministerpräsidenten für seine nicht immer ganz einfache Arbeit viel Erfolg. Noch einmal herzlich willkommen hier in Berlin!

MP Borissow: Guten Tag! Vielen Dank Kanzlerin Merkel und ihrem Team dafür, dass sie uns so schnell nach der Gründung unserer Regierung hier empfangen haben.

Im letzten Jahr haben wir viele Probleme bekommen, die gelöst werden müssen. Natürlich haben wir der Kanzlerin erklärt, warum es zu unserem hohen Haushaltsdefizit gekommen ist. Nächstes Jahr werden wir leider keine Musterknaben sein. Aber es ist besser, wenn wir diesen Haushalt langsamer verringern, weil wir keine sozialen Spannungen schaffen möchten.

Was die Umsetzung bezüglich der Finanzmittel aus den europäischen Fonds anbetrifft, haben wir darum gebeten, dass wir Experten aus Deutschland bekommen, die uns beraten. Wir werden auch in unterschiedlichen Bereichen Berater bekommen, so bei der Umsetzung bezüglich der europäischen Fonds, bei den Finanzen und bei der Justizreform. Momentan müssen wir leider mehrere Milliarden im Zusammenhang mit der Bank KTB zahlen, weil sie pleitegegangen ist und der Staat die Ersparnisse der Anleger garantiert.

Was die großen Energiewirtschaftsprojekte - Nabucco und die anderen - anbetrifft, die in Zukunft durch Bulgarien durchgeleitet werden könnten, haben wir vereinbart, dass wir mit Russland weiterhin normal verhandeln werden - auf Grundlage der rechtlichen Normen und in Übereinstimmung mit den europäischen rechtlichen Normen. Ich bin der Europäischen Kommission einschließlich Jean-Claude Juncker sehr dankbar, die uns in diesen rechtlichen Fragen bei der Lösung der Probleme unterstützen wird.

Ich wiederhole noch einmal: In vielen Bereichen gab es Probleme. Wir werden diese Probleme lösen, auch im Parlament. Wir rechnen mit der Unterstützung für die Umsetzung hinsichtlich der Finanzmittel aus den europäischen Fonds. Die Frau Kanzlerin hat mir versprochen, dass sie sich überlegen wird, ob wir vielleicht auch manche der Möglichkeiten nutzen, die vonseiten der Europäischen Kommission geboten werden, sodass die Fristen für die Umsetzung bezüglich des Geldes aus den europäischen Fonds verlängert werden. Wir haben nichts versprochen bekommen, aber wir hoffen trotzdem auf eine Unterstützung in diese Richtung.

Frage: Frau Merkel, zu South Stream: Würde Deutschland die Idee der bulgarischen Regierung unterstützen, ein Gasverteilungszentrum in Varna zu bauen, von dem aus das russische Gas in die Europäische Union verteilt wird? Könnte Bulgarien eine finanzielle Unterstützung zur Überwindung der Schäden erhalten, die in Bulgarien angerichtet wurden? Die bulgarische Öffentlichkeit macht nämlich überhaupt keinen Unterschied zwischen South Stream und Nord Stream. Warum ist das eine legitim und das andere nicht?

BK’in Merkel: Wir haben im Zusammenhang mit South Stream natürlich über die augenblickliche politische Situation, aber auch über die rechtliche Situation gesprochen. Wir haben uns darauf verständigt, dass man sich auch in Gesprächen mit Russland einmal ganz nüchtern die Rechtssituation anschaut. Es gibt eine Vielzahl von abgeschlossenen Verträgen. Für Bulgarien ist wichtig - da haben wir genau die gleiche Meinung -, dass jeder auf der Grundlage des geltenden Rechts ein verlässlicher Partner ist. Es hat ja in der Europäischen Union durch das dritte Energiebinnenmarktpaket Veränderungen des Rechts gegeben. Dann sollte man jetzt das Gespräch mit Russland darüber suchen, was das nun bedeutet. Wie ich schon sagte: Wirtschaftliche Beziehungen sollte man trotz durchaus unterschiedlicher Bewertungen immer sehr verlässlich gestalten. Hierbei wird Deutschland mit Bulgarien so eng wie möglich zusammenarbeiten.

Frage: Ich habe zunächst eine Frage an den Herrn Ministerpräsidenten: Fühlen Sie sich denn durch die neue Führung der Europäischen Union - sei es Herr Tusk, sei es Herr Juncker - in Ihren Interessen gerade gegenüber Russland ausreichend vertreten?

