Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel im Anschluss an die Videokonferenz mit dem Europäischen Rat

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, wir hatten heute einen Europäischen Rat in Form einer Videokonferenz. Ich möchte mich bei Ratspräsident Charles Michel sehr dafür bedanken, dass er diesen Europäischen Rat einberufen hat.

Der zentrale Punkt unserer Diskussion war die Situation in Weißrussland, in Belarus. Es liegt ja auf der Hand: Die Bilder von Demonstranten und von friedlichen Demonstrationen dort haben uns in den letzten Tagen alle sehr bewegt. Der Mut derjenigen, die friedlich demonstriert haben, hat uns beeindruckt.

Wir haben heute im Europäischen Rat gemeinsam zum Ausdruck gebracht - das sage ich natürlich auch für die deutsche Bundesregierung -, dass wir an der Seite der friedlich Demonstrierenden stehen.

Es gab schon in den letzten Tagen, auch von mir persönlich, einen sehr engen Kontakt mit vielen Mitgliedstaaten. Ich möchte mich insbesondere bei Litauen bedanken, das die Oppositionsführerin Frau Tichanowskaja aufgenommen hat, aber auch sonst sehr viel für die Unterstützung der Zivilgesellschaft leistet. Genauso möchte ich bei Polen bedanken.

Es gibt für uns als Mitglieder des Europäischen Rates keinen Zweifel daran, dass es bei den Wahlen massive Regelverstöße gegeben hat. Die Wahlen waren weder fair noch frei. Deshalb kann man die Ergebnisse dieser Wahlen auch nicht anerkennen.

Wir haben heute in einer gemeinsamen Botschaft der Mitgliedstaaten sehr klar gesagt: Wir verurteilen die brutale Gewalt gegen Menschen genauso wie die Inhaftierung und Gewaltanwendung gegen Tausende von Weißrussen. Wir fordern das Regime oder die Regierung von Herrn Lukaschenko auf, die Gewaltanwendung zu unterlassen. Meinungsfreiheit muss garantiert sein, das Recht auf Demonstrationen ebenso. Unsere Forderung geht auch in Richtung von unabhängigen Medien, über die sich die Menschen informieren können müssen.

Alle Gefangenen müssen freigelassen werden, und zwar bedingungslos. Wir setzen uns für einen nationalen Dialog ein, wie er ja auch von der Opposition in Belarus vorgeschlagen wird. Das muss ein inklusiver Dialog sein, an dem alle beteiligt sein können. Die Akteure, die an einem solchen Dialog teilnehmen, müssen frei handeln können. Wir könnten uns seitens der Europäischen Union vorstellen, dass die OSZE hierbei eine wichtige Rolle spielen könnte, genauso wie die Organisation ODIHR bei der Untersuchung der Wahlen.

Ähnlich wie die Außenminister haben wir uns dafür eingesetzt, noch einmal das zu verstärken, was die Außenminister schon beschlossen haben, nämlich gezielte Sanktionen, die jetzt nicht die Bevölkerung Weißrusslands treffen, sondern die auf diejenigen ausgerichtet sind, die für Gewalt, Inhaftierung und Wahlfälschung Verantwortung tragen.

Die Europäische Union will im Rahmen des Programms zum Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft der Zivilgesellschaft in Belarus Unterstützung zukommen lassen. Aber für uns ist vollkommen klar: Weißrussland muss seinen Weg für sich alleine finden. Das muss über einen Dialog innerhalb des Landes gehen. Es darf keine Einmischung von außen geben. Die Menschen in Weißrussland wissen, was sie wollen und was für gut für sie ist. Deshalb wollen wir einen unabhängigen Weg für Weißrussland - wie gesagt, auf einem friedlichen Wege und über Dialog -, in dem selbst im Land entschieden wird, wie die politischen Gegebenheiten sind.

Das war der wesentliche Punkt unserer Diskussion.

Wir haben dann über zwei andere Punkte gesprochen. Das betraf einmal die Situation in Mali. Der französische Präsident hat hierüber insbesondere berichtet, weil er durch die sehr hohe Truppenpräsenz und die sehr engen Beziehungen zur Sahelzone und auch zu Mali natürlich in besonderer Weise betroffen ist.