An die Frau Bundeskanzlerin habe ich - verzeihen Sie - eine Frage zur Innenpolitik: Heute Abend wird in Dresden wieder von PEGIDA demonstriert werden. Wie schätzen Sie diese Bewegung eigentlich ein?

MP Borissow: Ich habe volles Vertrauen in Jean-Claude Juncker und Donald Tusk. Natürlich ist die jetzige Periode gleichzeitig mit vielen Problemen verbunden. Es gibt ein neues Kabinett und neue Teams im neuen Europäischen Parlament. Die Periode ist so ungünstig. Die Europäische Kommission hat eine gewisse Zeit lang nicht zu 100 Prozent gearbeitet. Auf dem Treffen mit ihr und bei diesem heutigen Treffen bin ich bei der Überzeugung geblieben, dass die Probleme allmählich gelöst werden. Am Donnerstag werden wir wieder ein Gespräch mit Herrn Juncker führen. Seit vier Monaten wartet Bulgarien auf eine Antwort im Zusammenhang mit den Aktivitäten in Bezug auf South Stream. Ich bin überzeugt, dass wir mit der Unterstützung der Kanzlerin sehr bald eine Stellungnahme von der Europäischen Kommission hinsichtlich dessen bekommen werden, was von uns verlangt wird und was für uns eventuell in Moskau verhandelt werden wird.

Ich glaube, wir vertreten gemeinsam mit der Kanzlerin die gleiche Meinung, nämlich dass die bulgarische Regierung und die russische Regierung ihre Kontakte und Tätigkeiten auf rechtlicher Basis fortsetzen sollten, weil wir ansonsten den Vertrag verletzen würden. In diesem Vertrag steht Brüssel nicht als Vertragsseite. Bulgarien steht darin als Vertragsseite. Der Vertrag wurde 2006 unterzeichnet. Wir werden uns also auf die juristischen Probleme konzentrieren, und aufgrund der Ergebnisse dieser Forschungen werden wir eine Entscheidung treffen.

BK’in Merkel: Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich Folgendes sagen: In Deutschland gibt es zwar die Demonstrationsfreiheit, aber es ist kein Platz für Hetze und Verleumdung von Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen. Deshalb muss jeder aufpassen, dass er nicht von den Initiatoren einer solchen Veranstaltung instrumentalisiert wird. Die Bundesregierung arbeitet zusammen mit den Ländern und den Kommunen daran, dass Probleme, die zum Beispiel durch eine große Zahl von Asylbewerbern auftreten, auch gelöst werden können. Das haben unsere Abmachungen mit den Ländern in den letzten Wochen ja gerade auch gezeigt, und darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland verlassen.

Frage: Ihre Exzellenzen, ich habe zwei Fragen, zunächst an Herrn Borissow. Herr Borissow, wir möchten von Ihnen hören, ob die Frau Kanzlerin Sie bezüglich der Idee unterstützt hat, eine Gasleitung auf bulgarischem Territorium zu bauen.

Frau Merkel, wird Deutschland Bulgariens Schengen-Beitritt im März 2015 unterstützen?

MP Borissow: In Bezug auf Schengen bin ich davon überzeugt, dass Bulgarien bereit ist. Bulgarien gibt momentan viel Geld für die Flüchtlinge aus. Wir haben viele Flüchtlinge aus Syrien, die über Griechenland und die Türkei nach Bulgarien einreisen. Mehr als 1.300 Polizisten gibt es an der Grenze. Die Bulgaren sind gegenüber den Flüchtlingen sehr tolerant. Sie kosten auch viel Geld. Es gibt viele Tausende Flüchtlinge auf bulgarischem Territorium. Deshalb bin ich der Meinung, dass Schengen für Bulgarien eigentlich schon eine fast gelöste Frage ist, weil wir bereit sind, dem Schengen-Raum beizutreten. Wir hoffen sehr stark, dass die Partner im März auch eine solche Entscheidung treffen werden.