Wir verurteilen den Militärputsch. Wir setzen uns für Stabilität und für friedliche Verhältnisse in Mali ein. Der Kampf gegen den Terrorismus in dem Land muss im Fokus stehen. Wir unterstützen die Bemühungen der Regionalorganisation ECOWAS, hier zu einer politischen Lösung zu kommen. Ich glaube, es ist jetzt ganz wichtig, dass die ECOWAS-Mitgliedstaaten hier politisch allen Einfluss nehmen, damit es zu einer möglichst guten Lösung kommt, die eine friedliche Situation unterstützt.

Der dritte Punkt betraf die Situation im östlichen Mittelmeer. Wir haben unsere gemeinsame Besorgnis über die Spannungen im östlichen Mittelmeer ausgedrückt. Es müssen alle Bemühungen unternommen werden, die Situation zu deeskalieren. Sie ist sehr gefährlich. Wir haben unsere Solidarität mit Griechenland und Zypern ausgedrückt, sofern es um ihre Rechte geht. Wir haben noch einmal darauf verwiesen, dass wir uns auf dem Sonderrat des Europäischen Rates im September vertieft mit unserem Verhältnis zur Türkei befassen werden, was natürlich sehr viele Facetten beinhaltet.

Deutschland - das wissen Sie - setzt sich dafür ein, dass wir wieder zu einem Dialog über die strittigen Fragen der maritimen Grenzziehungen kommen. Diesen Dialog gab es bis 2016. Aus unserer Sicht muss er insbesondere zwischen Griechenland und der Türkei wieder aufgenommen werden. Aber man muss trotzdem hinsichtlich der Spannungen auf das Äußerste besorgt sein. Wir werden im September darauf vertieft zurückkommen.

Das war der Bericht über das, was wir heute diskutiert haben. Damit stehe ich für Ihre Fragen zur Verfügung.

Frage: Frau Merkel, kurz zu einem Thema, das eigentlich bei der EU-Ratspräsidentschaft auch im Mittelpunkt stehen sollte, nämlich das Thema Klima. Sie haben für morgen unter anderem Greta Thunberg ins Kanzleramt eingeladen. Es gab schon vorher vonseiten von Frau Thunberg Kritik daran, dass immer noch viel zu wenig passiert. Mit was gehen Sie in das Gespräch? Was können Sie den vier engagierten jungen Frauen, die Sie morgen besuchen, anbieten, was zum Beispiel Fortschritte bei der Verschärfung des Klimaschutzziels - 55 Prozent EU-weit - angeht?

BK’in Merkel: Es gab einen Wunsch von Frau Neubauer, der an uns herangetragen wurde, was ein solches Gespräch angeht. Deshalb möchte ich mich diesem Gespräch nicht verweigern, sondern freue mich, dass der Wunsch nach diesem Gespräch besteht.

Er hat sicherlich mit der Tatsache zu tun, dass Deutschland jetzt die Ratspräsidentschaft innehat. Sie wissen, dass wir nur auf die Vorschläge der Kommission reagieren können. Ich werde also deutlich machen, in welchem Arbeitsstand sich die Vorschläge der Kommission befinden. Herr Timmermans, der Vizepräsident der Europäischen Kommission und Verantwortliche dafür, lässt eine sogenannte IMPACT-Studie durchführen, bevor die Kommission ihre Vorschläge vorstellt. Das heißt, die Auswirkungen auf die verschiedenen Gegebenheiten – Wirtschaft, Landwirtschaft und Ähnliches – werden evaluiert.

Es trifft sich vielleicht gut, dass heute die Umweltministerin unseren Klimabericht 2019 vorgestellt hat und wir der Zielerreichung 2020 vielleicht doch näher kommen, allerdings durch einen Umstand, den wir auch nicht begrüßen können. Aber man sieht daran, dass man diese Ziele natürlich erreichen kann. Wir müssen sagen – darauf werde ich auch morgen verweisen -, dass sich das Thema Zertifikatehandel eigentlich in den letzten Monaten und Jahren sehr gut entwickelt hat, weil wir endlich einen signifikanten Zertifikatepreis haben, was dazu geführt hat, dass die Exporte von deutschen Braunkohlekraftwerken ins europäische Ausland nicht nur coronabedingt, sondern auch durch den Preis des CO2 zurückgegangen sind, was bei uns zu einer Senkung der CO2-Emissionen geführt hat.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eine Frage zu Belarus. Russland hat gestern und heute noch einmal vor einem Eingreifen des Auslands gewarnt. Ich würde gerne bei Ihnen konkreter nachfragen: Was kann die EU, was kann Deutschland tun, um der Opposition, an deren Seite die EU ja steht, wie Sie gesagt haben, ganz konkret zu helfen? Gibt es Möglichkeiten, ohne dass man ein Eingreifen Russlands provoziert?

Sehen Sie für sich selbst auch eine Vermittlungsrolle in diesem Konflikt?

BK’in Merkel: Ich persönlich habe mich ja um ein Telefonat mit Präsident Lukaschenko bemüht. Das ist leider nicht zustande gekommen. Genauso hatte ich um ein Telefonat mit Präsident Putin gebeten. Dieses Telefonat hat, wie Sie wissen, stattgefunden. Dort haben wir diese Fragen natürlich ausführlich diskutiert.

Ich habe ja nicht umsonst gesagt, dass Weißrussland selbst seinen Weg bestimmen muss. Das heißt, wir können das tun, was wir immer tun, nämlich helfen, und zwar durch Programmelemente der Östlichen Partnerschaft und durch faire Chancen für diejenigen, die in der Zivilgesellschaft ihre Meinung zum Ausdruck bringen, also zum Beispiel Unterstützung durch Programme.

Aber wir werden sehr darauf achten, dass nicht wir für Weißrussland erklären, was dort zu tun ist, sondern dass die Opposition in Belarus selbst erklärt, was sie möchte. Ich sehe eine Vermittlungssituation zurzeit nicht, denn Präsident Lukaschenko hat jegliches Telefonat abgelehnt, was ich bedaure. Vermitteln kann man ja nur, wenn man mit allen Seiten im Kontakt steht. Wir werden von unserer Seite aber alles tun, um für einen nationalen Dialog zu werben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Oppositionsführerin Tichanowskaja hat die EU dazu aufgefordert, das Ergebnis der Wahl nicht anzuerkennen. Sie sagten ja auch, das Ergebnis könne nicht anerkannt werden. Heißt das, dass Präsident Lukaschenko aus Ihrer Sicht und aus Sicht der EU nicht mehr legitimer Präsident Weißrusslands ist?

Anschließend an die Frage von dem Kollegen die Frage: Wie groß sehen Sie umgekehrt die Gefahr eines russischen Eingreifens in Belarus? Wie würde die EU darauf reagieren?

BK’in Merkel: Ich werde hypothetische Fragen jetzt nicht beantworten. Wir sind mit Russland im Gespräch, um genau dies zu verhindern. Außenminister Lawrow hat heute dazu auch Stellung genommen. Russland und Weißrussland sind durch sehr enge Verträge miteinander verbunden. Dennoch haben wir deutlich gemacht, dass ein militärisches Eingreifen vonseiten Russlands natürlich die Situation sehr viel stärker verkomplizieren würde. Deshalb setze ich mich auch dafür ein, dass Weißrussland seinen Weg selbst findet.

Im Übrigen richten sich große Teile der Opposition ja gar nicht gegen Russland – das muss man ja einfach sehen -, sondern gegen die Praktiken von Präsident Lukaschenko.

Die Wahlen - das bleibt jetzt erst einmal zu konstatieren - sind nicht fair gewesen; sie sind nicht frei gewesen. Dennoch ist Herr Lukaschenko noch da. Wenn ich zu einem nationalen Dialog aufrufe, dann natürlich auch unter Beteiligung derjenigen, die heute dort die Macht innehaben. Das heißt, es ist eine komplizierte Situation, aus der man möglichst friedlich einen Weg finden muss.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, welche Auswirkungen hat der Putsch in Mali auf die Militärpräsenz der EU-Staaten in der Region?

BK’in Merkel: Erst einmal hat der Putsch im Augenblick noch keine Auswirkungen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat gesagt, dass die Soldaten in ihren Kasernen sind. Im Augenblick sind durch die Coranasituation sowieso recht wenige dort. Die Mission MINUSMA wird weit entfernt von Bamako durchgeführt. Insofern beobachten wir die Lage sehr aufmerksam und stehen auch mit Frankreich in einem engen Kontakt. Aber zur Stunde hat das keine Auswirkungen auf die Tätigkeit der Soldaten. Wir werden aber alles tun, damit deren Sicherheit auch weiter gewährleistet ist. - Danke schön!