Was den Bau einer Gasverteilungsleitung anbetrifft: Diese Frage werden wir am Donnerstag bei der Sitzung des Europäischen Rats diskutieren. In unserem Haushalt und im Haushalt der Europäischen Kommission gibt es Finanzmittel für die Interkonnektoren, die wir momentan mit Rumänien, Serbien und Griechenland bauen. Wir könnten also für Europa als ein Verteiler fungieren. Aber das sind Entscheidungen, die noch bevorstehen. Wir müssen zunächst mit den Kollegen diskutieren, und danach werden wir Sie informieren.

BK’in Merkel: Vielleicht kann man noch sagen, was die Gasleitung anbelangt, dass jetzt von europäischer Seite keine Absage gekommen ist, was South Stream anbetrifft. Keiner der Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat hier eine Absage gemacht, sondern solche Zweifel sind von der russischen Seite aufgekommen. Ich finde, man muss in aller Offenheit darüber reden, gerade auch mit Russland, wie sich die Dinge auf der Basis des geltenden Rechts weiterentwickeln.

Was die Frage nach Schengen anbelangt, so werden wir uns die Dinge Anfang des Jahres - bis zum März-Rat der Europäischen Union - anschauen und sie überprüfen. Wir haben immer gesagt, dass es große Fortschritte gibt, die Bulgarien gemacht hat. Ob man jetzt schon im März eine Entscheidung wird treffen können, werden wir als Bundesregierung erst im Februar entscheiden, auch auf der Basis von Berichten, die uns die Kommission noch vorlegen wird.

Frage: Eine Frage sowohl an den Ministerpräsidenten als auch die Kanzlerin. Ich hätte gerne eine Frage zu South Stream gestellt, weil ich es nicht richtig verstanden habe. Halten Sie wirklich beide South Stream für die Gasversorgung Europa für nötig oder gibt es mit der Pipeline aus Aserbaidschan letztlich nicht viel bessere Alternativen?

Können Sie sagen, ob auf dem EU-Gipfel auch das Thema Sanktionen gegen Russland - Verschärfung oder Lockerung - angesprochen wird?

BK’in Merkel: Nach meiner Auffassung wird auf dem EU-Gipfel keine spezifische Beschlussfassung zu Sanktionen zu erwarten sein.

Was South Stream anbelangt, will ich nur noch einmal darauf hinweisen, dass es eine bestimmte Rechtssituation gibt. Es sind zum Teil schon im Jahre 2006 und auch später Verträge mit den verschiedenen Ländern abgeschlossen worden. Auf dieser Basis muss man jetzt natürlich mit Russland ins Gespräch kommen.

MP Borissow: Ich kann sagen, dass, weil ich einer der Motoren für den Bau der Nabucco-West-Pipeline war, mich leider die Europäische Kommission nicht bei diesem Projekt unterstützt hat. Diese Gasleitung mit Aserbaidschan ist überhaupt nicht sicher. Die anderen Leitungen sind nicht stark genug. Ich hoffe, dass wir, wenn das alles einmal erledigt ist, die Nabucco-West-Pipeline doch bauen werden. Die Gasquelle ist das eine. Eine Diversifizierung werden wir erst erreichen, wenn wir aus den bulgarischen Vorkommen Gas gewinnen können. Der Vorschlag, den wir momentan machen, ist ein Vorschlag im Geiste des Vorschlags von Donald Tusk für eine allgemeine Energiewirtschaftsunion in Europa. Es ist eine gute Idee, dass wir in Bulgarien eine Gasverteilungsstation bauen, die von Bulgarien das Gas für Europa verteilt.

Wir werden dadurch unabhängig sein und über die Interkonnektoren wird das Gas in alle Richtungen fließen können. Ich kann dem bulgarischen Volk nur sehr schwer erklären, warum es gut ist, wenn die Gasleitungen über die Türkei und Griechenland laufen und dass es nicht gut ist, wenn die Leitungen über Bulgarien laufen. Das ist eine komplizierte Frage. Wir hoffen, dass wir sehr schnell eine Entscheidung fällen können, was dieses Problem angeht. Bulgarien ist im Zusammenhang mit der Burgas-Alexandroupolis-Ölpipeline und ebenso im Zusammenhang mit dem Atomkraftwerk Belene verklagt worden.

Bulgarien ist ein vorhersehbarer Verbündeter von Europa, der kontinuierlich und konsequent seine Politik durchsetzt. Das können wir hier ruhig im Kanzleramt sagen. Bulgarien ist ein europaorientiertes Land und arbeitet weiterhin für die europäische Ausrichtung des Landes.

BK’in Merkel: Dankeschön!